MARY ROOS
smago! Serie "Schlager-Rückblick "vor 40 Jahren" von Stephan Imming: Teil 40 – Mary Roos ("Stop, mach das noch einmal") – 1/2!
Neuzugang 06.10.1975! Ausführlicher kann man den Karriereweg von Mary Roos wohl kaum beschreiben …:
Am 09. Januar 1949 wurde Marianne Rosemarie Schwab in Bingen am Rhein geboren. Ihre Eltern, Maria und Karl Schwab, waren Inhaber eines Hotels, in dem die kleine Rosemarie – später auch durch ihre Schwester Monika (später als Tina York bekannt) unterstützt – erste Proben ihres gesanglichen Könnens zum besten gab. Die beiden weiteren Geschwister, Marion und Franz, waren weniger musikalisch.
Berits im Kindesalter trat sie im elterlichen Hotel „Rolandseck“ zum Fünf-Uhr-Tee gemeinsam mit einer Kapelle auf. Bei einem ihrer Auftritte war der Komponist Carl Götz („Tanze mit mir in den Morgen“) zugegen und fragte bei Rosemaries Mutter an, ob er mit deren Tochter eine Schallplatte aufnehmen könne. Die Mutter war einverstanden: Unter dem Namen „Rosemarie“ wurde (von Horst-Heinz Henning produziert) die Götz-Komposition „Ja die Dicken sind ja so gemütlich“ noch 1958 aufgenommen, immerhin erschienen bei der großen Plattenfirma Polydor. Lange vor ihrem Teenager-Alter erschien kurz darauf die zweite Single des Kindes, „Little-Teenager-Song“. Diesen Song durfte Mary sogar in dem damaligen Kinofilm „Die Straße“ singen.
Herbert Hildebrand, Gründungsmitglied der kurze Zeit später erfolgreichen Rattles, schrieb Rosemarie den volkstümlichen Schlager „Jodel-Rosemarie“. Mit „In Musik hab‘ ich ‘ne Eins“ endete 1959 dann diese kurze, aber doch recht erfolglose erste Polydor-Zeit des Kinderstars Rosemarie.
Im Alter von 12 Jahren schickten ihre Eltern Rosemarie in das Internat nach Schloss Seeleiten-Murnau, wo sie „Sprachen, Konversation, Benehmen und Tanzunterricht“ lernte und später die Mittlere Reife machte. Zurückblickend sagte die Künstlerin dazu in einem Interview: „In der ersten Zeit fühlte ich mich dort überhaupt nicht wohl. Das war ein Internat für höhere Töchter, furchtbar versnobt. Weil ich von Hause aus nicht so gut bemittelt war, musste ich mich immer ein bisschen durchboxen.“
Wohl auch, um sich Geld dazuzuverdienen, trat Mary als Sängerin auf. Weiterhin unter Produktion des 1920 geborenen Horst-Heinz Henning nahm sie bei verschiedenen Plattenfirmen Schlager unterschiedlichster Genres auf.
Wenngleich sie in jenen Jahren eher mit volkstümlichen Liedern unterwegs war, wurde ihr Name anglifiziert: Seit 1961 erschienen ihre Schallplatten unter dem Pseudonym „Mary Roos“ – im Prinzip wurde dabei ihr Vorname Rosemarie nur umgekehrt.
Die ersten Henning-Produktionen erschienen beim damaligen Label „Bella Musica“, dort brachte Henning 1961 die vielfach von ihm auch komponierten volkstümlichen Schlager „Wie schön, dass wir jung sind“ (- vielleicht wäre das ein weiterer toller Song für das Programm mit Wolfgang Trepper, dazu später mehr -), „Bergsteiger-Franz“, „Es war ein Seemann“ (wurde als „Marie Roos“ veröffentlicht), „Wenn die Liebe einmal zu Dir kommt“ und „Ich bin mu- mu- musikalisch“ (deutsche Version des Rocky Sharpe & the Replays-Hits „Imagine“) unter.
Sehr spannend ist auch die 1961er Veröffentlichung auf dem Label „Austroton“: Der Song „Wenn in Oberammergau der Kuckuck ruft“, den Mary gemeinsam mit den „Fröhlichen Oberammergauern“ aufgenommen hatte, wurde für so stark befunden, dass es wohl nicht ausreichte, ihn als B-Seite des „Bergsteiger-Franz‘“ zu nehmen. So wurde die Scheibe bei Austroton noch mal als A-Seite veröffentlicht.
Die Plattenfirma „Weltmelodie“ hat sich offensichtlich darauf spezialisiert, Cover-Versionen der damals bekanntesten Schlager zu erstellen. Mary Roos hat für dieses Label gleich ein knappes halbes Dutzend Singles aufgenommen: „Die Liebe ist ein seltsames Spiel“ (erschien in einer anderen Auflage auch beim Label „Rondo“), „Einen Ring mit zwei blutroten Steinen“, „Zwei kleine Italiener“ (erschien in einer anderen Auflage auch noch beim Label „Bambina“), „Eine Rose aus Santa Monica“ und „Heißer Sand“ sowie die EP-Songs „Lady Sunshine und Mr. Moon“ und „Paradiso“ sind so im Mary-Roos-Sound zu erleben.
Mangelnde Kreativität kann man auch der Plattenfirma „Victoria“ nicht vorwerfen: Dort wurde der Song „Wir gehören zusammen“ veröffentlicht – gemeinsam mit Perry Neumann nannte man sich – Trommelwirbel!! – „Mary und Perry“ – da muss man erst mal drauf kommen! Nicht nur der Name ist originell – auch das Cover der Single, auf der ich auch mit viel Fantasie Mary Roos nicht erkennen kann.
Beim gleichen Label brachte Horst-Heinz Henning die von ihm produzierten Songs „Überall ist ein Anfang (ewiges Spiel)“, „Das Tipfelchen auf dem i“ und „Bavariola“ unter.
Neben diesen Fließband-Produktionen konnte Mary aber schon 1963 erste Festival-Erfahrung sammeln – so trat sie im belgischen Seebad Knokke beim dortigen Songfestival gemeinsam mit Nana Gualdi, Teddy Peter, René Kollo und Gisela Marell an und belegte einen hervorragenden zweiten Platz für die deutsche Mannschaft.
Auch 1963 wurden wieder diverse Cover-Versionen bekannter Schlager produziert und diesmal auf dem Label „Starlet“ veröffentlicht: „Barcarole in der Nacht“, „Ich will ‘nen Cowboy als Mann“ und „Napoli“ wurden für dieses Label von Mary Roos eingesungen.
