NIEDECKEN'S BAP
Konzert-Bericht von Holger Stürenburg: Niedecken's BAP – 31.05.2016, König-Pilsener Arena Oberhausen!
Wer Wolfgang Niedecken und seine Mannen in diesem Jahr live erleben will, hat bis zum 19. Dezember noch reichlich Gelegenheit dazu!
Et ess verdamp lang her… mein allererstes „BAP“-Konzert. Schon im März 1984, als meine Mutter und ich in den Frühjahrsferien eine Woche lang in Bad Lauterberg im Harz weilten, erspähten wir auf unseren täglichen Ausflugsfahrten durch das gemütliche Mittelgebirge in Niedersachsen die Plakate, auf denen die kommende „BAP“-Tournee beworben wurde. Ein Jahr zuvor, 1983, hatte die 1976 begründete Kölschrock-Combo eine kreative Schaffenspause eingelegt; nach der Mammuttournee 1982/83, erschien im August genannten Jahres ausschließlich die höchsterfolgreiche Live-Doppel-LP „Bess demnäxh“. Zusätzlich plante man eine „DDR“-Tournee, die dann aber, nachdem die verknöcherten Kulturoberen des Arbeiter- und Bauernstaates Einfluss auf das Konzertrepertoire nehmen und den zuvor unveröffentlichten Titel „Deshalv spill mer he“ verbieten wollten, seitens der Band wieder abgesagt wurde. So wartete ab Jahresbeginn 1984 alles gespannt auf die für Mai angekündigte, neue LP, mitsamt dazugehöriger, erneut ausgiebiger Tour.
Als meine Mutter und ich wieder zurück in Hamburg waren und mein achtes Schuljahr weiterging, prangte auf den dortigen „BAP“-Konzertplakaten bereits der Streifen „ausverkauft“. Zum Glück wohnte in unserem Haus in Hamburg-Lokstedt, als direkte Nachbarin neben unserer Wohnung, eine Mitarbeiterin des Hanseatischen Konzertmoguls Karsten Jahnke, der für die örtliche Durchführung der beiden „BAP“-Open-Airs im Winterhuder Stadtpark verantwortlich zeichnete, die stattfinden sollten am 22. und 23. September 1984. So erhielt ich von dieser Nachbarin den allerersten Backstage-Pass meines Lebens, stürzte mich Ende Mai auf die zur Tour veröffentlichte, neue „BAP“-Scheibe „Zwesche Salzjebäck un Bier“ und freute mich, gerade mal 13 Jahre alt, wie sonst was auf die Aufwartung meiner 1983 frisch entdeckten Rockhelden uss Kölle am Rhing zum Ausklang der Hamburger Stadtparksaison des „Orwell-Jahres“.
Am Freitagabend, dem 22. September 1984, 14 Tage nach meiner vollkommen misslungenen, sogenannten „Ersten Liebe“ (die ich seit damals in schriftlichen Ausführungen stets in Axel-Springer-gemäße Anführungszeichen setze, da dieses Fiasko genauso wenig „Liebe“ war, wie die „DDR“ „demokratisch“), konnte ich auf konstruktivste Weise meinen Frust darüber abbauen mittels drei Stunden „BAP“ in R(h)einkultur. „Alexandra – Nit nur Do“, „Diss Naach ess alles drin“, „Nemm mich met“, „Zofall un e janz klein bessje Glöck“ – diese und die meisten anderen, im Rahmen meines allerersten „BAP“-Konzerts aufgeführten Songs sind bei mir längst in Fleisch und Blut übergegangen und haben mich seit nunmehr 33 Jahren nicht mehr verlassen.
So hat es mich 2016, 33 Joohr donoh, wiederum zu einem „BAP“-Konzert hingezogen, bestimmt dem 20. seiner Art, das ich in den letzten 33 Jahren, ob in Hamburg, in München, in Paderborn, in Geesthacht, in Entenwerder oder in Ingolstadt, immer wieder erwartungsvoll besuchte und hierbei niemals enttäuscht wurde.
