Der Song ist monumental und privat, humorlos und frisch, pathetisch und von der Straße, jeweils gleichzeitig und zu gleichen Teilen!
Seit rund 30 Jahren haben BRINGS aus Köln so ziemlich jedes Klischee dekadenten Rock ‘n’ Rollertums ausgelebt, immense Erfolge gefeiert, das Rheinenergiestadion in wenigen Stunden komplett ausverkauft, herbe Schicksalsschläge weg gesteckt und immer wie eine 1 gestanden, the show must go on. Auch dem Jahr 2020 trotzten sie von Anfang an unbeeindruckt. Sie spielten als erste deutsche Band überhaupt ein Car-Antäne Konzert und kürzlich erlebte das Brückenforum in Bonn-Beuel eine BRINGS-Reise bis ans Meer ihrer treu geliebten Alben der frühen 90er Jahre. BRINGS sind ein fester Bestandteil des alltäglichen Lebens im Rheinland, da kannste jede(n) fragen… und nun klopft kalendarisch natürlich langsam auch in einem Jahr wie diesem der Karneval an. Gefühlt auch, natürlich, das steckt schlicht in der DNA dieses Landstrichs. Gedurft aber nicht. Karneval ohne BRINGS, BRINGS ohne den Kölner Karneval. Unvorstellbar.
Unvorstellbar war bisher auch ein Song wie “Mir singe Alaaf”. BRINGS fangen eine von tausenden Menschen empfundene Stimmung ein, wie es vielleicht nur bei ganz wenigen Songs des Kölner Schwarmrepertoires gelingt. Das Verhältnis zwischen dieser Kölner Rockband und dem lokalen Brauchtum war immer eins das sie selbst bestimmten und ihre eigenen Regeln haben sie nie irgendwelchen Kompromissen geopfert. Rückblickend gleicht es einem Drahtseilakt den BRINGS da über Jahre hingelegt haben und ihren Kahn mit ruhiger Hand und Integrität durch das Fahrwasser von Ausverkaufvorwürfen und einem tiefen Verantwortungsbewusstsein vor den eigenen Fans der ersten Stunde geschippert haben. Das alles gleicht im Jahr 2020 allerdings beinahe Luxusproblemen, den BRINGS erzählen hier von einer kollektiven Seele eines gesamten Menschenschlages, einer ganzen demographischen Volksgruppe wenn man so will. Man weiß kein “wie”, niemand kann ein halbwegs konkretes “wann” orakeln, aber mir singe Alaaf!
So wie dieses Jahr in allen Diskursen, seien sie aus der Politik oder dem Feuilleton, eine wirkliche Mitte vermissen lässt und sich Lagerkämpfe mit extremer Polarität inzwischen scheinbar normalisiert haben, ist auch dieser Song auf gewisse Weise bipolar angelegt. Dies hier ist kein Karnevalssong und gleichzeitig eine tiefe, innige Liebeserklärung an das Kölner Lebensgefühl. Und schon klingt es abgedroschen, man assoziiert ufftata und Diskussionen über Straßenkarneval, Pferde und kulturelle Aneignung bei gewissen Kostümen. Nein, hier geht es nicht mehr um Oberflächlichkeiten, hier geht es um alles. “Mir singe Alaaf” ist monumental und privat, humorlos und frisch, pathetisch und von der Straße, jeweils gleichzeitig und zu gleichen Teilen. Mit einer tiefer gestimmten zwölfsaitigen Gitarre startet “Mir singe Alaaf” auf der großen western plain einer ungewissen Gegenwart und einer noch unsichereren Zukunft. Und dann rollen BRINGS über die nächsten 4 Minuten das ganz große Kino aus. Hat man sich früher im Jahr vielleicht hier und da mal ein ‘Licht angemacht’ und sich gedacht den ganzen Scheiß einfach auszuwarten, ist dieses Licht inzwischen zu einem Licht der Andacht und der Hoffnung geworden. Queensize BRINGS zeigen sich hier gewohnt in Topform und spannen den großen Bogen zwischen eigenem Vermächtnis und ihrer Identität als Chronisten der Stadt aus der sie nie wieder wegzudenken sind. Und das tun sie so unaufdringlich, aber so unglaublich eindringlich. Hier in Köln fühlen wir das alle genau so wie dieser Song klingt, da wird niemand widersprechen und so vollmundig diese Aussage klingt, so sehr stimmt sie.
1. “Mir singe Alaaf!” – 3:51
(Written by Brings; Published By: Kasalla Musikverlag / Gothic Musikverlag)
Produced by Harry Alfter & Helmuth Rüssmann
An Electrola Recording; (P) 2020 Universal Music GmbH
An Electrola release; (P) 2020 Universal Music GmbH
(C) 2020 Universal Music GmbH
Textquelle:
Electrola, a Division of Universal Music GmbH (Textvorlage)