Das große Interview zu “udo 90”!
In Udos musikalischem Vermächtnis haben Sie eine wahre Sensation entdeckt und als Bonus-Track Nr. 91 auf das Album gepackt. Das Lied „Als ich fortging“, das von dem bekannten Produzenten Curt Cress neu arrangiert und produziert wurde, ist Liebeslied wie Abschiedsgruß. Wie empfinden Sie den Titel?
Wir haben als Team diesen Song gefunden, der einfach unbeschreiblich ist. Er ist so schön und er wurde noch nie fertig produziert und schon gar nicht veröffentlicht. Es gab nur eine Demo-Aufnahme davon – auch keine Multitracks, Schlagzeug, Gitarre, Klavier, Gesang – das hatten wir alles nicht. Wir hatten nur diese eine Audio-Datei. Das Demo war schon genauso in der Art produziert, wie Udo produziert werden wollte: Die Stimme und den Text immer nach vorne. Man muss jedes Wort und jede Silbe verstehen. Das ist sehr auffällig bei ihm, wenn man sich seine Produktionen, seine Konzerte auf YouTube anhört. Egal, was er gemacht hat: Die Stimme war immer vorne gemischt, also sehr präsent. Es war ihm wichtig, dass seine Botschaft in den Liedern verstanden wird. Bei dem Demo-Band wurde mit einer Technik, mit künstlicher Intelligenz, die Stimme von dem Rest, den Musikern, dem Klavier, dem Schlagzeug, getrennt. Dann hatte man eine „A cappella“ Version. Udo hatte perfekt gesungen auf dem Demo-Band. Um dieses „A cappella“ herum hat Curt Cress das Lied komplett neu arrangiert.
Gab es zuvor eine Verbindung zu Curt Cress?
Curt Cress wurde 1982 für das Album „Silberstreifen“ engagiert. Er hat das komplette Album eingespielt. Auf der B-Seite ist übrigens das Lied „Ich war noch niemals in New York.“ Curt Cress ist eine Koryphäe, ein Schlagzeuger vor dem Herrn, der mit Freddie Mercury, Queen, Klaus Doldinger und in vielen anderen Produktionen gespielt hat. Curt Cress wurde engagiert, weil er nicht vom Blatt gelesen hat. Man konnte ihm keine Noten vorlegen und sagen: „Spiel das jetzt.“ Da hätte man jeden beliebigen Schlagzeuger holen können. Curt Cress hat man geholt, weil man gesagt hat: „Spiel mal was drauf!“ Das ist eine ganz andere Herangehensweise. Nicht ein Arrangeur schreibt eine Note, und er spielt die dann, sondern der Musiker hört sich das Lied an und spielt dann darauf, was er denkt und was er fühlt. Das kann nicht jeder. Curt Cress kommt aus dem Jazz, aus dem Rock, aus der extremeren Musik, die auch Papa sehr geliebt hat. Papa war ein großer Fan von Klaus Doldinger (Passport). Jetzt produzierte Curt Cress das Lied „Als ich fortging“ – und ich kann nur sagen: Er hat es bombastisch gemacht!
Können Sie schon etwas zum Inhalt des Liedes verraten?
Ich darf so viel verraten: Es ist sicherlich eine Art Abschiedsbotschaft. Aber das Lied wurde geschrieben, als er gelebt hat – von ihm, mit einem Text von Michael Kunze. Es entstand Mitte der achtziger Jahre für das Album „Treibjagd“. Es passte nicht zum Konzept der Platte, also legte man es zur Seite – und vergaß es. Dieses File ist jetzt wieder aufgetaucht – mit kaum Informationen, das war vollkommen irre. Er ist vor 10 Jahren von uns gegangen und jetzt kommt ein Lied, das heißt „Als ich fortging.“ Gänsehaut! Ein Lied, das keiner kennt, das wir nun ausgegraben haben. Im Grunde ist es ein Liebeslied an eine Frau, in dem er in etwa sagt: „Als ich fortging, habe ich etwas bei dir vergessen. Aber es ist nicht das Buch auf dem Nachttisch. Es ist auch nicht das Bild, das da hängt…“ Was es genau ist, dazu muss man sich das Lied anhören – mehr verrate ich nicht (lacht).
