WOLFGANG AMBROS
Die Doppel-CD "Zwickt’s mi – 40 große Erfolge" im Test von Holger Stürenburg!

Das Doppelalbum ist bei “spectre media” (Thomas Hauptmann) erschienen! 

Um den urigen Wiener Songpoeten und Austropop-Mitbegründer WOLFGANG AMBROS war es in der BR Deutschland, zumindest jenseits des Weißwurstäquators, zuletzt sehr still geworden. Man las bestenfalls in süddeutschen Zeitungen oder österreichischen Netzmagazinen, dass der schlitzohrige „Austro-Dylan“ z.B. bei einem Auftritt auf der Bühne des Münchener Prinzregententheaters im Juli vergangenen Jahres im wahrsten Sinne seines stockdunklen 1980er-Klangspektakels „Gezeichnet fürs Leben“, kaum noch beweglich und lebensfreudig gewesen sei. Seine zwei – qualitativ im Übrigen hervorragenden, für Mainstream-Apologeten aber zugegebenermaßen recht schwerverdaulichen – CDs mit Wiener Liedern, Couplets und Schlagern seines berühmten Landsmannes und Leidensgenossen Hans Moser 2005 und 2007 wurden hierzulande so gut wie gar nicht beworben; in Nord- und Westdeutschland ließ sich der heute 63jährige für Liveauftritte gar nicht mehr blicken. Doch nun hat „´s Wolferl“, wie seine heimatlichen Fans das Stehaufmännchen des handgemachten, österreichischen Folkrock liebevoll nennen, offenbar wieder Boden unter den Füßen gefunden – vor wenigen Tagen strahlte sich Ambros durch die österreichische Presse und verbreitete sichtlich glücklich, dass er sich soeben mit seiner langjährigen guten Freundin Uta Schäfauer an deren 50. Geburtstag verlobt habe. Dies hatte der seit über 40 Jahren im alpenländischen Liedermachergeschehen aktive Sänger und Gitarrist auf einem Konzert im Wiener Club „Orpheum“, das sich sogar Österreichs (Noch)Kanzler Werner Failman nicht entgehen lassen wollte, seinen erstaunten Freunden mitgeteilt – und es ist daraus zu schließen, dass Wolfgang Ambros durch diese alte, neue, von nun an feste und unverbrüchliche Liebe zu der blonden Stuttgarterin, die er seit ihrem 18. Lebensjahr kennt, gesundheitlich und menschlich wiederum fußgefasst haben dürfte und seine Fans in Österreich, wie in der BR Deutschland, garantiert in Bälde auch mit neuen, profunden Austropop-Perlen begeistern möge.

Bis dies soweit ist, präsentiert das rührige Murnauer Label SPECTRE MEDIA nun einen weitgehend vollständigen, jedenfalls bestmöglichen Rückblick auf diejenigen Karrierejahre des Wolfgang Ambros, in denen dieser in seinem Herkunftsland das Spezifikum ‚Austropop‘ (mit)kreierte, hierfür vielfältige Rock-, Pop-, Chanson- Blues- und Folkklänge angloamerikanischer Prägung sanft, trefflich und zielstrebig mit Weaner Sprache, Denken und Gefühl verband und durch dieses Tun unumstößlich bewies, dass eben jenes Weanerische Milieu und Flair gänzlich mühe- und problemlos zum globalen Rock’n’Roll-Gefühl passt und mit diesem auch und gerade auf Dialekt-Ebene phänomenal kompatibel ist.

SPECTRE MEDIA hat unter dem Titel „Zwickt’s mi – 40 grOSSe Erfolge“ auf zwei proppevollen CDs die wichtigsten, erfolgreichsten und charakteristischsten Liedbeiträge zusammengestellt, die der gelernte Siebdrucker aus dem 14. Wiener Gemeindebezirk zwischen 1973 und 1982 für das Frankfurter Label BELLAPHON aufgenommen hatte. Bei dieser Firma erschienen seinerzeit acht Studioalben, eine Live-Doppel-LP namens „Auf ana lang finstren Straßn“,  sowie die vielgesuchte Raritätenkollektion „A Mensch möchte i bleibn“, die Singletitel, B-Seiten und weniger geläufige Frühwerke vereinte.

40 dieser BELLAPHON-Produktionen, von denen nicht wenige längst Kultstatus innehaben, fanden nun den Weg auf „ZWICKT’S MI – 40 große Erfolge“. Und unter diesem Motto vereinigt sich alles das, was das Herz eines überzeugten Ambros-Jüngers (oder auch eines solchen aufgeschlossenen Musikliebhabers, der das Ziel anstrebt, dieses zu werden) umgehend höher schlagen lässt.

