KATJA EBSTEIN
smago! Serie "Schlager-Rückblick "vor 40 Jahren" von Stephan Imming: Teil 32 – Katja Ebstein ("Die Hälfte seines Lebens") – Teil 1!

Neuzugang 28.07.1975! ACHTUNG: Sie werden gut die Hälfte IHRES Lebens aufwenden müssen, wenn Sie diesen Artikel (, den wir aufgrund seiner Überlänge in zwei Teile teilen mussten,) von Anfang bis Ende lesen möchten…! 

Zuallererst sei ein herzliches Dankeschön an Christian Bruhn, der hinsichtlich der Jahre, in denen er mit Katja zusammenarbeitete, den Artikel "abgenommen" und bereitwillig ergänzt hat, ausgesprochen. Toll, dass er sich die Zeit dafür genommen hat und derart kompetent und freundlich, wie es seinem Naturell eben entspricht, äußerte.

 

Am 09.03.1945 wurde Karin Ilse Witkiewicz in Girlachsdorf bei Breslau (Schlesien) als jüngere von zwei Schwestern geboren. Kurz nach ihrer Geburt (im Alter von einem halben Jahr) floh ihre Familie vor der vorrückenden Roten Armee über Thüringen nach West-Berlin. Aus der späteren Wohnsitzadresse der Familie im Berliner Stadtteil Reinickendorf in der Epensteinstraße, wo Karin  Witkiewicz aufwuchs, leitet sich ihr späterer Künstlername ab. Ihr Vater war Schmied, der im Krieg verletzt wurde und deshalb arbeitsunfähig war – ernährt wurde die Familie von ihrer Mutter.

Bereits im jungen Alter interessierte sich Karin für Malerei, Musik, Literatur und Archäologie.

Sie sang in Kinderzeiten in Chören und spielte Gitarre (- einem Gerücht zufolge hat sie damals 400 Comic-Hefte gegen eine Gitarre getauscht – ein Tausch, der ihr vermutlich nicht leid getan hat, wenn das Gerücht stimmt). Ihr Hauptinteresse galt zunächst der Bildenden Kunst, obwohl sie schon in jungen Jahren ein gutes musikalisches Gehör und eine schöne Stimme hatte. Nach dem Abitur studierte sie Archäologie und Romanistik, schloss das Studium aber aufgrund einer schweren Erkrankung (Hirnhautentzündung) nicht ab. Sie volontierte beim Sender Freies Berlin (Ressorts Klassische Musik und TV-Dramaturgie). Die nächste Stufe der Karriere dort wäre wohl Redaktions-Assistentin geworden.

Nebenbei trat sie in Künstler- und Studentenkneipen auf und begann, sich in der Jazz- und Liedermacherszene einen Namen zu machen. – Aber auch im Schlager-Bereich tummelte sie sich, indem sie für DM 25,00 gemeinsam mit einer Freundin bei Studio-Produktionen als Background-Sängerin tätig war.

1964 wurde sie vom SFB für die ARD-Sendung "Marmeladentopf" engagiert. Mit drei Begleitmusikern (u. a. Bodo von Greiff) sang sie neben hebräischen Songs den spanischen Flamenco "Fandango de Huelva". Dadurch wurde der Berliner Schallplattenproduzent und Komponist Heino Gaze auf sie aufmerksam. Er entdeckte sie für die Schallplatte. Unter dem Namen "Katja" wurden die beiden ersten von Heino Gaze komponierten Singles aufgenommen: "Irgendwann" (1965) und "Wo ist das Schiff?" (1966). (Diese Raritäten wurden übrigens inzwischen auf einem bemerkenswerten 3-CD-Set "Nur der Wind kennt meine Träume – Hits und Raritäten" wiederveröffentlicht).Wenngleich diese Schallplatten Flops waren, rentierte sich die Zusammenarbeit mit Heino Gaze – beispielsweise unterstützte er "Katja" darin, Gesangs-, Schauspiel- und Tanzunterricht (bei Anneliese Hanschke bzw. Ausdruckstanz bei Mary Wigman) zu nehmen. In Gesang wurde sie übrigens zeitweise von Elisabeth Hallstein, der Mutter der bekannten Sopranistin Ingeborg Hallstein, geschult. Elisabeth Hallstein fand Katjas hohe Altstimme für die große Musikliteratur geeignet. Statt auf die Opernbühne drängte es Katja aber zum niveauvollen Chanson, zur Folklore und zum Musical.