Ihr Vater stammte aus Kärnten. Wie ist es, wenn Sie in Österreich sind? Wie reagieren die Menschen, die Fans von Udo dort auf Sie? Ist das anders als in Deutschland?
Dazu fällt mir eine schöne Geschichte ein. Ich bin ja in ganz Europa als DJ unterwegs und ich war in Wien engagiert von einem Privatkunden. Der hat mich in ein sensationelles Hotel eingebucht. Im Hotel wurde ich vom Direktor, einem jungen Mann aus Kärnten, empfangen. Er begrüßte mich total herzlich, war ganz happy, dass ich da war und brachte mich zu meinem Zimmer. Das war kein normales Zimmer, sondern eine riesige Suite. Er erzählte mir, dass er ein großer Fan von Udo sei, wie beliebt und geschätzt die Familie Jürgens in Österreich sei. Als ich ins Zimmer kam, traute ich meinen Augen nicht. Man hatte mir eine Torte gebacken, eine quadratische Torte in der Form einer DJ – Konsole, mit den Worten darauf: „Willkommen, John Munich.“ Das ist mir nur deshalb passiert, weil ich der Sohn von Udo bin. Ich bin jetzt kein so großer DJ-Star, dass man mich deshalb so überraschen würde. Das hatte ganz klar mit Papa zu tun. Diese Geschichte ist nach seinem Tod passiert. Ich war unglaublich gerührt, das ist natürlich eine sehr große Wertschätzung.
Und diese Wertschätzung erleben Sie sicher öfter in Österreich, oder?
Ja, die Begegnungen mit Menschen in Österreich, in Lokalen oder auf der Straße sind immer positiv. Mich erkennt man weniger. Meine Schwester Jenny wird häufiger erkannt. Wenn ich aber erkannt werde, ist es immer eine herzliche, wohlwollende, unglaublich nette Art, wie man auf uns zukommt. Die Menschen begegnen uns mit einem Strahlen in den Augen. Auch die Medien sind sehr zuvorkommend und erfreut, wenn wir dort auftauchen. In Deutschland ist das auch toll, aber in Österreich ist es noch einmal ein bisschen anders. Auch wie sie von Papa sprechen, wenn sie sagen: „Unser Professor, unser Udo“, da klingt immer mächtig viel Stolz heraus. Udo hatte ja 1966 den „Eurovision Song Contest“ für Österreich gewonnen mit „Merci Chérie“. Die Republik Österreich verlieh ihm 1985 dann diesen Professoren-Titel.
Ihr Vater hatte aber auch eine sehr starke Bindung zu Deutschland …
Richtig. Es gibt auch eine Anekdote, die das sehr gut beschreibt. Mein Vater war zum ersten Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung 1990 gerade in seiner Wohnung in Zürich. Als die Wiedervereinigung ein Jahr zuvor geschah, war er in Berlin. Er hatte ein Konzert gegeben, ist danach essen gegangen. Plötzlich kamen alle ins Lokal gestürmt und riefen: „Die Mauer fällt, die Mauer fällt.“ Er machte sich sofort auf den Weg zur Mauer, mit dem Auto war kein Durchkommen mehr. Er war sozusagen ganz dicht dabei und tief beeindruckt von dem, was er erlebte. Ein Jahr später saß er in seiner Züricher Wohnung. Die Schweizer hatten in den Medien kaum Notiz von dem Jahrestag genommen. Aber die Anwesenden, die Gäste in seiner Wohnung, haben dieses Ereignis gebührend gefeiert, waren essen, haben ein Glas Wein getrunken und plötzlich, um Mitternacht, hatte Papa die Idee, sie bräuchten jetzt unbedingt eine Deutschland-Fahne.
Wo konnte Udo mitten in der Nacht eine Fahne auftreiben?