Unter dem Motto „Lebenslänglich – 40 Jahre BAP“, gastierten „Niedecken’s BAP“, wie sich die runderneuerte, aktuell sechsköpfige Formation um das einzig verbliebene Gründungsmitglied, den Sänger, Liedschreiber, Lieddenker, Geschichtenerzähler Wolfgang Niedecken, heutzutage nennt, im Zuge dieser Jubiläumstournee am Dienstag, dem 31. Mai 2016, in der mit 4.500 Gästen sehr gut gefüllten „König-Pilsener-Arena“ zu Oberhausen. Dies hatte für mich, als langjährigen, treuen „BAP“-Begleiter, natürlich das sofortige Ansuchen um eine Akkreditierung für diese über dreistündige Zeitreise durch vier Jahrzehnte kölschen Rock’n’Rolls bedeutet, der ich nun am vergangenen Dienstag, von immenser Freude beseelt und durchaus von einigen sentimentalen Empfindungen durchzogen, beiwohnen durfte.
Überwiegend Vertreter der Generation 40plus füllten dichtgedrängt die Sitzreihen in der „KöPi-Arena“. Die meisten der angereisten Fans dürften die Band ähnlich lange interessiert beobachtet, vielleicht auch genauso intensiv gelebt haben, wie der Verfasser dieser Zeilen. Nachgewachsene im Alter des 31jährigen Schlagzeugers und Jürgen-Zöller-Nachfolgers Sönke Reich hatten sich hingegen kaum in der Oberhausener Halle eingefunden. Vor Konzertbeginn, konnte man auf der großen Leinwand hinter der Bühne 40 „BAP“-Plattencover aus ebenso vielen Jahren des Bandbestehens bewundern, LPs, CDs, Maxis, bevor um 20.05 Uhr die Lichter ausgingen und „Niedecken’s BAP“ – bestehend aus Michael „MC Wet“ Nass (key), Ulrich Rode (git), seiner charmanten Gattin Anne de Wolf, einer unnahbaren Schönheit, die Geige, Cello, Xylophon, Gitarre und Posaune (!) wie aus dem Ff beherrschte, Ex-„Deserteur“ Werner Kopal am Bass, Jungspund Sönke Reich am Schlagzeug und selbstverständlich dem einzigen Urkölner der aktuellen Besetzung, Großmeister Wolfgang N. – die Bühne erklommen und sogleich mit der „alten“, gitarrenrockigen Version des 1981er-Kulthits „Frau, ich freu mich“ (aus „Für Usszeschnigge“) kraftvoll, frisch und voranpreschend loslegten. Es folgten der unvermeidliche „(Ne) schöne Jrooß“, an all die, die unfehlbar sind (bzw. sich dafür halten) – ich erspare mir aus Platzgründen an dieser Stelle eine Auflistung all derer, denen ich jään mol so einen bitterbösen „Schöne Jrooß“ bestelle wööd, do jivv et su einige, wobei ich trotzdem gerade irgendwie an das Malvengewächs „Althaea Officinalis“ denken muss… – und die Begrüßung der sehr schnell hingerissenen und von ihren Sitzplätzen aufgesprungenen Oberhauserinnen und Oberhauser (und aller zwecks dieser Jubiläumsfeier aus dem lokalen Umfeld Zugereisten) durch Wolfgang Niedecken persönlich. Dieser drückte seine Verbundenheit mit der „KöPi-Arena“ dahingehend aus, als dass er dort im Laufe der Jahre drei seiner großen Idole, Bob Dylan, Neil Young, Leonard Cohen, ‚live‘ erleben durfte und er sich schon jetzt auf den Auftritt der britischen Beatlegende „The Who“ am 10. September 2016 in ebendieser Halle sehr freue (einer Vorfreude, der ich mich gerne anschließe, denn Pete Townshend und Co. werde ich mir, selbst wenn ich dafür womöglich Eintritt zahlen muss, ebenfalls keineswegs entgehen lassen!)
