ROY BLACK, DRAFI DEUTSCHER, MANUELA, WENCKE MYHRE, RONNY, BERND SPIER u.a.
Die Doppel-CD "Die Schlager des Jahres 1965" im Test von Holger Stürenburg!

Darauf enthalten: 44 Schlager-Klassiker, die vor 50 Jahren top-aktuelle Hits waren! 

Vor mir liegt eine prallgefüllte Doppel-CD, die da heißt „Die Schlager des Jahres 1965“. Insgesamt 44 nicht immer, aber fraglos häufig weithin bekannte Popglanzstücke und Oldieklassiker, aber auch ein paar rare, nicht mehr allzu vertraute (und trotzdem oft durchaus gehaltvolle und wiederhörenswerte) Kurzzeiterfolge von vor genau einem halben Jahrhundert, haben die zumeist ja sehr detailverliebt und thematisch genau hantierenden Kollegen des oberbayrischen Labels Music Tales / Spectre Media aus den Archiven hervorgekramt und – für den versierten Musikgeschichtler ebenso faszinierend und unterhaltend, wie für den wissbegierigen Schlagerfreund und peniblen Sammler – auf zwei Silberscheiben zusammengefasst.

50 Jahre ist 1965 nun schon her. Nicht wenige von uns – den Rezensenten eingeschlossen – waren damals noch gar nicht auf der Welt. Viele Hitparadenstürmer jener Tage kennen wir also nur vom Hörensagen und/oder durch unsere Eltern und Großeltern, für die diese guten, alten Lieder genauso viel Bedeutung und Emotionen aufwiesen, wie für meine Altersgenossen und mich, als Schlager- und Popkinder der 80er Jahre, z.B. Roland Kaiser oder Howard Carpendale bzw. für den (zum Glück immer größer werdenden) schlageraffinen Teil der heutigen Generation Helene Fischer oder Andrea Berg. Auch das meiste, was damals im politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben so vonstattenging, ist den Nachgeborenen, so sie sich überhaupt für Zeitgeschichte interessieren, nur aus Erzählungen, Büchern, Filmen oder alten YouTube-Videos bekannt. Daraus folgend, sollen nun, bevor ich mich genauer mit den musikalischen Ereignissen des Jahres 1965 beschäftigen mag, erst mal ein paar der der bedeutsamsten Geschehnisse jener „Ruhe vor dem Sturm“-Ära der Endausläufer der glückseligen Adenauer-Jahre, zwischen der ersten Phase des Kalten Krieges und der langsam ertasteten Entspannungspolitik mitsamt der damit verbundenen leisen Öffnung gen Osten, zwischen dem abflauenden Wirtschaftsboom der Gründerjahre und der ersten, zwar nicht erhofften, aber im Sinne des ökonomischen Zyklus vollkommen erwartbaren Rezession in der noch jungen Bundesrepublik, zwischen dem beginnenden Aufbegehren der Nachkriegsjugend und den politisch brisanten, gesellschaftlichen Umwälzungen der Studentenbewegung 1968, kurz skizziert werden.

So feiern 2015 nicht nur z.B. der ewige „Tim Thaler“ Thomas Ohrner, Ex-CDU-Bundesumweltminister Norbert Röttgen, oder US-Fettnäpfchen-Treter Charlie Sheen ihren 50. Ehrentag, sondern werden auch die TV- und Kinoschönheiten Desiree Nosbusch, Julia Stemberger oder Brooke Shields dieses Jahr „49 plus Eins“ Jahre alt. 1965 wurde in New York der legendäre Tränendrüsendrücker-Streifen „Doktor Schiwago“ als Originalversion uraufgeführt und in Deutschland die synchronisierte Fassung von Sergio Leones nicht weniger sagenumwobenem Italowestern „For a Few Dollars more“ den Kinobesuchern zugänglichgemacht, der hierzulande als „Für eine Handvoll Dollars“ Filmgeschichte schrieb.