Im Mai 1964 kam der Kriminalfilm „Der Nebelmörder“ in die deutschen Kinos (Regie: Eugen York). Die Filmmusik zu diesem Film schrieb Herbert Jarczyk, der einige Jahre später auch die bekannte Titelmusik der Fernsehserie „Der Kommissar“ (mit Erik Ode) schrieb. Als Single erschien – von dem Label „Saba“ aus diesem Film ausgekoppelt – die von Mary Roos besungene Jarczyk-Nummer, wie üblich von Horst Heinz Henning produziert, namens „Kellerparty Twist“. Lt. Single-Cover war u. a. auch das Orchester Hugo Strasser an der Produktion beteiligt.
Im gleichen Jahr wurde ein „One Record Deal“ mit der Plattenfirma Intercord geschlossen – dort erschien ihre Single „Tausend und ein paar Meilen (viele viele Berger und Täler)“. (Hinweis: In einigen Quellen wird als Erscheinjahr dieser Single 1969 angegeben – mir erscheint 1964 aber glaubhafter, weil Mary 1969 ja fest bei CBS unter Vertrag stand).
Vielleicht durch diese Veröffentlichung erschien 1964 eine Single bei einer größeren Plattenfirma, bei der in jenem Jahr u. a. z. B. auch Udo Jürgens seine Schallplatten veröffentlichte: Vogue. Dort wurde eine Single präsentiert mit einer Aussage, die Mary angesichts ihrer nicht immer positiven Erfahrungen mit Männern sich vielleicht hätte hinter die Ohren schreiben sollen – unter dem Namen „Mary Roose“ erschien der Song „Ich sag no, Boy!“. Da auch die Konsumenten „no“ sagten, sagte leider auch die deutsche Vogue damals „no“ zu weiteren Plattenveröffentlichungen.
1965 wechselte Mary zur Plattenfirma CBS, wo sie einige Jahre später ihre ersten großen Erfolge erzielen sollte. Und tatsächlich – gleich die erste Single „Geh nicht den Weg“ wurde ihr erster Hit, der erste Song, mit dem sie die deutsche Verkaufshitparade erstürmen konnte. Warum in den Charts nicht die eigentlich als A-Seite vermerkte Nummer „Mama, verzeih mir“ (deutsche Version des Chansons „Pardon pour notre amour“) in den Hitlisten vermerkt wurde, lässt sich wohl nicht mehr rekonstruieren, wobei – ich habe den Verdacht, dass Alice Schwarzer dahinter stecken könnte angesichts des Textes: „Du weißt, so ist das Leben – Du kennst es doch genau – Nicht nehmen, sondern geben – das ist das Los der Frau“. Als Mann ist man geneigt zu sagen: Das waren noch Zeiten…
Fakt ist aber, dass „Geh nicht den Weg“, ein im Motown-Sound gesungener Hit, von „Frank Bohlen“ getextet wurde – hinter diesem Pseudonym verbarg sich Marion Haensch, die damals die Ehefrau des bekannten Musikers Delle Haensch war. Sie schrieb u. a. den Text „Sag ihr, ich lass sie grüßen“ und „1000 Träume“ für Udo und war nun auch zuständig für Mary Roos‘ ersten Hit-Erfolg.
Die ebenfalls von „Frank Bohlen“ getextete Nummer „Money Boy“ war 1965 zunächst aber auch wieder die letzte bei CBS veröffentlichte klingende Drehscheibe, obwohl der Beat-Song (Co-Autor: Michael Holm) durchaus Hitpotenzial gehabt hätte. Besonders interessant an dieser Single ist die B-Seite: „Kein Weg ist zu weit“ war die deutsche Version des monegassischen Eurovisions-Beitrages von 1964, „Ou sont elles passées” (Platz 3 für Romuald) – das war quasi Marys erster von vielen Berührungspunkten zum Grand Prix Eurovision.
1966 wurde die musikalische Westernkomödie „Lass die Finger von der Puppe“ (Original-Titel: „Europa canta“) in den Kinos gezeigt. In diesem Film durfte Mary Roos ihren damals neuen Schlager „Junge Liebe“ vortragen. (Textprobe: „Als ich endlich 18 war, da war mir so vieles klar jupidai jupidai“.)
Nach ihrem ersten Achtungserfolg 1963 im belgischen Knokke schnupperte Mary auch 1966 Festival-Luft: Sie beteiligte sich an den Deutschen Schlagerfestspielen 1966 mit dem von Claus Netzle komponierten und von Günter Loose getexteten Schlager „Wie der Wind“. Von zwölf Teilnehmern erreichte sie am 25. Juni 1966 in Baden-Baden einen guten 6. Platz. Böse Zungen behaupten, sie hätte damals die Mireille-Mathieu-Frisur erfunden…
Mit „Aus Dunkelrot wird Rosa“ war Marys Ariola-Zeit dann auch recht schnell wieder beendet – ob in der Liedzeile eine Anspielung auf ihren Künstlernamen enthalten ist – man weiß es nicht. Jedenfalls konstatierte das „Schlagerjahrbuch 1966“: „Wenn man ihr etwas anderes zu singen gäbe, würde es um die Karriere von Mary Roos nicht so mittelmäßig bestellt sein. Die Stimme ist nämlich klasse!“
1966/67 heuerte Mary noch mal in einer besonderen Konstellation bei einem kleinen Label an: Gemeinsam mit Fred Bertelmann veröffentlichte sie unter dem Namen „Herz-Duo“ die Schlager „Ja das mit der Liebe“ (eine Komposition des berühmten Karnevalisten Gerhard Jussenhoven) und „Es wird ja alles wieder gut“ (eine Neuaufnahme eines 1952er Detlev-Lais-Schlagers).
Auf einer gemeinsam mit Fred Bertelmann veröffentlichten LP („Es wird ja alles wieder gut“) findet sich auch Marys Song „Eine Hand voll Glück“, den sie im Will-Tremper-Film „Sperrbezirk“, in dem Lembke-Ratefuchs Guido Baumann sein Kino-Debut gab, präsentierte.
Privat begann Mary nach Abschluss der mittleren Reife, zwei Semester Kunstgeschichte zu studieren, brach das wegen ihrer Gesangskarriere aber wieder ab. Seinerzeit soll sie sich mit dem Texten von Comicstrips („Fix und Foxi“) etwas dazu verdient haben. – Ihre Familie (Marys Eltern zogen mit Marys Geschwistern Monika (, die ja als „Tina York“ bekannt wurde), Marion und Franz nach Villingen im Schwarzwald. Im dortigen „Scotch Club“ lernte sie ihren späteren Ehemann, den Exportkaufmann Pierre Scardin, kennen, der später eine entscheidende Rolle auch für ihre Karriere spielen sollte – dazu später mehr.