So z.B. der fröhlich-subversive, country-folkige Titelhymnus „Zwickt’s mi“ (1975, in deutscher, wie in Weanerischer Auslegung gleich zweimal bedacht), der ultimative Partyklassiker und Radiodauerbrenner „Schifoan“, der seinen Interpreten ein Jahr später auch und gerade in unseren Breitengraden erstmals so recht bekannt machte, das stilistisch ähnlich ausgerichtete, kesse Ragtime-Couplet „Hoit do is a Spoit“, oder das von Kollege Joesi Prokopetz („D.Ö.F.“) betextete, sommerlich-verliebte Schnaderhüpfel über die legendäre Sozialwohnungsschönheit aus dem 22. Wiener Bezirk Stadlau, genannt „Die Blume aus dem Gemeindebau“. Locker-flockig, im sachten Countrygewand, kommt der optimistische Ohrwurm „Selbstbewusst“ daher, der eingängige und doch provokante Titelsong von Wolferls auch darüber hinaus sehr empfehlenswertem LP-Höhepunkt aus 1981, klanglich ganz im Gegenteil zum scheinbar aussichtslosen, zutiefst zukunftsängstlichen Abschiedsdrama „Wie wird des weitergeh’n?“ (1977).

Wir hören klassische, morbide Weaner Düsterchansons der Sorte „Es lebe der Zentralfriedhof“ (1975), „I drah zua“ (1973), „Heite gemma nach Wien“ (1977), die so ironischen, wie (überzeichnet) verzweifelten Drogenphantasien „Du schwarza Afghane“ und „Mädchen Marihuana“ oder philosophisch-nachdenkliche Folkballaden ‚mit ‘n Schmäh‘ a la „Weiß wie Schnee“, „Kaputt und munter“ (beide 1980) oder „Die bestn Liada“ (1976). In den rabenschwarzen Rockdramen „Heut drah i mi ham“ (1975, verfasst von Georg Danzer) und „Gezeichnet fürs Leben“ (1980) setzte sich Wolfgang Ambros so grazil und sensibel, wie ehrlich und unverblümt, mit dem Tabuthema ‚Suizid‘ auseinander.

Der 2007 verstorbene, zweite große Guru des Austropop, ebenjener Georg Danzer, schrieb für seinen Freund ‚Wolferl‘ das süffig-bluesige Trinklied „A Gulasch und a Seidl Bier“, eines ähnlich alkoholseligen Inhalts ist der lieblich-drastische Heurigenblues „Wem heut net schlecht ist“ (1975). Als witzig-skurril und absichtlich frivol, zeigt sich das legere Countryschmankerl „Chanson d’Toilette“. Seiner langjährigen Begleitband „Die Nummer Eins vom Wienerwald“ widmete Ambros 1979 einen gleichnamigen, drallen Riff-Rocker auf phonstarker Gitarrenbasis, gleichsam rockig-offensiv erklingt der ausgeschlafene, beschwingte Ohrwurm „Gö, da schaust“. Die überdrehte Lesben-Parodie „I steh auf a Alte“ orientiert sich musikalisch an Ray Charles‘ „I got a Woman“ und würde heutzutage vermutlich als ‚politisch unkorrekt‘ eingestuft, ist aber vielmehr als schrullig zugespitzter Wiener Schmäh auf Rock’n’Roll-Basis mit grotesken Ecken und Kanten zu bezeichnen. Die romantische Pianoballade „Fesch san ma beinand“ (1981) ist ein widerspenstiges Loblied auf die Liebe im Alter, der melancholische Schleicher „Baba und foi net“ beschreibt eindringlich und verzeihend das Ende einer langjährigen Beziehung, der geradezu fröhlich ausgekleidete Pop-Reggae „I wü frei sein“ stellt hingegen eine energische Ode auf pralle Lebenslust und Daseinsfreude dar, während der kuriose Bänkelgesang „Minderheit“ zur herrlich schräg leiernden Drehorgel traditionelle Jahrmarktsatmosphäre a la Wiener Prater verstrahlt.