Die große Politik war in unseren Breitengraden in erster Linie von der Wahl zum V. Deutschen Bundestag bestimmt. Diese ging am 19. September 1965 über die Bühne und führte zu einer erneuten Koalition von CDU/CSU und FDP, nachdem der beim Wahlvolk sehr geschätzte, einstige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) schon 1963, während der vorherigen Legislaturperiode, zum Nachfolger Konrad Adenauers im Amt des Bundeskanzlers gewählt worden war. So trat nun der rundliche Schwabe erstmals als Spitzenkandidat der Unionsparteien an und konnte diese mit 47.6 Prozent wiederum als stärkste Kraft ins Ziel bzw. ins Bonner Parlament bugsieren. In Frankreich setzte sich der konservative Charles de Gaulle bei seiner Wiederwahl zum Präsidenten der Fünften Republik erfolgreich gegen seinen späteren Amtsnachfolger, den jungen Sozialisten Francois Mitterand durch; in den USA wurde Kennedy-Erbe Lyndon B. Johnson im Januar als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt; in Vietnam nahmen die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Vietcong und Südvietnam immer ernsthaftere Züge an.

Im musikalischen Leben in Deutschland fanden zunehmend englischgesungener Beat, Pop und Bluesrock Eingang in die offiziellen Hitparaden. Was die Nummer-Eins-Hits des Jahres 1965 betrifft, so hielten sich angloamerikanische Rock- und Pop-Produktionen die Waage mit solchen Liedern, die man gemeinhin in die Rubrik „Deutscher Schlager“ einordnet, auch wenn zwei Interpreten darunter fielen, die, wie Cliff Richard („Das ist die Frage aller Fragen“) aus Großbritannien bzw. Nini Rosso („Il Silenzio“) ursprünglich aus Italien stammten, und somit nicht deutscher Herkunft waren. Tatsächlich brachte die internationale Popszene gerade in den hier beschriebenen zwölf Monaten eine Menge an Beiträgen hervor, die längst als unverbrüchliche Zugnummern des Rock gelten. Als Beispiele hierfür zu nennen seien Bob Dylans „Like a Rolling Stone“, „(I can’t get no) Satisfaction“ von den „Rolling Stones“, der von Dylan geschriebene, aber von den US-Folkrockern „The Byrds“ nachempfundene, spätere Hippie-Hymnus „Mr. Tambourine Man“ oder der überdrehte Hilfeschrei „Help“ von den in jenen Tagen schier unvermeidlichen „Beatles“.

Doch auf vorliegender Doppel-CD „Die Schlager des Jahres 1965“ kommen fast ausschließlich mit deutschem Gesang angereicherte Melodien aus dem Bereich der Leichten Muse zum Einsatz, abgesehen von zwei Instrumentaltiteln („Letkiss“, „Il Silenzio“), und einem in einer Art Babysprache gehaltenen Haudrauf-Beat-Epos, das von einer deutschen Beat-Truppe namens „The Rainbows“ verhackstückt worden war. Darüber hinaus haben die Music-Tales-Experten von Bobby Solos Top-19-Single „Ich bin verliebt in Dich, Christina“ die auf Italienisch gehaltene Urdeutung „Cristina“ für ihre aktuelle 1965er-Komplilation bei SONY anlizenziert.

In der Top-30-Jahreshitparade des „Musikmarktes“ stand es 1965 17 zu 13 für allgemein dem Begriff „Schlager“ zuzuordnende Titel, wobei diese Liste von der bereits erwähnten (von mir dazugerechneten) Trompetenballade „Il Silenzio“ angeführt wurde. Neun Songs aus dieser Jahresendauswertung erhalten nun Raum auf der Doppel-CD „Die Schlager des Jahres 1965“. Vom zweimaligen Spitzenreiter Ronny suchten die Verantwortlichen allerdings nicht dessen Toperfolge „Kenn ein Land“ und „Kleine Annabell“ heraus, sondern nutzten stattdessen zwei (noch zu beschreibende) kommerziell nicht ganz so rentable klingende Köstlichkeiten, von Freddy Quinn, der zwei Singles in der Jahresliste 1965 hatte platzierten können – „500 Meilen von zu Haus“ und „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ –, hören wir leider keine der beiden auf dieser Doppel-CD