1967 wurde erneut die Plattenfirma gewechselt – Mary Roos ging zur EMI Electrola bzw. dessen Label Columbia. Die erste dort erschienene Single war eine Komposition von Graham Bonney – Text und Produktion wurden erneut von Horst-Heinz Henning übernommen: „Liebe mit Garantie“. Die Single floppte ebenso wie die kommenden Scheiben „Fortsetzung folgt (Story mit Fortsetzung)“ und „Liebe (ich wünsche mir von Dir: Liebe)“. Letzterer Schlager wurde von „Max Mainzel“ getextet. Überraschenderweise handelt es sich dabei um ein Pseudonym – wieder mal verbirgt sich hinter einem männlichen Namen eine Frau: Christine Neuhausen, die später u. a. den Ramona-Hit „Alles, was wir wollen auf Erden“ zum Hit machte, war Textdichterin dieses Schlagers.
1968 war es mal wieder so weit – Mary Roos wollte bei einem Festival antreten. Sie konnte sich aber zum damaligen „Deutschen Schlagerwettbewerb“ nicht qualifizieren. So wurde ihre einzige vom großen Ralph Siegel komponierte Nummer (Text: Fini Busch) einem großen Publikum leider nicht bekannt – dennoch wurde „Die Welt von Morgen“, von manchen gerne als „Weltverbesserungsnummer“ bezeichnet, als Single aufgelegt.
Mit „Zwischen heute und morgen“ wurde Marys Schlager-Jahrgang 1968 dann abgeschlossen, allerdings sollte auch ihre LP-Produktion aus dieser Zeit nicht unerwähnt bleiben: „Die kleine Stadt will schlafen geh’n“, aufgenommen mit dem Dresdner Mozart-Chor, enthielt Abend – und Nachtlieder. Beim Titelsong handelt es sich um ein Lied, das Jahre zuvor schon durch Ilse Werner populär gemacht wurde.
Nachdem die vielen teils anspruchsvollen Lieder eher mäßig bis gar nicht erfolgreich liefen, kam „Max Mainzel“ auf eine großartige Idee – die „niederen Instinkte“ führten zum Erfolg – oder wie lässt sich „Es machte Knall, es machte Bumm, da fiel mein schöner Vorsatz um … Es ist passiert, es ist gescheh’n“ anders deuten? – Jedenfalls schaffte es Mary Roos 1969 mit ihrem Song „Das hat die Welt noch nicht gesehen“ erstmals in die Top-20 der Verkaufscharts. Auslöser könnte ihr erster Auftritt in Dieter Thomas Hecks ZDF-Hitparade gewesen sein – in dessen zweiter Show stellte Mary ihr Lied am 22. Februar 1969 vor, in die Verkaufshitparade stürmte sie am 01.04.1969. – Andere Stimmen meinen, der „beatige Sound“ oder gar das auf dem Cover zu bestaunende raffinierte Augen-Make-Up hätten eine Rolle gespielt…
Die Nachfolgesingle war ein Cover eines Liedes von Lulu, die fragte: „Are You Ready For Love?“ – daraus machte Horst Heinz Henning „Ich bin glücklich“. In die Hitparaden kam Mary mit dem Song aber nicht. Spannenderweise hat Agnetha Fältskog, spätere Sängerin der Gruppe ABBA, den Song auch aufgenommen, und zwar in schwedischer Sprache („Ge dej till täls“). Der Titel war übrigens Bestandteil der englischen Vorentscheidung zur Eurovision 1969 – damals setzte sich aber „Boom Bang A Bang“ durch – der Titel war dann eines der späteren vier Siegerlieder. Weiteres Kuriosum: In der damaligen englischen Vorentscheidung fiel auch ein Lied durch, das Elton John und Bernie Taupin für Lulu schrieben („I Can’t Go On Living Without You“).
Nachdem sie 1968 noch knapp gescheitert war, erreichte Mary am 3. Juli 1969 das Finale des von Dieter Thomas Heck in Wiesbaden moderierten Deutschen Schlagerwettbewerbs. „Max Mainzel“ hatte wieder ganze Arbeit geleistet: „Alles rutscht mir aus den Händen!“ – trotzdem reichte es nur für einen vorletzten Platz des Wettbewerbs. Der andere Song „Max Mainzels“ lief übrigens besser – vermutlich, weil der Text anspruchsvoller war: Mit dem Song „Texas-Cowboy-Pferde-Sattel-Verkäuferin“ erreichte Tonia einen 6. Platz. Es ist schon sinnvoll, sich ein Pseudonym zuzulegen, wenn man solche Schlagertexte schreibt…
Zu dem Wettbewerb ist noch zu sagen, dass erneut der Name „Agnetha“ (von ABBA) auftaucht – deren Beitrag „Wer schreibt heut noch Liebesbriefe?“ nicht das Finale des Wettbewerbs erreichte – übrigens ebenso wenig wie der Song „Venusmädchen“ von Tony Marshall, von dem auch nirgendwo nähere Angaben zu finden sind.
Nachdem sie trotz mäßigen Erfolgs im Wettbewerb wieder mediale Aufmerksamkeit hatte (u. a. trat sie am 12. Juli 1969 erneut in der ZDF-Hitparade auf), probierte man es mit der Single „Verliebt in Dich (immer, wenn ein Tag entsteht)“. Witzige Sache: Auf dem Plattencover ist nur das „immer, wenn“ vermerkt („Verliebt in Dich (immer, wenn)“). Schon bei Marys Erfolgssingle „Das hat die Welt noch nicht gesehen“ gab es eine Fehlauflage mit der Beschriftung „Das hat die Welt noch NIE gesehen“. Vermutlich sind diejenigen, die bei Udo Jürgens für Covergestaltung zuständig waren und da „einen Bock nach dem anderen geschossen“ haben, damals schon bei Mary in die Lehre gegangen – aber das ist nur eine Hypothese…
1969 trat Mary noch bei einem zweiten Song-Festival an – sie beteiligte sich am neu installierten Wettbewerb „Grand Prix RTL International“ mit ihrem Song „La legende de l’amour“, der in Deutschland als Single unter „Die Legende der Liebe (la legende)“ veröffentlicht wurde (erneut war auf dem Single-Cover für die Worte „de l’amour“ in der Klammer kein Platz…). Mit dem erneut von Horst Heinz Henning geschriebenen Lied hatte sie im Wettbewerb keine Chance, siegreich war damals Großbritannien („When You Walked Out Of My Life“, gesungen von J. A. Freeman).
