PAUL KUHN
Die 'Download-CD' "Schau mir in die Augen" im Test von Holger Stürenburg!

Hierbei handelte es sich um sechs zuvor unveröffentlichte Titel aus den Jahren 1991 bis 1994, stilistisch angesiedelt zwischen anspruchsvollem Schlager, Chanson, Couplet, Ragtime und natürlich gaaanz viel Swing und Jazz…: 

Was hat das vor einem Jahr verstorbene Multitalent und Stehaufmännchen PAUL „Paulchen“ KUHN in seinem langen musikalischen Leben nicht so alles auf die Beine gestellt: Schon als Achtjähriger beherrschte er das Akkordeon und trat damit 1936 als kleiner Knirps bei der Berliner Funkausstellung auf; wenig später, während des II. Weltkriegs, steigerte sich sein Interesse an Jazz-Musik. Nach Kriegsende, stellte er sich in Hessen, was zur amerikanischen Besatzungszone gehörte, beim Radiosender AFN vor und rief seine erste Big Band ins Leben. Mit dieser war er dann dort fast täglich ‚live‘ zu hören, insbesondere, nachdem er und seine Combo sich das oft gewünschte Repertoire des US-Bandleaders Glenn Miller angeeignet hatten.

Kurz darauf begann er, auch und zunehmend intensiver im traditionellen Schlagermetier aktiv zu werden – und dies sehr schnell enorm erfolgreich. Bereits seine 1954 erschienene Debütsingle „Der Mann am Klavier“ erwuchs zu einem Evergreen, 1958 folgte die stolze Chansonballade „Die Farbe der Liebe“ und 1963 schrieb er mit dem Stimmungsschunkler „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ regelrecht teutonische Musikgeschichte.

In den 70er Jahren leitete der gebürtige Wiesbadener als Bandleader und Arrangeur die vielköpfige Big Band des Senders Freies Berlin (SFB) und untermalte mit dieser bravourös unzählige beliebte Fernsehshows, sowie eigene Tanzmusik-Sendungen. 1980 jedoch kündigte ihm die Kölner Plattenfirma EMI seinen bis dato bestehenden Plattenvertrag und gleichzeitig wurde die SFB Big Band aufgelöst. Eine schwere Zeit für Paulchen muss dies gewesen sein; so erinnere ich mich, wurden seine weiterhin sehr diffizil und leidenschaftlich dargebotenen Big-Band-Interpretationen von ansagten Hits seinerzeit ausschließlich vom Billig-Label „EUROPA“ veröffentlicht, was seinem Können und der Qualität seiner Jazz-Auslegungen von Hits und Standards keineswegs gerecht wurde (obwohl seine damalige „EUROPA“-Fassung des John Hartfort-Geniestreichs „Gentle on my mind“ noch heute zu meinen Lieblingsversionen dieses unschlagbaren Frühlingsklassikers zählt!).

Doch nur wenig später hatte Paul Kuhn wieder bis auf weiteres Tritt gefasst, er startete in Köln einen allumfassenden Neuanfang und sorgte dort 1981 beim Presseball flink für erneute Begeisterungsstürme. Mit neu zusammengerufenem Orchester begleitete der Verehrer des großen US-Jazzers Count Basie die Wiener Showlegende Peter Alexander auf mehreren seiner umfangreichen Tourneen, war wiederum häufig in zig TV-Shows zu hören und zu sehen und inszenierte – augenzwinkernd genre-übergreifend – Wolfgang Niedeckens zunächst im akustischen Bob-Dylan-Stil gehaltenen, satirischen Talking Blues „Neuleed“ für dessen 1987er-Solo-Opus „Schlagzeiten“ als fette, überdrehte Big-Band-Jazz-Orgie.

In jenen Tagen, zur Dekadenwende 80/90er, muss es wohl auch gewesen sein, als Paulchen, inzwischen endgültig in der Kölner Szene arriviert, mit Produzent/Songschreiber Rudi von der Dovenmühle zusammenkam, der zum einen bereits 1951, zusammen mit seiner Gattin Margot Böhm, seinen eigenen Musikverlag MINERVA Music ins Leben gerufen hatte und zum anderen jahrelang einen großen Einfluss in den Chefetagen der Kölner EMI-Electrola hatte, bei der Paul Kuhn ja in den 50er und 60er Jahre seine größten Schlagererfolge hatte feiern können.

So entschieden sich Rudi und Paul dazu, ein paar neue Lieder des altehrwürdigen Showmannes mit Wohnsitz Kölle am Rhing aufzunehmen, die sämtlich von Rudi von der Dovenmühle unter dessen Haupt-Pseudonym „Rudi Lindt“ verfasst und teilweise in Kooperation mit Howard Carpendales damaligem Livearrangeur und musikalischen Leiter Elmar Kast klanglich umgesetzt wurden.

Hierbei handelte es sich um sechs zuvor unveröffentlichte Titel aus den Jahren 1991 bis 1994, stilistisch angesiedelt zwischen anspruchsvollem Schlager, Chanson, Couplet, Ragtime und natürlich gaaanz viel Swing und Jazz – und ebendiese wurden nun von MINERVA Music, dem von Rudi und seiner Frau 1951 begründeten und seit dem Millennium von deren Tochter Silke Volgmann fortführten Musikverlag aus dem westfälischen Frechen, erstmals in Form einer Sieben-Track-Download-CD namens „Schau mir in die Augen, Kleines“ der breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Tatsächlich hatte, abgesehen von einigen ausgewählten Radioredakteuren und Plattenfirmenmenschen, diese ultrararen Aufnahmen zuvor noch niemand zu Gehör bekommen, denn Rudi hatte diese einstmals ausschließlich als Promo-Exemplare an einen fest umrissenen Kreis aus Medien und Musikwirtschaft ausgesandt, ohne dass sie jemals regulär in den Handel gekommen wären.

