EUROVISION SONG CONTEST
Experten-Preview von FRANK EHRLACHER zum ESC-Finale 2024 – heute (11.05.2024) live aus Malmö!

Einmal mehr hat sich der ultimative Musik-Fachmann mindestens ein Fleißsternchen verdient …!

 

 

 

It’s Eurovision again!

Zum 68. Mal geht in Malmö der Eurovision Song Contest über die Bühne – nach zwei bunten und perfekt produzierten Halbfinal-Shows gibt es am Samstagabend das große Finale, für das das schwedische Fernsehen noch einige Überraschungen angekündigt hat. Die betreffen aber wohl eher das Rahmenprogramm und natürlich das Ergebnis, denn die 26 Songs konnten wir während der Proben und Halbfinal-Auftritte schon alle sehen und da wird sich – zumindest wenn nichts Unvohergesehenes dazwischen kommt – nichts mehr ändern.

Das finale Ergebnis wird wie in den Vorjahren durch eine Mischung aus (Fach-)Jurys der einzelnen Länder und Televotings bestimmt, wobei es bei der Punktvergabe zuerst die Jurywertungen gibt, die von den Jury-Sprechern aus den teilnehmenden Ländern vorgelesen werden (für Deutschland Ina Müller, für den Rückkehrer Luxemburg übrigens Desirée Nosbusch, 40 Jahre nach ihrer großartigen ESC-Moderation in Luxemburg) und es dann das Televoting “in aufsteigender Reihenfolge der Jurypunkte” geben wird. Spannend macht es das auf jeden Fall.

Wir blicken noch einmal kurz auf Favoriten und Kuriositäten, damit Ihr auf den heutigen Fernsehabend (ab 21 Uhr in der ARD) bestens vorbereitet seid …:

Es wird vom Start weg spannend:

Den Anfang macht nach Losentscheid – und das ist die einzige Start-Nummer, die wirklich ausgelost wurde, um jeden Einfluss des Veranstalters zu vermeiden – Gastgeber Schweden. Nachdem man im Vorjahr mit Loreen zum 7. Mal den ESC gewonnen und mit Rekordsieger Irland gleichgezogen hat, hat man vollmundig Sieg Nummer 8 angekündigt. Aber sicher nicht in diesem Jahr. Die norwegischen Zwillinge Marcus und Martinus liefern perfekten Schweden-Pop, perfekt inszeniert – aber leider langweilt so viel Perfektion beim ESC mehr als sie nützt. Mehr als ein Mittelfeldplatz dürfte da nicht drin sein.

Im Gegensatz zur Ukraine auf Startplatz 2, die mit einer Kombination aus Gospel light und Rap daherkommt und die Heiligen Maria und Mama Theresa besingt. Bildgewaltig inszeniert (ein neues Markenzeichen: Der ESC-Felsen hat die ESC-Windmaschine fast verdrängt) und vor dem Hintergrund der jüngsten Geschichte des Landes sicher nicht zufällig mit christlichem Einschlag, Nicht unbedingt ein Siegertitel, aber Top 10, vielleicht sogar Top 5 sollte locker drin sein.

… und als 3. muss dann schon Isaak aus Deutschland ran. Ich habe da ein Deja Vu der vergangenen Jahre und ich fürchte, die Zuschauer und Verantwortlichen nach dem Ergebnis auch. “Always On The Run” ist ein netter, eingängiger Popsong, ähnlich wie “Rockstars” von Malik Harris 2022. Aber: “nett” ist das Schlimmste, was beim ESC passieren kann. Die allermeisten Televoter rufen nur genau einmal an, für den Song, der sie am meisten beeindruckt hat. Und das kann viele Ursachen haben, es muss nicht die bombastische Performance sein, es kann auch sehr gerne der Song sein, der besonders berührt (wie Portugals Salvador Sobral 2017), eine besondere Bühnenpräsenz (wer erinnert sich nicht an das “Erscheinen” von Conchita Wurst 2014) – der deutsche Beitrag hat von alledem nichts und so fällt es mir schwer zu glauben, dass er im Feld der 26 Songs all zu viele Stimmen einsammeln wird. Und das endet für gewöhnlich mit dem letzten Platz. Für Deutschland wäre es nach 2022 und 2023 das Tripple – und es soll bitte nachher niemand sagen “Die mögen uns Deutsche” nicht. Was die deutsche Delegation hier auf die Bühne bringt, ist gut, aber bei weitem nicht gut genug. Und leider hat man es auch versäumt, über das (wie es neudeutsch heißt) “Staging” noch Boden gutzumachen: Das Ansingen einer brennenden Öltonne in einem Schwarz in Schwarz gehaltenen Bühnenbild weckt eben auch keine Emotionen. Schade.