Bezüglich der nächsten Single „Das ist das Beste an Dir“ schrieb Marys Plattenfirma CBS: „Mary Roos, laut Musikpoll der Zeitschrift „Schallplatte“ Deutschlands Nachwuchssängerin Nummer 1, singt auf dieser ihrer neuesten Platte zwei Titel, die ihr – frisch verheiratet – besonders liegen“. Die Einschätzung sollte nicht ganz falsch sein: Wenn auch nur kurz, so erreichte diese Single die deutsche Verkaufs-Hitparade. Ungelöst ist (zumindest für mich) das Geheimnis, wer der ominöse Texter des Liedes ist: „Carolus Presto“ – was für ein Name, damit hätte man sicher auch „Azurro“ singen können… – oder ist das vielleicht die gleiche Person wie „Max Mainzel“? – Die Single erschien übrigens in Holland mit einem anderen Cover – während in Deutschland Mary brav in einer Hose zu sehen ist, ist beim holländischen Cover ein kurzer Minirock ihr Outfit – very hot.. – vielleicht wäre mit DER Verpackung die Single noch erfolgreicher in Deutschland geworden – man weiß es nicht..
Ende der 60er Jahre kamen – wie wir ja gerade vernommen haben „frisch verheiratet“ – bei Mary offensichtlich mütterliche Instinkte durch, und sie nahm eine LP auf mit den „schönsten deutschen Märchen“.
Die letzte Single der 60er Jahre ist gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen war es eine Ariola-Veröffentlichung – eine von Marys alten Plattenfirmen hat offensichtlich Lunte gerochen, dass sie inzwischen recht erfolgreich war und hat ihren Schlagerfestival-Song „Wie der Wind“ neu aufgelegt. Spannend an der Single ist aber die B-Seite, bei der es sich um die deutsche Version des Shirley Bassey Songs „I Who Have Nothing“ handelt: „Du“. (Das ursprüngliche Original stammt übrigens aus dem Jahr 1961 und ist italienischer Herkunft: Joe Sentieri sang „Uno dei tanti“.)
Nun ist es Zeit, auf Marys Ehemann Pierre Scardin zu sprechen zu kommen. Mit ihm hat sich Mary Weihnachten 1968 verlobt und ihn am 3. November 1969 in Limburg an der Lahn geheiratet. Da es nach Marys Ansicht beruflich nicht so lief wie sie sich das vorstellte, dachte sie daran, aufzugeben. Pierre hingegen sah das anders, kündigte seine Stelle und übernahm ab April 1969 Marys Management. Mit Hilfe seines Einsatzes konnte mit der CBS ein Garantievertrag abgeschlossen werden. Insbesondere von Bedeutung war, dass er für einen Produzentenwechsel sorgte – nach vielen Jahren trennte sich Mary von Horst Heinz Henning. Ganz offensichtlich ist man nicht „im Guten“ auseinandergegangen, wenn man einen Blick in Dieter Thomas Hecks „Hitparadenbuch“ wirft. Dort wird Mary wie folgt zitiert: „Er produzierte damals eine Platte nach der anderen mit mir und versprach, dass an meinem 21. Geburtstag der Gewinn auf meinem Konto liegen würde. Aber darauf warte ich heute noch“. Ganz offensichtlich musste der Fall anwaltlich geregelt werden…
Die 70er Jahre begannen vielversprechend: Am 16. Februar 1970 unternahm Mary erstmals den Versuch, Deutschland beim Grand Prix Eurovision zu vertreten – sie sprang für die kurzfristig ausgefallene Edina Pop ein und belegte mit „ihrem“ (na ja, eigentlich war es ja für Frau Pop) psychedelisch angehauchten Lied „Bei jedem Kuss“ (Musik: Delle Haensch, Text: „Frank Bohlen“ – wie gesagt, war das das Pseudonym von Delles Frau Marion) einen guten 2. Platz hinter der siegreichen Katja Ebstein („Wunder gibt es immer wieder“). Viele Fans schwärmen noch heute von Marys damaligen Outfit (O-Ton: „FDP-Topflappen“, „Raumschiff-Orion-Eyeliner“, „No-Go-Kombi, die nur Stiefmütterchen gut steht“). – Der Titel ist nach meiner Kenntnis übrigens nie auf Tonträger erschienen.
Ab 1970 übernahm Michael Holm die Produktion von Mary Roos‘ Schallplatten – und dieser Schritt sollte sich sofort gewaltig auszahlen: Gleich die erste Zusammenarbeit, der Song „Arizona Man“, geschrieben von Giorgio Moroder, wurde Marys erster (und bis heute einziger) Top-10-Hit in Deutschland. Gleich in mehrfacher Hinsicht wird diese Produktion „in den Himmel gelobt“. Insbesondere der für damalige Verhältnisse ungewohnte Einsatz eines Synthesizers – noch dazu im Schlagerbereich – hatte etwas Revolutionäres. Aber auch die „Song in Song“-Komponente (dem flotten Teil folgt im Laufe des Liedes ein getragener Zwischenteil) war musikalisch ungewöhnlich. Komponist Moroder erkannte das Potenzial des Songs und veröffentlichte selber als Sänger dessen englische Fassung auf Single.
Im Rahmen dieser Serie habe ich ja schon öfter auf Textanalysen von Schlagerexperten hingewiesen. Mein Lieblingsbeispiel sind da sicher die unschlagbaren Ausführungen zu Christian Anders‘ „Zug nach nirgendwo“, der nach Meinung eines Buchautoren auf die Kanzlerschaft Helmut Schmidts bezogen war. Aber auch der von Michael Holm geschriebene Text (auf der Single ist zwar Giorgio Moroder auch als Textdichter angegeben, andere Quellen benennen aber auch Holm, was mir deutlich glaubhafter erscheint) bietet viel Interpretationsspielraum. In seinem Buch „Ein Festival im Kornfeld“ lässt sich Autor Christian Pfarr gleich auf rund 8 Seiten über das Lied und seine zeitgeistliche Bedeutungsschwere aus. Hier ein kleines Zitat daraus:
„Aritzona Männ? Nein, Mary (in diesem Fall Roos) macht es richtig: Ärissone Mähn, ein echter Fortschritt gegenüber den fremdsprachigen Anleihen früherer Schlager, klanggewordener Zeitgeist sozusagen, der sich auch phonetisch an der aktuellen Popmusik und nicht mehr an den Edgar-Wallace-Filmen der Mittsechziger orientiert. Nebenbei sind die (wenigen) Anglizismen durch die geografische Herkunft des Protagonisten geschickt legitimiert. ‚…nichts für mich / … leider nich‘‘: Sowas gab’s bei Klassikers nich‘ und im deutschen Schlager nur, wenn’s was zu lachen gab (Bully Buhlan 1951: ‚Hab’n Se nich ‘ne Braut für mich‘) …. Gehobene Umgangssprache als Bekräftigung eines gewissen Realitätsanspruchs in Tateinheit mit groovenden Synthesizer-Klängen und zuckenden Tamburins, dazu ein Schuss Treuherzigkeit und eine Messerspitze Lyrik – fertig ist der moderne Schlager der 70 Jahre“. – Toll, was man alles aus so einem Schlager sehen kann. Noch viel tiefer gehende Analysen finden sich in besagtem Buch auf den Seiten von 11 bis 18…
Mit ihrem Lied konnte sich Mary auch erstmals in Dieter Thomas Hecks ZDF-Hitparade platzieren. Viele Jahre später trat sie damit auch in der „Super-Hitparade“ auf. Dazu wurde damals auch eine LP bzw. eine MC veröffentlicht, die ich mir seinerzeit kaufte. Marys Song war mir damals bis dato unbekannt – und ich war überrascht, wie „komisch“ das Lied aufhörte. Des Rätsels Lösung: Der Song ist eigentlich ca. 4:40 Minuten lang. Auf die Cassette passten damals aber nur vielleicht ca. 3 Minuten. Da wurde halt ganz lässig nach 3 Minuten ausgeblendet – mitten im gerade beginnenden langsamen Teil des Liedes – ohne Sinn und Verstand…
Auch die Nachfolge-Single, erneut von Michael Holm produziert und von Giorgio Moroder und Michael Holm geschrieben, „Am Anfang war die Liebe“, konnte sich in der Verkaufshitparade platzieren, allerdings war der Erfolg bei weitem nicht mehr so groß wie mit der Vorgänger-Single.