Ansonsten… lasst uns nun einfach starten mit einer kleinen Analyse der 44 „Schlager des Jahres 1965“, von denen zwar beileibe nicht alle, aber zumindest rund etwas mehr als ein Viertel durchaus in der Kategorie ‚unvergesslicher Evergreen mit Ewigkeitsgarantie“ heimisch geworden sind! In dieser erlauchten Gattung finden sich – wie kann es anders sein? – die beiden nur als virtuos genial zu klassifizierenden Beat-Ohrwürmer „Marmor, Stein und Eisen bricht“ (Rang 1) und „Heute male ich Dein Bild, Cindy Lou“ (Rang 3), gewichtig und offensiv gesungen von dem damaligen regelrechten Aufwühler der bis dato überwiegend artig und bedächtig vor sich hin schlürfenden, alteingesessenen Musikszene, Drafi Deutscher. Jene – für hiesige Popverhältnisse dieses Zeitalters ohnehin ungewöhnlich laut, kraftvoll, stark und somit geradezu mutig und provokativ rhythmisierte – Brachial-Gassenhauer begründeten den noch heute andauernden Kultstatus ihres vor neun Jahren verstorbenen Interpreten und dienen auch 2015 immer wieder bei Schlagerpartys und Oldiefeten als tanzflächenfüllende Discothekenrenner.

Ebenfalls bis heute einen herausgehobenen Ruf im nationalen Schlagergeschehen genießt die insgesamt dritte Single von Schnulzenlegende Roy Black: „Du bist nicht allein“ (Rang 4) ist eine wahrlich elitäre, wiegende, sogleich in die Gehörgänge fließende, so sanfte, wie liebevoll mutmachende Komposition des Münchener Liedschreibers Rolf Arland, versehen mit einem so schlichten, wie lyrisch den Kern der Sache punktgenau treffenden Text von Kurt Hertha, die seinerzeit von Roys Plattenfirma Polydor als eine Art „deutsche Antwort auf Elvis‘ „Are you lonesome tonight““ betrachtet und als ebensolche ins Rennen gesandt wurde. Weiters wohl dauerhaft im Gedächtnis der Oldiefans verhaftet sind z.B. Wencke Myhres burschikoser, aufgeweckter Sommerhit „Sprich nicht drüber“ (Rang 5), aus der Feder von Rudi von der Dovenmühle, die ebenso frech und keck vorgetragene, sehr britisch inszenierte Christian-Bruhn-Komposition „Küsse unter’m Regenbogen“ (Rang 7) von Manuela oder die von der aus Pennsylvania stammenden Teenieschönheit Peggy March so schwärmerisch, wie herzzerreißend besungenen Jungmädchen-Wünsche „Mit 17 hat man noch Träume“ (Rang 2), mit denen die langmähnige, einstige Nachwuchshoffnung, die erst ein Jahr zuvor in die Bundesrepublik gekommen war, die „Deutschen Schlager-Festspiele 1965“ in Baden-Baden einwandfrei für sich entscheiden konnte. Peggys weitere Singleveröffentlichungen im hier erläuterten Jahr, die hoffnungsvolle Ode auf ein baldiges Wiedersehen des Liebsten, „Good Bye, Good Bye, Good Bye“ (Rang 8), und die jedoch etwas allzu weinerliche Country-Schnulze „Die schönen Stunden geh’n schnell vorbei“ (Rang 25) fanden ebenfalls Berücksichtigung auf „Die Schlager des Jahres 1965“.