Rückkehrer Luxemburg geht nach 31 Jahren ESC-Pause mit Start-Nr. 4 ins Rennen. Für die 23-jährige Tali und ihrer teils in Englisch und Französisch gesungenen Popnummer “Fighter” ist das Erreichen des Finals sicher ein guter Erfolg. Viel mehr wird es aber nicht. Ich sehe sie am Ende auch im hinteren Drittel.

Spannend wird es danach mit Joost und dem “Europapa” aus den Niederlanden. Ein eingängiger Popsong mit einer völkerverbindenden Botschaft – die leider im kompletten Gegensatz zu Joosts verhalten auf der Pressekonferenz am Donnerstagabend nach seinem Einzug ins Halbfinale stand. Er zog sich ein Tuch über dem Kopf, agierte weder mit seinen Mitsängern noch mit den Pressvertretern wirklich, und feindete die israelische Vertreterin permanent an, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Bizarr und traurig und es bleibt abzuwarten, ob die EBU hier im Nachgang noch einschreitet. Allerdings bekommen die meisten Zuschauer davon nichts mit, daher rechne ich weiterhin mit sehr hohen Televoting Punkten und damit einem Endergebnis in den Top Ten. UPDATE: Ob Joost aus den Niederlande überhaupt starten darf, will die EBU erst am Samstag entscheiden. Nach übereinstimmenden Berichten soll es in Rahmen der Proben eine “körperliche Auseinandersetzung” mit einem Fotografen gegeben haben, weshalb er am Freitag von allen Proben ausgeschlossen wurde.

Direkt danach geht dann Eden Golan für Israel auch an den Start.  Auch hier eine perfekte Inszenierung, die vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation Israels bei vielen Zuschauern wirken wird. Bei den ersten Proben gab es heftige Buh-Rufe, die beim Semifinale selbst so nicht mehr zu vernehmen waren. Andererseits sickerte das Ergebnis des italienischen Televotings (unerlaubterweise) vorab durch, das Israel mit überragenden 39 % vor den Niederlanden (mit knapp 8 %) gewonnen hat. Wenn sich das im Rest Europas so fortsetzt, wird Israel sogar um den Sieg mitsingen. Die Nummer an sich gibt es meines Erachtens nur bedingt her.

Danach kann man dann mal durchatmen oder die Getränkevorräte nachfüllen: Fanliebling Silvester Belt für Litauenbietet wenig Spektakuläres (Prognose: Hinteres Mittelfeld), ebenso wenig Spanien, das zwar einen Ohrwurm liefert, aber eine gewagte Show, die nicht jeden ansprechen dürfte (Tendenz: Hinteres Drittel, traditionell kämpft Spanien ja gerne mit Deutschland um den letzten Platz, da sehe ich Spanien heute einen Tick besser aufgestellt) und Estland mit dem unaussprechlichen Titel, der auch eher für Mittelmaß und Mittelfeld taugt.

Ganz im Gegensatz zu Bambie Thug aus Irland mit Startnummer 10, die den Teufel niedersingt – oder niederschreit. Die Nummer entfaltet erst beim dritten oder vierten Hören etwas Charme, aber so viele Chancen bekommt sie heute Abend bei den Zuhörern ja nicht. Die Performance ist auf jeden Fall außergewöhnlich und ein Hingucker. 3 Minuten Unterhaltung – und das soll eine Unterhaltungssendung ja auch liefern. Klare Tendenz: Top 5, vielleicht sogar Top 3 .