1970 war ein tolles Jahr für Mary, so durfte sie am 24. Mai des Jahres auf der Weltausstellung in Osaka zu Gunsten des UNICEF-Kinderhilfswerks mit Stars wie Sascha Distel, Peter Ustinov und anderen auf der Bühne stehen. Ihr wurde im August die „Goldene Rose von Antibes (Frankreich)“ verliehen, und sie war lt. Umfragen Deutschlands zweitbeliebteste Sängerin (hinter Mireille Mathieu) in jener Zeit.
1971 war Mary Roos erneut in einem Spielfilm zu sehen – diesmal war es eine französisch-britische Koproduktion. Mary übernahm die Hauptrolle der Caroline in „Un enfant dans la ville“, deutscher Titel: „Zum Teufel mit unserer Zeit – aber ich liebe sie“. Der Film wurde später auch im ZDF ausgestrahlt. Zum Film gibt es auch einen Soundtrack, in dem Mary mit Michel Fugain einige französische Lieder singt. Nicht nur wegen ihres Ehemanns mit französischen Wurzeln hatte Mary in jenen Jahren eine sehr frankophile Ader, in den nächsten Jahren verstärkte sich ihre Affinität zum französischen Chanson – dazu später mehr. – Zum Film erschien auch ein Soundtrack auf LP.
Weitere „Duftmarken“ in Frankreich setzte Mary bei einer MIDEM-Gala in Cannes, wo sie mit Interpretationen französischer Lieder sowohl Publikum als auch Fachpresse begeisterte.
Ihren Hang zur Eurovision stellte Mary auch 1971 unter Beweis, indem sie den zweitplatzierten Titel des damaligen internationalen Wettbewerbs coverte (O-Ton Mary lt. Plattenfirma: „Sie war begeistert von diesem Lied“) – aus Karinas „En un mundo nuevo“ machte Fred Weyrich „Wir glauben an morgen“. Grand-Prix-Fans mögen vielfach Marys Version lieber als die der Original-Interpretin Karina. Im Buch „Schlager in Deutschland“ wird die musikalische Struktur des Songs gelobt: „Nach wie vor üblich ist ..die Gegenüberstellung eines lyrisch gestalteten Verses mit einem von motorischer Rhythmik geprägten Refrain. Zunehmend wirken sich aber hier die neuerworbenen Freiheiten aus. Als Beispiel sei der Titel ‚Wir glauben an morgen‘ herangezogen. In diesem Schlager beleben neben dem Kontrast im Ausdrucksbereich Ungeradtaktigkeit sowie Tonart- und Taktwechsel den formalen Ablauf“.
Im Herbst 1971 veröffentlichte Mary Roos die deutsche Version des Joe-Jones-Hits „California Sun“ – Michael Holm textete darauf „California Nacht“ – und zwar mit Erfolg, es wurde ein Top-40-Hit. Der Plan der Plattenfirma ging auf – im Promo-Text hieß es: „Von Arizona nach Kalifornien ist es nur ein Katzensprung. Deshalb beschäftigt sich Mary Roos, die mit ihrem ‚Mann aus Arizona‘ genau den Punkt getroffen hat, diesmal mit den Nächten in Kalifornien, die ganz offensichtlich einiges zu bieten haben. Wer will es verhehlen, die Melodie zu dieser Rillen-Lok wurde von einem der größten Rock-Renner der jungen Geschichte des Pop entlehnt.“
Am 29.11.1971 wurde Marys erste TV-Show ausgestrahlt: „Mary’s Music“, aus der sogar eine kleine Show-Reihe wurde (insgesamt wurden bis 1973 fünf Folgen ausgestrahlt). Die 45-minütige Musikshow, in der musikalische Gäste und das Tanzorchester des Saarländischen Rundfunks mitwirkten, wurde montags um 21.00 Uhr in der ARD ausgestrahlt. Besonders gut angekommen in der ersten Folge war Marys eigene Version des Frank-Sinatra-Klassikers „My Way“, der daraufhin auf Single veröffentlicht wurde. Obwohl „So leb Dein Leben“ (deutscher Text: Chaly Niessen) nie in den Verkaufshitparaden war, wurde es ein echter Evergreen – auch und gerade in Marys Version, die sie in „Mary’s Music“ erfolgreich vorstellte. Die Aufnahme wurde übrigens bereits 1970 auf Marys LP „Arizona Man“ veröffentlicht, aber eben wegen ihrer TV-Show „verspätet“ noch als Single herausgebracht.
Am 19. Februar 1972 betrat Mary Roos das Berliner SFB-Studio A, um erneut an der Vorentscheidung zum Grand Prix Eurovision „Ein Lied für Edinburgh“ teilzunehmen. Diesmal ging der Plan auf: Mit der von Joachim Heider komponierten Nummer „Nur die Liebe lässt uns leben“ gewann sie den Wettbewerb vor den hoch favorisierten Cindy und Bert, was vereinzelt sogar zu negativen Pfiffen im Publikum nach ihrem Sieg der Vorentscheidung geführt hatte.
