"KEINE SCHLAGER IM RUNDFUNK – DIE ABRECHNUNG"
Kritische Töne von smago! Leser und Schlager-Experte Stephan Imming!

ER kann sich mit diesem “ominösen Video”, wie er uns schreibt, “irgendwie absolut nicht anfreunden”…: 

Als Gaby van Dieken ihre Facebook-Gruppe (und Initiative) "Wieder mehr deutsche Musik im Radio" gründete, habe ich mich dem gerne sofort angeschlossen, weil auch ich mich für dieses Thema quasi Zeit Lebens engagiere und interessiere. Ich war unter anderem von ihrer Initiative überzeugt, weil sie die Sache als "Fan" betrieben hat und vermutlich bewusst nicht eigene Vorlieben eingebracht hat, sondern sachlich am Thema bleibt mit ihrem Engagement.

Anfangs fand ich auch die Beiträge sehr interessant, dort zu lesen – aber mit zunehmender Zeit gewinne ich den Eindruck, dass die Plattform missbraucht wird von allen möglichen Kleinst-Internet-Radiosendern und auf engstem Gebiet tätigen Schlagersängern.

Nicht falsch verstehen – auch ich betätige mich in sehr kleinem Umfeld als Schlagersänger in einem Duo, würde aber niemals auf die Idee kommen, das mit Frau von Diekens Seite in Verbindung zu bringen, was leider zunehmend getan wird, auch wenn explizit darauf hingewiesen ist, dass genau das NICHT erwünscht wird.

Seit einigen Tagen kursiert im Netz nun ein Video, das NICHT von dieser wichtigen Initiative initiiert wurde, sondern von einem Wolfgang-Petry-Double namens Denny Schönemann  in der Doku "Keine Schlager im Rundfunk – die Abrechnung" – schon der Titel machte mir ein mulmiges Gefühl, weil er plakativ und emotional ist und so an "Bild-Zeitungs-Niveau" angelehnt ist – damit werden wieder sämtliche Vorurteile bedient, dass Schlager-Hörer und Schlager-Fans eher der unteren Bildungsschicht angehören, was zumindest nach meinen Beobachtungen absolut nicht stimmt.

Gleich am Anfang wird im Vorspann klar gestellt, wer hier die Forderung aufstellt: "Star Promotion", also offenkundig eine Promo-Firma für Schlager.

Der Einsteg in den Film ist die Vorstellung des Gastwirts(!) Andreas Hoppe, der bei einer Veranstaltung den Nachwuchssänger Peter Pach gehört hat und den ganz toll fand und deshalb der Meinung war, der müsse unbedingt im MDR-Radio gespielt werden. Aus einer höflich formulierten Absage wurde die Folgerung geschlossen, dass die zuständige Redakteurin eine "ganze Branche kaputt machen" wolle.

Gastwirt Hoppe beschloss, seinen Kumpel Denny Schönemann zu informieren, der sich ganz "uneigennützig" (für seine neue, zweite, Single wird zwischenzeitlich Werbung gemacht und seine Musik wird immer wieder eingeblendet) für mehr Schlager im MDR einbringen will und eine Reportage machen möchte.

Im Folgenden setzen sich folgende Schlager-"Experten" für deutschen Schlager im Rundfunk ein

Klaus Beer (Inhaber der Kneipe "Fenwehdinner")

Bert Beel (Moderator des Berliner Schlagersenders B2 und ehemaliger Schlagersänger)

Kerstin Rempt (Schlagersängerin – auch ihr Song wird in der Doku "uneigennützig" eingespielt)

Sascha Eibisch (Keyboarder der Kult-Band "Relax" – leider "vergisst" man in der Doku zu erwähnen, dass er diese Funktion erst seit 2009 innehat und somit mit den großen Hits der Band so gar nichts zu tun hat)

Ulli Schwinge (der Sänger mit "klassischer Ausbildung" beklagt sich, dass eine "Kultur stirbt" und wünsch sich ein "gutes Musikverhältnis mit einem guten Verhältnis Deutsch-Englisch)

– Schlagerproduzent Jörg Lamster (prduziert z. Zt. G. G. Anderson – auch hier wird "vergessen" zu erwähnen, dass dessen Erfolgs-Produktionen aus der Zeit vor Lamster stammen) – der stellt die gewagte These auf, dass die Rundfunkstationen genau die Entwicklung verschlafen, die Quelle gegen Amazon verschlafen hat und beklagt ganz "uneigennützig", dass die Urheberrechte internationaler Oldies im Ausland liegen.

– Schlagersänger Peter Sebastian äußert sich (aus meiner Sicht) angenehm neutral – er wünscht sich ein ausgewogenes Musikprogramm und bemerkt, dass WENN schon der Focus auf Oldie-Programm liegt, doch bitte auch DEUTSCHE Oldies gespielt werden sollen wie die von Drafi Deutscher, Peter Alexander, Freddy Quinn und anderen.

 

Chris Wolff, Schlagersänger, der vor über 25 Jahren mal erfolgreich war, beschwert sich auch über fehlenden Schlager im Rundfunk.

 

– Schlagermove-DJ Kay-Uwe Schade macht seinem Namen Ehre, indem er es "schade" findet, dass keine Schlager im Radio laufen – aus seiner Erfahrung wollen die Leute Schlager hören.

 

– Udo-Jürgens-Coversänger Michael Kux wünscht sich auch mehr deutsche Musik im Radio (auch von ihm wird ganz "uneigennützig" ein Video-Clip-Ausschnitt gezeigt).