Um Mitternacht in Zürich treibst du keine Fahne mehr auf. Udo ist dann in sein Schlafzimmer gegangen, hat den Schrank aufgemacht und darin ein gelbes Hemd gefunden. Er hat das Hemd auseinandergeschnitten, nahm die roten Einstecktücher, die er immer bei seinen Auftritten trug, und machte daraus ein Patchwork. Dann schnitt er noch eine schwarze Smoking-Hose auseinander. Die hat er mit Heftpflaster und Tesafilm an einen Besenstiel gebunden. Seine neue Deutschland-Flagge hat er dann über dem „Bellevue“, gegenüber von der Oper im „Corso-Haus,“ wo er residierte, oben aus dem Fenster gehängt (lacht). Die Wiedervereinigung war dem Papa sehr wichtig. Diese Hoffnung, dieses in die Zukunft schauen. Auch wenn es dann ein bisschen anders gekommen ist, herrschte damals eine extreme Aufbruchstimmung. Udo war da voll dabei. Er war zwar österreichischer Staatsbürger, aber Deutscher durch und durch. Er war patriotisch im europäischen Sinne, er war Europa-Befürworter. Ein enger Freund von ihm war Hans-Dietrich Genscher.
Sie sehen Ihrem Vater sehr ähnlich. Ist das manchmal auch schwierig, mit ihm verglichen zu werden?
Rein optisch werde ich selten mit meinem Vater verglichen. Wenn man mich fotomäßig über die Jahre verfolgt, sieht man, dass ich viele verschiedene Looks hatte. Mal kurze Haare, dann lange Haare, mal blond, mal ausrasiert, dann konservativ, mal Zopf, mal Dutt. Es war sicher auch eine Art Suche. Ich wollte immer anders sein, mich ausprobieren. Mein Sohn bewundert das total. Ich sage ihm dann: „Mach das bitte nicht, du hast so einen coolen Style. Sei du selbst.“ Heute, wenn ich meine Bilder von früher sehe, muss ich sagen: Wäre ich doch einfach ich selbst gewesen. Inzwischen habe ich meinen Style gefunden – mit kurzen Haaren, pflegeleicht und flott. Dieses ganze Theater muss man mit 60 nicht mehr machen. Im Moment bin ich zufrieden, aber wer weiß, was in fünf Jahren ist. Vielleicht haue ich dann noch eine Glatze raus. (lacht). Die Vergleiche mit Udo wird es aber immer geben. Irgendwann habe ich mir gesagt, ich muss lernen damit umzugehen. Oder ich muss auswandern und auch nicht mit dem Nachlass arbeiten. Ich arbeite jetzt mit dem Nachlass und da macht es keinen Sinn, gegen irgendetwas zu rebellieren. Ich hatte das Glück, in eine großartige Familie hineingeboren zu werden. Die „Bockelmänner“ sind auf ihre Art tolle Leute. Ich liebe meinen Vater und ich liebe seine Musik. Ich liebe seine Botschaften, seine Interviews, die Art, wie er war.
Wie war er denn?
Udo war dieser Rebell, der Musiker werden wollte und es durchgezogen hat, obwohl es zuerst nicht gut ankam bei der Familie. Erst als er damit Erfolg hatte, haben sie es natürlich alle geliebt. Dann war er der große Udo Jürgens. Aber als er jung war, hieß es: „Wir wollen keinen Musiker in der Familie.“ Das war verpönt. Ihm war das aber egal. Er sagte: „Ich will Musiker werden, egal ob ich ein Star werde oder irgendwann an einer Hotelbar spiele.“ Es hat dann auch zehn Jahre gedauert bis zu seinem Erfolg mit „Merci Chérie“ beim „Eurovision Song Contest.“ Ganz langsam hat er dann als Komponist Erfolge gehabt. Aber sein Anfang war schwer und er wurde in der Familie nicht unterstützt. Udo stammte aus einer gutbürgerlichen Familie. Sein Opa Heinrich war 1900 der Gründer der „Junker-Bank“ in Moskau, der Direktor, der die Zarengelder verwaltet hat. Er musste im ersten Weltkrieg nach Deutschland flüchten. Er hatte fünf Söhne, die in Moskau zur Welt gekommen sind, auch Udos Vater. Zwei waren im Öl-Geschäft, einer wurde Anwalt und einer war Bürgermeister von Frankfurt. Eine hochinteressante Familien-Geschichte.