Über erinnerungswürdige Kindheitserlebnisse des jungen Wolfgang N. im Nachkriegs-Köln, von ersten Torerfolgen auf dem riesig anmutenden Bolzplatz um die Ecke, über die frühe Konfrontation mit Elvis‘ Superschnulze „Love me Tender“, bis hin zur unerreichbaren, spanischen Stadtteilschönheit ‚Maria Lopez‘, berichtete nun der 1996er-Radiohit „Nix wie bessher“, bei dessen Zelebration 20 Jahre später Anne de Wolf an der Violine glänzte, bevor „BAP’s“ kommerziell erfolgreichste Single aller Zeiten, „Fortsetzung folgt“, im August 1988 Rang 10 der offiziellen „Media Control“-Listen, in diejenigen, nicht unumstrittenen Tage des Bandlebens zurückführte, in der sich das damalige kreative Gespann Wolfgang Niedecken/Klaus „Major“ Heuser offenkundig nicht einig darüber war, ob „BAP“ in Futuro weiterhin krossen, gitarrenorientierten, bluesdurchtränkten Rock präsentieren wollten, oder ob sie sich nicht viel lieber rundfunktauglich-kommerziell-soften Synthipop/Rock-Verschnitten hinzugeben gedächten.
„Für ´ne Moment“, Wolfgangs intime Hommage an singen ureigenen Dialekt, de Kölsche Verzäll, aus der darüber hinaus eher durchwachsenen 1999er-CD „Comics & Pin-Ups“, seine „persönliche Visitenkarte“, wie er es in Oberhausen so schön formulierte, leitete über in die sehr leise Beschreibung des schwerst traumatisierten Weltkriegsveteranen „Jupp“ (1981, aus „Für Usszeschnigge“), der all seine schlimmen Erlebnisse, seelischen, wie körperlichen Verwundungen, damit kompensierte, in dem er überall herum erzählte, was er alles auf der schönen, weiten Welt erlebt habe, obwohl er in Wirklichkeit während der sinnlosen Schlacht um Stalingrad letztlich seinen Verstand verloren hatte.
Weitaus fröhlicher und legerer wurde es daran anschließend im locker-flockig-sommerlichen, so philosophischen, wie lebensbejahenden Reggae-Ohrwurm „Aff un zo“ (2001); danach waren erst einmal vier äußerst spannungsgeladene Beiträge aus „Lebenslänglich, der im Januar d.J. erschienenen, aktuellen Studioproduktion von „Niedecken’s BAP“, an der Reihe. Dieses schlicht umwerfende, oft rückblickende, resümierende, manches erklärende Album ist musikalisch eng am Folkrock, US-amerikanischer, wie irisch-britischer Prägung, angelehnt. Es versprüht Reminiszenzen an allgegenwärtige Niedecken-Vorbilder a la Dylan, Neil Young, Tom Petty oder Springsteen, erweist sich zudem als außerordentlich textintensiv und legt einen wahrhaftigen „Angry Old Man“ an den Tag, der zwar nicht am Weltgeschehen verzweifelt, aber immer wieder den Finger in die klaffende Wunde des heutigen Ex-und-Hopp-Zeitgeistes legt und über seine Eindrücke famose, bildreiche Geschichten singt und proklamiert. In acht kurzen Strophen kam somit Wolfgangs auf „Lebenslänglich“ dargelegte Autobiographie „Alles ist relativ“ zum Einsatz, wobei an dieselbe die bissig-zynische, anklagende, aber nicht verletzende, im Sinne eines Dylan‘esquen Talking Blues gehaltene „Ballade vom Vollkasko-Desperado“, anschloss. Düster, ernst, fast apokalyptisch, und ob ihres zeitkritischen Tiefgangs weitestgehend auf Hochdeutsch (!) verfasst, begab sich Wolfgang nun auf eine zermürbende Reise durch das „Absurdistan“ (Songtitel) des Heute und Hier, worauf eine beklemmende Geschichte von Flüchtlingen aus Nordafrika folgte, die auf überfüllten Booten nach Gibraltar fliehen wollen, um dort die „Vision von Europa“ (Songtitel) zu erleben, aber auf dem beschwerlichen Weg dorthin elendig ums Leben kommen. Letzteres Klangdrama widmete der „BAP“-Frontmann in Oberhausen übrigens „CAP Anamur“-Menschenrechtsaktivist Rupert Neudeck, der am Morgen des 31. Mai 2016 an den Folgen einer Herzoperation verstorben war und für Wolfgang immer eine Art Stichwortgeber, gerade in Bezug auf seine karitativen Tätigkeiten im von ihm ins Leben gerufenen „Rebound“-Projekt zugunsten ehemaliger Kindersoldaten im Kongo, darstellte.