 

Darüber hinaus kommen folgende Schlager-Größen zu Wort, die in erster Linie im Rahmen einer einzigen Veranstaltung ("Star Pyramide") sich für den Schlager einsetzen – in meinen Augen ist es kein Wunder, wenn die Leute sich entsprechend äußern, ein großer Aufwand wurde hier nicht betrieben – die Sänger äußern sich dazu vornehmlich auf Anfrage und nicht eigeninitiativ, wie es etwa Michelle in Oberhausen bei der WDR 4 Schlagerparade getan hat:

Peter Kent (, der ja eigentlich ausschließlich mit englischen Titeln erfolgreich war),

Michael Holm (- er beklagt sich wie Kollege Lamster, dass das Geld der "Chirpy Chirpy Cheep Cheep"-Macher ins Ausland wandert und nicht bei deutschen Schlagerproduzenten bleibt)

Nicki ("die lügen doch alle!")

Regina Thoss (sehnt sich nach DDR-Zeiten zurück, in denen noch staatlich eine Quote vorgegeben wurde)

Gaby Baginsky (fühlt sich diskriminiert)

Jürgen Drews (macht Werbung für seinen demnächst kommenden Song, den er mit den Amigos im Köcher hat)

Rosanna Rocci (empört sich über zu wenig deutsche Musik und zieht die Konsequenz, dann eben italienisch zu singen – ihr scheint deutsche Musik ja ein wirklich echtes Anliegen zu sein)

 

In einigen wenigen Passagen darf die "Gegenseite" in Form einer einzigen Person zu Wort kommen – meines Erachtens hat sich MDR-Pressechef Thomas Ahrens sehr wacker geschlagen und trug u. a. folgende Argumente vor:

– Schlager polarisiert. Freunde des Schlagers sind tolerant und hören auch internationale Oldies. Freunde von Oldies hingegen lehnen Schlager kategorisch ab. (Übrigens finde ich das ein tolles Kompliment für die eigentlich vorhandene Weltoffenheit der Schlagerfreunde).

 

– Schlager-Veranstaltungen (damals auch vom MDR mit produziert) und TV-Sendungen waren und sind erfolgreich. Das gilt auch für Volksmusik-Produktionen. Volksmusik wurde schon vor längerer Zeit aus dem Radio(!)-Programm genommen, nun hat man auch Schlager weitgehend aus dem Radio-Programm entfernt, weil lt. Erhebungen der Radio-Hörer Schlager nicht hören will.

 

– Als Radio-Sender hat man den Auftrag, seinem Hörer zu gefallen. Eine Quote macht keinen Sinn, vielmehr muss man sich an Umfragen unter den Hörern orientieren. Mit viel Aufwand wird Marktforschung betrieben.

 

– Es ist zwar legitim, dass sich Schlagersänger und -produzenten eigennützig pro Schlager engagieren – aber auch in der freien Wirtschaft können Produzenten den Einsatz bestimmter Produkte nicht dem Händler aufoktruieren – letztlich bleibt es Sache des Händlers.

 

Diesen Argumenten kontert Michael Holm mit der Bitte, doch nicht zu behaupten, keiner wolle Schlager hören, sondern doch dann lieber "ehrlich" zu konstatieren, dass man als Radio-Macher einfach den Schlager und seine Fans hasst. (Wenngleich auch das ein provokant-plakatives Statement ist, hat es mir gefallen, weil da sicher auch was dran ist).

 

Obwohl ich als großer Freund des deutschen Schlagers voreingenommen bin, haben mich klar die Argumente des MDR-Vertreters überzeugt, weil Herr Ahrens sachlich auch Gegenargumente genannt hat und seine Sicht der Dinge dazu beschrieben hat, während eigentlich die gesamte Dokumentation unsachlich mit plakativer Emotionalität gearbeitet hat und nicht mal im Ansatz auch einen sachlichen Blick für den Kontrahenten hate. Für mich ist dieser Film ein Bärendienst am deutschen Schlager und an der Initiative Gaby van Diekens.

 

Wenngleich Manfred Knöpke, Vorsitzender der ADS (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager) sich hinter diesen Film stellt, hebt sich seine Stellungnahme sehr angenehm von dem Film ab.

Ein in meinen Augen mehr als wichtiger Hinweis Herrn Knöpkes war der Rückblick auf die Zeiten, als die ZDF-Hitparade eingestellt wurde und auch eine Zuschauer-Initiative dagegen geplant wurde, die sich angesichts der geringen Zahl der Mitstreiter selbst ins Lächerliche zog.

Aus meiner Sicht wäre insofern sehr wichtig, wenn sich bedeutende (!) und populäre (!) Leute der Branche zusammentun würden von allen Beteiligten – sprich Schlagersänger, Komponisten, Texter, Komponisten, Journalisten, Manager, Medienleute, Veranstalter und nicht zuletzt sicher auch Fans.

Wenn sich aber der Eindruck aufdrängt, dass die Initiative weniger der Sache und mehr einem Popularitätsschub zur Zeit eher unerfolgreicher und unbedeutender Sänger und Leuten aus der Branche dient, halte ich das für absolut contraproduktiv.

 

Bitte nicht falsch verstehen – die Sache ist auch für mich eine absolute Herzensangelegenheit, sie muss aber gut, durchdacht und vor allem sachlich vorgetragen werden. Mit diesem Polter-Video hat man der Sache aus meiner Sicht absolut keinen Gefallen getan – sorry!

Stephan Imming, 18.02.15

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