Im zarten Alter von kaum 16 Jahren, debütierte der auf der ionischen Insel Korfu geborene, künftige Weltstar Vicky Leandros mit seiner allerersten deutschsprachigen 45er „Messer, Gabel, Schere, Licht“, die, erdacht vom Hamburger Liedautor und Musikverleger Ralf Arnie, das bereits damals mit prägnantem, robustem Stimmorgan ausgestattete, brünett gelockte Mädchen sogleich auf Rang 15 der Singlehitparaden katapultierte und auf diese Weise der vielseitigen Griechin einen mehr als nur passablen Einstiegstreffer ermöglichte. 

Der unangefochtene Bestseller vor genau 50 Jahren war, wie bereits dargelegt, die auf einer Zapfenstreich-Weise beruhende Trompetenballade „Il Silenzio“ des Turiner Jazz-Bläsers und –Komponisten Nini Rossi, der mit dieser monumentalen Abschiedsarie einen Welterfolg hatte erschaffen können, der sich global über zehn Millionen Mal verkaufte und hierzulande zur Jahresmitte 1965 vier Wochen lang die Spitzenposition der „Musikmarkt“-Auswertungen besetzen konnte. Gleichsam im rein instrumentalen Klanggewand, verblieb der auf einem Finnischen Volkstanz basierende Popmarsch „Letkiss“, den der zu seinen Lebzeiten in Hamburg ansässige Orchesterleiter, Arrangeur und Akkordeonspieler Horst Wende unter seinem Pseudonym „Robert Delgado“ zur Karnevalszeit 1965 bis auf Rang 3 der inländischen Singlehitlisten transferieren konnte.

Im frohsinnig-deftigen Faschingsumfeld fand sich gleichsam die fidele Jux-Truppe „Peter Lauch & die Regenpfeifer“ ein, die mit ihrer gewollt zweideutig-derben Bearbeitung des von „Lili Marleen“-Erschaffer Norbert Schultze ersonnenen Polka-Standards „Eine Seefahrt, die ist lustig“ unter dem Titel „So ein Seemann macht es richtig“ Anfang 1965 bis auf Rang 8 emporschippern konnte. DER ultimative Schenkelklopfer-Gossenhauer, der in den mittleren 60er Jahren ein ums andere Mal das wilde Treiben zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch beherrschte, war die 1963 zur Melodie des sowjetischen „Weltjugendliedes“ entstandene, dralle Stimmungshymne „Humbta-Tätärää“, frisch-fromm-fröhlich-frei dargeboten vom in Mainz geborenen, singenden Dachdeckermeister Ernst Neger, dessen Enkel Thomas übrigens seit 2009 für die CDU im Stadtrat seiner Vaterstadt sitzt. Ebenso als drastisch humorvoll und gar einwenig „Balla, Balla“, präsentierte sich ein gleichnamiger, spritzig-anarchischer Beat-Dadaismus, den die Westberliner Rock’n’Roll-Combo „The Rainbows“ kompositorisch auf dem zwölftaktigen Blues-Schema aufgebaut hatte, um eben diesen göttlichen Fetzer, ausschließlich mittels der sich unzählige Male wiederholenden Textfragmente „My Baby Baby Balla Balla“ bzw. auch nur „Balla Balla Balla…“, im November 1965 auf Rang 3 der Singleauswertungen zu geleiten.

Den letzten Nummer-Eins-Höhepunkt des Vorjahres 1964 – der natürlich noch bis ins Frühjahr 1965 hinein hitparadentechnisch für Furore sorgte – hatte der sommersprossige Frauenschwarm Bernd Spier mit der introvertierten Popballade „Das war mein schönster Tanz“ erzielt, seiner noch heute überwältigenden, muttersprachlichen Auslegung von Scott Engels („Scott Walker“) unter dem Pseudonym „Dalton Brothers“ aufgenommenem Monumentalopus „I only came to Dance with you“. Bernds zweiter großer Erfolg 1965 hieß „Einmal geht der Vorhang zu“ und war eine von Hans Bradkte lyrisch bearbeitete Deutsche Originalaufnahme von Andy Williams‘ 1963er-Powerballade „Can’t get used to losing you“, die wir 80er-Kinder in erster Linie in der filigranen Ska-Pop-Auslegung der Briminghamer New-Wave-Band „The (British) Beat“ kennen.