Die Zusammenarbeit mit Heino Gaze war aber auch aus anderen Gründen folgenreich – durch ihn lernte sie den berühmten Schlagerkomponisten Christian Bruhn kennen, mit dem sie fortan musikalisch intensiv zusammenarbeitete. Bruhn wurde Jahre später Katjas Ehemann.

1966 trat sie erstmals bei einem Wettbewerb an – doch die Teilnahme am Schlagerfestival im belgischen Knokke war nicht von Erfolg gekrönt.

Ein Jahr später nahm Katja beim Festival "Chanson Folklore International" auf Burg Waldeck mit Liedern von u. a. Berthold Brecht teil – ein renommiertes Woodstock-ähnliches Festival, bei dem berühmte Namen wie Reinhard Mey erstmals auffällig wurden. Bei diesem Festival lernte sie Siegfried Loch, seinerzeit Deutschland-Chef des damaligen Plattenlabels United Artists, kennen, der gerade nach vielversprechenden Talenten suchte. Er war von Katja angetan, so dass 1968 ein Schallplattenvertrag mit Liberty / United Artists geschlossen wurde.

Bereits Anfang März 1968 wurden dort die ersten Aufnahmen gemacht: "Wie ein Kind" (von Christian Bruhn und Günter Loose), "Nur der Wind kennt meine Träume" (von Heino Gaze und Hans Bradtke) sowie ein dritter Titel von Klaus Doldinger. – Zunächst plante man, die erste Veröffentlichung unter dem Namen "Katja Winter" vorzunehmen – das gefiel Produzent Siegfried Loch jedoch nicht. Deshalb entschied man sich wie bereits erwähnt für den Künstlernamen "Ebstein" in Anlehnung an die Straße ihres früheren Wohnortes, der sich aber mit "p" schrieb. Die Schreibweise "Ebstein" mit "b" wurde so gewählt, um Verwechslungen mit dem Beatles-Manager Brian Epstein zu vermeiden.

Obwohl  "Wie ein Kind" ein Achtungserfolg im Rundfunk war, wurde es kein Hit. Fälschlicherweise wird in den einschlägigen Discografien diese Schallplatte nicht als erste United-Artists-Single genannt, laut Christian Bruhn sind diese discografischen Angaben aber falsch – "Wie ein Kind" ist demnach die erste Ebstein-Single bei Liberty / United Artists gewesen.

Verschollen ist laut Christian Bruhns Aussage wohl auch das allererste Album Katjas, das einen Fragenkatalog an die Künstlerin enthielt, mit Fragen von Sängerin und Textdichterin Anja Hauptmann an Katja Ebstein.

United Artists-Produzent Siggi Loch lag nun daran, TV-Termine an Land zu ziehen, um Katjas Produktionen populär zu machen. Dazu nutzte er einen Kontakt zum sehr bekannten Berliner TV-Regisseur Truck Branss, der gerade mit seiner neu erfundenen ZDF-Hitparade für Furore sorgte. Unter seiner Regie konnte Katja ihren ersten TV-Auftritt in der Show "Sing And Swing -ein Abend mit internationalen Gaststars" absolvieren.

Lt. Aussage einer saarländischen Zeitschrift soll der ansonsten eher als bärbeißig bekannte Fernsehmann bei der Aufzeichnung am 03. April 1969 um 16.35 Uhr im Münchener Studio gesagt haben: "Ich bitte alle, sich diesen Tag zu merken. Ein Star wird geboren!". Branss war so begeistert, dass er bereit war, eine eigene 45-minütige TV-Show für das Nachwuchstalent zu produzieren. Nachdem der SWF zunächst abgelehnt hatte, gab es einen Zuschlag vom ZDF für die Idee der Show "Katja Ebstein, die Stimme einer Unbekannten". Das breit gefächert zusammengestellte Programm wurde im Münchener Trixi-Studio produziert. Damit war auch das Basis-Programm der ersten LP gelegt.

Vorher wurde anno 1969 unter Produktion Siegfried Lochs  "Der Draht in der Sonne" veröffentlicht, eine deutsche Version des Glen Campbell-Songs "Wichita Lineman". Weder Katjas Version noch die parallel erschienene Version Thomas Fritschs konnten für Aufmerksamkeit sorgen.

