JIMMY HARTWIG
Ex-HSV-Fußballstar Jimmy Hartwig findet klare Worte zu Rassismus im DFB …
… und erzählt, dass sein Opa ihn bei seiner Geburt lieber umbringen wollte!:
Kim Fisher: Erzählt uns doch bitte mal Eure Kennenlern-Geschichte – Euch verbindet ja eine sehr innige Freundschaft?
Hartwig: Es war ein ganz dummer Zufall. Ich saß in einem Lokal neben der Schaubühne in Berlin. Ich saß dort mit einem Journalisten. Der sagte, schau mal dahinten, kennst Du den? Das ist der Thomas Thieme, einer der Stars hier an der Schaubühne. Und dann kam Thomas zu mir und sagte: „Passe mal uff, du! Du bist doch der Hartwig. Mensch, das habe ich doch gewusst! Der Hartwig ist das, vom HSV! Das ist doch klasse!“ Und da haben wir einen Rotwein zusammen getrunken und ich wusste sofort: Hier ist einer, der Dir nicht nach dem Schnabel redet.
Kim Fisher: Aber Sie, Herr Thieme, waren eher schüchtern und total beeindruckt von ihm, oder?
Thieme: Total! Ich meine, Jimmy Hartwig – das muss man ja in meiner Generation nicht beschreiben, was das bedeutet hat. Wer das ist. Meine Freundin kannte ihn nicht, aber ich wollte zu ihm hin und habe dann aber noch einen und noch einen getrunken und meine Freundin sagte, gehe doch einfach hin. Und dann habe ich mich überwunden.
Die ersten beiden Sätze waren schon großartig. Und es wurde ein schöner, langer Abend und ich bin auf die Idee gekommen, nachdem ich ihn beobachtet habe: der hat Talent. Der muss auf die Bühne. Das ist mir und ihm ja dann auch gelungen. Er spielt mit mir Stücke von Bertolt Brecht am Theater.
Kim Fisher: Aber Sie wollten ja eigentlich auch Fußball spielen, Herr Thieme.
Thieme: Ja, ich bin da immer eine eher tragische Figur gewesen. Ich war in der Schule der einzige, der immer Gedichte aufsagen musste, weil ich das so gut konnte. Unter ganz vielen Mädchen stand ich dann da und habe es gehasst. Ich wollte lieber Fußball spielen, das war meine ganze Leidenschaft, da habe ich gebrannt. Und wurde immer als letzter in die Mannschaft gewählt.
Kim Fisher: Warum?
Thieme: Na, weil ich wahrscheinlich wirklich nicht so gut war (lacht). Ich habe dann später an der Schaubühne selbst einen Fußballverein gegründet. Wir sind fünf Mal Indoor-Meister in Berlin geworden. Da wurde die Bühne in der Schaubühne geebnet und es entstand ein Spielfeld. Am Erfolg war maßgeblich unser junger Freund Lars Eidinger beteiligt. Ich war der Coach des Teams. Aber seien Sie froh, dass Sie mich nicht auf dem Platz erleben müssen, das ist nicht so weltbewegend.
Kim Fisher: Jimmy, Deine Kindheit in den fünfziger Jahren … wollen wir darüber reden?
Hartwig: Ich wollte eigentlich damit abschließen, aber wir beide Kim, kennen uns schon lange und Dir zuliebe erzähle ich noch ein bisschen. Ich bin als dunkelhäutiger Junge in einem Haushalt groß geworden, in dem der Großvater ein SS-Mann und absoluter Hitler-Fan war. Meine Mutter konnte mich nicht Zuhause auf die Welt bringen, sondern bei den Nachbarn. Wäre ich zuhause geboren, hätte er mir ein Kissen ins Gesicht gedrückt. Und so was hat mich mein Leben lang immer verfolgt. Viele Menschen haben über mich gesagt: Der Jimmy Hartwig hat immer die große Fresse. Aber niemand hat sich mal die Frage gestellt, warum das so ist. Es hat lange gedauert, mit therapeutischen Sitzungen und allem. Weil ich immer besser sein wollte als andere, mich immer beweisen musste – weil ich irgendwann nicht mehr konnte. Warum musste ich immer besser sein als andere? Ich bin doch auch eine Persönlichkeit und kann was.