Mit lebenserfahrener Inbrunst und von köstlichem, selbstironischen „Elder Statesman“-Flair beseelt, intonierte Paul Kuhn – damals immerhin schon über 60 Jahre alt – vor knapp einem Vierteljahrhundert diese sechs sehr melodischen, durchwegs strikt swingenden, dabei zumeist luftig-leichten Jazz-Chansons, die von Elmar Kast, trotz aller musikalischer Anlehnung an die klanglichen Gepflogenheiten der 20er bis 50er Jahre, durchaus zeitgemäß, mit frech-erotisch doo-wop-enden Frauenchören (die legendären „Ute-Mann-Singers“!) und hörbar auch ein paar unvermeidlichen Computerrhythmen und Synthesizerspielereien angereichert und ausgekleidet wurden.

Los geht’s mit dem gemächlich schleichenden, fingerschippenden, etwas düster-schwülstig anmutenden Piano-Swing „Wann kommen meine sieben fetten Jahre?“, der Mitte der 50er garantiert ein großer Hit geworden wäre, zumindest aber in einem der seinerzeit überall  grassierenden, typischen Wirtschaftswunder-Frohsinns-Filme einen trefflichen Einsatz hätte finden können, während die aufmüpfige „Honolulu-Story“ ein überaus gelungenes, kesses Gebräu aus rasendem Ragtime und aufgedonnertem Oldtime Jazz darstellt.

Der Titelgeber vorliegender Download-CD, „Schau mir in die Augen, Kleines“, ist eine sommerlich-verliebte, in gedämpftem Tempo gehaltene Liebesbekundung in Form einer absolut überzeugenden, frisch-junggebliebenen Chanson-trifft-Swing-Mixtur, ausstaffiert mit zirpenden Akustikgitarren, sanftem Schlagzeug und nur ganz zurückhaltend eingesetzten Keyboards; fetzig, aufbrausend, beinahe gar einwenig hintergründig rockend, ertönt kurz danach jedoch die burschikose, rasante Ode an die offenkundig außerordentlich bezaubernde Französin „Mademoiselle de Grasse“.

Abermals verliebt, gutmütig und behutsam, zeigt sich daraufhin der einwenig abgeklärte, aber trotzdem weiterhin das immer noch heißblütig-hoffnungsvolle Ambiente einer kurz vor dem Ende stehenden, scheinbar arg chaotisch verlaufenen Kurz-Beziehung des Protagonisten mit der hübschen, aber offenkundig unausstehlichen „Domenica“ repräsentierende, gleichnamige Swing-Schlager, der als eine Art Zwiegesang zwischen Paulchen und den „Ute Mann Singers“-Chordamen aufgebaut wurde. Wiederum atmosphärischen, einwenig nächtlich verruchten Edel-Swing in mittlerer Geschwindigkeit legt der liebenswerte Ohrwurm „In der Pianobar“ an den Tag.

Sozusagen als „Bonus-Titel“ findet sich auf hier analysierter Download-CD zusätzlich eine Zusammenarbeit Kuhn/von der Dovenmühle aus dem Jahr 1983, wenige Jahre, nachdem das mit fünf OSCARS ausgezeichnete Filmdrama „Kramer gegen Kramer“ mit Dustin Hoffmann und Meryl Streep in den Hauptrollen weltweit in den Kinosälen für Furore sorgte. „Rudi Lindt“ schrieb einen thematisch ähnlich ausgerichteten, daher einerseits einwenig mürrisch, andererseits aber auch besonnen und diszipliniert ausgefallenen Text namens „Jansen gegen Jansen“ zu der Melodie „Johnson vs. Johnson“ des US-Songschreibers Carson Parks, seines Zeichens älterer Bruder des legendären Carl-Wilson-Intimus Van Dyke Parks. Dieses so traurige, wie gefühlvoll eindringliche, wiederum sacht swingende Schlagerchanson sang Paul Kuhn nun ein, übrigens im Duett mit seiner späteren Frau (und langjährigen Chorleiterin) Ute Mann. Das mehr als nur klangvolle Ergebnis wurde in jenen Tagen sogar im Maxi-Format als sog. „Super Sound Single“ veröffentlicht, geriet bald darauf aber leider in Vergessenheit, ohne tiefere Spuren, womöglich sogar in den Hitparaden dieses unseren Landes, hinterlassen zu haben. Erst 2014 holte Silke Volgmann von MINERVA Music auch diese Superrarität aus dem Archiv, möbelte sie klangtechnisch auf und fügte das gedrückt und melancholisch perlende Chansonmeisterwerk nun der kleinen, aber durchwegs feinen Liedkollektion „Schau mir in die Augen, Kleines“ bei!

Für den Freund der angejazzten Schlagerklänge der 50er und 60er, der zugleich alte LPs von Bill Ramsey, Wolfgang Sauer oder Ralph Bendix vielzahlig zu Hause hat, sind diese sieben Ausgrabungen von Paul Kuhn, die nun unter dem Motto „Schau mir in die Augen, Kleines“ als Download-CD komprimiert vorliegen, mit einiger Sicherheit der größte Spaß und der Musikhistoriker, penible Chronist und Sammler wird ohnehin zugreifen, um seine Schatztruhe mit lange verschollen geglaubten Perlen der bedeutsamsten Künstler der Nachkriegszeit auf diese Weise so peu a peu zu vervollständigen!

Holger Stürenburg, 09. November 2014
www.minerva-music.de
http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Kuhn

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