Ihr Vater musste also richtig kämpfen und sich durchsetzen …
Das war so. Nach dem Grand-Prix-Sieg war eine wichtige Aussage seines Managers: „Glaub jetzt nicht, dass du angekommen bist, dass du ein Star bist. Jetzt fängt die Arbeit erst an. Jetzt fängst du an, deine Lieder zu singen. Jetzt fängst du an zu singen: ‚Im Kühlschrank brennt noch Licht‘ und ‚Bohnerwachs und Spießigkeit.‘ Solche Sätze gibt es im deutschen Schlager nicht. Jetzt fängst du an, deine Musik zu machen – vom ‚Ehrenwerten Haus‘ zu singen und von ‚Aber bitte mit Sahne‘ oder ‚Griechischer Wein.‘“ So ging das alles los. Er wollte auch nicht die Lieder von anderen nachsingen. Das war sein großes Problem, weil es eben nicht seine Musik war. Man hat auch immer zu ihm gesagt: „Sing doch mal wie Freddy Quinn.“ Er war aber nicht Freddy Quinn. Diese Musik war damals richtig populär. Damals waren die großen Stars Freddy Quinn, Peter Kraus und Gus Backus. Und alle Sänger sollten so singen wie Freddy Quinn. Udo hat das versucht, aber es klang fürchterlich, es war schrecklich. Er wollte seinen eigenen Weg gehen. Das war auch die Botschaft hinter seiner ganzen Geschichte.
Hat es Ihnen bei der Verarbeitung der Trauer geholfen, Ihren Vater in Videos und im TV zu sehen und seine Stimme zu hören?
Am Anfang war das sehr schwer für mich. Dabei war ich nie jemand, der zuhause seine Musik aufgelegt hat. Heute passiert das viel mehr, weil meine Kinder das tun. Wenn wir irgendwo hinfahren, macht mein Sohn hinten im Auto den DJ mit dem Handy, das er mit dem Auto verbindet. Er spielt uns dann auf Spotify seine Lieblingslieder von Opa vor. Dann ruft die Kleine dazwischen: „Ich will mal das Lied hören oder jenes.“ Die Kinder haben einen völlig anderen Bezug dazu. Ich muss ehrlich zugeben: Ich habe früher nie seine Musik angehört. Außer ich war in seinem Konzert oder habe ihn im Fernsehen gesehen. Auch später als DJ hatte ich große Mühe, seine Musik aufzulegen. Mit dem Älter werden hat sich das verändert. Aber nach seinem Tod war es erst einmal schwierig, YouTube-Videos anzuschauen, weil das jedes Mal sehr emotional geworden ist. Im Laufe der Zeit habe ich das aber gemacht und es hat mir bei der Verarbeitung der Trauer tatsächlich geholfen. Viele haben nicht das Glück. Meine Frau Hayah hat von ihrem Vater keinen Ton-Schnipsel, schon gar kein Video und nur ganz wenige Fotos, weil er nie fotografiert werden wollte. Hayah sagt immer, dass die Erinnerung verblasst. Wir haben natürlich das große Glück mit Papa, dass wir seine Musik hören können, oder ich lege eine DVD ein. Ich schaue mir YouTube-Videos an und sehe ihn wieder lebendig vor mir.
Im Gegensatz zu Ihrem Vater sind Sie in der Liebe sehr beständig. Mit Ihrer Frau Hayah sind Sie seit 26 Jahren verheiratet und arbeiten auch mit ihr zusammen. Wie bewahren Sie trotz Jobstress und drei Kindern Ihr Glück?
Insgesamt sind Hayah und ich 27 Jahre zusammen. Wenn es mal Stress gibt und man sich ernsthaft streitet, was jetzt immer seltener wird und auch schneller vorbei geht, weil man einfach auch gewisse Sachen überwunden hat, muss man sich immer daran erinnern, warum man ursprünglich mal zusammengekommen ist. Diese Gedanken: „Ich lauf‘ weg, oder ich habe keinen Bock mehr“, die kommen bei jedem Menschen mal. Das ist völlig normal. Sich dann daran zu erinnern, warum man zusammengekommen ist, das hilft sehr. Nichtsdestotrotz hat es am Ende des Tages auch etwas mit Toleranz füreinander zu tun. Die Eigenheiten, die jeder so an den Tag legt, damit muss man lernen zu leben. Man muss sich Freiräume schaffen. Sie kann mit ihrem besten Freund oder ihrer Freundin auch mal einen Abend ausgehen oder mit ihrer Freundin mal für drei Tage in ein Spa fahren. Ich steige dann mit meinen Jungs aufs Motorrad und mache eine Tour durch die Alpen von Österreich. Jeder macht auch mal etwas für sich.
