"DER MUSIKMARKT"
Fachzeitschrift "Der Musikmarkt" – Aus nach 57 Jahren!

Stephan Imming, über 30 Jahre Abonnent des Blattes, blickt auf die wechselvolle Geschichte des Branchenblatts zurück …: 

Es war im Sommer 1986, als ich als Teenager durch die Kaufhäuser des Ruhrgebiets pilgerte – immer auf der Suche nach neuen Informationen zur deutschen Musikszene, insbesondere zum deutschen Schlager. Man kann es sich heute kaum vorstellen – aber damals war es fast unmöglich, Informationen über Neuerscheinungen zu bekommen. Das, wozu man heute lediglich einen Klick benötig, um zum Nulltarif detaillierte Informationen zu bekommen, konnte man – wenn überhaupt nur mühsam recherchieren. Haupt-Informationsquelle war damals das Radio, für mich war seinerzeit das Radio WDR 4 (in persona Günter Krenz) und teilweise der DLF (Peter Puder) zuständig.

Beim Schlendern durch die Geschäfte war ich stets bemüht, die aushängenden Hitlisten auswendig zu lernen, um sie mir zu Hause zu notieren. Dabei fiel mir plötzlich ein Heft auf – „Der Musikmarkt“ – ich dachte erst, das sei ein Prospekt, wollte ihn schon mitnehmen, bis mir die hübsche Verkäuferin sagte, das sei eine Fachzeitschrift. Ich bat sie, mir die Bezugsdaten notieren zu dürfen – das tat ich, und zum 15. Juli 1986 erhielt ich dann mein Probeexemplar des Musikmarkts und war restlos begeistert von dessen Informationsgehalt. Damals wusste ich nicht, dass genau 27 Jahre vorher, am 15. Juli 1959 u. a. von Hans R. Beierlein das Magazin aus der Taufe gehoben wurde und auch nicht, dass 30 Jahre später dessen Aus verkündet werden wurde.

Obwohl ich noch kein eigenes Girokonto hatte, investierte ich mein Taschengeld in das schon damals recht teure Lesevergnügen – ich sage nur: „Danke, Mama!“J… – Damit war ich quasi „von jetzt auf gleich“ fast auf dem Kenntnisstand eines Fachhändlers – oder besser gesagt – meist sogar besser informiert als dieser, weil ich oft genug nach einer Neuveröffentlichung gefragt hatte, von der dieser (leider mangels Interesses) keine Kenntnis hatte.

Man war nicht nur über die aktuellen nationalen Verkaufshitparaden informiert – nein, es gab internationale Hitparaden, Airplay-Charts, Händlertipps, CD-Hitlisten, Schlager-Charts und und und.. – farbige große Anzeigen der Neuveröffentlichungen waren Standard und stets verlässliches Informationsmaterial wurde dem geneigten Leser an die Hand gegeben. Dazu gehörten wöchentliche Hitparaden-Plakate und anfangs der „grüne Teil“, eine Art monatliches Sonderheft, in dem alle Neuveröffentlichungen des Monats aufgeführt waren.

Prägende Gestalten „meiner“ ersten Musikmarkt-Jahre waren sicher der damalige Chefredakteur Uwe Lechner, Ebba Fahr und auch Beat Hirt aus der Schweiz, die für sehr guten, fundierten, wohlwollend-kritischen Journalismus standen.

Für mich prägend waren auch vereinzelte Leserbriefe, die ich an das Magazin schrieb und die vielfach abgedruckt wurden, was mir als „Laien“, der in einem Branchenblatt die Ehre hatte zu schreiben, sehr schmeichelte und mich zugegebenermaßen noch mehr an das Blatt band, zumal es dabei zu sehr interessanten Kontakten kam.          

Das Tüpfelchen auf dem i waren zusätzliche Veröffentlichungen wie der damalige „Gemeinschaftskatalog“, der für dreistellige Beträge vom Handel erworben werden konnte (ein Gesamtkatalog aller lieferbaren Tonträger), das Branchenhandbuch mit Branchenadressen, Fachbüchern wie „Wie verkaufe ich Musik?“ etc. Besonders imposant war ein Buch über den Grand Prix Eurovision – was es heute im Dutzend gibt, war damals Mangelware. Bei Wim Thoelkes „Großen Preis“ war mal ein Kandidat zu Gast, der Experte für den Musikwettbewerb war. Man konnte sich beim ZDF eine Literaturliste anfordern, was ich damals getan habe – zum ESC gab es genau NULL Fachbücher, insofern hat der Musikmarkt auch in dem Bereich Pionierarbeit geleistet.