Dieser inhaltlich, wie musikalisch hochinteressante und zugleich brisante Abstecher in das „BAP“-Geschehen des Jahres 2016 bezeugte in bester Form, dass viele – wie gesagt, lyrisch zumeist sehr tiefgehende, nachdenkliche – Lieder von „Lebenslänglich“ erst im wilderen, mal düsteren, mal rockig-hymnischen Live-Kontext so richtig aufleben bzw. aus sich herausgehen, während die Studio-Originale im Gegensatz dazu oft sehr dezent, still, vielleicht aff un zo gar ein bisschen spröde und in sich gekehrt daherkommen.
‚Bob Dylan meets Bo Diddley‘ hieß es nun im bluesig-trockenen, abermaligen Talking Blues „Diego-Paz wohr Nüngzehn“ (2008, aus „Radio Pandora“), der sich mit dem Schicksal zweier im Falkland-Krieg im Frühjahr 1982 gefallener Soldaten – einer aus Argentinien, einer aus Großbritannien stammend – drastisch und mitfühlend gleichermaßen auseinandersetzt. Bei der Aufführung dieses aufrüttelnden, aufgeregten, geradezu nervenaufreibenden Blues-Rock-Gewitters duellierten sich Michael Nass an der Hammond-Orgel und Ulrich Rode an der Slide-Gitarre, spielten sich gegenseitig hoch, was der so aussichtslosen, wie warnenden Story über die beiden, nahezu gleichaltrigen, gegeneinander kämpfenden und doch so ähnlich denkenden Soldaten eine ganz besondere Dramatik und Dynamik verlieh.
Dem 1971 verstorbenen Kölner Photokünstler Carl-Heinz Hargesheimer, genannt: Chargesheimer, widmeten „BAP“ 2004 auf der CD „Sonx“ die gesungene Retrospektive „Unger Krahnebäume“, die über eine urige Kölner Straße nahe der sagenumwobenen „Nord-Süd-Fahrt“ handelt, die es als solche hückzoodaach joor niemieh jitt. 2016 ertönte diese Liebeserklärung an die 50er Jahre „unter den Krahnenbäumen“ zunächst introvertiert, zurückhaltend, bis dann auf einmal mittels berstender Rocksounds dieses Kapitel Kölscher Stadtjescheech kongenial, trefflich und gefühlvoll in einem abgehandelt wurde, gefolgt vom hardrockigen „Lebenslänglich“-Beitrag „Dausende von Liebesleeder“, in dem der einst so kritisch-distanzierte „Rest-Katholische“ Wolfgang Niedecken seinen inneren Frieden – ob aus Altersweisheit oder aus Altersmilde, weeß he sälvs nit jenau – mit all den häufig platt und allzu volkstümlich wirkenden Sitten und Gebräuchen seiner Heimatstadt am Rhing schloss.
