BRIGITT
Die CD "Reifeprüfung" im Test von Holger Stürenburg!

Das Album ist einer DER Geheim-Tipps momentan! 

Als mir die smago!-Chefredaktion kürzlich das neue (und zugleich erste) CD-Album der in München lebenden Sängerin und Liedschreiberin BRIGITT zwecks intensiver Rezension schmackhaft machte, war mir über diese Dame noch rein gar nichts bekannt. Ich begann im Netz zu forschen und eruierte: BRIGITT ist dem Anschein nach kein Teeniegirl mehr, verfügt bereits über zig berufliche Vorerfahrungen als professionelles Model, NDR-Moderatorin, Sängerin in verschiedenen Bands, als Komponistin, Kinderbuchautorin etc. und hat nun, ohne große Plattenfirma im Rücken, vertrieben über ARTISTS & ACTS, ihre musikalische „Reifeprüfung“, so der Titel vorliegender Silberscheibe, absolviert.

Das überaus gekonnt und mit bester künstlerischer Raffinesse auf 50er/60er Jahre-Style getrimmte, schwarzweiß gehaltene Coverphoto – ein helles, lasziv-träumerisch blickendes Gesicht der Sängerin, umhüllt von grauer Kopfbedeckung, auf tiefschwarzem Hintergrund – lässt den Kenner bei Inanbetrachtnahme sogleich vermuten, musikalisch könne Brigitts „Reifeprüfung“ stilistisch im Grunde genommen nur in einem elitären, großbürgerlichen Chanson-Ambiente zu Hause sein. Und diese Annahme trifft, bereits vor dem Anhören gleichnamigen Albums, im Großen und Ganzen sehr wohl den Kern der Sache.

„Reifeprüfung“ beinhaltet 13 durchwegs kesse, liebfreche, dabei punktgenau kompakt und dramaturgisch perfekt aufgebaute und umgesetzte Liedbeiträge, von der Interpretin überwiegend selbst (mit)komponiert, zudem in Gänze ihrerseits eigenständig betextet, sowie eine relaxed-minimalistische, im Tempo einwenig angezogene Neuversion von Dalidas augenzwinkerndem Chanson-Drama „Er war gerade 18 Jahr“, seitens Ethno-/Swing-DJ Rupen Gehrke und dessen Kollegen Emin Corrado musikalisch in knackig-modernem Electropop-Sound verpackt, der darüber hinaus mit leichten, luftigen Reggae-Anspielungen versüßt wurde.

Brigitt, die stolz betont, ihr „eigenes Label“ und folglich unabhängig von den Marktmechanismen der Plattenmultis zu sein, hat bei der Entstehung von „Reifeprüfung“ mit vier verschiedenen Produzenten(-teams) kooperiert. Obschon die Hauptbeteiligten, also sowohl der Hamburger Ivo Moring, als auch seine aus Flensburg stammenden Kollegen Mark Nissen und Hardy Krech (genannt „Elephants“), in ihrer sonstigen Studiotätigkeit überwiegend fast ausnahmslos im sehr modernen, gegenwartsbezogenen Popschlager/Deutschpop/Dance- und Party-Spektrum aktiv sind, ist die Unterschiedlichkeit ihrer jeweiligen Arbeitsweise mit Brigitt unüberhörbar.

Während Ivo Moring, der zuletzt beachtliche Erfolge mit zeitnahen Pop/Schlager-Alben von z. B. Maria Levin oder Francine Jordi feierte, bezüglich seiner Ausrichtung auf eine seichtere, radiotauglichere, zuvorderst an den Hörgewohnheiten breiterer Schichten angepasste Produktionsweise scheinbar von Lady Brigitt persönlich nicht selten regelrecht in seinem jugendlichen Eifer gebremst werden musste, damit er die Ecken und Kanten ihrer süffisanten und jederzeit effektiven Edelpopkleinode nicht allzu sehr zugunsten kommerzieller Verwertbarkeit abschliffe, dringen die beiden „Elephants“ aus dem hohen Norden bei ihrem produktionstechnischen Vorgehen authentisch, ehrlich, in gewisser Betrachtungsweise roh, erdverbunden und außerordentlich stimmungsvoll in völlig Mainstream-ferne Gefilde von schummrig-nächtlichem Erotikchanson und deftigem, quietschendem Großstadtblues-Lamento ein – und dies, obgleich die beiden in letzter Zeit ebenso, wie Moring, eher mit verkaufsträchtigem Radikal-Kommerz a la „Oonagh“ oder „Santiano“ an die Öffentlichkeit getreten waren.