Einige Monate später erschien dann die vom damals sehr populären Graham Bonney komponierte Folge-Single, "…und wenn der Regen fällt" (Text: Michael Kunze), die wie schon die Single "Wie ein Kind" von Christian Bruhn produziert wurde.

Trotz weiterhin ausbleibenden kommerziellen Erfolgs glaubte man an Katja – die erste LP namens "Katja" kam auf den Markt – inklusive der von Christian Bruhn komponierten Single "Warum ist die Welt so schön?". Spannend an dieser Veröffentlichung ist, dass die B-Seite zunächst die von Walter Brandin getextete deutsche Version des aus dem Musical Hair stammenden "Good Morning Starshine"  ("Die letzten Sterne") war. Katja Ebstein erhielt die Chance, die deutsche Version des Titelliedes des damaligen James-Bond-Films "Im Geheimdienst ihrer Majestät" zu singen: Aus "Do you know how christmas trees are grown" wurde "Wovon träumt ein Weihnachtsbaum im Mai", der dann als spätere B-Seite dieser Single gewählt wurde. (Warum der Song nicht stärker in den Vordergrund gerückt wurde, weiß wohl wirklich nur der besungene Weihnachtsmann). – Jedenfalls gab es mit dieser Single imposante TV-Auftritte, z. B. bei "Vergißmeinnicht" und "Meine Melodie".

Im November 1969 fand dann die Aufzeichnung von Truck Branss' TV-Show statt. In der finalen Version nannte man die lang ersehnte Sendung  "Katja, die Stimme" – sie wurde erst am 19.03.1970 ausgestrahlt. Wermutstropfen war, dass die Sendung spät am Abend ausgestrahlt wurde. Sie wurde verschoben, weil genau an dem Tag mit Willy Brandt erstmals ein deutscher Bundeskanzler den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Willi Stoph, in Erfurt besuchte – das Ereignis wurde damals wohl als wichtiger angesehen als Katjas erste eigene TV-Show. Der engen Sympathie Katjas für den Sozialdemokraten tat das aber keinen Abbruch.

Die Werbetrommel, die die damalige Zeitschrift "twen" für die LP gerührt hatte (im Gegenzug war unübersehbar der "twen"-Schriftzug auf Katjas Debut-Longplay zu lesen), zahlte sich aus: Sie gehörte zu den ersten Preisträgern der "Europa" – so hieß 1969 noch der vom Saarländischen Rundfunk vergebene Preis, der damals im Rahmen des Filmballs Wiesbaden verliehen wurde. Ab 1970 wurde daraus dann der über Jahre hinweg etablierte Preis "GOLDENE Europa".

Viel beachtet war die LP aber auch wegen einiger heute nicht mehr bekannter Lieder.

Das Lied "Lila Luftballon" beispielsweise schrieb Christian Bruhn ursprünglich für eine TV-Schlagershow für Kinder und Jugendliche namens "Bettys Beat-Box-Haus", für die er musikalisch zuständig war. Neben "Er ist wieder da" (Original: Marion Maerz) nahm Katja auch einen Song der Nachwuchssängerin Susanne Tremper auf, "Es gibt nur eine wahre Liebe".

Kurze Zeit später (1970) wurde Katja übrigens von der Fachzeitschrift "Die Schallplatte" zur beliebtesten Sängerin des Jahres gewählt.

Die BRAVO griff ein Zitat auf, das der Jazz-Musiker Klaus Doldinger geprägt hat, so ist in der Ausgabe der Jugendzeitschrift vom 01.10.1969 zu lesen: "Der Taschentext sagt, sie sei eine deutsche Barbara Streisand – und das ist nicht einmal so übertrieben". Hintergrund dieser Äußerung ist sicher u. a., dass auf der twen-LP auch die deutsche Version eines Streisand-Klassikers zu finden ist: Aus deren "My Colouring Book" machte Katja "Mein Bilderbuch".

Nach diesen ersten Erfolgen bestand der Wunsch, nun auch "richtig durchzustarten". Katja Ebsteins Produzent und Lebensgefährte Christian Bruhn legte Katja nahe, an der Eurovision teilzunehmen. Katja, der die Schlagerszene ja eher fern war, kannte den Wettbewerb kaum -selbst die Teilnahme ihrer Freundin Inge Brück, deren Verein "Künstler für Christus" sie Jahre später beitrat,  an diesem Wettbewerb 1967 hatte sie kaum wahrgenommen.

