RALPH SIEGEL
Zum 70. Geburtstag von Ralph Siegel: "Die Autobiografie" im Test von Holger Stürenburg!

 

Für uns Schlagerfreunde, die wir in den 70er oder 80er Jahren musikalisch sozialisiert wurden, wir daraufhin die ersten Schallplatten von unserem Taschengeld erwarben, wir uns neugierig durch das damals noch überschaubare (und, im Vergleich zu heute, weitaus anspruchsvollere) Programm der deutschen Radio- und TV-Landschaft hörten, sahen, und hierbei den einen oder anderen Dauerohrwurm kennenlernten, führt kein Weg an RALPH SIEGEL vorbei. Der am 30. September 1945 in München als Sohn des gefeierten Liedautors und Musikverlegers Ralph Maria Siegel und der Opernsängerin Ingeborg Döderlein, genannt „Sternchen“, geborene Starkomponist hat uns bis heute – aber in den beiden, eingangs erwähnten Dezennien ganz besonders und unüberseh- bzw. unüberhörbar – fast 2000 Lieder geschenkt, von denen nicht wenige seitdem nicht mehr aus unseren Gehörgängen, aus unseren Herzen und unseren Erinnerungen verschwunden sind.

Wenn man den Rezensenten bäte, sich seine persönlichen Top 10 aus dem Riesenfundus an Siegel-Titeln auszuwählen, wäre dies keine leichte Aufgabe. Darunter fänden sich sicherlich z.B. die grandiose Späthippie-Ballade „Blue Jeans Kinder“, mit der Marianne Rosenberg 1982 an der Deutschen Vorentscheidung zum „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ teilnahm, oder der kesse Swing/Cabaret/Ragtime-Verschnitt „Mannequin“, mit dem das kurzlebige Gesangsquartett „The Hornettes“ ein Jahr zuvor bei derselben Veranstaltung den wohlverdienten Rang 2 erklimmen konnte, wobei die zweite Siegel-Produktion, die an jenem 28. Februar 1981 beim Vorentscheid vorgestellt wurde –  die erst folkig-zurückhaltende, dann wallend großspurige Chansonhymne „Johnny Blue“ von Lena Valatis – die Spitzenposition erzielte und somit das heißbegehrte Ticket nach Dublin zum „Grand Prix“ in der Tasche hatte. Welches Siegel-Opus stünde noch auf meiner Top-List?? „Was wär’ ich ohne Dich?“ oder „Und sie sehnte sich so sehr nach Liebe“ (beide 1982) von Peter „dem Großen“ Alexander, mitsamt seines unübertroffenen Duetts mit Mireille Mathieu, „Goodbye my Love – Verzeih‘ my Love“ (1984), befänden sich ebenso darauf, wie Karel Gotts schnittig-orchestrales „Lied der Deutschen Fernsehlotterie“ des Jahres 1982, „Und die Sonne wird wieder scheinen“, Costa Cordalis‘ wehmütig-hoffnungsvoller 1980er-Beitrag zum „Grand Prix“-Vorentscheid, „Pan“, Roy Blacks unvergesslicher Tränendrüsendrücker „SSSSand in Deinen Augen“ (1977), Chris Roberts herrlich verliebter Popschmachter „Wann liegen wir uns wieder in den Armen, Barbara?“ (dto.) oder die großartigen Katja-Ebstein-Songmelodramen „Theater“ (1980), „Was hat sie, das ich nicht habe?“ (1980) bzw. – leider von der breiten Öffentlichkeit unverständlicherweise völlig verkannt – „Ich bin ein Berliner Kind“ (1981). Auch an den offiziellen Hitparaden bedauerlicherweise zumeist vorbeigeschossene Geheimtipps, wie der üppige Poprocker „Die Engel sind auch nicht mehr das, was sie war‘n“ (Chris Heart & Band, 1986), das melancholische Klagelied „Wir sind gebrannte Kinder“ (Daliah Lavi, 1985), oder das ungewöhnlich sarkastische Roland-Kaiser-Chanson „Und wer küsst mich“ (1994), bekämen meinen, rein subjektiven Zuschlag.