Und doch tönen bei näherem Hinhören gleichsam die von Ivo Moring ausgekleideten, gesungenen Empfindungen von Brigitt in ihrer Mehrheit alles andere als übel, wenn halt auch leider manchmal zu deutlich in einem, gewissen „Pop-Zwängen“ unterworfenen (und doch von Brigitt immer wieder in anspruchsvollste Bahnen gelenkten) Klangmodus, der auch gegenüber „Puristen“ überzeugend und ohne stärkere Bauchschmerzen vertretbar ist.

„Jetlag“, der als erste Single vorab ausgekoppelte Eröffner der „Reifeprüfung“, ist so eine lockig-flockig-juvenile Swing-Pop-Melange, bei der man Morings Handschrift betreffs Arrangement deutlich heraushört. In lyrischer Hinsicht betört dieses Lied allerdings ganz besonders ausgenfällig, da der Rezipient, zumindest beim ersten Hören, vielleicht vonseiten Brigitts einwenig liebevoll aufs Glatteis geführt wird. Man könnte zunächst annehmen, hier würde ein ganz normaler Flug in irgendeinem Flugzeug von einer Stadt in die andere fragil erläutert… doch in Wahrheit dreht sich der so querdachte, wie geradezu famos ausformulierte Text um den „Flug“ durch das Leben: Jeder von uns fliegt durch und in seinem Dasein – und, wie Brigitt zum Schluss so niederschmetternd, wie ehrlich konstatiert, manch einer fliegt „ja nicht das erste Mal auf die Fresse“ (Textzitat).

Die strikt grazil-zerbrechliche und dabei vor Sehnsucht nur so durchdrungene und überschäumende Gitarren-Ballade „Vorbei“ erzählt von einer Frau, die sich, ganz kurz nach der Trennung von ihrem Partner, nach ihm sehnt und inständig hofft, er, dessen Namensschild noch an der Haustür prangt, und dessen Hemd weiterhin auf dem Bügel im Schlagzimmer hängt, käme vielleicht doch noch einmal… vorbei“.

Ist „Vorbei“, aller lyrischer Tiefe und gefühlvoller Intonation zum Trotz, seitens Ivo Moring mit wattig-weichen Synthi-Teppichen und gleißendem Popappeal ausgestattet worden, so fährt Titel Numero Drei, „Und sie lacht“, ganz andere musikalische Kaliber auf. Diesmal saßen (sic!) Mark Nissen und Hardy Krech hinter den Reglern und heraus kam dabei ein bereits vom klanglichen Flair her so faszinierend-elektrisierendes, feurig-sinnliches, latent mediterran angehauchtes Jazz-Tango-Folk-Chanson bester Machart, ausstaffiert mit zurückhaltendem Schlagzeug, zig, ebenfalls unaufdringlichen Percussions und einer führenden, knarzigen Violine. Brigitt berichtet darin mit erneut feinsinnig gewählten Worten über eine tieftraurige Frau, die versucht, mittels greller Fröhlichkeit, Schönheit und Geselligkeit, ihre eigentlich enorm schwerwiegenden Sorgen und Nöte konsequent wegzulachen, wegzulächeln, wegzufeiern. Dieses wundervoll stimmungsstarke Lied muss fraglos als einer der herauszuhebenden Höhepunkte von Brigitts „Reifeprüfung“ apostrophiert werden, hat mit gemeinem Pop und/oder Schlager nicht das geringste zu tun und fiele im Repertoire der ganz Großen dieses Metiers, wie z.B. Klaus Hoffmann oder Konstantin Wecker, keinesfalls negativ auf!