Anders Christian Bruhn: Der komponierte bereits 1962 den Siegertitel der deutschen Schlagerfestspiele "Zwei kleine Italiener", interpretiert von Conny Froboess und war damit nach damaligen Reglement für den Grand Prix qualifiziert – der Schlager wurde eine der größten kommerziellen Erfolge, die ein deutscher Beitrag beim Grand Prix je hatte. Und so wurde er hellhörig, als ihn sein Freund und Textdichterkollege Günter Loose anrief mit der Empfehlung, den Song "Wunder gibt es immer wieder" für den Wettbewerb ins Auge zu fassen. Ordentlich, wie Komponist Bruhn Zeit Lebens war, griff er in den Ordner "U-Z" und fing an zu komponieren.

Zitat Christian Bruhn: "Gewaltig sollte es beginnen, dann ins rhythm-&-blues-hafte übergehen, und erst, nachdem sich die Spannung ins schier Unerträgliche gesteigert hatte, erst dann sollte Sängerin Katja Ebstein auftreten und mit dem Vers anheben. Eine Komposition mit Dramaturgie und Fernsehmaß also. Und wundersam flossen mir die Noten in die Feder. 'Keep it simple, keep it sexy, keep it sad', wie der Amerikaner so sagt."

Die Rechnung ging auf – Katja Ebstein erreichte am 21.03.1970, nur zwei Tage nach der Ausstrahlung ihrer TV-Show, einen sehr guten 3. Platz mit ihrem Lied und erreichte damit den größten Erfolg, den Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt erreicht hatte beim immerhin schon 15. Grand Prix.

Der Erfolg kam nicht von ungefähr – selbst Musikwissenschaftler beschäftigten sich mit der beeindruckenden Komposition Christian Bruhns. So ist im Buch "Schlager in Deutschland" zu lesen: "Nicht zu übersehen ist schließlich bei einer Untersuchung der melodischen Gestaltung von Schlagern die Tendenz zur Bildung von Melismen. Sie sind vor allem in Liedern langsameren Tempos mit leicht pathetischer Wirkung zu beobachten. Die nachfolgenden Beispiele stammen aus den Schlagern 'Wunder gibt es immer wieder…' " – wieder was gelernt – das Wort "Melisma" nehme ich neu in meinen Wortschatz auf. Das Microsoft-Programm "Word" kennt das Wort übrigens auch nicht, es wird als fehlerhaft geschrieben markiert.

(Danke an Christian Bruhn für seine Definition des Worts Melisma: Wenn auf eine Silbe mehrere Noten gesungen werden „ …viele Menschen fra-a-gen“.)

Aber damit nicht genug. Auch den Aufbau des Liedschemas nimmt der Autor unter die Lupe: "Eine andere Möglichkeit der Dehnung und asymetrischen Gestaltung bei gleichzeitiger Geradtaktigkeit zeigt der Refrain des deutschen Beitrags zum Grand Prix 1970. Hier setzt sich der zehntaktige sequenzgeprägte Refrain aus einem viertaktigen Vordersatz und einem sechstaktigen Nachsatz zusammen. Die Ausweitung der Periode wird durch Dehnung im siebenten und zehnten Takt erreicht. Auffällig ist auch der Wechsel von volltaktiger zu auftaktiger Bewegung im achten Takt."

Nicht umsonst wurde aus diesem ersten riesengroßen Ebstein-Hit ein Evergreen, der gerne auch von Guildo Horn kraftvoll interpretiert wird – er ist anspruchsvoll komponiert und hat einen stimmigen Text. "Schlager" wie diese zeigen, dass auch ein großer Hit durchaus mal anspruchsvoll komponiert sein kann. Damit hatte Katja national wie international den Durchbruch geschafft, ihr Eurovisionslied wurde in sechs weiteren Sprachen veröffentlicht (deutsch, englisch, französisch, italienisch, spanisch, portugiesisch und sogar japanisch).

