HERWIG MITTEREGGER
Die neue Solo-CD "Sol mayor" im Test von Holger Stürenburg!
Der Ex-“Spliff”-Schlagerzeuger mag es noch einmal wissen!
Die meisten von uns kennen HERWIG MITTEREGGER – übrigens gebürtiger Österreicher (was die wenigsten von uns wissen) – als Schlagzeuger der vollkommen zu Unrecht der Neuen Deutschen Welle zugeordneten Deutschrock-Band „Spliff“, die 1979/80 aus der einstigen Begleittruppe von Punkchanteuse Nina Hagen hervorgegangen war. „Carbonara“, „Heut‘ Nacht“, „Das Blech“, „Deja Vu“, „Radio“, „Telephon-Terror“ (Gruß an wen auch immer… der Verf.), gelten als die größten Hits von „Spliff“, die sich 1985, nach dem famosen Album „Schwarz auf Weiß“, aufgrund persönlicher Differenzen auflösten.
Schon 1983 hatte Herwig die bahnbrechende Solo-LP „Kein Mut – Kein Mädchen“ vorgelegt… es folgten weitere Deutschrock-Höhepunkte, wie „Immer mehr“ (1985 – bis heute einer meiner Ewigkeitsfavoriten), „Blinder Passagier“ (1987), „Mitteregger“ (1990 – mit dem eindringlich-rohen Blues vom „Niederrhein“ und dem lakonischen Abschiedsgruß „Aus und vorüber“) oder „Wie im Leben“ (1992). Darüber hinaus produzierte er ebenso geniale Genre-Kollegen, wie z.B. Ulla Meinecke, Dr. Manfred Maurenbrecher oder das (wenn auch phantastische) Ein-Hit-Wunder „Sternhagel“.
Nach einigen Jahren Pause, die der heute 64jährige Multiinstrumentalist in Spanien verbrachte, kehrte er nach dem Millennium in die BR Deutschland zurück und ließ sich mit seiner Familie in Hamburg nieder. Dort begründete er sein eigenes Label „Manoscrito Music“ und veröffentlichte im Eigenvertrieb die bei Fachleuten, Kennern und Beinhart-Fans auffallend beliebten Scheiben „Insolito“ (2008) und „FanDango“ (2009), die ich in jenen Tagen auch mit Wonne auf verschiedenen Musikportalen vorgestellt hatte.
Nun liegt, nach acht Jahren kreativer Zurückhaltung, Herwigs aktuelles Album „SOL MAYOR“ (Manoscrito Music/Vertrieb: EDEL Kultur) vor: Ein verschnörkeltes, außerordentlich textbezogenes, zudem sehr gitarrenorientiertes, stets latent vom ehrlich-geradlinigen Blues durchzogenes Meisterwerk, welches einerseits deutlich an „Immer mehr“-Höhenflüge der 80er Jahre erinnert, andererseits frisch, zeitnah und – im Grunde genommen – über jede Zweifel erhaben inszeniert wurde, wobei Herwig alle Songs nicht nur selbst geschrieben, sondern auch in Gänze in Eigenregie eingespielt hat.
Der Eröffner „Kammamasehn“ ist ein breitgefächerter (Akustik-)Gitarrenrock, gehalten im mittleren Tempo, verbunden mit einem kernigen, sogleich ins Ohr gehenden Groove, der sich inhaltlich mit dem möchtegern-kosmopolitischen Gehabe oberflächlicher Hedonisten auseinandersetzt. „Kann ja gar nicht sein“ ist dagegen ein grazil swingender, relaxter, nahezu minimalistischer Gitarrenpop, der sich thematisch um die Selbsterkenntnis dreht, das Leben sei letztlich – in negativer, wie ein positiver Hinsicht – ein regelrechter Zirkus.
„All die langen Nächte“ stellt einen lauten, sehr opulent, vertrackt und zugleich modern arrangierten, liebevollen Rocksong mit moderaten Tempowechseln und fetten Keyboard-Passagen dar. „Sommerwind“ ist wiederum ein erholtes, spürbar sommerliches, intim-verträumtes Liebeslied auf lockerer Gitarrenbasis, woraufhin mit „Für immer“ ein brodelndes, geradezu nervöses, aussichtslos aufscheinendes Gitarren-plus-Keyboard-Melodram folgt.
Die reflektierend-philosophische, knapp sechsminütige Ballade „Schmetterling“ wurde im Gegensatz dazu immens sanft und zurückhaltend ausgekleidet, während sich „Messi im Verein“ als so wiegender, wie erdig-authentischer Slow-Swamp-Blues den Weg durch die Lautsprecher bahnt.
„Alles ist gut“ ist eine romantisch-schwebende, optimistisch-surreale Poprock-Ballade mit tollem Piano und ausgefeilten Synthi-Kaskaden in bester 80er Jahre-Tradition. An diese schließt die traumwandlerische, nur instrumental am Piano gespielte, beinahe als klassisch zu klassifizierende „Serenade“ an.
Wehend, nachdenklich, gleichsam aufmunternd, anregend und erquicklich, kommt der perlende Gitarrenpop „Hellster Stern“ daher – ein als rigoroses Kompliment aufzufassendes Lied für den hellsten Stern im Himmel des Lied-Ichs -; „Sieben Gazellen“ bedeutet einen tiefsinnigen, intimen, innig-gefühligen Bar-Piano-Blues-Schleicher, der den Rezipienten in gewisser Weise an die legendären US-Singer/Songschreiber Tom Waits oder Randy Newman gemahnen lässt.
Dementgegen dröhnend und phonstark erklingt das knallige, aufreibende, mühsame Funk/Rock/Blues-Gebräu „Winnetou“, wohingegen es sich bei „Davon“ – folgend auf das kurze (wie der Name schon sagt) Synthi-/Piano-Drama „Drama“ – um einen legeren, abgeklärten, hochmelodischen Akustik-Gitarrenrock mit atmosphärischen Blues-und Country-Einsprengseln handelt.
Mit der krachenden, bluesigen Gitarrenrock-Orgie „Ich erleb nix mehr“ endet ein wahrhaftiger Meilenstein des traditionsbewussten und dennoch zeitgemäß umgesetzten Deutschrock. HERWIG MITTEREGGER hat mit „SOL MAYOR“ einmal mehr eindrucksvoll, imposant und nachhaltig bewiesen, dass er ein absoluter Könner auf seinem Gebiet ist und fraglos weiterhin zu einem Conférencier der einheimischen Rockszene ausgerufen werden muss. Für den „Nebenbei-Musikhörer“ ist „SOL MAYOR“ sicherlich nichts, aber jeder, der sich in die Gefilde einer so extravaganten, wie brillanten Persönlichkeit, als solche man HERWIG MITTEREGGER zweifelsohne zu bezeichnen hat, begeben möchte, sich in seine lyrischen, wie musikalischen Kunststücke einfühlen mag, hat mit „SOL MAYOR“ einwandfrei das richtige und treffliche Kunstwerk in Händen, in Ohren und im Hirn!
Holger Stürenburg, 04. bis 06. Februar 2017
http://manoscrito-music.de/ManoscritoMusic_SolMayor.html
http://www.herwig-mitteregger.de/