Das Lied entpuppte sich damals als Hit und ist bis heute ein echter Klassiker der Eurovision, dabei standen die Vorzeichen damals alles andere als gut – offensichtlich hat Komponist Heider die Aufnahme nur „en passent“ aufgenommen. Mary dazu im Eurovisions-Standardwerk „Ein Lied kann eine Brücke sein“: „Joachim Heider, der Komponist, und ich lagen ständig im Streit. Er hatte nur vier oder fünf Stunden für die Aufnahme eingeplant, ich wollte sorgfältiger singen. Dabei mochte ich schon den Text nicht, viel zu schlagerhaft“. Als Arrangeur und Dirigent der Single ist dort übrigens Joe Plée angegeben, der damals einen gewaltigen Erfolg in seiner Zusammenarbeit mit Jack White hatte (z. B. Arrangeur von „Schöne Maid“). In meinen Augen ist erstaunlich, wie vielfältig Plée war, weil das Arrangement des Kitchensounds der „Schönen Maid“ sich doch erheblich vom (eigentlich Heider-typischen) „Bombast-Sound“ unterscheidet.
Nicht unspannend ist übrigens die B-Seite des Top-20-Erfolgs, Marys deutsche Version des Supremes-Hits „You Can’t Hurry Love“ – bei ihr hieß es: „Die Liebe kommt leis‘“ (deutscher Text: Michael Holm).
Am 25. März 1972 trat Mary dann international an – und erreichte einen phänomenalen Erfolg – von 18 Bewerbern holte sie den dritten Platz – besser hatte Deutschland zu dem Zeitpunkt nie abgeschnitten, sogar von den britischen Kommentatoren des Abends gab es Lob. Das ist um so erstaunlicher, wenn man das bärenstarke Teilnehmerfeld betrachtet: Sowohl Vicky („Apres toi“) als auch die New Seekers („Beg, Steel or Borrow“) schafften mit ihren Liedern Welthits – und auch Mary erreichte mit ihrem Song internationales Ansehen und hat spätestens mit dem Auftritt ihren Durchbruch geschafft – und das, obwohl sie mit Startnummer 1 die Eisbrecherin des Abends geben musste. Dirigent war damals übrigens Paul Kuhn.
Drei Tage nach ihrem Erfolg bei der Eurovision, am 28. März 1972, ging für Mary ein Lebenstraum in Erfüllung: Sie durfte als erste deutsche Künstlerin im Pariser „Olympia“ auftreten und erzielte dort einen großen Erfolg, obwohl sie damals die französische Sprache gar nicht beherrschte. Fortan stand für Mary fest: „Ich habe früher nicht zu den Liedern gepasst, die ich singen musste. Ich bin nun mal keine niedliche Schlagermieze. Und wenn man von dem, was man singen muss, nicht überzeugt ist, kann man auch nicht erfolgreich sein. Mir liegen anspruchsvolle Lieder nun mal besser.“ Fünf ausverkaufte Vorstellungen sprechen für sich – auch in Frankreich hatte Mary nun einen sehr großen Namen und veröffentlichte dort sogar eine ganze LP und mehrere Singles in dieser Zeit. Ihr jahrelanger großer Erfolg in Frankreich ist um so erstaunlicher, als es dort ein sehr bekanntes Entlausungsmittel „Marie Rose“ gab…
Marys Grand-Prix-Beitrag war so erfolgreich, dass er auch in englischer und französischer Sprache aufgenommen wurde („Wake Me Early In the Morning“ bzw. „Nous n’avons que la jeunesse“) und entsprechend international veröffentlicht wurde.
Kurze Zeit nach ihrem Eurovisions-Erfolg erschien eine sehr interessante LP von Mary: „Woraus meine Lieder sind“ – hochprozentig mit deutschen Versionen ihrer kurz zuvor erschienen LP mit französischsprachigen Liedern. Ein Großteil der Texte wurde von der inzwischen leider verstorbenen Miriam Frances verfasst, die ja so etwas wie „Haus- und Hoftexterin“ Daliah Lavis war, aber auch einige Lieder für Udo Jürgens schrieb. Allein auf dieser LP verfasste sie acht Texte, bei einem Song war sie sogar als Produzentin tätig. Ansonsten wurde die LP von Hermann R. Zentgraf in Berlin, München und Paris produziert.
Zu dieser LP gibt es eine tragische Geschichte: Der als Produzent benannte Hermann R. Zentgraf kam am 15. Februar 1972 bei einem Autounfall ums Leben – vermutlich auch deshalb war er nicht bei allen Liedern der LP als Produzent angegeben; bei Marys Eurovisions-Hit fungierte z. B. Jazzpianist und Studiomusiker Roland Schneider als Produzent.
Eine weitere Single (zumindest als A-Seite) wurde aus dem Album nicht mehr ausgekoppelt, stattdessen produzierte Hitgarant Heider die von ihm auch komponierte Nummer „Er bleibt hier (für immer)“. Die Nachfolge-Single von Marys Eurovisions-Hit konnte sich zwar in den Charts kurz platzieren, aber bei weitem nicht an den Erfolg von „Nur die Liebe lässt uns leben“ anknüpfen.
Nachdem Mary so erfolgreich bei der Eurovision war, beschloss sie, im Herbst des Jahres beim „Festival Internacional da Canção Popular nach Rio de Janeiro“ (Songfestival) teilzunehmen. Über einen Achtungserfolg, den sie mit ihrem Lied „Viva“ (, das auch als Single erschien,) erreichte, kam sie allerdings nicht hinaus.
Die nächste Single in Deutschland wurde „Lieber John“, die erneut kurz in die Verkaufshitparade kam. Interessanterweise gab es dazu sogar eine „englische Originalversion“ (normalerweise ist das ja umgekehrt) namens „Hello World“ – erschienen bei Jupiter-Records in Interpretation von „Birmingham & Eggs“. – Parallel zur Single produzierte Michael Kunze eine ganze gleichnamige LP, deren Texte er alle selbst verfasste. Komponiert wurden die Songs von damals sehr populären Song-Schreibern wie Peter Maffay (, der gleich 5 Nummern beisteuerte,) Les Humphries und Giorgio Moroder.