Auf der Setlist stand nun der sog „Vier-Liebeslieder-im-Sitzen“-Block. Das bedeutete in Oberhausen: Vier knisternde, wie immer bei Wolfgang N. perfektest ausformulierte Gefühlsaufwallungen aus 40 Joohr „BAP“, von den Bandmitgliedern auf Barhockern sitzend, nahezu „unplugged“, ohne großartige technische Gimmicks und Spielereien, urwüchsig, erdig und „Jraaduss“ dargeboten. „Jraaduss“ woor ooch dat ätzte dieser „vier Liebeslieder im Sitzen“, ein aufbauendes, mutmachendes Chanson aus dem 1981er-Hitalbum „Für Usszeschnigge“, das noch heute pures Gänsehautfeeling erzeugt. „Paar Daach frööher“ stammt im Original aus der sehr vielschichtigen 1993er-CD „Pik Sibbe“, erwies sich neuerlich als sehr Dylan-beeinflusst und lässt einen verlassenen Mann seine letzte Beziehung Revue passieren: ER sitzt im kühlen, spätherbstlichen Köln, SIE ist abgehauen, vielleicht irgendwo ins sonnige Marokko. ER hat immer gewusst, dass SIE das wichtigste in seinem Leben ist, aber… dat alles hätte ihm am besten ein „Paar Daach frööher“, ergo vor der Trennung, in den Sinn kommen können…
Daraufhin erklang „Alles em Lot“ in einer wundervoll und punktgenau entschlackten, jeglicher Radio- und Chartstauglichkeit abholden, nahezu semiklassischen Umsetzung, geprägt von sachtem Piano, dunklem Kontrabass, leiser, gefühlvoller Akustikgitarre und Anne de Wolfs eloquent gestrichenem Cello. Domohls, 1990 auf der LP „X für e U“, galt „Alles em Lot“, rein lyrisch betrachtet, als ein, wenn nicht gar DAS Meisterstück, der gesamten Trackliste. Dennoch – ob es „Majors“ Einfluss war oder die Plattenfirma darauf gedrängt hatte – sickerte „Alles em Lot“ 1990 stringent kommerzsüchtig, Synthi-verkleistert, aller Ecken und Kanten beraubt, aus den Lautsprechern der seinerzeit aufkeimenden, anonymen Elektro-Großmärkte, die Ende der 80er den guten, alten Schallplatten-Fachhandel mit Persönlicher Beratung erbarmungslos ablösten… Im Anschluss an die Darbietung von „Alles em Lot“ – vom nicht mehr kleinzukriegenden Oberhausener Auditorium graziös mitgesungen, mitgefühlt, mitgelebt – meinte Wolfgang dem Sinne nach, er sei stolz und froh darüber, mit seiner derzeitigen Formation, gerade diesen Titel in ebendieser zerbrechlichen, hautnahen Ausformung erstmals genauso aufführen zu können, wie er es sich schon immer gewünscht hatte. Dem ist – trotz meiner Verehrung für Klaus „Major“ Heuser als späteren Blues-Gitarrero – ooch rein jarnix hennzo zoföje. Aus dem 1982er-Nummer-Eins-Opus „Vun drinne noh drusse“, fand schlussendlich das unschlagbare, noch heute schier betörende Liebesgeständnis „Do kanns zaubre“ seinen wohlverdienten Weg in den einfach nur phantastischen „Vier-Liebeslieder-im-Sitzen“-Block.
Gleichsam 1981/82 entstanden, war der bedrohliche Warnruf vor einer neuerlichen „Kristallnaach“. Dieser zeitgeschichtlich überaus bedeutsame Titel gleichen Namens ist ohne Zweifel leider noch heute genauso aktuell, wie zu Zeiten seiner Erstveröffentlichung auf „Vun drinne noh drusse“. Er mündete entsprechend am vergangenen Dienstagabend themengerecht in den brachialen Anti-Rassismus-Hymnus „Arsch huh – Zäng ussenander“ aus dem Herbst 1992. Aber, ich möchte ehrlich sein – und dies sehen viele Freunde und Bekannte, übrigens auch und gerade solche aus der ersten und zweiten Einwanderergeneration (und diese ganz besonders!), genauso: Sollten solche gutgemeinten Lieder im gesamtgesellschaftlichen Kontext des Jahres 2016, und insbesondere hinsichtlich all der üblen Vorkommnisse, ob zu Silvester am Kölner Domplatz oder vor wenigen Tagen beim Schloßgrabenfest in Darmstadt, trotz aller grundehrlicher und jederzeit ehrbarer inhaltlicher Substanz, nicht durchaus kritisch hinterfragt werden bzw. bestenfalls auf eine Allgemeingültigkeit in punkto Gewaltfreiheit, Courage und Bürgerpflicht umgemünzt werden, um dem Gesamtkomplex, der seit knapp einem Jahr auf uns hereingebrochen ist, politisch, kulturell und (mit)menschlich gerecht zu werden? Kein Normalbürger hat etwas gegen sympathische Fußball-Stars, wie Boateng oder Özil, in seiner Nachbarschaft oder sonst wo, kein Normalbürger möchte, dass an Grenzen, nicht anders, wie es einst im „DDR“-Regime und in anderen kommunistischen Staaten der Fall war (und hier kann meine Familiengeschichte so einiges erzählen), in menschenverachtender Manier geschossen wird – aber, kein Normalbürger möchte in einem Atemzug und unterschiedslos auf Feiern oder Festivals von entsprechenden Tätergruppen belästigt, bestohlen, bedrängt, befummelt werden. Diese nicht wegzudiskutierenden Faktoren sollten auch und besonders die politisch versierten Rock- und Popmusiker in diesem, unseren Lande bei ihren wohlgemeinten und fraglos notwendigen Liedern stets bedenken, denn: Toleranz kann keine Einbahnstraße sein!