Halten die kleinen Auszeiten die Liebe frisch?
Ja, man kommt dann ja auch wieder zusammen und freut sich aufeinander. Viele träumen davon, sich noch einmal neu zu verlieben, dieses Gefühl noch einmal zu erleben, wieder Schmetterlinge im Bauch zu haben. Ich kann dazu nur eines sagen: Wenn man sich trennt und in eine neue Beziehung geht, dann wird da auch irgendwann einmal der Alltag kommen – und es wird nicht besser werden. Wenn es allerdings nicht mehr geht, dann muss man sich trennen. Das hat dann keinen Sinn. Aber wenn man irgendwo noch eine Chance sieht und sich daran erinnert, warum man zusammengekommen ist, dann sollte man diese Chance nutzen. Hayah und ich haben unheimlich Glück miteinander. Man sollte daher schon vom ersten Tag genau schauen, wen man da gegenüber hat. Man kann nicht alles auf der ursprünglichen Leidenschaft der ersten Stunden, Tage, Wochen, Monate aufbauen. Es muss schon eine tiefere Substanz da sein. Wenn die nicht da ist, macht es keinen Sinn. Das habe ich früher auch oft erlebt. Nach einem viertel oder einem halben Jahr war die Beziehung auseinander.
Hat es Sie vielleicht auch ein bisschen abgeschreckt, dass Ihr Vater nach der Trennung von Ihrer Mutter wechselnde Beziehungen hatte?
Es gibt schon verschiedene Sachen, die ich nicht so machen wollte wie mein Vater. Was ich auf keinen Fall wollte, war dieses ständige Umziehen. Das kann ich ihm aber nicht zum Vorwurf machen. Es gabim Leben einfach bestimmte Situationen, die dazu geführt haben, dass wir umziehen mussten. Wir wollten auch auf keinen Fall unsere Kinder in ein Internat geben. Meine Frau und ich wollten die Erziehung selbst übernehmen. Ich war sechs Jahre lang in einem Internat. Mein Vater war viel unterwegs, meine Mutter vielleicht mal hier und da überfordert. Dann die ständigen Umzüge von Österreich in die Schweiz, mit all den Problemen, die das mit sich brachte. Das war zeitweise schon sehr heftig. Ich wollte ein beständigeres, ein ruhigeres Leben haben. Wir wohnen in der Nähe von München, und zwar seit über 20 Jahren. Die ersten 12 Jahre haben wir in einem Reihenhaus gelebt, dann haben wir selbst gebaut und wohnen seit 13 Jahren in unserem Haus. Ich kenne meinen Metzger, meinen Bäcker, den Verkäufer hinterm Tresen. Ich plaudere mal mit meinem Schuster, kenne jeden in der Wäscherei und das gefällt mir so. Das ist mein Zuhause! Ich habe keine Lust, alle vier Jahre woanders hinzuziehen. Die Kinder aus der Schule rausnehmen, in eine neue Schule einschulen. Dieses ganze Theater wollte ich nicht.
Ihre Tochter Jasmin saß bei der Trauerfeier von Udo am Klavier. Wie behalten Ihre Kinder den Großvater in Erinnerung?
Sie behalten ihn vor allem über seine Musik in Erinnerung. Dennis, unser Sohn, arbeitet auch mit im PR-Team und macht die technische Seite für Social Media. Dadurch ist er ganz nah an seinem musikalischen Werk. Heute wird ja alles mit Musik unterlegt bei Social Media. Das macht Dennis sehr gut. Neulich haben wir uns mal ein Konzert angeschaut – von vor 40 Jahren, das war großartig. Unsere älteren Kinder sind noch ein bisschen näher dran an ihm, Jasmin ist 26, Dennis ist 25 Jahre alt und unsere jüngste Tochter wird 15. Sie hat nicht so viel mitbekommen von ihrem Opa, aber die großen Kinder können sich natürlich an die Abendessen und an die gemeinsame Zeit mit ihrem Großvater besser erinnern. Sie waren auch in einigen Konzerten mit dabei und behalten ihren Opa dadurch natürlich ganz stark in Erinnerung.
Verraten Sie uns ein paar von Udos geheimsten Leidenschaften? Was war seine Lieblings-Süßspeise?