Ja, alle diese tönenden Erinnerungen – und viele, viele andere, die Ralph Siegel in den letzten über 50 Jahren so schrieb und/oder produzierte –  waren natürlich mehrheitlich solche Lieder, die im Großen und Ganzen dem Metier „Schlager“ mit allen seinen Facetten zuzuordnen waren. ABER… im Gegensatz zu manch anderen Komponisten (und den meisten Produzenten der Jetztzeit), besaßen seine grazilen, oft monatelang vorbereiteten und punktgenau ausgearbeiteten Werke meist darüber hinaus einen schier unwiderstehlichen, fast elitären Chanson-Charakter, der sich in einem ganz besonderen Fluidum, einem Grenzen sprengenden Weltbürgertum und beinahe einem elitären Ambiente jedes einzelnen Taktes, jeder Harmonie, ausdrückte. Sie verfügten zudem ein ums anderen Mal sprichwörtlich über Hand und Fuß, Konsistenz und innere Geschlossenheit, waren fast immer Ganzes und so gut, wie nie Halbes, sie wurden nicht einfach, unter der Hinzuziehung von zig Computern und Kompositions- und Arrangement-Programmen, als belang- und seelenloses Fließband-Trallala dahingeschludert, das nur und ohne Ausnahme für Kommerz und Ex-und-Hopp-Gebrauch gedacht war, nach ein paar Wochen in den Hitparaden seine Pflicht getan hatte und kurz darauf wieder dem Vergessen anheimgefallen war.

All diese feingliedrigen Titel wurden sämtlich vom Großmeister selbst am Klavier entworfen, nicht selten zu nächtlicher Stunde, in Anfällen kreativ bedingter Schlaglosigkeit, oft in ihrer Rohfassung mit einem neben dem Instrument stehenden Cassetten-Recorder aufgenommen. Die besten Texter der Republik – von Kurth Hertha über Robert Jung bis hin zu dem unvergleichlichen Schlagerlyriker Dr. Bernd Meinunger – wurden daraufhin beauftragt, passende Textworte zu finden. Häufig entstanden durch diese Handlungsweise zehn, 15 unterschiedliche Vorschläge, wie das fertige Lied nachher zu klingen, welche Textworte es zu tragen habe. Siegel heuerte die versiertesten Instrumentalisten des Landes an; gleiches gilt für seine Arrangeure und Kopisten (das sind diejenigen Menschen, die die jeweiligen Notenvorlagen für die einzelnen Bandmusiker zusammenstellen, kopieren, notieren) – damit ein ums andere Mal das bestmögliche Endprodukt seiner Komposition mit dem trefflichsten Interpreten und der prägnantesten Betextung dabei zu Tage trat!

Nun wird der große deutsche Unterhaltungskomponist Ralph Siegel am Mittwoch dieser Woche (KW 40) 70 Jahre jung und hielt es daher für an der Zeit, seine erste, zugleich sehr ausführliche und überaus diffizile Autobiographie vorzulegen. „RALPH SIEGEL – DIE AUTOBIOGRAPHIE“ ist nun kürzlich bei beim LangenMüller Verlag, München, erschienen und zeigt sich mit knapp 460 Seiten als außerordentlich umfangreich und monumental.

Als bekennender Fan und seit meiner Kindheit „musikalischer Verfolger“ dieses phänomenalen Liederschreibers, sagte ich natürlich umgehend zu, als mir die SMAGO! Chefredaktion dieses faszinierende Thema ans Herz legte. 457 Seiten bieten eine ganze Menge Lesestoff… das kostet Zeit… und dieses Faktum einer beim Lesen durchaus spürbaren Überlänge belegt auch das zwar einzige, aber leider extrem weitschweifig seitens des Autors ausgelebte Manko des per se aufschlussreichen und unterhaltsamen Gesamtwerks.