In Jahren, in denen der ESC quasi tot war, wurde teils sehr ausführlich über den Wettbewerb berichtet. Auch über die deutsche Schlagerszene wurde insbesondere unter Chefredakteur Lechner überaus wohlwollend und sachlich berichtet – ganz anders, als man es von unsachlichen und teils inkompetenten Moderatoren (wobei eher eine Moderatorin gemeint ist) von Sendungen wie „Formel Eins“ kannte – von Moderatoren, die sich nicht mal im Ansatz über die Schlagerleute informiert hatten, die bei ihnen zu Gast waren.

Was dem Musikmarkt genau so zu Schaffen machte wie der Musikindustrie allgemein, war die Digitalisierung und die damit einhergehende immer kleinere Wertschätzung der Musik und des Musikjournalismus’. Im Internet- und Youtube-Zeitalter mutierte Musik zur Wegwerfware, was leider auch die Berichterstatter betraf.

Die Zeitschrift muss sich aber auch eigene Fehler eingestehen. Der erste Fehler war in meinen Augen der ersatzlose Wegfall des „grünen Teils“ mit den Neuerscheinungen. Es wurde damals angekündigt, dass es dazu einen Ersatz gäbe – das ist aber niemals erfolgt. In den letzten Jahren wurde es dann ganz heftig – statt eines wöchentlichen Heftes (- wenn auch zuletzt nur mit den aktuellen Charts, seit 2001 war die Erscheinungsweise wöchentlich -) wurde ein monatliches Heft geliefert, die Hitparadenplakate entfielen ersatzlos. Der teure Preis hingegen wurde beibehalten – vielleicht auch wegen der umfangreichen Online-Funktionalitäten, die aber auch nicht wirklich zufriedenstellend waren, beispielsweise kann man nur die Charts bestimmter Jahrgänge und nicht umfassend recherchieren).

Was sicher auch ärgerlich ist, ist, dass man als Abonnent keinen zeitlichen Vorteil hatte bezüglich der aktuellen Charts. Wollte man freitags um 15 Uhr sich einen Überblick über das aktuelle Hitgeschehen verschaffen, wurde von einigen Anbietern fleißig Informationsmaterial geliefert – als Abonnent des Musikmarkts schaute man derweil vielfach dumm aus der Wäsche.

Da passt es gut ins Bild, dass das Ende des altehrwürdigen Branchenfachblatts nicht etwa vom Musikmarkt selber kommuniziert wurde (auf der Homepage ist aktuell über das Ende des Musikmarkts nichts zu lesen), sondern quasi von der Konkurrenz, der „Musikwoche“, die sich auf den Chefredakteur Stefan Zarges beruft. Es ist schon enttäuschend, nach 30 Jahren Abonnement vom Aus des Blattes von externer Seite erfahren zu müssen – in meinen Augen ist diese schlechte Kundenbindung eine der Hauptursachen für das Ende des Blatts. Eine weitere ist sicher die Aufgabe der Kernkompetenz – der deutsche Schlager wurde bestenfalls noch stiefmütterlich behandelt – kein Wunder bei einer Redaktion, die ein- ums andere Mal bei eigenen Umfragen nur internationale Musik als richtungsweisend angesehen hatte.

Zur Kundenbindung gehörten einst auch die jährlichen Branchenfeste (, die ich zwar nur von Fotos kenne, die aber einen großen Stellenwert hatten – vielleicht waren sie etwas wie die Vorläufer des heutigen smago!-Awards) und auch Umfragen der Zeitschrift der Marke „Musikmarkt-Leser wählen die Besten“, die über Jahrzehnte hinweg sehr interessant Ansätze lieferten. Auch aktuell bedauerlich: Mehrere E-Mails an die Redaktion, vor wenigen Wochen erst abgeschickt, blieben unbeantwortet.

Trotz allem bedaure ich das Aus eines Fachblattes, das ich über Jahrzehnte hinweg mit großem Interesse gelesen habe und aus dessen Informationsgehalt ich bis heute für meine Artikel einiges an Wissen ziehen konnte. Lebe wohl, lieber Musikmarkt – mit Dir verlässt mich wieder ein Stück meiner Jugend!

 

PS: Sollte jemand historische Musikmärkte von Juli 1959 bis Dezember 1974 besitzen, die er mir – gerne auch leihweise – zur Verfügung stellen könnte, wäre ich dafür überaus dankbar. Ich würde auch die Inhalte dieser Jahre (bezogen auf deutsche Musik) gerne einscannen und damit elektronisch verfügbar machen.

Stephan Imming, 21.06.2016
http://www.musikmarkt.de
http://www.musikmarkt.de

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