„Verdamp lang her“… Wolfgang Niedeckens so liebevolle, wie schonungslose Analyse seines ambivalenten Verhältnisses zu seinem im Herbst 1980 verstorbenen Vater, dem Kaufmann Josef Niedecken, ist von jeher ein nicht wegzudenkendes MUSS bei allen „BAP“-Konzerten. Der Herr Sohnemann betonte immer wieder, mit impulsiver Vorliebe dieses Lied – das 1982 vollkommen unerwartet den Grundstein für den bundesweiten Durchbruch von „BAP“, in die höchsten Sphären der Hitparaden hinein, legte – bei keinem seiner Auftritte außer Acht lassen zu wollen und somit ein ums andere Mal gern zu spielen. Herr Niedecken sen. muss ein vielleicht sehr engstirniger, konservativer, aber bestimmt sehr liebevoller Mensch gewesen sein; mein Herr Papa, 1984 verstorben, war womöglich noch konservativer; ein klassischer „Kalter Krieger“, aber zugleich, wohl ob seiner ungarischen Herkunft, sehr weltoffen und international ausgerichtet, mit zig Kontakten, gerade in die arabische Welt hinein. Wolfgang, erwachsen geworden in den Irrungen und Wirrungen der 60er, v.a. 1968er Jahre, haderte mit seinem Vater. Obwohl ich von meinem Vater nicht nur meinen bis heute währenden Musikgeschmack erlernte und nicht wenige ethisch-moralische Grundsätze mit auf den Weg bekam, hadere auch ich bis heute sehr mit ihm. Somit wurde „Verdamp lang her“ zugleich zu einem unverbrüchlichen, musikalischen Begleiter meines eigenen Lebens: „Häss fess jejläuv / dat wer em Himmel op dich waat / "Ich jönn et dir", hann ich jesaat“! Dem ist meinerseits nichts hinzuzufügen. Das Publikum sang lauthals mit… und Herr Niedecken sen. und Herr Prof. Tamas von Kreybig dürften so erstaunt, wie begeistert, von ihrer Wolke auf das ausgelassene Spektakel, mitten in Oberhausen, heruntergeschaut haben!
Um 22.20 Uhr verließen „Niedecken’s BAP“ die Bühne der „KöPi-Arena“ zu Oberhausen zum ersten Mal an jenem Abend. Aber jeder, der in seinem Leben schon mal ein „BAP“-Konzert besucht hat, weiß, dass bei derartigen Veranstaltungen regelmäßig viele, viele Zugaben reine Ehrensache sind. So erschienen Wolfgang und die Seinen bald von neuem auf den die Welt bedeutenden Brettern und spielten den Titelsong des (rein subjektiv betrachtet, eher mauen) 2011er-Albums „Halv su wild“. Ja, und dann hieß es: Augen schließen – und ab in die mittleren 80er… genau gesagt, in den Februar 1984, direkt in den Kölner Römerpark… wo es ‚länger hell blieht‘ und der Star des Abends, damals gerade Vater geworden, seinen kleinen Sohn Severin im Kinderwagen spazieren fuhr… Der umjubelte „Rockschtar“ von „BAP“ saß unerkannt auf einer Bank, Severin im Kinderwagen. Wolfgang sinnierte so vor sich hin… und plötzlich fuhr dieses junge, ca. zehnjährige Mädchen mit seinem Fahrrad durch den Park und rief nach seiner Freundin: „Alexandra! – wo bist Du?“. Eine Runde nach der anderen, aber Alexandra war und blieb unauffindbar. Wolfgang ging bei Einbruch der Dunkelheit nach Hause, brachte den kleinen Severin zu Bett, öffnete seinen Rotwein und brachte seine Gedanken und Gefühle zu Papier.