Der 2011 verstorbene Bremer Schlagersänger und Komponist Ronny (alias Wolfgang Roloff) ist zum einen mit dem rasenden, dunkel-sehnsüchtigen und gleichsam versöhnlich-beschwichtigenden Country-Schmankerl „Darling, Good Night“ auf „Die Schlager des Jahres 1965“ vertreten. Ferner vernehmen wir den bärtigen Bremer auf dieser Doppel-CD mit dem traurig-aussichtlosen Liebesgeständnis an „Anja, Anja“ (Songtitel), aufgebaut auf einem russischen Volkslied aus dem Jahr 1883, das später auf Englisch als „The Carnival is over“ von so unterschiedlichen Interpreten, wie den australischen Folkrockern „The Seekers“, der deutschen Disco-Formation „Boney M,“ oder dem ebenfalls aus ’Down Under‘ stammenden Düster-Barden Nick Cave mit Hit-Ehren überhäuft wurde. Beide Titel von Ronny konnten im Frühjahr 1965 Einzug in die deutschen Top 10 halten.

Beim alljährlichen Grand Prix Eurovision de le Chanson, der 1965 im italienischen Neapel ausgetragen wurde, trat für Luxemburg die blutjunge Französin France Gall an. Ihr skandalträchtiger Landsmann Serge Gainsbourg hatte der 17jährigen spröden Popschönheit den knackigen Popbeat-Reißer „Poupée de cire, poupée de son“ auf ihren zierlichen Leib geschneidert, mit dem Serges jugendliche Muse den Sängerwettstreit vor 50 Jahren haushoch gewann. Dieses fetzige Lied war daraufhin für den deutschen Sprachraum, ebenfalls von seiner Originalinterpretin, als „Das war eine schöne Party“ postpubertär-naiv eingesungen worden, weshalb dieser deutschen Version des damaligen Grand-Prix-Siegertitels von den Verantwortlichen von Music Tales natürlich ein guter Platz im Repertoire von „Die Schlager des Jahres 1965“ eingeräumt wurde.

Auch das Wiener Show-Urgestein Peter Alexander ist auf dieser Doppel-CD gleich zweimal zu hören: Der gemächlich-edle Schleicher „Schenk mir ein Bild von Dir“, im April 1965 Rang 2 in Deutschland, und die ebenso gelassen-lieblich vor sich hin treibende, deutsche Sichtweise von Jackie De Shannons regentrübem Bluesschlager „It’s just terrible“, hier: „Fräulein Wunderbar“, untermauerten den kaum zu toppenden Status von „Peter, dem Großen“ im mitteleuropäischen Entertainment-Leben der mittleren 60er Jahre!

