HEINZ RUDOLF KUNZE
Die CD "MEISTERWERKE: VERBEUGUNGEN" im Test von Holger Stürenburg!
Das Album, das am Freitag (30.09.2016) erscheint, wird mit einer großen “Starwatch” Kampagne flankiert!
HEINZ RUDOLF KUNZE, der zu Anfangszeiten seiner inzwischen 35 Jahre währenden künstlerischen Laufbahn als „Niedermacher“ bezeichnete, womöglich ‚verschriene‘ Rockpoet, der Zeitgeistkritiker und „Finger-in-die-Wunde-Leger“, der personifizierte „Vertriebene“ (so ein punktgenauer Titel von ihm aus dem Jahr 1985), der zerbrochene und zerbrechliche Patriot mit Widerhaken, der sich noch an nichts gewöhnt hat, (und zudem seit 32 Jahren das große Vorbild, der „Seelenverwandte“ des Verfassers dieser Zeilen), feiert am 30. November diesen Jahres seinen 60. Geburtstag.
Im Frühjahr 2016 legte der ausgemachte, hochbegabte Verbalanarchist – ich nenne ihn gerne den „Hendryk M. Broder des Deutschrock“ – seine letzte Studioscheibe „Deutschland“ vor, die ich HIER ausführlich gewürdigt habe.
Aus Anlass seines bevorstehenden 60. Ehrentags, begibt sich HRK – wie ihn seine Fans gerne hochachtungsvoll und freundschaftlich nennen – nicht nur auf ausgiebige Konzertreise eben durch „Deutschland“, seine ewig missverstandene und missverständliche, nicht Wahl-, sondern Zwangsheimat, mit der er seit Jahrzehnten so liebevoll, wie enttäuscht, so konstruktiv, wie fragenstellend in positivster Manier, hadert -, sondern schenkt er sich ein ganz besonderes, außergewöhnliches Konzeptalbum, welches am 30.09.2016 bei RCA Deutschland / SONY Music veröffentlicht wird.
Es handelt sich dabei, obwohl Heinz keines der darauf bedachten Lieder selbst geschrieben hat, um eine sehr persönliche, intime Liedkollektion – denn HEINZ RUDOLF KUNZE singt auf dieser CD namens „MEISTERWERKE: VERBEUGUNGEN“ immer ansprechend, sympathieerregend und gleichermaßen zickig und hartnäckig, insgesamt 14 Titel anderer deutschsprachiger Künstler aus fünf Dekaden einheimischer Popmusik, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Zwischen dem über alles erhabenen, altehrwürdigen Austro-Hamburger Schlager- und Country-Star Freddy Quinn (1962) und dem deutsch-amerikanischen Rap-Rocker „Casper“ (2013) steht vieles aus dem teutonischen Musikleben auf der Agenda, was Heinz, unterstützt von seiner Band und dem in der Hansestadt ansässigen Produzenten Swen Meyer (u.a. „Kettcar“, „Tomte“, Olli Schulz), in einem sehr aufregenden, oft unerwartet ‚anders‘ klingenden Ambiente neu aufgenommen und eingesungen hat.
Da wäre als Starter etwa nichts Geringeres zu nennen, als „Ganz in Weiß“. Dieser dauerhafte Schlagerklassiker von Roy Black, der im Jahre 1966, inmitten der aufkeimenden Beat-Ära, längerfristig die bundesdeutschen Singlehitparaden anführte und bis in die Gegenwart hinein von zig Hochzeitsfeiern, wie Schlagerfeten, nicht wegzudenken ist, leitet nun in einer fraglos exzentrischen, aber eben deshalb außerordentlich liebenswerten und prickelnden Neueinspielung von Heinz Rudolf Kunze dessen brandaktuelles Opus „Meisterwerke: Verbeugungen“ wahrlich meisterhaft ein. Als unterkühlt-morbider, zugespitzt schleppender Country-Blues dargereicht, entfaltet diese einstige Superschnulze eine so sympathische, wie nicht alltägliche Dynamik.
Als erste Singleauskoppelung aus vorliegender Silberscheibe dient der sanfte Gitarrenrocker „Blumen aus Eis“, den Heinz in der konsequent radiotauglichen Popfassung, zu einem schwelgerisch-atmosphärischen Edel-Arrangement, bravourös intoniert, geradezu hochemotional auslebt. Dieser Titel entstammt ursprünglich der im Frühjahr 1982 erstveröffentlichten LP „Der Blaue Planet“ der erfolgreichen „DDR“-Rockband „Karat“. Auf diesem sehr friedensbewegt orientierten Album (einen bissigen Exkurs betreffs der staatlich gesteuerten (NICHT der inoffiziellen, daher „verbotenen“!) „Friedensbewegung“ des Arbeiter- und Bauernstaates erspare ich mir an dieser Stelle!) befand sich mit „Blumen aus Eis“ eben ein grazil-melancholisch ausformuliertes Gefühlschanson, welches übrigens schon im selben Jahr von Drafi Deutscher auf dessen LP „Drafi“ im symphonischen Synthesizer-Kontext gecovert wurde, und nun auf Heinz‘ neuestem Tonträger, sowohl als eingängig-süffiger Schleicher, als auch ausgeformt als phonstärkere Rock-Nummer, zum Zuge kommt, mit derselben er die dezente Grundstimmung der Popversion gekonnt konterkariert.