Das Geburtstagskind trägt, wie beschrieben, die Verantwortung für unzählige Evergreens und Dauerbrenner des einheimischen Schlager- und Popgeschehens. Viele seiner Titel verarbeiteten zweifellos zeit- und kulturgeschichtliche Hintergründe, Agenden, Denkweisen, experimentierten mit den zum Zeitpunkt ihres Entstehens auch international gefragten stilistischen, musikalischen und soundtechnischen Fragmenten. So hätte sich der Schlagergourmet, der Musikfreak, vielleicht oder sogar vermutlich in erster Linie eine pure schlager- bzw. musikbezogene Analyse von Zeit und Geist der 70er, 80er und 90er gewünscht,  ergo: der Ära derjenigen kreativen Höhenflüge Ralph Siegels, die bis heute und darüber hinaus einen immensen kulturellen Wert an den Tag legen, komprimieren und konservieren. D.h. Das Hauptaugenmerk vorliegenden Buches hätte der hochbegabte Vollblutmusiker doch eher ausschließlich auf die durchwegs faszinierenden Vorgänge und Abläufe, rund um seine doch so vielseitige und aussagekräftige Musik und die ihn dazu inspirierenden Zeitereignisse legen sollen, die ihm Ideen zu diesem oder jenem Liedbeitrag vermittelten.

Ich habe – bitterböse, wie ich nun mal immer wieder gerne bin – zu Beginn meiner Rezension von „RALPH SIEGEL – DIE AUTOBIOGRAPHIE“ erst mal genüsslich und ausgiebig protokolliert, welche Lieder des Autors mir ad Personam, von innen heraus, ganz speziell aus der Seele sprechen. Nun werden manche Leser sicher denken: Es ist schon wesentlich besser, der Stürenburg notiert übermäßig seine Lieblingslieder, als seine krankheitsbedingten Ausfälle … Aber, ich habe dies vor allem deshalb mit klammheimlicher Freude getan, weil ich beim intensiven Durchlesen, Durcharbeiten von Ralph Siegels dickem Wälzer schnell festgestellt habe, dass er seitenweise nicht nur jede einzelne Frau, mit der er in seinem bisherigen Dasein das Vergnügen hatte, in epischer Breite beschreibt (mitsamt der vonstattengegangenen Einzelheiten), sondern er auch nahezu z.B. all seine Partner bei seiner Passion des Golfspielens detailliert, häufig namentlich auflistet und über seinen Leib-und-Magen-Sport mit zig musikfremden Fachbegriffen in den buntesten Farben fabuliert, seine Lieblingsstädte, Lieblingsurlaubsorte und Lieblingshotels rund um den Globus einzeln vorstellt, all seine Luxuskarossen beinahe mit sämtlichen technischen Daten präsentiert, zudem gleichsam seine Münchener Lieblingswirte-, -köche, und sogar all seine bisherigen Ärzte und Mediziner aufführt… (diese Akribie in Sachen tabellarischer Aufzählung nötigt mich geradezu dazu, an dieser Stelle hervorzuheben, dass einer von Herrn Sigels Ärzten auch schon meine Frau Mama in München behandelt hat; das interessiert zwar keinen, aber… wenn schon, denn schon… 😉

Dieses branchenferne Aufzählen geschätzten 90 bis 95 Prozent der Leserinnen und Leser niemals im Leben zuvor begegneten Menschen, Örtlichkeiten und sportlichen Vorlieben verabreicht dem Buch unnötige Längen und Breiten. Die himmelhochjauchzenden Schwärmereien über Münchener In-Lokale und teure Hotels überall auf der Welt, könnte womöglich den Verdacht einer Art von „Product Placement“ aufwerfen – und die ganzen, noch so verdienten Liebesaffären mit massenhaft internationalen Schönheiten – inkl. der haargenauen Darstellungen, wann, wer, wo und wohin kam… – trüben das ansonsten doch so erheiternde und tiefgründige Lesevergnügen von Ralph Siegels Autobiographie nicht unwesentlich.