Letztgenannter komponierte die nächste ausgekoppelte Single: „Fremdes Mädchen (lass ihn geh’n)“. Einige Jahre vor Marianne Rosenberg, deren Song „Marleen“ da wirklich Maßstäbe gesetzt hatte, griff Mary (mit dem Text Michael Kunzes) die Problematik einer Nebenbuhlerin auf und betont sogar (sic) „Er gehört zu mir“: „Gestern war er mir so nah – und nur da für mich – Doch seit er Deine Augen sah – dreh’n sich seine Träume um Dich. – Fremdes Mädchen, lass ihn geh‘n! – Er gehört zu mir! – Fremdes Mädchen, willst Du denn – dass ich ihn verlier?“ – das ist schon etwas blauäugig zu glauben, dass dem „fremden Mädchen“ wichtig ist, ob Mary „ihn verliert“. Fraglich ist auch, ob sich „seine Träume“ um die „Augen“ oder andere Vorzüge des „fremden Mädchens“ drehten – aber damals war der Zeitgeist wohl ein anderer…
1974 produzierte Michael Kunze mit Mary Roos einen von Werner Scharfenberger komponierten Titel: „Kleiner Clown“. Die Plattenfirma schrieb damals dazu: „Die Geschichte vom ‚kleinen Clown‘, der die große Show durchstehen muss, erzählt Mary Roos überzeugend. Mehr als ein Schlagerlied wird der Titel vor allem durch Marys Interpretation, die von viel Einfühlungsvermögen zeugt“. „Mehr als ein Schlagerlied“ – das klingt gefährlich – und – richtig – der Song kam nicht in die Verkaufshitparaden – trotz eines guten TV-Termins (21. März 1974 Starparade). Roos-Experten vermuten autobiografische Zusammenhänge in dem Lied. In der Tat war Mary damals teilweise oft krank und hat sich vielleicht bisweilen zu viel zugemutet. Im „Hitparadenbuch“ steht, dass sie schon Anfang der 70er diesbezügliche Probleme hatte: „… nach dem Galaabend der Schallplatte in Berlin zusammengebrochen war und sich drei Tage lang im Westend-Krankenhaus erholen musste..“. Auch später musste sie wohl zeitweilig Tabletten nehmen, um den Stress zu überstehen – die Phase hat sie zum Glück aber recht gut überstanden.
Autobiografische Bezüge könnte man auch bei der nächsten Single vermuten – in den 70er Jahren wurde Hamburg so etwas wie eine Wahlheimat von Mary Roos. Was lag also näher, als eine der typischen Eigenschaften dieser Stadt in einem Lied festzuhalten? Michael Kunze schrieb einen deutschen Text auf den Nilsson-Song „Daybreak“ – ihm fiel „Hamburg im Regen“ dazu ein. Obwohl der Song nie in den Charts war, ist er so etwas wie ein Mary-Evergreen geworden – neben ihren anderen „tatsächlichen“ Hits hat sie ihn auch ins Kabarett-Programm „Nutten, Koks und frische Erdbeeren“ genommen. Auch ohne Hitparaden-Erfolge ist das Lied ein Evergreen geworden.
In einer Sonderauflage gibt es den Song übrigens auch als Rückseite von Marys „Happy Pizza Song“. Mary berichtete in dem Lied vom Hochgenuss, den ihr das brandneue Produkt des Lebensmittelherstellers Dr. Oetker bereitete („Das ist runder Pizzaspaß zu Hause, Dr. Oetker Pizzaspaß“). Die Single war eine exklusive „Sonderauflage im Auftrag der Dr. Oetker Tiefkühlkost“. Der Werbesong wurde übrigens von Claudio Szenkar produziert, der kurz zuvor mit Walter Scheel im Studio stand, um dessen Klassiker „Hoch auf dem gelben Wagen“ unter Dach und Fach zu bringen.
Am 03. Februar 1975 war es wieder so weit – Mary bewarb sich für die Teilnahme am Grand Prix Eurovision, und zwar sogar mit zwei Titeln: „Ich will den selben Weg noch mal an Deiner Seite gehen“, geschrieben von Günther Eric Thöner, schaffte nicht die Qualifikation ins Finale von „Ein Lied für Stockholm“, wurde aber als B-Seite der hier besprochenen Single genommen. Der von den Eheleuten Hans und Ingetraut Blum geschriebene Song „Eine Liebe ist wie ein Lied“ hingegen schaffte einen guten dritten Platz beim damals prominent besetzten Wettbewerb. Gegen „Ein Lied kann eine Brücke sein“ von Joy Fleming hatte damals aber niemand eine Chance, nicht mal Marianne Rosenberg mit „Er gehört zu mir“ oder Jürgen Marcus mit „Ein Lied zieht hinaus in die Welt“. Immerhin reichte es bei Mary für eine Top-50-Platzierung in den deutschen Hitparaden.
Vor genau 40 Jahren erschien dann der nächste Hit von Mary Roos. Der schon in jungen Jahren verstorbene Dieter Zimmermann, der einige Jahre zuvor u. a. für Katja Ebstein „Diese Welt“ schrieb, produzierte, komponierte und arrangierte „Stop! Mach das noch einmal!“ (Text: Charly Niessen). Inzwischen recht emanzipiert ging Mary das Thema „Beziehung“ aus weiblicher Perspektive an. Obwohl der Song durchaus erfolgreich war und in die Verkaufshitparaden kam, war damit die langjährige CBS-Zeit vorbei, und Mary schloss einen Drei-Jahres-Vertrag mit der Hamburger Firma Polydor ab.
Mit der Plattenfirma wurde auch erneut der Produzent gewechselt – ein guter alter Bekannter, Michael Holm, übernahm fortan die Produktion. Los ging es mit der deutschen Version des Darian Dalda Bembo-Songs „Il ciliegio di casa mia“. Holm textete darauf „Die Einsamkeit in meinem Zimmer“. Ein Erfolg wurde nicht daraus, obwohl Mary nach wie vor sehr aktiv in den Medien war, beispielsweise moderierte sie am 19. Januar 1976 die legendäre Show „Musik aus Studio B“.
Auch ansonsten war Mary seinerzeit aktiv: Im Frühjahr 1976 übernahm sie im unter der Regie von Samy Molcho im Stadttheater Münster die Hauptrolle der Magnolia im Musical „Showboat“.
Die nächste Single wurde vom Team, das später große Erfolge mit G. G. Anderson feiern konnte, ersonnen, nämlich von Wolfgang Jass und Eckhart Stein. Der Text des erneut emanzipierten Liedes „Nimm Dir nie ein Teufelsweib“ („…sie ist nichts zum Zeitvertreib..“) stammt von „Samuel L. Goldfield“. Wenn man näher recherchiert, verbirgt sich daher ein gewisser Lothar Bernhard Walter, besser bekannt als .. naa? Richtig: Michael Holm. Es wäre spannend zu wissen, warum er nicht einfach seinen populären Namen als Textdichter angegeben hatte. Heraus kam jedenfalls ein mittelprächtiger Radio-Hit.
Parallel zur Single erschien 1976 eine gleichnamige LP mit Texten, die teilweise von Michael Holm, teilweise von „Samuel L. Goldfield“ geschrieben wurden (kleiner Scherz); teils aber auch von Hans Greiner, der sich u. a. auch einen Namen als Textdichter für Udo Jürgens gemacht hatte („Donnerstag“).
Auf dieser LP befand sich u. a. eine deutsche Version des Bill-Withers-Songs „Lean On Me“ – Michael Holm alias Mr. Goldfield textete darauf „Komm zu mir“. Mit diesem Song durfte Mary 1977 als erste und einzige deutsche Künstlerin überhaupt in der berühmten „Muppet Show“ auftreten – damals wurde für den deutschen Markt eine gesonderte Ausgabe mit Mary gedreht (- im Original war allerdings die Ikone Twiggy zu sehen, wobei kurioserweise Mary auch in der internationalen Fassung von Kermit namentlich erwähnt wurde).
