FAUN
smago! exklusiv: Die Doppel-CD "LUNA – Live und Acoustic in Berlin" im Test von Holger Stürenburg!
Ganze drei Tage lang hat der Hamburger Musikkritiker an dieser Arbeit gefeilt…:
Ehrlich gesagt, habe ich mich mit der aus Gräfelfing bei München stammenden, vielköpfigen Formation „FAUN“ zuvor noch nicht beschäftigt. Das Thema war an mir, warum auch immer, bislang vorbeigezogen. Doch kürzlich wurde ich mit der ehrenvollen Aufgabe konfrontiert, mich der aktuellen Doppel-CD „LUNA – Live und Acoustic in Berlin“ (We Love Music/UNIVERSAL) von „FAUN“ anzunehmen und meine Eindrücke darüber zu notieren. Dies hieß zunächst: Haufenweise Recherchearbeiten, Nachforschungen im Netz, viel lesen, hören, analysieren, bevor ich mich überhaupt dem eigentlichen Tonträger, der nun zur Rezension ansteht, direkt widmen konnte. Dass eine zeitnahe eingehende Auseinandersetzung mit dieser immerhin ohnedies seit 2007 auch in den offiziellen Hitparaden immer öfter gelisteten Band durchaus vonnöten war und ist, belegt insbesondere das Faktum, dass sich „FAUN“ am 5. März 2015 in der Hannoveraner TUI Arena unter dem Motto „Unser Song für Osterreich“ mit gleich zwei Titeln um die Teilnahme am Eurovision Song Contest (ESC ) bewerben, der am 23. Mai d.J. in Wien stattfindet – und hier zweifelsfrei gute Chancen haben, das begehrte Ticket zum Endausscheid in Häupl-City zu ergattern.
„FAUN“ wurde 1999 von vier jungen Musikern um die bereits früher als Solistin hervorgetretene Folksängerin Birgit Muggenthaler begründet, die aber nach der ersten Independent-Produktion ihr musikalisches Baby wiederum verließ. Nach mehreren personellen Umbesetzungen und sechs über Rough Trade bzw. ALIVE! vertriebenen CDs, die bei kleineren Labels publiziert worden waren und vor allem in der Mittelalter-, Neo Folk-, teils auch Gothic-, vulgo: der facettenreichen „Schwarzen Szene“ großen Anklang fanden, erhielt die heutzutage aus sieben Instrumentalisten, Sängerinnen und Sängern bestehende Combo einen Vertrag bei WE LOVE MUSIC, dem Kooperationslabel von STARWATCH Entertainment und dem Berliner Medienriesen UNIVERSAL.
Dort veröffentlichte die Band, die sich nach dem Hirtengott Faun aus der Römischen Mythologie benannt hatte, 2013 ihr Majordebüt „Von den Elben“, auf dem sich gleichsam die neu hinzugekommene Frontfrau Katja Moslehner (voc, perc) vorstellte. Die Hinzuziehung von externen Songschreibern, eine Zusammenarbeit mit den Hamburger Weichspül-Shanty-Poppern „SANTIANO“ und ein – bis dato unvorstellbarer, weil völlig genrefremder – Auftritt bei „Willkommen bei Carmen Nebel“, steigerten den Bekanntheitsgrad des bis dato eher auf epische Länge ihrer alles andere als formatradio-gerechten Klangwerke, auf die originär-traditionsbewusste, ausnahmslos folkloristische Instrumentierung derselben und demgemäß auf so wenig Pop-Appeal wie möglich achtenden Folk-Konglomerats bei breiteren Schichten, jenseits des althergebrachten Schwarzen Lagers, immens. “Von den Elben“ zog in Deutschland, Österreich und der Schweiz in die Top 10 ein, rief allerdings bei Uralt-Fans und puristischen Vertretern der dunklen Folkszene deutliche Kritik hervor. Diese bezog sich überwiegend auf die unüberhörbare Anlehnung an den pop- bzw. radiokompatiblen klingenden Zeitgeist, den daraus resultierenden, ungewohnten Marktwert des Projekts und somit auf einen gewissen Bruch mit den weltanschaulich-kulturellen Grundsätzen von „FAUN“. Den Massen aber gefiel’s, so dass sich das Folgewerk „LUNA“ im Herbst letzten Jahres sogar auf dem vierten Platz der deutschen Albumhitparaden wiederfand und bald darauf mit Platin ausgezeichnet wurde.
So beschloss die Band, sich im Frühjahr 2015 mit dem Repertoire von „LUNA“ auf eine umfangreiche Deutschland-Tournee zu begeben. Hierfür aber sollte das Programm der aktuellen CD, mitsamt einiger früherer „FAUN“-Liedbeiträge, ohne die gewohnten, bombastischen, elektronisch verstärkten Auskleidungen und gewaltig phonstarken Chorpassagen einstudiert werden. Stattdessen bevorzugte man eine abgespeckte, filigran-grazile, ergo auf rein akustischer Basis gehaltene Inszenierung, weshalb sich das mystische, nicht selten rätselhafte, gar magische Fluidum der oft märchenhaft, surreal, geheimnisumwittert und übersinnlich ausgestalteten Liedinhalte womöglich noch besser bzw. authentischer und überzeugender entfalten könne.