Sehr gefreut habe ich mich persönlich über den Finaleinzug von Dons aus Lettland, der nach den Wettquoten im Vorfeld nicht abzusehen war. Eine der wenigen wirklichen Balladen im Feld kann am Finalabend neben den “Aufpeitschern” aus Irland und Griechenland entweder untergehen oder so richtig zur Geltung kommen. Ich tippe auf ersteres und einen Platz für den sympathischen Letten im letzten Drittel.

Griechenland versucht es wieder einmal mit etwas Latin-Urban angehauchten Pop-Rhythmen. Das macht Spaß, ist aber am langen Ende auch recht belanglos. Die Konsequenz: Ein Platz im Mittelfeld ist gebucht.

Schwer einzuschätzen sind die Chancen von Olly Alexander aus dem Vereinigten Königreich. Beim Kopf des international erfolgreichen Projektes “Years And Years” war es wohl mehr der Name, der die Verantwortlichen bewogen hat, ihn zu nominieren. Sein Song “Dizzy” ist guter Dance-Pop, der wahrscheinlich die nächste Zeit auf keiner ESC-Party fehlen darf – allerdings hat Olly doch ein sehr dünnes Live-Stimmchen und die Inszenierung der nicht gerade geschmackvoll bekleideten Boxer in einem Käfig fällt auf, ohne zu ge-fallen… Die Buchmacher haben den Song weiterhin unter den Top Ten – ich bin da eher skeptisch und traue es ihm sogar zu, in den Kampf um den letzten Platz einzusteigen – es sei denn, er aktiviert eine große Fanbase…

Halbzeit der 26 Beiträge und in die 2. Hälfte geht es mit Folk-Rock aus Norwegen. Auch der wird sicher sein Publikum finden, ohne letztendlich überzeugen zu können. Knapp an den Top Ten vorbei könnte es dann ein für alle versöhnliches Ergebnis werden.

Sicher mehr will das erfolgsverwöhnte Italien, das auch in diesem Jahr wieder mit dem Siegertitel des Sanremo-Festivals antritt. Angelina Mango ist die Tochter des leider viel zu früh verstorbenen Rocksängers Mango und hat durchaus sein Talent geerbt. “La noia” (schwer zu übersetzen: Langeweile oder Überdruss trifft es vielleicht am besten) ist ein latin-angehauchter Pop-Song, bei dem man bei der Inszenierung im Vergleich zum Sanremo-Auftritt kräftig nachgebessert hat. Zum Sieg wird das nicht reichen, ein Platz in den Top 10, Richtung Top 5 sollte aber hier auch allemal drin sein.

Eher unerwartet ist Teya Dora aus Serbien ins Finale eingezogen. Ihr Text ist recht vielschichtig: Sie besingt eine Blume, die Ramonda (auf Deutsch: “Felsenteller” – und richtig: auch da steht wieder ein Felsen auf der Bühne), die aber in ihrer Heimat auch als Symbol für den Waffenstillstand nach dem Ersten Weltkrieg dient. Leider werden die meisten Zuschauer das nicht verstehen, so wird sich der Song eher im hinteren Drittel wiederfinden.

Der “Windows95Man”, der eigentlich zwei Männer sind, aus Finnland, fällt mehr durch seine Show und das Feuer, das ihm aus der Hose sprüht, als durch den Retro-Pop-Dance-Song auf. Die Televoter könnten es trotzdem in Teilen mögen und ihn ins solide Mittelfeld bringen.

Danach heißt es wieder Durchatmen, wenn es ums Ergebnis geht – auch wenn ein Toilettengang hier schade wäre, denn die Startnummern 18 bis 20 präsentieren mit (in der Reihenfolge ihres Auftretens) Portugal, Armenien und Zypern durchaus zumindest bei den ersten beiden Songs Nuancen, die man im Rest des Feldes weniger hört und dem Zuschauer sehr gut zeigen, aus welcher Kultur sie entstammen. Vielleicht gelingt ja Armenien mit dem beschwingten “Ladaniva” eine Überraschung Richtung Top Ten, die anderen beiden – insbesondere Zypern – sehe ich eher im hinteren Drittel.