Als Österreicher muss ich natürlich sagen: Palatschinken mit Aprikosenfüllung! Generell mochte der Papa österreichische Süßspeisen sehr gerne.
Und sein Lieblingsessen?
Definitiv keine Sterneküche! Auch in seiner Wahlheimat Portugal mochte er am liebsten bodenständiges, gutes Essen. Ein ehrlicher Fisch auf dem Tisch ohne Schnickschnack – nur ein gutes Gemüse und ein Glas Bier dazu. Dann war Papa glücklich. Es gab auch ein paar feine Restaurants, die er hin und wieder besuchte – wie die „Kronenhalle“ in Zürich oder den „Käfer“ in München. Er liebte es schon auch mal in Wien in gute Lokale zu gehen oder zum „Heurigen“. Es war nicht immer nur hemdsärmelig und der Tisch hat gewackelt. Zu gewissen Anlässen durfte es schon edler sein mit weißem Tischtuch und einem entsprechenden Ambiente. Sein absolutes Lieblingsessen war Tafelspitz, das hat er wirklich geliebt.
Gab es ein Ritual, ohne dass er nie auf die Bühne ging?
Udo hat sein rotes Stecktuch, das er oft auch ins Publikum geworfen hat und das ihm manchmal beim Verbeugen oder Händeschütteln geklaut wurde; dieses Tüchlein hat er vor jedem Auftritt mit „Eau Sauvage“, seinem Lieblingsparfum von Christian Dior, eingesprüht. Und er hat sich immer ein paar Reserve-Tücher eingesteckt, weil die einfach schnell abhanden gekommen sind. Es gab auch ein weiteres Ritual.Vor jedem Auftritt wollte er ein paar Minuten allein sein, das war ihm ganz wichtig. Dann mussten alle raus aus seiner Garderobe. Da wollte er nur für sich sein. Bis etwa eine halbe Stunde vorher durften Musiker, Familie, Gäste zu ihm in die Garderobe kommen. Die letzten 20 Minuten gehörten ihm. Und kurz vor dem Auftritt gönnte er sich hinter der Bühne noch ein kühles Glas Weißwein.
Hat ihn das ein bisschen beruhigt vor dem Auftritt?
Ja, man muss eines sagen: Der Papa war Zeit seines Lebens unfassbar nervös! Das wussten viele nicht, auch zahlreiche andere große Künstler haben dieses starke Lampenfieber vor Auftritten. Es hat zum einen mit dem Respekt vor dem Publikum zu tun, und es ist eine Energie. Man muss lernen, diese Energie zu kanalisieren. Ihn hat dieses Glas Weißwein ein bisschen entspannt. Es war wichtig, dass es kalt war und frisch. Er hat meist auch nicht das ganze Glas getrunken, sondern nur ein paar Schlucke genommen. Vor dem Konzert musste auch eine Tasse Tee ans Klavier gebracht werden. Er brauchte das zwischendurch für seine Stimmbänder. Er trat dann vor den Vorhang und blickte in das gleißende Licht der Scheinwerfer. Das Publikum konnte er nicht sehen, weil zwei grelle Scheinwerfer ihn direkt in den Spot genommen haben. In dem Moment, wo er vor den Vorhang trat und rausging, Richtung Klavier ist alle Anspannung von ihm abgefallen und er ist wie in eine andere Welt getreten. Er war komplett bei sich und hat in sich geruht. Er spürte, dass es ein gutes Konzert wird und hat dann drei Stunden durchgezogen. Live zu spielen war das größte und wichtigste Element für ihn.
Wie schwer war es für ihn, nach einem umjubelten Konzert in ein leeres Hotelzimmer zu kommen?
Ganz schwer. Deshalb ging es nach Konzerten immer zuerst noch in ein Lokal. Möglichst in ein Lokal, wo die Küche noch offen hatte. Es war dann meist 23 Uhr oder Mitternacht und wenn es nichts mehr zu essen gab, dann eben noch ein paar Drinks. In Wien war sein Ritual, an den Würstchenstand an der
Oper zu fahren. Das liebte mein Vater.
Gibt es jemanden, einen anderen Künstler oder eine Künstlerin, den oder die er bewundert hat?