Doch nun genug der Häme – kommen wir lieber zu den vielzahligen, positiven, teils wirklich hochinteressanten (und auch inhaltlich überwiegenden) Aspekten von „RALPH SIEGEL – DIE AUTOBIOGRAPHIE“, die die erwähnten, für manche bestimmt übertriebenen bis abschreckenden Selbstdarstellungsarien, die der Meister ob seines Könnens, seines Talents, seiner musikalischen Fähigkeiten, eigentlich gar nicht nötig hat, schnell in den Schatten stellen. Denn Ralph Siegels Genauigkeit bei Aufstellungen und Nennungen von Personen, Vorlieben, Fakten (auch „Fuckten“), Erlebnissen und Ereignissen, hat zugleich den Vorteil, dass er, historisch einwandfrei, nicht nur bildhaft und konstruktiv wortreich manche Vorkommnisse rund um seine uferlosen, vielfältigen musikalischen Tätigkeiten darlegt, sondern auch solche gründlichen, profunden und exakten Listen zusammenträgt, die den Musikchronisten sogleich voller Begeisterung und Anteilnahme jubilieren lassen.

Eine dieser mühevoll niedergeschriebenen Datensammlungen ist etwa die fehlerlose und vollständige, natürlich über das gesamte Buch verteilte Aufzählung all jener – bekannter, wie längst vergessener – Bands/Interpreten/ Sängerinnen/Sänger, die Ralph Siegel bei seiner 1974 gegründeten Firma JUPITER RECORDS jemals zwecks Produktion unter Vertrag hatte. Da gerät dem leidenschaftlichen Schallplattensammler und/oder Musikgeschichtler beim Wiederfinden mancher längst verschollener Namen eine wahrhaftige Retrospektive in den Sinn… unter dem Motto: Naja, die eine oder andere gänzlich vom Erfolg verschonte Scheibe besitze ich ja… aber, dass die bei Siegel/Jupiter erschienen ist… oder… Dieser Künstler… den suche ich doch seit Langem im Kleinhirn… bisher ohne Gelingen… endlich findet er, Dank „Ralph Siegel – Die AutoBiographie“, wieder den Weg zurück ins Gedächtnis

Dies gilt für den Rezensenten z.B. hinsichtlich des längst vergessenen Soul-Funkers Bobby Thurston, der sauerländischen NDW-Combo „Zoff“, der New Yorker New Wave-/Punk-Band „The Comateens“, der drei australischen Discomäuse „Trix“, der französischen Antwort auf die vogeltanzenden „Electronica’s“, „The Klaxons“, US-Teenagergirlie Tami Stronach, in der umstrittenen Michael-Ende-Verfilmung „Die unendliche Geschichte“ als „Kindliche Kaiserin“ zu sehen, oder sogar meiner verschämten (natürlich unerwiderten) kleine Kinderliebe Sina Selensky, damals mit ihrer Mama in Hamburg-Eidelstedt ansässig. Ebenso dürfte den wenigsten geläufig sein, dass z.B. Tina York, Dorthe Kollo, Hannes Schöner, Jürgen Marcus, gar Weltstars, wie Hildegard Knef, Immer-wieder-mal-„TOTO“-Frontmann Bobby Kimball oder Robin Beck, zumeist nach ihren größten Tagen, noch einmal ihr Glück bei Ralph Siegels Plattencompany versuchten. Und dass die heutigen Schlagerkoryphäen Kristina Bach (hier „Christina Bach“ geschrieben; nicht der einzige Name in vorliegendem Buch, der nicht in der korrekten Schreibweise genutzt wird!) und Andrea Berg ihre bis heute andauernden Mega-Karrieren im Hause JUPITER RECORDS starteten, dürfte für manchen Leser eine reale Überraschung darstellen.