Daraus entstand der nicht zu übertrumpfende „BAP“-Klassiker „Alexandra – Nit nur Do“. Ein Lied, das mich schon 1984, kurz nach Erwerb der dazugehörigen LP „Zwesche Salzjebäck un Bier“, regelrecht in Trance versetzt hatte. Dieses tönende Wunderwerk nun am letzten Dienstag in Oberhausen nochmals in feinster Darbietung genießen, nachempfinden, neuerlich „als wenn et jestern wöör“ erleben zu dürfen, war, ich denke, nicht nur für mich, sondern ebenso für viele anwesende Altersgenossen in der „KöPi-Arena“, ein unvergleichliches Erlebnis. Statt des gewohnten, ausschweifenden Gitarrensolos, zauberte diesmal Schlagzeuger Sönke Reich eine ellenlange „Behandlung“ seines spezifischen Instruments hervor, bis dann Gitarrist Ulrich Rode strikt und unwiderruflich hinführte zu Strophe Vier dieses grandiosen „BAP“-Meilensteins, met „Ding Cohen-Plaate, Jacques-Brel-Sampler un Spazierjäng em Rähn“.
Kurz darauf, ging es gnadenlos zurück ins Jahr 2016 in Richtung des ob seiner Bescheidenheit so liebenswerten Rockopus „Dä Herrjott meint et joot met mir“. Dabei handelt es sich um einen prickelnden Roadsong aus „Lebenslänglich“, der darüber Auskunft erteilt, wie sehr Wolfgang Niedecken seinem Schöpfer, mit dem er als Ex-Klosterschüler ebenso arge Rechnungen offen hatte, wie mit singem Herrn Bapp, explizit dafür dankt, dass dieser ihn, trotz manch unsoliden Lebenswandels, und noch dazu im Angesicht seines im Herbst 2011 erlittenen, schweren Schlaganfalls, dennoch und trotz allem, jetzt und in Zukunft mit „‘ner Show met ‘ner Band, die immer noch rockt“ (Textzitat) durch die Lande ziehen und ihn seine Fans ein ums andere Mal begeistern lässt.
22.43 Uhr wohr et inzwischen, als „BAP“ zur zweiten und letzten Zugabe auf die Bühne der Oberhausener „KöPi-Arena“ zurückkehrten. Wir hörten nun das zeitgeschichtlich relevante Klangdrama „Amerika“, das sensibel und feinsinnig über die widersprüchlichen Eindrücke erzählt, die ein deutscher Kriegsverlierer in Anbetracht der ersten US-amerikanischen Soldaten, die dieser in seinem Leben überhaupt real gesehen hat, bezüglich der Befreier und Besatzer wahrnimmt. Das frohsinnige Liebeslied „Rita, mer Zwei“ (1999, aus „Tonfilm“) – mal wieder mit Anne de Wolf an der führenden Violine -, der Abschlusstitel von „Lebenslänglich“, namentlich die dunkel-philosophisch-vertrackte Klangkaskade „Unendlichkeit“, und das sprichwörtliche „Et letzte Leed“ (1983), das bislang nur auf eingangs erwähnter Live-Doppel-LP „Bess demnäxh“ zu hören ist, beschlossen ein musikalisch enorm hochwertiges, für mich persönlich, wie geschildert, sehr ergreifendes und berührendes Konzertereignis der Extraklasse. Trotz seiner 65 Jahre, ist „BAP“-Frontmann Wolfgang Niedecken stimmlich weiterhin „up to Date“, ein charismatischer „Storyteller“ im besten Sinne des Wortes. Die Verjüngung der „BAP“-Mannschaft durch Sönke Reich und das Ehepaar Rode/de Wolf hat bevorzugt den alteingesessenen Bandevergreens sehr, sehr gut getan. Diese erklangen in Oberhausen deutlich aufgefrischt, teils manch früherer Überladung/Überfrachtung durch ausufernde Gitarrensoli oder überbordende Keyboard- und Synthi-Schwaden endlich und sehr zu ihrem Vorteil entledigt.