Einmal wieder in poppigere, radiokompatiblere Umgebung führt daraufhin der betont sanfte (und doch unisono so offensiv-fordernde), verregnet-herbstliche (leider unsinnigerweise wiederum um zig moderne Effekte und Klangspielereien angereicherte) – vermutlich von diesem niemals beantwortete – „Fragenkatalog“ – an einen Ex-Freund, „Hast Du jemals…?“. In diesem bittet das weibliche Lied-Ich ihren Verflossenen eindringlich, ihr endlich einmal zu verstehen zu geben, ob er, nach dem Beziehungsende, jemals wegen ihr wachgelegen, über sie länger nachgedacht, alte Photos aus besseren Tagen angesehen oder womöglich versucht habe, sie vielleicht sogar mal anzurufen – SIE hat all dies getan, als ER fort war… ob ER hingegen ebenso viele Gedanken an die vergangene Liaison mit IHR gesteckt hat, bleibt unbeantwortet.

Nun sind wieder Mark Nissen und Hardy Krech an der Reihe… und wir hören den zweiten Mega-Höhepunkt aus „Reifeprüfung“: „Dieses Lied“ erinnert melodisch und von den aufbrausenden E-Gitarren her an Gary Moores genialischen Slow-Blues-Klassiker „Still got the Blues“ aus gleichnamigem Top-Album, mit welchem der viel zu früh verstorbene, irische Gitarren-Maestro vor einem Vierteljahrhundert den traditionellen Blues und Bluesrock versuchte, in die uncoolen 90er Jahre zu retten. Ein grandioser, brodelnder Großstadtblues voller Energie und Power erläutert das (titelbezogen ungenannte) Lieblingslied der Interpretin, zu dessen Melodie sie einst ihre längst vergangene, große Liebe getroffen hatte und bei dessen Wiederhören sie ein ums andere Mal von mal wohligen, mal traurigen, immer stets innigen und intimen Gedanken und Gefühlen durchzogen ist.

Im flinken, rasenden Gitarrenpop-Chanson „Singe Dein Lied“ beweist Ivo Moring, dass er trotz Pop-Herkunft, zweifellos eine ganze Menge von den schwülstigen Welten des frankophilen Chansons versteht. Dieser krosse, treibende, akkordeongeschwängerte Ohrwurm könnte problemlos als einwandfrei gelungene, so coole, wie gleichermaßen heißblütige Mixtur aus traditionellen Jacques-Brel-Sphären und akustischem Neo-Folk der ausgehenden 80er a la „Nah Neh Nah“ der belgischen Poptruppe „Vaya Con Dios“ klassifiziert werden.

Erneut in einem feminin-genussvollen Kontext verharrt in trefflichster Manier der wieder mal mit knisterndem Akkordeon verfeinerte Soft-Tango „Er steht mir“, der zum wiederholten Mal eindrucksvoll beweist, dass sich Ivo Moring niemals dazu verpflichtet fühlen sollte, per se phantastischen Kompositionen unnötige moderne Elemente beizuordnen, um eine Produktion energetisch und ungekünstelt und dennoch markttauglich und solide in einem ertönen zu lassen – „Er steht mir“ zeigt in aller Form, dass derartige Sperenzchen, gerade bei von vornherein Mainstream-ferneren Songthemen, tatsächlich nie und nimmer sein müssen.

Auf bereits erwähnte, plietsche Neuauslegung von „Er war gerade 18 Jahr‘“, folgt eine weitere, äußerst behutsam und schonend schleichend arrangierte Pop-Chanson-Ballade namens „Die wahre Liebe verpasst“, woraufhin sich Brigitt ein ganz besonderes klangliches Bonbon, eine reale Rarität, zwecks Reanimierung vorgeknöpft hat: Die belgische Folkpopband „Vaya Con Dios“, an deren größten Hit „Nah Neh Nah“ (1990) sich, wie dargelegt, Brigitts Eigenkomposition „Singe Dein Lied“ nicht unwesentlich anlehnt, hatte auf ihrem 2004er-Comebackalbum „The Promise“, neben wie zuvor auf Englisch gehaltenen Beiträgen, auch das ungewohnter Maßen auf Deutsch verfasste Pop-Chanson „Es wird schon wieder gehen“ im Repertoire. Diesen opulenten, latin-angehauchten, swingend-schlürfenden Emotionsausbruch hat Brigitt nun, elf Jahre später, aus den Archiven gefischt und, zusammen mit Produzent Ivo Moring, kongenial und glaubwürdig für ihre „Reifeprüfung“ aufgearbeitet und ins Heute und Hier transferiert. Gemütlich, gemächlich entspannt, geradezu zärtlich, schwebt nun, auf dezent perlender Gitarrenbasis, das lieblich-liebevolle, prickelnd jungmädchenhaft intonierte Gefühlsszenario „Nur, dass er mich liebt“ aus den Lautsprechern, das textlich am Ende eine unerwartet tragikomische Wendung nimmt…