„Sexy Rexy“ Gildo brillierte mit dem peppigen Rock’n’Roll-Schlager „Wenn es sein muss, kann ich treu sein“ (Rang 11), einer deutschsprachigen Aufnahme des US-Adult-Contemporary-Hits „In the First Night of the Full Moon“ des seinerzeit in seiner amerikanischen Heimat sehr populären Jazz- und Popsänger Jack Jones; betulich-großbürgerlich zeigte sich hingegen abermals Gentleman-Crooner Gerhard Wendland mittels seines akkordeonverzierten Feudalschlagers „Tanze die ganze Nacht mit mir“ (Rang 11), während der damals besonders bei den Teeniegirls aus aller Welt sehr beliebte, kanadische Tausendsassa Paul Anka in brüchigem Deutsch einen eher unbedeutenden, hysterisch-schreierischen Lobgesang auf eine offenbar sehr eindrucksvolle „Elisabeth“ (Singtitel) schmetterte, mit der er sich auf Rang 17 der einheimischen Hitparaden herumtrieb. Die Italo-Amerikanerin Connie Francis hatte das wehmütige Mid-Tempo-Romantikdrama „Du musst bleiben, Angelino“ (Rang 5) im Programm, die dänische Schlagersängerin Dorthe (später: Dorthe Kollo) übersetzte den temporeichen, fast gehetzt wirkenden Beatschlager „Dip-Di-Dip (I want to be his Girl)“ der ansonsten unbekannten US-Soulsängerin Angela Martin zu „Dip-Di-Dip (Du passt so gut zu mir)“. Die brünette Schwedin Siw Malmkvist legte als Nachfolgesingle zu ihrem ‚musikalischen Erkennungszeichen‘ „Liebeskummer lohnt sich nicht“ den gleichfalls von Christian Bruhn konzipierten, ebenso phantastischen Tanzschlager „Küsse nie nach Mitternacht“ vor, der diesmal bis auf Rang 9 der „Musikmarkt“-Listen aufsteigen konnte, während ihre schnieke Berliner Kollegin Conny Froboess den mediterranen Folkschlager „Topkapi“ des griechischen Filmkomponisten Manos Hadjidakis lecker und gewitzt als „Diese Nacht hat viele Lichter“ neu aufbereitete.

Der heutige reale Schlagergroßmeister Michael Holm war zum Zeitpunkt des Entstehens seines 1965er-Meisterwers „Alle Wünsche kann man nicht erfüllen“ gerade mal 22 Jahre alt und noch ein „kleines Licht“ am nationalen Pophimmel. Trotzdem spürt man noch heute bei jedem Takt dieser phänomenalen, in ihrer Gesamtheit fundiert kompakten Joachim-Heider-Kreation die künstlerische Potenz, kreative Geschlossenheit und überbordende Musikalität des späteren „Mr. Mendocino“ mit Wohnsitz Weilheim/Oberbayern in fundamentalster Form!

Die gesanglichen Versuche des bisherigen Eiskunstlaufstars, mehrfachen Olympia-Teilnehmers, Silbermedaillenträgers und späteren „Holiday on Ice“-Mentors Hans-Jürgen Bäumler kann man mögen, muss man aber nicht. Die flotte Werner-Scharfenberger-Komposition „Sorry, little Baby“, irgendwo angesiedelt zwischen sanftem Rock’n‘Roll und einer kleinen Prise britischen Beats, ist per se nett anzuhören. Hätte jedoch ein No-Name ohne Olympische Auszeichnung diese schöne Nummer in vorliegender Qualität (bzw. Nicht-Qualität) auch nur als Demo eingesungen, wäre derselbe nachher umgehend des Studios verwiesen worden. Nur der verkaufsträchtige Ruhm des besonders von den jungen Frauen in diesem unseren Lande haufenweise angebeteten Wintersportlers schien dafür verantwortlich gewesen zu sein, dass der honorige Liedschreiber Scharfenberger nichts gegen diese absolut stimmschwache und unharmonische Gesangsfassung seiner Melodie einzuwenden hatte – zumal der Ex-Paarlauf-Partner von Marika Kilius mit seiner langweiligen Aufnahme von „Sorry, little Baby“ im März 1965 die deutschen Top 10 stürmte und somit das Tantiemen-Konto genannter Regensburger Hitmaschine vermutlich sehr ordentlich füllte. Nicht viel spannender oder womöglich gar authentischer, echter, erklang der gospel-angehauchte Banal-Schlager „Einmal gibt’s ein Wiederseh’n“ (Rang 19), in dem Bäumler erneut äußerst flache Stimmkompetenz an den Tag legte.