Jetzt hat das auch der DFB erkannt – denn dort hat es auch Rassismus gegenüber meiner Person gegeben. Heute bin ich Integrationsbeauftragter des DFB. Sie haben mich aus der Nationalmannschaft entfernt mit gewissen Gründen. Sie haben mir 40, 50 Länderspiele geklaut. Aber mittlerweile ist das für mich Vergangenheit. Ich liebe diesen DFB. Aber immer diese Anerkennung suchen – das war schwer für mich. Heute möchte ich jedem Menschen auf Augenhöhe begegnen. Und den Respekt, den ich anderen Menschen gebe, möchte ich auch gern von denen zurück haben. Ich habe eine tolle Frau, eine tolle Tochter und Freunde wie Thomas Thieme und Heino Ferch. Mein Leben ist schön und ich freue ich jeden Tag.
Jörg Kachelmann: Ich frage mich: Haben Sie eine Möglichkeit gefunden, sich noch an Ihrem Großvater – vielleicht zu rächen? Darf ich das so ausdrücken?
Herr Kachelmann, passen Sie auf. Als mein Großvater gestorben ist, hatte er ganz schlimm Krebs. Die ganze Familie sagte, geh doch zu ihm ins Krankenhaus. Er lag da und ich wusste, er wird bald seinen letzten Atemzug machen. Er machte ein Zeichen, dass er meine Hand nehmen will, ich dachte: Was will der Idiot denn jetzt von mir? Da stammelte er: „Ich will mich bei dir entschuldigen.“ Sie werden es nicht glauben, Herr Kachelmann, ich habe die Entschuldigung angenommen. Man muss im Leben auch vergessen können.
Jörg Kachelmann: Herr Thieme, Sie haben mal gesagt, dass Sie nicht wegen der Repressalien in der DDR gegangen sind, sondern weil Ihnen die DDR-Bevölkerung nicht gefallen hat.
Sie werden sich denken können, dass ich es nicht gesagt habe, um Sympathie-Punkte zu sammeln. Es ist nicht ganz so entsetzlich gemeint, wie es klingt. Es ist wie in einer ekelhaften Familie, in die man hinein geboren wird. Die man aus dem Effeff kennt, aber man hat sie sich nicht ausgesucht. Ich denke, so kann man es am ehesten vergleichen. Es war irgendwann mühsam. Ich hatte die Halbstarken-Zeit hinter mir, die Schauspielschule, erste Versuch am Theater und merkte, wo ich bin. Plötzlich habe ich mal richtig aus dem Fenster gesehen und sagte: In dieser Mannschaft will ich nicht spielen.
Es ist ja im Leben eines Schauspielers so, dass er sich nicht selbst besetzt in Filmen. Ich hätte mich immer vollkommen anders besetzt. Ich wollte immer Liebhaber spielen, wie Marlon Brando oder Steve McQueen. Und wenn man dann in den Spiegel guckt und sich sieht und immer noch wie Marlon Brando besetzt werden will, macht man einen gefährlichen Fehler (lacht).
Jörg Kachelmann: Aber sehen Sie nicht heute besser aus als Marlon Brando über weite Teile seines Lebens?
Das Kompliment kann ich nicht wirklich ernst nehmen (lacht).
Jörg Kachelmann: Doch … also ich … wir müssen noch über etwas reden, weil er gerade das Mikrofon hält: Er hat die schönsten Hände der nördlichen … (wird sofort unterbrochen)
Thieme: Also… ich habe Ihnen doch vorhin etwas gesagt, oder?
Kachelmann: Das haben Sie mir verboten …
Thieme: Das haben Sie wohl vergessen, oder? Ich habe gesagt: Die Hände aus dem Spiel lassen! Seit 50, 60 Jahren begleiten mich diese komischen Hände, die nicht zu mir passen.
Kachelmann: Sie wollen eher die bäuerliche Bratpfanne haben …
Thieme: Auch nicht. Aber ne Hand eben. Es ist eine Damenhand. Die Hand einer älteren Dame. Jetzt, wo ich über 70 bin, kann man das auch mal zugeben.
Kachelmann: Das ist eine schöne Männerhand. Wer redet Ihnen ein, es wäre eine Damenhand?
Thieme: Ich. Mir. Sie haben mir versprochen, das nicht zu erwähnen. Na ja, wir sehen uns nachher ja noch kurz (lacht).
Jörg Kachelmann: Jimmy Hartwig, wie ist Ihre Sicht auf die Bundesliga in der Zukunft?
Hartwig: Die Bundesliga, die es gegeben hat, gibt es nicht mehr. Der ganze Fußball wird sich umstrukturieren müssen. Es wird eng werden ohne Fans. Mir tun nicht die großen Bundesligaclubs Leid, sondern die ganz kleinen Vereine, die kaputt gehen werden. Da muss der DFB helfen. Da müssen auch diese Werbe-Einnahmen und die Fernsehgelder verteilt werden. So, dass der Fußball wie er jetzt ist, gerettet werden kann.
Textquelle: Plan A | PR, Antje Pohle (Textvorlage)