Für seine gefeierte 1978er-LP „Wie im Schlaf“, die sich in der BR Deutschland bald über 100.000 mal verkaufte, hatte sich Wolfgang Ambros ein knappes Dutzend Kompositionen seines künstlerischen Vorbilds Bob Dylan zwecks Bearbeitung vorgenommen, und transferierte deren Lyrik überaus gekonnt und punktgenau ins – auch sprachliche – Lokalkolorit der Donaumetropole. So wurde z.B. aus ‚his Bobness‘ 1970er-Folkchanson „The Man in me“ auf Weanerisch „Da Mensch in mir“, aus dem bissigen Bluesrocker „Like a Rolling Stone“ zickig „Allan wia a Stan“, und zum gern gehörten Radiohit avancierte schlussendlich eine wahrlich phantastische, poppig-einprägend arrangierte Austro-Fassung des trotzigen Anti-Liebes-Liedes „It ain’t me, Babe“, das in Wiener Mundart nun hieß „I bin’s ned“. Bereits 1974 hatte Ambros fraglos hochqualitativ belegt, dass er schon früh eine ordentliche Lektion in Sachen Robert Zimmermann gelernt hatte: das so gelöste, wie getragene Gitarren-Folk-Epos „A Mensch möchte I bleibn“, eine damalige Non-Album-Single und späterer Titelgeber der erwähnten 1982er-Raritäten-LP, ginge, sänge der Wiener auf Englisch, in Sachen Intensität und Dichte beinahe als originärer Dylan-Beitrag durch.

In musikalischer und lyrischer Hinsicht sind die „40 GROSSEN ERFOLGE“ von Wolfgang Ambros, die SPECTRE MEDIA für „ZWICKT’S MI“ ausgesucht hat, von Anfang bis Ende ansprechend, integer, spannend und überzeugend ausgefallen. Sie gelten teilweise sehr berechtigt als wichtige Bestandteile der österreichischen Popkultur. Bei der Titelauswahl konnten die Verantwortlichen natürlich nicht alle Ambros-Anhänger gleichermaßen zufriedenstellen. Gerne hätte man sich z.B. die wahnwitzige „Tagwache“, eine rockig-brachiale 45er aus dem Jahr 1973, auf der Kompilation gewünscht, die in jenen Tagen vom ORF nicht gespielt wurde, da sie gewisse sarkastische Anspielungen auf den damaligen Verteidigungsminister Karl Lütgendorf (parteilos, auf dem Ticket der SPÖ), genannt „LüLü“, beinhaltete. Auch fehlt m.E. die ebenso zynische Glitzer-Disco-Parodie „Nie und Nimmer“ (1979), die einst als eine der ersten Vinyl-Maxi(!)-Singles des Austropop überhaupt veröffentlicht wurde, oder vermisst man ein paar mehr Titel aus der ungewohnt lebensfrohen und ausgeglichenen 1981er-Scheibe „Selbstbewusst“, wie z.B. die zwei liebenswert versöhnlichen und aufmunternden Beiträge daraus, „Belize“ oder „Sei so frei“. Aber dies ist letztlich nebensächlich und vielleicht nur rein subjektiv. Andere Beobachter nennen vermutlich wiederum ganz andere Ambros-Werke ihre Favoriten.

„ZWICKT’S MI – 40 GROSSE ERFOLGE“ bietet für Einsteiger in Sachen WOLFGANG AMBROS, wie gleichsam für Sammler und Chronisten authentischer österreichischer Popmusik mit Folk-, Rock- und Chanson-Attitüde, eine tatsächlich umfangreiche und elementare Liedkollektion. Ambros‘ Texte gerieren sich mal als aufmüpfig, lausbübisch, dabei zumeist selbstverständlich von charmanter Wiener Atmosphäre beseelt. Es gibt sehr feinsinnige, fragile Reime zu genießen, die häufig zugleich eine augenzwinkernde Haudrauf-Mentalität in sich tragen. Zudem sind nicht wenige Ambros-Kleinode von schwerster Depression und Niedergeschlagenheit gekennzeichnet, wobei man aber sogar auch diesen tiefschwarzen Gedanken immer wieder den Wunsch entnehmen kann, Lethargie und Mutlosigkeit eines schönen Tages überwinden zu wollen und zu können.

Neben Georg Danzer und Rainhard Fendrich, mit denen der frisch verlobte Vollblutmusiker zwischen 1997 und 2006 als Akustik-Trio „Austria 3“ im gesamten deutschen Sprachraum riesige Erfolge hatte feiern können, hat Wolfgang Ambros wesentliche Bausteine zur Schaffung eines eigenständigen Poplebens Made in Austria beigetragen, von denen nicht wenige musikgeschichtlich längst eine stilbildende Bedeutung aufweisen und auch 35, 40 Jahre nach ihrem Entstehen immer noch frisch, unverbraucht und aktuell aus den Boxen dringen. Davon legt „ZWICKT’S MI – 40 GROSSE ERFOLGE“ von WOLFANG AMBROS eindrucksvoll Zeugnis ab!

Holger Stürenburg, 16. bis 18. April 2015
http://www.spectre-media.com/
http://www.wolfgangambros.at/

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