Danach nimmt der ESC 2024 wieder Fahrt auf. Der Auftritt der Schweiz ist optisch flamingo-plüschig und auch musikalisch eher extravagant. Was dabei in der Kombination aus Juryvotes und Televoting am Ende rauskommt, ist schwer präzise einzuschätzen. Die Buchmacher hatten ihn zeitweise sogar auf Platz 1 – daran glaube ich nicht. Ich tippe auf eine Platzierung innerhalb der Top Ten, mit Ausschlägen nach oben. Übrigens: Die gut informierte Gerüchteküche sagt, dass der Schweizer Song “The Code” von Nemo eigentlich für die deutsche Vorentscheidung geplant war, dann aber zurückgezogen wurde, als die Schweiz ihm eine Direktnominierung ohne Vorentscheid anbot.

Auch Slowenien zog eher überraschend ins Finale ein und auch ihr Auftritt (Prognose: letztes Drittel) ist eher das Warm Up

… für den Top-Favoriten des Wettbewerbs: Marko Purisic alias Baby Lasagna aus Kroatien mit “Rim Tim Tagi Dim”. Eingängiger Pop-Rock zwischen Rammstein und Rednex, der dem Land – nach meiner Meinung – den ersten ESC-Sieg und damit den zweiten Wettbewerb in Zagreb (nach 1990, nachdem 1989 Jugoslawien gewann) bescheren dürfte. Marko Purisic hat übrigens schon eine Trophäe für ein Nr. 1-Album in Deutschland im Schrank stehen, er schrieb nämlich einige Songs für das aktuelle Album der Hamburger Band “Mono Inc.”

Wer glaubt, er habe beim deutschen Beitrag oder aus Finnlands Unterhose schon alles Feuer Malmös gesehen, der soll sich den Beitrag aus Georgien genau anschauen:  “Firefighter” strotzt vor Pyrotechnik, die aber – vielleicht auch aufgrund der goldenen Klamotte der Sängerin Nutsa Buzaladze – stimmiger inszeniert ist. Georgien freute sich nach dem Halbfinale bereits über den ersten Finaleinzug seit 8 Jahren und könnte sich weiterfreuen, wenn der Song nach meiner Prognose im vorderen Mittelfeld landet. Die Bestplatzierung des Landes liegt übrigens bei Platz 9 (2010 und 2011), dazu wird es wohl nicht ganz reichen.

Frankreich setzt auf Stimme und Ausstrahlung mit einer weiteren waschechten Ballade. Slimane singt “Mon amour” – am Anfang noch etwas zurückhaltend (vielleicht ist Singen im Liegen doch keine so gute Idee, wie schon Levinia beim ESC 2017 für Deutschland erfahren musste) – später nimmt er aber demonstrativ zwei, drei Meter Abstand vom Mikrofonständer, um zu beweisen, was er für ein Stimmorgan hat. Das beeindruckt, überzeugt aber im Gesamteindruck nicht völlig. Für die Top Ten wird es knapp reichen.

Den Schluss des Abends darf dann Österreich machen. Die eher simple gestrickte 90s Dance-Nummer “We Will Rave” vermochte dann im Semifinale doch mehr Televotes einzusammeln, als ich persönlich ihr zugetraut hätte – oder Choreograph Marvin Dietmann, gleichzeitig Ehemann der Sängerin Kaleen, hat hier vielleicht überzeugendere Arbeit geleistet als bei Isaak. Ich bleibe dabei: Ein schöner Abschluss der Wettbewerbssongs, der aber die Geschichte des ESC nicht verändern wird – und der Alpenrepublik einen Platz im hinteren Drittel beschert.

Smago wünscht allen Lesern viel Spaß beim Mitraten, Mittippen und am Ende auch Mitwissen beim 68. Eurovision Song Contest.

Und während Europa seine Stimmen abgibt, gibt es auch noch ein Highlight als Reminiszenz an ABBA, die vor genau 50 Jahren mit “Waterloo” den ESC gewannen und ihre Weltkarriere starten: 3 ESC-Sieger – Carola (1991), Charlotte Perrelli (1999) und Conchita Wurst (2014) – präsentieren eine kleine Hommage an die “Big Four”. Der Traum, die vier von ABBA persönlich auf der Bühne zu sehen, bleibt wohl  am Samstagabend eher unerfüllt – es sei denn, das schwedische Fernsehen hat noch ein As im Ärmel, das es auch bei den Proben bisher nicht durchblitzen ließ…

Textquelle: Frank Ehrlacher

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