Allen voran muss man da Frank Sinatra nennen. Generell diese Zeit des Jazz, die Jazz-Musik, die man in den 50-er Jahren hörte, der Swing, der aus Amerika kam, das war eine große Faszination für ihn. Im Lauf der Zeit gab es viele Musiker, die er sehr verehrt hat, nicht zuletzt auch einen Klaus Doldinger, den bekannten Saxophonisten, oder die US-Jazz-Legende Tony Bennett. Um Tony Bennett zu sehen, reiste Udo extra noch nach London, weil er fürchtete, er könnte vielleicht wegsterben. Bennett war 8 Jahre älter als Udo. Am Ende war es dann so, dass Udo noch vor ihm gestorben ist. Erst im letzten Jahr, im Juli 2023, starb Tony Bennett mit 96 Jahren. Udo verehrte natürlich auch die Sänger, die seine Lieder gesungen haben wie Bing Crosby oder Matt Monro oder die Sängerin Nancy Wilson. Und es gab große Rockbands, die er verehrte: Alan Parsons Project, Robert Palmer, Toto, Queen. Von ihm habe ich viele Schallplatten geschenkt bekommen. Er hat mich musikalisch auf die richtige Reise geschickt, auf die richtige Spur gelotst.
Gab es einen Sehnsuchtsort, an den Ihr Vater unbedingt einmal hinwollte oder wo es ihn immer wie-
New York! Papa ist immer mal wieder nach New York geflogen. Udo liebte den Broadway. Seine große Leidenschaft war das Musical, deshalb hat er sich immer die neuesten Produktionen angeschaut und sich davon inspirieren lassen. New York war definitiv ein Sehnsuchtsort für meinen Vater. Er war ein weit gereister Mensch, auch durch seine Auftritte ist er viel herumgekommen. Japan, China, Südafrika, Brasilien, Amerika. Man kann sich nicht vorstellen, wie viel er unterwegs war.
Hatte Udo einen liebenswerten Spleen oder war er in irgendeiner Form abergläubisch?
Abergläubisch war er meines Wissens nicht. Was ich sicher weiß: Mein Vater glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod. Nach dem irdischen Leben war für ihn Schluss. Er war auch Atheist, mit dem Thema Glauben konnte er nichts anfangen. Zum Thema Spleen fällt mir die Geschichte ein, wie Udo im Winter auf einer Tournee durch den Osten war – zusammen mit Max Gregor Senior und der Band, Papa mittendrin als Sänger. Irgendwo haben sie dann einen uralten Ofen gefunden, den man mit Holz heizte. Den Ofen haben sie dann auf der ganzen Tournee mitgeschleppt als eine Art Maskottchen. Der Ofen stand hinter der Bühne bzw. auch im Hotel-Zimmer. Das Zimmermädchen hat ihn dann entsorgen lassen, aber sie haben ihn dann wieder gesucht und gefunden und weiterhin überall mitgeschleppt. Dieser Ofen war wirklich ein Spleen – irgendwann ist er plötzlich verloren gegangen, das war dann ein ziemliches Drama (lacht).
Diesen Herbst beginnt die große „Da Capo Udo Jürgens“-Tournee mit Pepe Lienhard, seinem langjährigen Freund, Wegbegleiter und dessen Orchester. Mit welchem Gefühl werden Sie das Konzert besuchen?
Ich freue mich riesig darauf. Die Tatsache, dass Pepe, sein ältester Freund, dabei ist, gibt mir Vertrauen und Ruhe. Ich weiß, dass das gut wird, Pepe ist sensationell. Ohne ihn würde das alles auch nicht funktionieren. Pepe denkt genauso wie wir und er würde nichts machen, was Udo nicht gefallen würde. Auch er fragt sich vor jeder Entscheidung immer, was Udo wohl dazu sagen würde. Es werden auch die ganzen Jungs, die mit ihm auf Tournee waren, dabei sein. Das wird schon sehr emotional für uns alle werden, besonders wenn der Moment kommt, wenn er dann zu sehen sein wird auf den Bildschirmen. Wir werden ihn nicht technisch erscheinen lassen, sondern ganz klassisch über Videoscreen zeigen, mit der Original-Tonspur von seiner Stimme, seinem Klavier, und Pepe Lienhard wird live dazu spielen. Ich denke, das wird für uns alle ein unvergesslicher Abend werden!
Das Interview führte Martina Mack.