Einer derjenigen Talente, mit denen sich Siegel nicht nur künstlerisch, sondern auch menschlich-freundschaftlich äußerst verbunden fühlte, war der hochbegabte Lyriker und Liedermacher Jörg von Schenckendorff, der nicht nur ein paar Siegel-Kompositionen für z.B. Nicole, Chris Roberts, Martin Mann oder Nana Mouskouri betextet hatte, sondern auch 1982 bei der Firma seines Förderers die hervorragende, gemächlich-intensive Liedermacher-trifft-Chanson-LP „Reifezeit“ veröffentlichte. Diese blieb leider, obwohl sich zu Tagen von Friedensbewegung und wirtschaftlicher Rezession, viele Menschen für die Klänge eher traditioneller Singer/Songwriter mit Botschaft erwärmen konnten, trotz höchster Qualität, wie Blei in den Regalen liegen. Diesbezüglich prangerte Mentor Siegel – SCHON DAMALS – in erster Linie den Unwillen der Radio- und Fernsehmacher an, außergewöhnlicheren, anspruchsvolleren Popthemen, jenseits von Glitzer und Glamour, kaum mehr eine Chance einzuräumen. Eine weise Voraussicht – zumal die LP „Reifezeit“ wahrlich nur als sehr gelungen und dabei fraglos hörerfreundlich bezeichnet werden konnte.

Auch viele andere, dem gemeinen Schlagerfreund bislang vielleicht verschlossen gebliebene Einzelheiten erzählt Ralph Siegel humorvoll und spannungserregend, selbst, wenn der geneigte Leser durchaus über ein nicht geringes Vorwissen in Sachen Schlager der 70er/80er verfügen und auch „Hintergrund-Arbeiter“, von z.B. den BR-Moderatorenlegenden Ado Schlier und Thomas Brennicke, über die seinerzeit höchst gefragten Studiomusikern Günter Gebauer (sax, harp), Keith Forsey (dr) oder Paul Vincent (git) , bis hin zu Musikmogulen und Plattenfirmenbossen, wie Monti Lüftner, dem Begründer von Bertelsmann Music Group, nicht nur dem Namen nach kennen sollte.

So schildert Ralph Siegel gekonnt und gewitzt, wie er erstmals – er schreibt im Sommer 1974; die entsprechende LP seines neuen Schützlings erschien aber bereits im Spätherbst 1972 – mit der Wiener Showlegende Peter Alexander zusammentraf. Nicht mal 30 Jahre alt, war er natürlich von ausgeprägter Ehrfurcht und riesigem Respekt beseelt, als er den legendären Entertainer in seinem Schweizer Domizil im Tessin besuchte, um ihm ein paar seiner Kompositionen anzupreisen. Doch im Hause Neumeyer – dies ist Peter Alexanders realer Nachname – herrschte, statt feudalen Gehabes, vielmehr ein ganz buntes, ungekünsteltes, fröhliches Familienleben. Der Hausherr kam im Bademantel auf Ralph Siegel zu, seine Tochter Susi plantschte noch im Swimming Pool, und bald merkte der aufstrebende Jungkomponist aus München, dass eigentlich in erster Linie Peters Frau Hilde, genannt „Schnurrdiburr“, das Zepter in Sachen künstlerischer Fortentwicklung ihres Göttergatten schwang. So war es von Anfang an ihre Idee, ihren Herrn Gemahl mit Ralph Siegel zusammenzubringen. Auch beriet sie ihn ein ums andere Mal bei der Liederauswahl, hatte in Endkonsequenz Peter Alexanders Wechsel von der Hamburger Polydor zur Münchener Ariola verantwortet und mischte sich immer wieder konstruktiv, liebevoll, aber stets durchsetzungsfähig, sowohl gegenüber ihrem Mann, als auch gegenüber dessen neuem Produzenten, in deren geplante, neue Projekte ein. Siegel betrachtet sein Wirken für und mit Peter Alexander im Nachhinein als „die schönste Zusammenarbeit mit einem der wohl besten deutschen Künstler meine Produzentenkarriere“ (Zitat) – und in der Tat entstanden unter Siegels Ägide über 15 Jahre lang eine Vielzahl unvergesslicher Hits, von „Unser tägliches Brot ist die Liebe“ (1972), dem ersten Resultat dieser Kooperation, über „Pedro – Mandolinen um Mitternacht“ (1973), „Feierabend“ (1978), bis hin zu „Der Papa wird’s schon richten“ (1981), „Immer auf die Kleinen“ (1982) oder „Mexico mi Amor“, der heute vielgesuchten LP zur Fußballweltmeisterschaft 1986.