Dieses Jahr, so stelle ich persönlich fest, befinden sich viele meiner alten, „lebenslänglichen“ Heroen auf Tour. Daueraktive, wie –attraktive Künstler, zu deren Liedern ich selbst seitenlang Geschichten erzählen könnte. Vor zehn Tagen feierte Udo Lindenberg seinen 70. Geburtstag in der Gelsenkirchener „Veltins-Arena“ auf Schalke nach, gestern nun spielten „BAP“ – oder heutzutage: „Niedecken’s BAP“ – die beliebtesten ihrer Lieder von 1976 bis 2016; Ende August tritt Roland Kaiser, der immerhin auch schon über 40 Jahre hochreputierlich im Geschäft ist, Open-Air in Hürth nahe Köln auf. Jamie-Lee sowieso ist bereits ins Reich der Mangas entschwunden, „Prince Damian“ und irgendwelche „mutterfickenden“ Prekariats-Rapper dürften in Bälde dorthin folgen. Udo, Roland oder „BAP“ hingegen machen seit vier Jahrzehnten und mehr ihr eigenes Ding, begeistern mehrere Generationen an Musikfreunden ein ums andere Mal mit grandiosen, jeweils unkopierbaren Beiträgen zur einheimischen Rock- und Popkultur.
Dass „Niedecken’s BAP“, trotz aller Umbesetzungen, Neustarts, Rückschläge, immer noch zu den ganz Großen des bundesdeutschen Rockgeschehens zählen, hat ihr fulminanter Auftritt am 31. Mai 2016 in der „KöPi-Arena“ zu Oberhausen in bester Manier und unwiderlegbar bewiesen. Udo vor zehn Tagen war bekanntlich ebenso phänomenal, und auch Roland K. dürfte im Spätsommer am Otto-Maigler-See in Hürth-Gleuel eine wahre „Kaiser-Mania“ auslösen, über die ich zum gegebenen Zeitpunkt, sollte es meine Gesundheit zulassen, liebend gerne ausführlich berichte. Vielleicht, wenn mich der Hafer sticht, wie es so schön heißt, werde ich am 19. Dezember 2016 – bis dahin absolvieren „Niedecken’s“ BAP“ knapp 50 konzertäre Besuche in ganz Deutschland plus ein paar Shows in ausgewählten Orten in Österreich und der Schweiz – das ultimative Abschlusskonzert dieser bahnbrechenden Mammut-Tournee zum 40jährigen Jubiläum der Firma „BAP“ in der Kölner „Lanxess“-Arena aufsuchen und danach darüber schreiben. Selbst, wenn ich dann mit einiger trauriger Gewissheit auf einen Elektro-Scooter zwecks Fortbewegung angewiesen sein werde, wäre es eine ganz tolle Sache – frei nach dem Motto: Besser Scooter fahren, als „Scooter“ hören! – dieses hochspannende, jubiläumsreiche Popjahr 2016 mit „BAP“ bzw. „Niedecken’s BAP“ gemeinsam beschließen zu können.
Sämtliche Tour-Termine von „Niedecken’s BAP“ findet man hier: http://www.bap.de/start/aktuell/termine!
Holger Stürenburg, 31. Mai 2016 bis 01. Juni 2016
http://www.universal-music.de/company/umg/polydorisland
http://www.bap.de/start/