Dem unvergleichlichen Entertainer Freddy Quinn huldigt das Geburtstagskind mittels einer schwungvollen, zwischen Country-Rhythmus und latenter Polkastimmung angesiedelten Neuinterpretation von dessen 1962er-Nummer-Eins-Walzer „Junge komm‘ bald wieder“. Dies passiert augenzwinkernd, vermittelt dabei aber stets eine respektvolle und ernsthafte Intention, zumal Freddy ein solcher Künstlerkollege ist, an dem HRK als Kind der 60er Jahre einfach nicht vorbeikommen konnte!
Die jüngste Komposition, die ihren Weg auf „Meisterwerke: Verbeugungen“ fand, ist der 2013er-Hit “Hinterland“ des explizit bei jugendlichen Musikfreunden enorm gefragten Rappers „Casper“; eine Art „„Born to Run“ des Hip Hop“, welches Heinz und sein Team, mit extravaganten Streichern verziert, noch weitaus (gitarren-)rockiger, und tanzbarer auskleiden, als dies beim Original der Fall war, und durchaus im Sinne aktuellerer Springsteen-Epen vortrefflich umsetzen. HRK, so ist in den „Liner Notes“ zu lesen, kannte (ebenso wie der Rezensent) diesen so ‚modernen‘ Song zuvor gar nicht. Aber Produzent Swen Meyer legte dem Jubilar das Lied nahe und dieser verstand es perfekt, trotz des Generationsunterschiedes – „Casper“ ist 26 Jahre jünger als Heinz –, „Hinterland“ im klassischen Deutschrock-Stil hervorragend und ohne jegliche Häme („Nichts ist so erbärmlich, wie die Jugend von heute“…) nachzuempfinden.
Im Sommer 2011 erschien die erste Solosingle des „TOMTE“-Frontmannes Thees Uhlmann. Dieses Urgestein der exaltierten Indie-Musikrichtung „Hamburger Schule“ verfolgt seitdem, neben seiner Leidenschaft als „TOMTE“-Mastermind, gleichsam eine Etablierung als Einzelkünstler, die das nahe Cuxhaven geborene Multitalent längst zu einem Zugpferd dieser Stilistik hat avancieren lassen. „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ nannte sich sein Solodebüt, in dessen Reimen der Hamburger Musiker, Buchautor und Mitbegründer des progressiven Labels „Grand Hotel van Cleef“ seine Kinderzeit in den 70er Jahren gewitzt und mit viel Liebe nachzeichnet. Heinz hingegen, der – nicht, wie Thees, der erst 1974 das Licht der Welt erblickte – bereits 1956 im Flüchtlingslager Espelkamp geboren wurde, dichtete den Originaltext pfiffig von 1974 auf 1956 um und verleiht Dank dieser Variation ebenjener, von jeher hochqualitativen und überzeugenden Rockorgie einen äußerst selbstironischen, dito tauffrischen Einschlag in bluesigem, beinahe (Synthi-)Boogie-Rock-gemäßem Klangbild.
Nun geht’s tief hinein in die musikalische Sensation der beginnenden 80er Jahre, genauer gesagt: in Richtung Neuer Deutscher Welle (NDW). Aus dieser Ära suchte sich Heinz für seine „Verbeugungen“ den umstrittenen Anarcho-Dance-Punk „Der Mussolini“ der kongenialen „Deutsch-Amerikanischen Freundschaft“, kurz „D.A.F.“, aus, sowie die innige Liebeserklärung an die heutige Bundeshauptstadt, „((Ich steh' auf)) Berlin“, des exquisiten New-Wave-Quartetts „Ideal“.
Aus einer ganz anderen tönenden Schublade stammt „Was ich Dir sagen will“, eine der schönsten und ehrlichsten Klavierballaden des 2014 verstorbenen Weltstars Udo Jürgens. Heinz verbeugt sich authentisch und aufrecht vor diesem einzigartigen Komponisten, Edel- und Lebemann, indem er seine Deutung des Titelliedes von Udos 1967er-LP in eine Aura der Zerbrechlichkeit, Ehrfurcht, geradezu voller Andacht ausführt, weshalb man förmlich spürt, wie sehr HRK seinen Kärntner Kollegen lebenslang verehrt hat.