Ebenso erzählt Siegel frank und frei, wie es zur Zusammenarbeit mit Rex Gildo kam, für den er bekanntlich nicht wenige Superhits, z.B. „Hasta la Vista“ (1973), „Der letzte Sirtaki“ (1975) oder „Marie, der letzte Tanz ist nur für Dich“ (1974) schrieb. Diese Kooperation entstand, als Rex‘ vorheriger Produzent Peter Meisel mit dessen Verkaufserfolgen nicht mehr zufrieden und er außerdem zeitlich überlastet war. So ersonnen Siegel und Schlagerkollege Michael Holm als ersten neuen Beitrag von „Sexy Rexi“ den legendären Partyaufmischer „Fiesta Mexicana“, der im Herbst 1972 bis auf Rang 5 der einheimischen Singlehitparaden stieg. Der längst in die deutsche Sprachkultur eingegangene Ausruf „Hossa“, stammt übrigens – auch wenn dies oft behauptet wurde und wird – nicht etwa aus Spanien oder Mexiko, sondern wurde von Komponist Siegel selbst, als begeisterter, spontan vor sich hin geschriener Kommentar, „begründet“, den er immer dann, meist zu sich selbst, ausrief, wenn er mit einem seiner Werke ganz besonders klaglos und glücklich war. Doch dann kam Siegel der bereits lyrisch unpassende Titel „Ein Fest für Luzifers Freunde“ in den Sinn, der 1976 vollkommen durchfiel. Dieser Flop – die B-Seite „Heut‘ mach ich Hochzeit mit Marie“ dagegen, erschaffen vom Interpreten selbst in Kooperation mit George Moslener, ist noch heute ein Fan-Favorit so mancher „Rexianer“ –  kündigte die Trennung Rex/Ralph an. Der Nachfolgetitel, den Siegel für Rex auserkoren hatte, wurde von diesem und seinem Manager abgelehnt; die späteren Mitarbeiter von G.G. Anderson, Ekkehart Stein und Bernd Dietrich, verfassten, Rainer Pietsch produzierte die neue Single „Eviva el Amor“ – beileibe kein übler Song – und Ralph stellte daraufhin sein eigenes, zuvor für Rex gedachtes Opus dem Kollegen Roy Black vor… mit dem Ergebnis, dass bei der „ZDF-Hitparade“ vom 09. Juli 1977 Roy mit dem traumhaft schönen Abschiedslied „SSSSand in Deinen Augen“ den ersten Rang erzielte, während sich Rex mit „Eviva el Amor“ mit dem vierten Platz begnügen musste…

Zu den bizarren, aber auch lustigen Informationen, die der Leser Ralph Siegels Autobiographie freudig entnehmen kann, zählt etwa der musikalische und berufliche Werdegang von Werner Schüler. Diesen kennen wir 80er-Kinder überwiegend als Texter und Produzenten von z.B. Ingrid Peters, Chris Roberts, Rex Gildo, Jürgen Drews oder Peter Alexander. Was die meisten wohl bislang nicht wussten, ist die Tatsache, dass der studierte Jurist in seiner Jugend Mitglied der obskuren Krautrock-Band „Drosselbart“ war, die Siegel als „erste deutsche Punkband“ erkannt haben wollte und mit der er ein ultrarares, selbstbetiteltes Album produzierte, das jedoch in erster Linie daher floppte, da sich die Band bereits vor Veröffentlichung in alle Winde zerstreut hatte… Seit damals jedoch berät Werner Schüler Siegel in juristischen Fragen, arbeitet für dessen Verlag und feierte für Jupiter Records unzählige Erfolge als Texter und Producer.