Ein weiterer Sportler, der 1965 für einen kommerziell überaus einträglichen Hiterfolg sorgte, war der legendäre Fußballspieler Petar „Radi“ Radenkovic. Der aus Belgrad stammende, zeitweilige Torwart des TSV München 1860 nahm sich des von Fred Rauch und Charly Nießen ersonnenen, Oldtime-jazzigen Blasmusikschlagers „Bin i Radi – Bin I König“ an, steuerte diesen, mit liebenswertem jugoslawischen Akzent vorgetragen, geradewegs auf Rang 5 des „Musikmarktes“ und verkaufte von diesem bodenständigen Ohrwurm zum Mitklatschen und Mitstampfen stehenden bzw. stampfenden Fußes 400.000 Exemplare.

Weniger im fröhlichen Schlagertrubel, denn im ernsthafteren Chanson-Bezugsrahmen, war der 2004 verstorbene Pariser Chansonnier und Schauspieler Sacha Distel stilistisch zu Hause. Sein famoser 1965er-Beitrag hieß „Die Frau mit dem einsamen Herzen“, war eine abgeklärt-melancholische, elegante Gitarrenballade bester Gütelasse und platzierte sich im März jenes Jahres auf Rang 15 der hiesigen Charts.

Das meist gemeinsam musizierende Geschwisterpaar Renate und Werner Leismann führte zunächst den etwas schläfrigen Pop’n’Roll „Warten ist so schwer“ im März 1965 auf Rang 18 des „Musikmarkts“. Nur wenig später folgte das weitaus ansprechendere lustig-locker swingende, der im feinsten Zwiegesang von Bruder und Schwester Leismann eingesungenen Schlagerchanson „Das Leben ist wunderbar“, der es immerhin bis auf Rang 24 schaffte – und schlussendlich bestiegen die beiden noch heute aktiven Sauerländer zum Jahresende romantisch, gefühlvoll und hochmelodisch ein kleines, schnuckeliges „Dreamboat“, mit dem sie auf Rang 31 des „Musikmarkts“ vor Anker gingen.

Zu den eher weniger geläufigen Beiträgen auf „Die Schlager des Jahrs 1965“ zählen der einstige Leichtathlet und Goldmedaillengewinner der Olympischen Spiele 1960 in Rom, Martin Lauer, mit seinem pfiffigen Western-Schlager „Taxi nach Texas“ (Rang 7), oder die 2008 verstorbene, niederländisch-schwedische Zirkusartistin und Sängerin Suzie, die im hier beschriebenen Jahr mit den sehr konventionellen, gar oft mährig-langweilend daherkommenden Schlagerchen „Max und Moritz“ (Rang 17) und „Ich war allein“ (Rang 6) keine bleibenden Spuren im teutonischen Popdasein zu hinterlassen vermochte. Auch die drögen, nur durchschnittlichen, mehr gekreischten, denn gesungenen Romantikepen „Abschied nehmen tut so weh“ und „Es kommt alles einmal wieder“ der israelischen Chansonette Carmela Corren sind heutzutage längst – qualitativ nicht zu Unrecht – dem Vergessen anheimgefallen.

Unnötig, weil völlig charmelos und dümmlich aufgetakelt erklingt auf „Die Schlager des Jahres 1965“ der nervtötende Country-Jodel-Verschnitt „Eine Rose blüht in Colorado“ des Züricher Möchtegern-Cowboys Peter Hinnen, sowie dessen zweiter 1965er-Vorschlag „In Alabama steht ein Haus“, der seinem Vorgänger in Sachen Lächerlichkeit und  Sinnlosigkeit in nichts nachstand.

1965 befand sich die Bundesrepublik Deutschland, wie geschildert, nicht nur politisch, sondern auch und gerade in popmusikalischer Hinsicht in einem gewissen Zwischenstadium. Die Nachfrage nach all den heiteren, aufstrebenden und zweifellos von einem sehr nachvollziehbaren Stolz auf das Geschaffte – den Wiederaufbau, die Einrichtung der Demokratie, die Rückkehr in die Gemeinschaft zivilisierter Volker – getragenen, klingenden Untermalungen der zurückliegenden sechs, acht Jahre ebbte zum Ausklang der Adenauer-Ära hin ab. 