Aus der punkig-anarchischen 2003er-Revolutionshymne „Deine Schuld“ der Berliner Truppe „Die Ärzte“ wird bei Heinz ein gedämpfter, im Tempo strikt verlangsamter, beruhigter, beinahe „Beatles“ ‘esquer „Perfect Popsong“ britischer Prägung; die einstige Monumentalballade „So lang man Träume noch leben kann“ (1987) der süddeutschen New-Romantic-Heroen „Münchener Freiheit“ gerät dagegen zu einem vollmundig aufgepeppten Feudal-Pop/Rock voller großbürgerlicher Eleganz und märchenhafter Poesie. Die Düsseldorfer Mainstream-Punker „Die Toten Hosen“ haben auf ihrer (m.E. sehr gelungenen) 1993er-LP „Kauf mich!“ den heutzutage längst als Fanfavorit, Stadion- und Partyhymnus geltenden Gassenhauer „Alles Liebe“ erstmals vorgestellt, den Heinz a.D. 2016 auf „Meisterwerke: Verbeugungen“ in einer typisch britischen „Kinks“-Sichtweise, deutlich sachter, romantischer und feinfühliger angeht, als es beim eher lauten, drallen Original der Fall war. (Vielleicht wäre es einmal eine interessante Idee, Heinz‘ und meinen „Seelenverwandten“ Raymond Douglas Davies Jr., den Leadsänger der „Kinks“, „Tage wie diese“ von Campino & Co. einsingen zu lassen… Dies klänge dann vermutlich ähnlich, wie Heinz‘ Darlegung von „Alles aus Liebe“ 😉
Perlend, sommerlich entspannt, hintergründig-lakonisch und offensiv-nachdenklich in einem, bestückt mit traumhaften Streichern, zirpenden Gitarren und nur sehr enthaltsam eingesetztem Schlagzeug, folgt daraufhin Hildegard Knefs musikalisches Erkennungszeichen „Für mich soll’s rote Rosen regnen“; der „DDR“-Filmsong „Wenn ein Mensch lebt“, 1973 für (laut Faz.de) Angela Merkels Lieblings-Kinostreifen „Die Legende von Paul und Paula“ von den „Puhdys“ ersonnen, erstrahlt 2016, seitens Heinz & Co., in einem erneut very british, „Kinks“-influenced Style, einwenig aufgedonnert, aber fortwährend melodisch und eloquent. Zum Schluss von „Meisterwerke: Verbeugungen“, begeht HRK ein ganz spezielles, selbst für Beinhart-Fans seiner, wie den Rezensenten, überraschendes, markantes und staunenswertes Experiment. Er zelebriert genussvoll den krassen, bizarr anmutenden 1989er-Beitrag von Blix Bargelds „Einstürzenden Neubauten“, „Haus der Lüge“. Dies jedoch keinesfalls so brachial und zerberstend, wie im Original, sondern vielmehr in der Ausprägung eines mystisch-surrealen Gothic-Gospels, der vehement sachlicher und sicherlich auch poppiger, zurückhaltender, ausgearbeitet wurde, als die krachende Grundlage der sagenumwobenen Berliner Industrial-Truppe, aber dennoch nichts an überbordender Eigenwilligkeit und Widerspenstigkeit vermissen lässt.
Vor zehn Jahren, also zu einem halben Jahrhundert HRK, hatten wir ihm zu Ehren ein kleines „Geburtstagsbuch“ kreiert, von welchem nur ein einziges, ausschließlich für ihn bestimmtes Exemplar existiert. Berühmte Kollegen, wie Stefan Waggershausen, schrieben ihm darin herzliche Glückwünsche, Udo Lindenberg malte/spritzte für ihn ein persönliches „Likörell“; ich selbst war der vermutlich „unprominenteste“ Mitautor – zehn Jahre darauf, brilliert der „notorische Vielschreiber“ (Pressetext) mit einem auf ihn selbst zugeschnittenen, eigenen Geburtstagspräsent, das er allerdings ja nicht nur sich, sondern ebenso seinen zahlreichen Fans und Wegbegleitern präsentiert. Der von der Plattenfirma RCA aufgeworfene Vergleich mit Coveralben, etwa von David Bowie („Pinups“ – auf dieser LP gedachte das viel zu früh von uns gegangene „Rock-Chamäleon“ 1973 seiner Lieblingshits der 60er Jahre, von den „Kinks“ bis zu den „Who“) oder Bob Dylan (hierfür wühlte „His Bobness“ dieses Jahr intensiv, schmackhaft und höchst reputierlich im legendären „Great American Songbook“), ist keinesfalls zu hoch gegriffen, er trifft vielmehr radikal den Kern der Sache.
„Meisterwerke: Verbeugungen“ ist nicht nur eine Verbeugung vor unzweifelhaften Meisterwerken kreativer Kollegen und ideeller Weggefährten des Geburtstagskindes HEINZ RUDOLF KUNZE, sondern jede kreative Umarbeitung der einzelnen Titel stellt für sich ein eigenes, eigenständiges Meisterwerk dar!
Holger Stürenburg, 23./24. September 2016
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