Der „Grand Prix Eurovision de le Chanson“ hatte Ralph Siegel über viele, viele Jahre nicht losgelassen. Auch über diesen, inzwischen zu einer reinen Schmierenkomödie mit viel politischem Geplänkel, greller Quasi-Dekadenz und kaum noch erträglichen, geschweige denn tatsächlich guten, konstruktiven Beiträgen verkommenen, einstigen popmusikalischen Höhepunkt eines jeden Jahres, berichtet Ralph Siegel ausführlich und kenntnisreich – klar, wer sonst sollte hierzulande diese Veranstaltung inniger und intimer kennen, als derjenige Komponist, der insgesamt mit knapp 50 Titeln an der Deutschen Vorentscheidung und 19 mal am internationalen Endentscheid teilgenommen hatte?

Er erzählt über seine ersten Versuche beim Vorentscheid zu dieser (damals) höchst reputierlichen Veranstaltung im Jahr 1972 mit der späteren „Dschinghis Khan“-Lady Edina Pop („Meine Liebe will ich Dir geben“) oder dem heutigen Verleger Adrian Wolf („Mein Geschenk an Dich“), über Teilnahmen von Peggy March („Alles geht vorüber“, 1975), der Les Humpheries Singers („Sing Sang Song“, 1976), die nachher, wegen eines Formfehlers des eigentlich siegreichen Vorentscheidungsteilnehmers Tony Marshall, zum „Grand Prix“ nach Den Haag fahren durften, bis hin zu seinen unübertroffenen Eurovisions-Glanzzeiten nach 1979.

Damals, Anfang 1979, formierte er die jahrelang erfolgreiche, teutonische Disco-Truppe „Dschinghis Khan“ und erzielte ein Jahr später, 1980, den zweiten Platz beim Song Contest mit „Theater“ und Katja Ebstein. Das gleiche wiederholte sich 1981 mit dem für Lena Valaitis erdachten Titel „Johnny Blue“ (obwohl der Komponist in seiner Biographie durchaus eingesteht, beim Vorentscheid eher für seinen Beitrag „Mannequin“ von den „Hornettes“ mitgefiebert zu haben, da er einst mal in eine der vier Sängerinnen – was wohle? – verliebt war). Lenas zweiter Platz in Dublin bot aber sicherlich einen nicht zu unterschätzenden Trost für ihn.

Ja, und 1982 war es dann endlich soweit – mit seiner den Zeitgeist jener Ära zwischen NATO-Doppelbeschluss, Kriegs-Angst, Kohl-„Wende“ und Raketenstationierung mittenmang auf den Punkt bringenden (und zudem jegliche ideologische Vereinnahmung des damals so vielgescholtenen Begriffs „Frieden“ verweigernden) Schlagerhymne „Ein bisschen Frieden“, niedlich und grazil gleichermaßen dargeboten von der erst 17jährigen Saarländerin Nicole, im biederen Rüschenkleid, mit friedensstiftender weißer Gitarre, gelang es Ralph Siegel, gemeinsam mit seinem langjährigen Freund und Stammtexter Dr. Bernd Meinunger, den „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ triumphal für Deutschland zu gewinnen.

Auch im weiteren Verlaufe der 80er und 90er Jahre war Ralph Siegel mit zig – zumeist sehr gelungenen – Kompositionen und Produktionen bei Vor- wie Endausscheid vertreten, unter denen sich so schöne, intelligent konzipierte Schlagerchansons wie z.B. „Lass die Sonne in Dein Herz“ („Wind“, 1987), „Lied für einen Freund“ (Maxi & Chris Garden, 1988), „Träume sind für alle da“ („Wind“, 1992) oder „Zeit“ (Bianca Shomburg, 1997) befanden. Zu all diesen einzelnen Liedern, deren Genese, Erfolge, wie Misserfolge, weiß Ralph Siegel immer wieder Munteres, Informatives, mal auch eher Trauriges oder Skurriles, erzählend darzureichen – so dass es vielleicht durchaus vorstellbar wäre, dass der Münchener Liederschreiber eines schönen Tages ein ausführliches Büchlein, NUR mit seinen Erfahrungen, Erlebnissen und Analysen im Zusammenhange mit dem „Grand Prix Eurovision de le Chanson“ andenken könnte!