Wie man an nicht wenigen Passagen auf dieser Doppel-CD erkennen kann, schien der Deutsche Schlager 1965 noch nicht so recht zu wissen, wo er in Futuro eigentlich hinwollte. Traditioneller, aber eingedeutschter Rock’n’Roll von z.B. Ted Herold oder Peter Kraus, war ebenso beinahe schon ‚Schnee von gestern‘, wie die unzähligen Fern- und Heimwehgesänge von Freddy Quinn oder Vico Torriani, von Conny Froboess, Caterina Valente oder Lolita. Zeit- und gegenwartsnahe Einwirkungen aus britischem Mersey Beat oder US-amerikanischem Folkpop hatten, wie dargelegt, nur in sehr eingeschränkter, sozusagen ‚niemandem wehtuender‘ Ausformung einen Weg in für den deutschen Schlagermarkt bestimmte Kompositionen und Arrangements gefunden. Einzig und allein frische Gesichter, wie Michael Holm  oder ganz besonders Drafi Deutscher, öffneten gewohntes, teutonisches Schlagerliedgut erst sanft, dann immer eindeutiger den diversen Spielarten und Variationen des Beat, des Blues und gar des Rock etwas härteren Zuschnitts und kündigten durch dieses Tun unverblümt Neuartiges, Ungewöhnliches, Unverbrauchtes an!

Psychedelisch, gar hippiegemäß angehauchte Schlagerepen, auch in deutscher Sprache, wie Christian Anders‘ „Zug nach nirgendwo“, dessen bombastische Gefühlsexplosion „Geh nicht vorbei“, oder Peter Maffays Debüt „Du“, großspurig Chansonhaftes von Udo Jürgens („Siebzehn Jahr, Blondes Haar“) bzw. Katja Ebstein („Wunder gibt es immer wieder“) oder eben Michael Holms aufmüpfig-entstaubender Pop-Rock a la „Mendocino“ oder „Barfuß im Regen“, waren noch nicht in Sichtweite; vielleicht trauten sich auch manche Sänger, Arrangeure und Produzenten gar nicht so recht, diese weltweit immer mehr an Aktualität gewinnenden Einflüsse aus dem internationalen Popbusiness in deutsche Schlagergefilde zu integrieren. Während 1965 im angloamerikanischen Spektrum wahrhaftige Popgeschichte geschrieben wurde – Dylan, die „Beatles“, die „Stones“, auch die  „Beach Boys“, die „Kinks“ oder „The Who kreierten gerade in jener Phase einen kulturhistorisch relevanten, stilbildenden Klassiker nach dem anderen – befand man sich hierzulande noch auf dem bis dato unentdeckten Pfad, deutschsprachige Klänge peu a peu für rockigere, deftigere, frechere Elemente und Einsprengsel zu präparieren.

Über dieses Intervall zwischen bürgerlicher Geruhsamkeit und juvenilem Aufmucken, das sich in Bälde auch im Deutschen Schlager unzweifelhaft zeigen und kreativ einbringen sollte, gibt die Doppel-CD „Die Schlager des Jahres 1965“ in hervorragender, mitreißender und niemals langweiliger Form Aufschluss. Die meisten Lieder – selbst, wenn es nur wenige derer tatsächlich vermocht haben, zu realen Dauerbrennern zu avancieren – sind überaus nett und sympathisch anzuhören, tatsächlich unwichtige, tönende Nulpen finden sich dagegen kaum in dieser prachtvollen Kollektion, welche von den Verantwortlichen bei Music Tales in gewohnter Akribie und mit viel Liebe und Interesse an den einzelnen Liedern von „annodazumal“ zusammengeführt wurde!

Holger Stürenburg, 19. bis 26. Januar 2015
http://www.spectre-media.com/

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