Mit gleicher „Mannschaft“ wurde die erste 1977er Single produziert – aber auch „Santo Domingo“ blieb hinter den Erwartungen zurück, obwohl Mary mit diesem Stück nach fast sechs Jahren Abstinenz am 11. Juni 1977 mal wieder in der ZDF-Hitparade aufgetreten ist.
In jener Zeit hat damals die Auto-Firma Renault mit einer Melodie geworben, die Mary bereits 1972 aufgenommen hatte: „Hübsche Welt“ (Pretty World). Die Komposition von Delle Hansch wurde als Werbe-Musik für Renault genommen, daher gab es von CBS eine Sonderauflage der Melodie, auf der auch Mary Roos‘ Version des Liedes zu hören ist als Bestandteil der Single „Die Renault-Melodie“.
1977 war es wohl vorbei mit der Emanzipation für Mary Roos – „Samuel L. Goldfield“ textete den von seinem „Alten Ego“ Michael Holm produzierten Song „Ich bin Mary und nicht Jane“ (Original: „She Ain’t Johnnie“). Politisch korrekte Schlagerfreunde regen sich auf, dass in dem Lied die Tramperei verharmlos werde, dabei stand Mary doch artig an der Bushaltestelle – dort wurde ihr allerdings die Mitfahrt angeboten. Zu Hause angekommen passiert etwas, das so richtig „lebensnah“ ist: „erst trinken wir Tee, später Wein – und dann zeigt er mir ein Bild von seiner Freundin Jane“. Mit Fortgang der Erzählung erzählt Mary, dass sie schon „beinah schwach“ wird, aber stark bleibt: „Ich bin Mary und nicht Jane“.
Im wahren Leben lief es wohl etwas anders ab – in jenen Jahren lernte Mary ja den Jazzmusiker Werner Böhm kennen – sie war noch verheiratet. Werner war zwar auch so etwas wie Marys „Fahrer“ – so schildert er es zumindest in seinem Buch, trotz Weinkonsums hat er aber kein Foto von seiner Freundin gezückt – so war es möglich, dass Mary dann zu ihm in die von Heino metaphorisch als „vierte Hütte“ bezeichnete Wohnung in der „Ottersbekallee“ zog. Es ist nicht anzunehmen, dass er damals sang: „Ich bin Werner – und nicht Scardin – ich hab den Typen – noch nicht geseh’n“. Vermutlich hat auch Mary kein Foto gezückt, wobei der wohl den direkten Vergleich mit seinem „Nebenbuhler“ hätte scheuen müssen… – Jedenfalls zog Mary die Konsequenzen und ließ sich 1977 von Herrn Scardin scheiden.
Zurück zum Ernst des Lebens.. – der Country-Song war ein Radio-Hit und ist bis heute recht populär, ein Verkaufserfolg wurde er allerdings nicht, ebenso wenig schlug die gleichnamige LP („Ich bin Mary“) ein.
Anfang 1978 landete Mary wieder einen echten Hit, obwohl sie damit nicht in den Charts vertreten war (- das Schicksal teilt der Song überraschenderweise übrigens mit dem vom gleichen Komponisten geschriebenen „Biene Maja“-Song). Aber die Erkennungsmelodie der gleichnamigen Zeichentrickserie, „Pinocchio“, komponiert vom großen tschechischen Komponisten Karel Svoboda und getextet von „Florian Cusano“. Erneut wurde die Nummer von Michael Holm produziert. Kurze Zeit zuvor war Mary übrigens auch in Sachen „Kinderstunde“ unterwegs – sie wirkte an der beliebten ZDF-Kindersendung „Kli Kla Klawitter“ mit (- dort sang sie u. a. das „ABC-Lied“) und nahm wie erwähnt in den späten 60ern sogar eine Märchen-LP auf und sang auch immer mal wieder Kinderlieder.
Die letzte Single-Aufnahme bei Polydor würde ich gerne Herrn Trepper ans Herz legen wollen: In ihrem von Michael Holm getexteten Schlager „Samba d’Amour“ singe Frau Roos doch tatsächlich: „In der heißen Sommernacht hab' ich nie an Schlaf gedacht, – denn ich wollt' ein Abenteuer mal erleben. – In der Bar saß ich allein, trank die vierte (!!!) Flasche Wein – warum kann es nie ein Wunder für mich geben? – Wir waren gleich so vertraut beim ersten Blick- und dann spielte für uns die Musik. Sa Sa Sa Samba d'Amour, Gitarren erklingen. –Wohohohohohohohohoho – Sa Sa Sa Samba d'Amour, heut' wollen wir singen…“ – es ist übrigens nicht überliefert, wie viele Flaschen Wein Mary intus hatte, als sie Werner Böhm kennen lernte…
Jedenfalls war dieser Song die letzte Single bei Polydor, wo noch eine weitere LP erschien namens „Maryland“ – benannt nach der damaligen gleichnamigen TV-Show, die 1978 mit Mary Roos im Fernsehen ausgestrahlt wurde und die sehr erfolgreich war (- wurde in 25 Ländern verkauft -). Bemerkenswert an der LP ist übrigens insbesondere der Arrangeur – die LP war die erste „westdeutsche“ Arbeit von Uve Schikora, der sich später als Produzent und Komponist einen Namen gemacht hat. Er floh 1976 über Kuba aus der DDR in den Westen und fasste dort Fuß – die „Maryland“-LP war wie gesagt seine erste Arbeit, die er gleich – wie er später stolz zu Protokoll gab – autark abliefern durfte.
Während der gesamten Zeit bei Polydor gelang Mary nicht ein einziger Charts-Hit. Das änderte sich gleich mit der ersten bei ihrer neuen Firma, der Berliner Hansa, veröffentlichten Single: „Ich werde geh’n heute Nacht“ war die deutsche Version des Cliff-Richard-Superhits „We Don’t Talk Anymore“. Den Text schrieb Wolf Preuss – jener Wolf, der auch als Sänger gemeinsam mit Inga als „Inga und Wolf“ erfolgreich war. Der Text von der selbstbewussten Frau, die ihren fremdgehenden Partner verlässt, wurde sehr authentisch von Mary verkörpert. Hansa-Chef Thomas Meisel übernahm die Produktion der Erfolgs-Single, mit der Mary gleich drei mal in Dieter Thomas Hecks ZDF-Hitparade vertreten war – das ist ihr mit keinem anderen ihrer Lieder ansonsten gelungen.
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Stephan Imming, 10.10.2015
http://www.da-music.de
http://www.mary-roos.de