Katja Ebstein formulierte den Geist ihres ersten Eurovisions-Songs wie folgt: "Die beiden (Christian Bruhn und Günter Loose) haben meine Weltverbessererattitüde in den deutschen Schlager gebracht, die Trösternummer geboren". – Wenngleich ich als Udo-Jürgens-Fan angesichts von Liedern wie "Immer wieder geht die Sonne auf" etwas Stirnrunzeln bekomme, kann man der These durchaus zustimmen. Folglich wurde die nächste Nummer von den gleichen Autoren in ähnlichem Stil gestrickt – durchaus erfolgreich: Auch "Und wenn ein neuer Tag erwacht" wurde ein passabler Hit. Trost gab es mit dem Lied ja auch genug: "Und wenn ein neuer Tag erwacht, und die Sonne wieder lacht, ist die große Einsamkeit längst vorbei…."

Nach dem großen Erfolg mit dem Eurovisions-Festival wurde Katja Ende 1970 zum internationalen Songfestival in Rio de Janeiro geschickt. Mit dem Lied "Mein Leben ist wie ein Lied" (erneut mit dem Rezept zurückgenommene Strophen und hymnischer Powerrefrain) trat sie an und wurde zur besten Sängerin gewählt. Mit dem Cover der gleichnamigen kurz darauf veröffentlichten LP bewies Katja, dass sie auch Model- bzw. Mannequin-Qualitäten gehabt hätte und auch in dem Bereich hätte Karriere machen können.

Auch erste Tournée-Erfahrungen konnte Katja Ebstein in jenen Jahren sammeln, indem sie als Gastmusikerin mit dem Orchester James Last auf Tour ging.

Nach ihrem großen Erfolg bei der Eurovision 1970 kam der damals zuständige Hessische Rundfunk in Form des damals zuständigen Hans Otto Grünefeldt auf den nahe liegenden Gedanken, Katja im Folgejahr erneut ins Rennen zu schicken. Gesagt – getan: Es wurde beschlossen, dass die Berlinerin 1971 erneut ran sollte. Dennoch gab es eine deutsche Vorentscheidung, in der Katja sechs Lieder unterschiedlicher Komponisten vorstellte. Ihr persönlicher Favorit war naturgemäß der von ihrem Lebensgefährten Christian Bruhn geschriebene Song "Alle Menschen auf der Erde". Der Song wurde aber nur B-Seite ihrer nächsten Single.

Zur Überraschung vieler Schlager-Experten gewann jedoch der (vielleicht von Alexandras "Mein Freund, der Baum" abgesehen) erste Ökosong der Schlagergeschichte: "Diese Welt". Komponist dieses Liedes war der damals mit 28 Jahren recht junge Dieter Zimmermann, der leider mit nur 34 Jahren an Leukämie verstarb. Textdichter war der sehr erfolgreiche Fred Jay.

Auch zu diesem Eurovisions-Song hat das Buch "Schlager in Deutschland" treffliche Analysen parat, diesmal geht es um den Text des Songs: "…dirigieren Schlager das Bewusstsein vorzugsweise auf irreale Ziele oder solche, die gesellschaftlich irrelevant sind. Tatsächlich gibt es aber einen kleinen Bereich von Titeln mit sozialkritischer Tendenz, und entgegen dem allgemeinen Trend zum laisser-faire finden sich auch Appelle, die die Aktivität der Hörer herausfordern, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Der deutsche Beitrag für Dublin 1971 widmet sich dem Problem der Umweltverschmutzung."

Zur Überraschung vieler erreichte Katja mit ihrem Ökoschlager erneut international einen 3. Platz beim Grand Prix Eurovision und war auch in den deutschen Verkaufs-Charts ein Top-20-Hit. Katjas 1971er-Erfolg ist um so höher zu bewerten, als diesmal das Teilnehmerfeld aus 18 Nationen bestand (1970 traten 12 Nationen an).

Mit dem Nachfolgelied "Ein kleines Lied vom Frieden" knüpfte man erneut an die Grand-Prix-Nummer an. Kommerziell ging das mit der deutschen Version des Tim-Hardin-Songs "Simple Song Of Freedom" nicht wirklich auf. Friedens-Lieder hatten erst Jahre später Hochkonjunktur, erneut war Katja ihrer Zeit wohl voraus: "Sing mit mir ein kleines Lied vom Frieden – singt es in die ganze Welt hinaus – weil jeder irgendwann – den ander'n brauchen kann – ohne Frieden kommen wir nicht aus".