Summa Summarum, resp. als Fazit von fast 460 Seiten Siegel in Reinkultur, kann man abschließend feststellen: Das Buch besteht sozusagen, wenn auch ineinander verwoben, aus zwei – häufig deutlich konträr aufscheinenden – Parts: Im privaten Part, mit der Aufzählung von zig Namen – von Frauen, über Ärzte, Partygäste, bis hin zu Golfpartnern oder diesen oder jenen (auch branchenfernen) Freunden – erfährt der Außenstehende, selbst der musikbegeisterte Schlagerfan, kaum irgendetwas Herausgehobenes, explizit Spektakuläres – mal von der Anzahl der Siegel-Liebschaften abgesehen; die ist seit einem 13., 14. Lebensjahr schon durchaus als rekordverdächtig einzustufen -, das weitergehendes Interesse beim unbedarften Leser erwecken dürfte. Es ist menschlich nachvollziehbar, dass sich der prominente Autor auf diesem Wege bei seinen lebensrettenden Medizinern, seinen engen Freunden, die ihm auch in nicht so gleißend fröhlichen Zeiten beigestanden haben, seinen eigenen Mentoren und Unterstützern, bedanken möchte. Die Frage ist aber, ob der gemeine Leser, der dieses Buch in wenigen Monaten unter dem Weihnachtsbaum vorfinden könnte, an ebensolchen, zutiefst privaten und persönlichen Danksagungen irgendeine Form von Interesse hat oder vielmehr das 460-Seiten-Werk womöglich irgendwann entnervt in die Ecke wirft…

… was allerdings immens schade wäre, denn der rein musikalisch-fachbezogene Informationswert, auch und besonders die vielen, wie ‚live‘ wirkenden (und auch entsprechend geschilderten) Blicke hinter die Kulissen des „Haifischbeckens Musikindustrie“, die sachgerechten Berichte über die oft unerwartet mühsame, weil nun mal zu einem perfekten Erzeugnis führen sollende Entstehungsgeschichte eines Songs, über künstlerisches Zusammenwirken, inkl. Streitigkeiten, Trennungen, und Neuanfängen, sind schlicht als phantastisch zu bezeichnen. Wer sich „RALPH SIEGEL – DIE AUTOBIOGRAPHIE“ zu Gemüte führt, sitzt direkt an der Quelle bezüglich eines der wichtigsten, bedeutsamsten und talentiertesten Macher und Protagonisten in Sachen Unterhaltungsmusik Made in Germany der letzten 40, 50 Jahre. Demgegenüber mögen der eine oder andere fehlerhaft geschriebene Name, die permanente Aufzählung von Siegels privaten Freunden, die jenseits seines engeren Umkreises niemandem bekannt sind, auch manch übertrieben genau ausgebreiteten Protzereien mit zig Frauen, luxuriösen Sportwagen und Limousinen gerne hintangestellt werden. In musikalischer Hinsicht ist und bleibt Ralph Siegel einer der ganz Großen im einheimischen Showbusiness, was dieses Buch einmal wieder erneut unter Beweis stellt. Und wer mehr über dieses und seine oft verwinkelte und doch immer wieder zusammenführende Entwicklungshistorie erfahren mag, der sollte bei „RALPH SIEGEL – DIE AUTOBIOGRPAHIE“ ebenso zugreifen, wie – Achtung: Ironie – vielleicht sogar „zugroaste“ Neu-Münchener, die auf der Suche sind nach tollen, teuren Lokalen, fähigen Medizinern und schnieken Szenetreffs in ihrer neuen Heimat an der Isar ;- )

Holger Stürenburg, September 2015/ Abschluss: 26. bis 28. September 2015
http://www.jupiter-records.de
http://www.jupiter-records.de/pages/rs_bio.html

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