Der hochmelodische „Talisman“, ein hoffnungsvolles Abschiedslied an den flügge gewordenen Sohnemann, diesmal produziert und komponiert von Florian Starflinger, einem mehrfach ausgezeichneten Violinisten und Gitarristen aus Süddeutschland, ist treibend, trotz weitgehend akustischer Inszenierung, beinahe rockig, hymnisch ausgefallen. Auch „Was bleibt“ handelt von einer Verabschiedung und besingt auf feinfühlige und gefühlsbetonte Weise eine Trennung zweier Menschen, die sich Zeit ihrer Beziehung so viel gegeben haben, dass nun nichts mehr zu geben ist, so dass SIE sich am Bahnhof von SEINER haltenden Hand losreißt, auf den Zug aufspringt, in die kalte Nacht hineinfährt, aber sich auf ihrer einsamen Fahrt in die vorläufige Einsamkeit immer wieder umdreht, um sich das durch den Kopf gehen zu lassen, „was von dieser Beziehung bleibt“!

Mit dem so nachdenklichen, wie zarten und zugleich abgeklärten Schleicher „Nichts, wie es war“, über einen enttäuschenden Ausflug an die Stätten der Kindheit, an denen, so viele Jahre später, nichts mehr ist, wie es früher einmal war, endet eine wahrlich fulminante Liedersammlung einer hochtalentierten Sängerin und Songschreiberin, deren Begabungen weniger in poppigen Tätigkeitsbereichen, denn in originären, mal sensiblen, mal brachial intensiven Chanson-, Jazz- und Blues-Milieus so richtig zur Geltung kommen. Brigitt verfügt über eine immens variable Gesangsstimme, vom naiv-verliebten Twen bis zur betrübten und ernüchterten, lebenserfahrenen Frau, hat sie vokalistisch alle nur erdenklichen Facetten drauf. Spannungs- und inhaltsreiche, sprachlich gut austarierte Texte schreibt sie ebenfalls. Hinsichtlich der Instrumentierung ihrer durchgehend wohlschmeckenden klingenden Kleinode sollte die Lady manchen ihrer jüngeren Produzenten gut im Zaum halten bzw. mehr und mehr in Richtung der Grundsubstanz genannter drei Musikstile geleiten. Für oberflächliche Popvergänglichkeit und diffuses Radioeinerlei sind Brigitts Lieder viel zu schade, weil zu ausgetüftelt, zu gehaltvoll, zu einfühlsam. „Reifeprüfung“ mag Brigitts ebensolche als Solokünstlerin darstellen. Diese hat sie mit Bravour bestanden. Es ist davon auszugehen, dass sie uns in Futuro immer wieder von ihrer Reife in puncto kreativen Songschreibens, singenden Geschichtenerzählens kraftvoll und aufregend überzeugen wird.

So hat mir also die smago!-Chefredaktion, der, ebenso wie vielen Leserinnen und Lesern, durchaus bekannt ist, dass ich schrägeren, exzentrischeren, teutonischen Popklängen, die gerne mal in den Liedermacher-, Folk- oder Bluesbereich fallen können, von jeher sehr aufgeschlossen bin, im Grunde genommen ein ganz genau auf mich zugeschnittenes Thema vorgeschlagen! Die „REIFEPRÜFUNG“ von BRIGITT dürfte  von nun an, auch im Privatleben, häufiger in meinem CD-Spieler rotieren!

Holger Stürenburg, 18. bis 21. Oktober 2015

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