Dennoch identifizierte Katja sich mit dem Song, zumal sie ja in jener Zeit auch politisch in dieser Richtung aktiv war und sogar Wahlwerbung für Willy Brandts SPD und dessen versöhnende Ostpolitik machte, was nicht unumstritten war: Als sie den James-Krüss-Song "Die Taube" auf dem Bundespresseball sang, verließen CDU-Politiker demonstrativ den Saal. Die Sympathie zwischen Willy Brandt und Katja Ebstein beruhte wohl auf Gegenseitigkeit – anlässlich ihrer Mitwirkung an einer Benefiz-LP zur Welthungerhilfe empfing er sie und bedankte sich für ihre Unterstützung bezüglich dieses Projekts.

Im Anschluss wollte Katja Ebstein sich mit sehr anspruchsvollen Liedern präsentieren, was ihr bei Kritikern zwar Lob einbrachte, kommerziell aber fulminant floppte. Weder der Bruhn-Song "Wir leben, wir lieben" noch die deutsche Version des Labi Siffre-Songs "Get to the Country", "Hinaus aufs Land", schlugen kommerziell ein.

Von Bedeutung war die 1972 veröffentlichte Single "Wir leben, wir lieben" allerdings schon: der Hohe Kommissar der UNO, Sadruddin Aga Khan, bat Katja um einen Song für die international erscheinende LP "Top Star Festival", mit der 12 Weltstars wie Donovan und Aretha Franklin die Flüchtlingsnot lindern helfen wollten. Katja war mit der B-Seite der Single, "Manche Leute", als einzige deutschsprachige Künstlerin vertreten. Interessant ist, wie aktuell das Thema heutzutage wieder geworden ist.

Dennoch gab es ein sehr einschneidendes Ereignis im Jahr 1972 für Katja, nämlich ihre (heimliche) Hochzeit mit Christian Bruhn. Und der hatte dann auch musikalisch die Idee, die auch kommerziell wieder auf die Erfolgsspur führte. In Zeiten von Erfolgen griechischer Sängerinnen und Sänger (Nana Mouskouri, Demis Roussos, Costa Cordalis u. a.) ersann er gut ein Jahr vor Udo Jürgens' "griechischem Wein" wieder einen echten Katja-Hit: "Der Stern von Mykonos". Erstmals seit knapp drei Jahren wurde sie damit auch wieder in Dieter Thomas Hecks ZDF-Hitparade vorstellig – es lohnte sich: Mit dieser kommerziellen Nummer kam Katja Ebstein in die Top 5 der deutschen Verkaufscharts, es wurde ihr bis dato größter Hit. Wieder einmal wurden auch internationale Versionen wie "The Star of Mykonos" oder "Le soleil sur Mykonos" produziert.

Im Anschluss wurde wieder so etwas wie ein Ökoschlager veröffentlicht – diesmal ging es um Entwicklungsländer. In Zeiten der Einwanderung von Flüchtlingen mutet das Thema aktueller denn je an. Trotz der schweren Kost wurde (vielleicht auch aufgrund der gefälligen Komposition) "Ein Indiojunge aus Peru" erneut ein Hit.

Mit dem erneut griechisch angehauchten Lied "Athena" endete eine Ära – es war ihre letzte Single bei "United Artists", sie wechselte zur großen Plattenfirma EMI Electrola. Damals ließ ihre alte(!) Plattenfirma verlautbaren: "Das bestehende Vertragsverhältnis zwischen Katja Ebstein und der Firma United Artists Records, München, endet am 16. März dieses Jahres. Auf der Grundlage dieses bestehenden Vertrages finden seit einigen Wochen erfolgreiche Verhandlungen zur Fortsetzung des Vertragsverhältnisses statt. Sie haben bis zum Tage zu einem unterschriftsreifen, neuen, langjährigen Vertragsentwurf geführt. Es ist der ausgesprochene Wunsch von Frau Ebstein, den Vertrag mit United Artists fortzusetzen". – Solche Treue-Bekenntnisse kennt man sonst eigentlich heutzutage nur von Protagonisten der Fußball-Bundesliga…

Bereits nach dem Wechsel wurde von ihrer alten Firma noch mal ein Schlager veröffentlicht, der zwar nicht mehr in die Charts kam, aber doch bei einigen Fans gut ankam und passend zur Situation war: Aus Donna Hightowers "This World Today Is A Mess" wurde "Wölfe und Schafe" – der Text von Michael Kunze führte aber nicht mehr in die Hitparaden.