Um diesem spannungsgeladenen Konzept gerecht werden zu können, luden die sieben Musiker, die ihre extravaganten musikalischen Darbietungen gerne als „Pagan Folk“, also als sich am germanisch-heidnischen Neopaganismus orientierenden Mittelalter-Folkrock, bezeichnen, 50 ausgewählte Freunde in eine Sendehalle des altgedienten Funkhauses Berlin. Aug in Aug mit diesem handverlesenen Publikum, kredenzte die Truppe, in einem Kreis mit ihren Instrumenten auf dem Schoß sitzend, fernab jeglicher Computer und Synthesizer, ohne Strom, ohne allen technischen Schnickschnack, folglich aufs Wesentliche reduziert, drei Titel von „LUNA“, drei ältere Fanfavoriten und ein zuvor noch niemals aufgeführtes, traditionelles norwegisches Tanzlied namens „Halling“ würdevoll, ernsthaft und durchwegs dicht, intim und hautnah am Wesenskern des Songmaterials. Das über weite Strecken enorm klangvolle und schlicht faszinierende Ergebnis dieser Session erscheint nun unter dem Titel „Live und Acoustic in Berlin“ als Doppelpack, das auf CD-01 das hinlänglich bekannte Studiomaterial von „LUNA“ beinhaltet und auf CD-02 mit eben sieben Akustik-Auslegungen, einem aufgepeppten „Lava Studio Remix“ der ersten „LUNA“-Single „Walpurgisnacht“ und denjenigen zwei Songs aufwartet, mit denen „FAUN“ Anfang März um die Reise zum „ESC“ in die österreichische Hauptstadt kämpfen werden.
Die ursprünglich überaus düstere, schwerfällige, prägnant gespenstische und trotzdem unterschiedslos lieblich-vertraute „Hymne der Nacht“ zeigt sich in stromloser Verkleidung knapp sechs Minuten lang als eine Art erst sanft startendes, sich gewissermaßen selbst vorbereitendes, dann nach und nach beinahe aufbrausendes Fahrtenlied zur gemeinsamen Zelebration nach einem ereignisreichen Tag vor dem Schlafengehen in der Jugendherberge, das zum Schluss wiederum in puncto Lautstärke abflaut und angenehm ruhig in der Nacht verhallt. Die so zerbrechliche, wie latent widerspenstige Erinnerung an ein heimliches Treffen zwischen Traum und Wirklichkeit mit der griechischen Göttin der Magie, „Hekate“ (Liedtitel), verzichtet auf die einst vorhandenen, drastischen Chorpassagen und setzt bei ihrer instrumentalen Umsetzung fast ausschließlich auf die in diesem Falle führende Harfe, minimalste Percussions und einwenig beherrscht eingestreute Drehleier-Klänge im Sinne einer atmosphärischen Grundlage. Als Bonus-Track der Studio-CD „LUNA“ diente 2014 die äußerst geruhsame, wie in Trance schwebende, auf Spanisch intonierte Ballade „Era Escuro“, die im Akustik-Gewand nun noch unaufdringlicher, verhaltener, dabei gleichermaßen übernatürlicher, feenhafter, unwirklicher, ertönt, als es im ohnehin allemal extrem lind-mild dargebotenen Original der Fall war. Bei der wiegend-treibenden Neuinterpretation des erwähnten norwegischen Volkstanzes „Halling“, der sich im 19. Jahrhundert im Hallingtal in der dortigen Provinz Buskerud entwickelte, enthalten sich „FAUN“ jeglichen Gesangs und lassen in erster Linie die flirrenden Flöten und Pfeifen sprechen. Auch die Neufassung der überlieferten schwedischen Folkmelodie „Polska Fran Larsson“, erstmals 2011 für das Album „Eden“ aufgenommen, kommt in Gänze instrumental daher und verbindet distinguiert und anspruchsvoll Drehleier und Dudelsack in trefflicher Weise miteinander.
Aus der allerersten „FAUN“-CD „Zaubersprüche“, die im Jahr 2002 bei dem unabhängigen Siegener Label CURZWEYHL erschienen war und inzwischen vergriffen ist, haben sich die sieben Pagan-Folker aus Gräfelfing für „Live und Acoustic in Berlin“ den sanft-verträumten, von schummrig-surreal anmutenden Flöten und leisen Lauten-Klängen getragenen Schleicher „Des Wassermanns Weib“ ausgesucht, der auf Versen des 1862 verstorbenen Ludwigsburger Arztes und Dichters Justinus Kerner beruht, sowie die ebenso schattig-gedämpfte, dezent perlende, dabei ungemein sphärisch-weitschweifend umgesetzte Goethe-Vertonung „Der König von Thule“ .