Anders sah es mit Katjas Debut bei EMI-Electrola aus – "Es war einmal ein Jäger" war ein lupenreiner Schlager, den Christian Bruhn ihr auf den Leib schrieb – belohnt wurde das mit einem Super-Hit, der in die Top 5 der Verkaufs-Charts kam und mit dem sie sich erstmals(!) in der ZDF-Hitparade mehrfach platzieren konnte.

Gerne wird das Beispiel dieses Superhits dafür genommen, warum im Radio lieber englischsprachige Songs gespielt werden. Es macht eben keinen guten Eindruck, wenn nach einer Kriegsberichterstattung (oder einem Papst-Attentat…) "Im Le-e-ben, im Le-e-ben, geht mancher Schuss daneben" gespielt wird.

Parallel erschien eine LP, die im Rahmen der großartigen "Originale"-Reihe der Universal neu aufgelegt wurde: "Wilde Rosen und andere Träume", auf der Katja das ganze Spektrum ihres Könnens zum besten gab. Die neue Plattenfirma EMI warb: "Das ist die junge Generation mit ihren niveauvollen Songs, die uns manchmal nachdenklich stimmen oder schmunzeln lassen."

Hinter der Single-Auskopplung steckte durchaus Kalkül. Im Branchenblatt Musikmarkt war damals zu lesen: "Mit ihrem Hitparadenerfolg 'Es war einmal ein Jäger' hat Katja gezeigt, dass sie es sich leisten kann, auch einmal etwas ganz anderes zu singen als das, was man sonst von ihr erwartet. Man könnte sagen, dass Welten zwischen diesem volkstümlich-lustigen Schlager vom Oberförster Schmidt und den Songs ihrer neuen LP liegen. Aber sie hätte den Jäger auch dann mit Überzeugung vertreten, wenn er kein Bestseller geworden wäre. Denn nichts findet sie schlimmer, als sich auf eine bestimmte musikalische Richtung festlegen zu lassen. Sie liebt den Kontrast und steht hinter dem, was sie tut. 'Wenn ich beispielsweise Lieder zum Paragraphen 218 singen würde, wie man mir einmal bei einer Diskussion vorschlug', meint Katja, 'würden sie wahrscheinlich nicht gekauft werden. Ich bin da ganz ehrlich – bei allem Engagement habe ich mir vorgenommen, mein Publikum gut zu unterhalten, und das ist nicht gerade das leichteste".

Im Jahr darauf, 1975, zeigte sich Katja wieder von ihrer anspruchsvollen Seite. Später äußerte sie sinngemäß, dass sie ihre kommerziellen Erfolge dazu nutzte, weniger erfolgversprechende, aber anspruchsvolle Projekte anzuschieben. So erschien die von Kritikern viel beachtete, aber kommerziell wenig erfolgreiche LP "Katja Ebstein singt Heinrich Heine". Die von Christian Bruhn vertonten Heine-Gedichte stellte sie im September 1975 im "leider nicht ganz ausverkauften" Robert-Schumann-Saal in Düsseldorf vor. Dennoch war das anwesende Publikum begeistert – Katja wurde erst nach drei Zugaben von der Bühne gelassen.

Trotz fehlenden kommerziellen Erfolgs (das Fernsehen hielt sich laut Hinweis Christian Bruhns nämlich vornehm zurück) sorgte die LP für viel Aufmerksamkeit, so sprach Prof. Wilhelm Gössmann, erster Vorsitzender der Heinrich Heine- Gesellschaft von einer der wohl gelungensten Heinrich Heine – Interpretationen jener Zeit.

Katja selbst äußerte sich damals zu diesem Projekt wie folgt: "Heine-Texte sind für mich nichts Geschmäcklerisches, nichts Elitäres. Sie strömen Kraft aus. Zärtliche Kraft, an der man nicht vorbeikommt. Ich möchte das bewältigen. Nicht, indem ich Heine krampfhaft rhythmisiere, sondern indem ich als Interpretin eng unter seinen Texten bleibe. Denn das, was Heine vorgab, läuft auf ganz natürliche Art – wie von selbst". Jahrzehnte später konstatierte sie: "Durch erfolgreiche Popmusik konnte ich mir parallel die Kleinkunst leisten".

(…)

Stephan Imming, 16.08.2015

http://www.katja-ebstein.de/

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