„Walpurgisnacht“, ein weiterer Beitrag aus „LUNA“, der im Sommer 2014 als erste Singleauskoppelung aus ebenjener Hit-CD fungierte, wurde nicht im „Live und Acoustic“-Modus neuerlich umgearbeitet, für den aktuellen „Lava Studio Remix“ seitens des Dänischen Keyboarders Christopher Juul aber ebenfalls deutlich entschlackt und gemäßigt. Er lebt nun weniger vom drallen, wild-feurigen Tanz-Flair, welches dem geneigten Hörer bei der Ursprungsfassung explizit vermittelt wurde, sondern vielmehr von einer zwar elektronischen, rhythmischen, trotzdem jedoch fraglos zurückhaltenden Instrumentierung und von den dadurch noch eindringlicher hervortretenden, besonders in diesem Titel geradezu engelsgleich erblühenden Stimme der beiden Sängerinnen Katja Moslehner und Fiona Rüggeberg.
Schlussendlich befinden sich auf CD-02 vorliegenden Doppelalbums marktgerechte Neubearbeitungen der bereits auf „LUNA“ vorgestellten Titel „Hörst Du die Trommeln“ und „Abschied“, die am 5. März von „FAUN“ ins Rennen um die Beiwohnung als deutsche Vertreter beim „ESC“ in Wien gesandt werden. Erstere regelrechte Klangorgie besticht durch voluminösen, donnernden, fast marschmusik-ähnlichen Einsatz von Schlagzeugen und Percussions, vermengt mit zickigem, lautmalerischem Dudelsack, latent orientalischen Flöten und natürlich dem energetischen Zwiegesang von Oliver „Sa Tyr“ Rade und seinen beiden vokalistischen Gespielinnen Katja und Fiona. Das fließende, weitläufige, außerordentlich gefühlsintensive Folkchanson „Abschied“, ein wahrlich bewegender, nahezu melodramatischer Lebewohl-Gesang in Moll, hingegen verbleibt in einem geruhsam-balladesken Kontext und rinnt annehmlich, abgeklärt, gütlich und versöhnlich durch Zeit und Raum.
Den bekanntlich größtenteils Schlager- Rock und 80er-geprägten Ohren des Rezensenten bescherte die Befassung mit „FAUN“ und ihrer aktuellen Doppel-CD „LUNA – Live und Acoustic“ mehrheitlich völlig neuartige, ungekannte Hörerlebnisse. Altdeutsches, traditionell folkloristisches Ambiente und das zur wohlklingenden Schaffung dessen nötige Instrumentarium waren mir bisher höchstens von Achim Reichels entsprechenden Hochleistungen a la „Wilder Wassermann“, von überernsten Barden und Minnesängern, wie „Liederjan“ oder „Ougenweide,“ bzw. von allseits geläufigem Irish Folk in all seinen Ausprägungen zwischen „Dubliners“ und „Pogues“ geläufig. Der so spritzig-energiegeladene und kunterbunt-anarchische, wie beschwörend-wundersame, so lauschige, wie zarte „Pagan Folk“ von „FAUN“ ist damit nur höchstens im Grundsätzlichen bzw. im Kernstück vergleichbar. Stand bei Achim Reichel eine lausbübisch-draufgängerische Verbindung des klassischen, deutschen Volksguts mit drögem Blues und Rock im Vordergrund und strebten „Liederjan“ und Co. zumeist eine politisierte Gemengelage aus revolutionärem Gedankengut von 1848 bis 1968 an, so führen „FAUN“ ihre klingenden Betrachtungen mittelalterlicher und altertümlicher musikalischer Blickwinkel in eine einerseits romantisch-traumwandlerische, andererseits exzentrisch-bizarre bis gewollt groteske Stoßrichtung, die keinesfalls eines spezifischen, außergewöhnlichen Charmes entbehrt. Dieses von der Band zweifelsohne perfekt strukturierte und ausgearbeitete Vorhaben funktioniert dann sehr gut bzw. erweist sich dann als praktikabel und aufregend, wenn der kommerzielle, profitorientierte Aspekt wohlweislich im Hintergrund bleibt und das Echte, Urwüchsige, Naturbelassene des Folkloristischen, Volkstümlichen, Erdverbundenen eindeutig und unverdorben ans Tageslicht gerät. „FAUN“ müssen sich entscheiden, welchen Weg sie in Zukunft beschreiten wollen. Gelingt der Sieg beim Deutschen Vorentscheid des „ESC“ und wartet das Septett demnächst in Wien auf, dürfte sich die einfachere, verkaufsfördernde Linie durchsetzen. Fährt irgendeine Null-8-15-Truppe in die Donaumetropole, freuen sich reziprok Fans, Entdecker, Kulturbeflissene und kreative Querköpfe. Warten wir also ab, welchen Verlauf die Karriere von „FAUN“ in diesen Wochen nimmt. Potential ist zur Genüge vorhanden – kommt nun nur darauf an, was Katja, Fiona, Oliver und ihre Begleiter daraus machen!
Holger Stürenburg, 21. bis 23. 02.2015
http://www.universal-music.de/company/umg/electrola
http://www.faune.de/