JULIANE WERDING
smago! Serie "Schlager-Rückblick "vor 40 Jahren" von Stephan Imming: Teil 41 – Juliane Werding ("Wenn du denkst du denkst dann denkst du nur du denkst") – Teil 1!

Neuzugang 06.10.1975! 

Am 19. Juli 1956 kam JULIANE WERDING als Tochter des Bauingenieurs Jupp und seiner Frau Ruth Werding in Essen zur Welt.

Schon sehr früh begann sie, sich für Musik zu interessieren und schickte bereits 1970 ein Band mit Musikaufnahmen an den Südwestfunk, der damals den „Talentschuppen“ ausstrahlte. Dort gewann sie prompt die interne Vorentscheidung.

1971 trat Juliane erneut im „Talentschuppen“ auf und trug dort u. a. den Udo-Jürgens-Song „Mein erster Weg“ vor, den ursprünglich Suzanne Doucet (1966 auf der LP „Rot wie Rubin") , später auch der Meister selbst veröffentlichte (1967 war der Song auf Udos erster Ariola-LP zu hören, er nahm diesen Song übrigens 2008 noch einmal neu auf). Bereits vor Ausstrahlung der TV-Sendung unterschrieb sie am 10. Juni des Jahres einen Plattenvertrag mit dem Berliner Plattenlabel Hansa, weigerte sich aber, einen der für damalige Zeiten typischen fröhlichen Schlager zu singen.

Damals bekam Hansa-Textdichter Hans-Ulrich Weigel (vielen besser bekannt als „Ulli Weigel“) den Auftrag von Plattenboss Peter Meisel, eine deutsche Fassung des Liedes „The Night They Drove Old Dixie Down“ zu erstellen. Den Song hat Robbie Robertson 1969 für seine Gruppe „The Band“, damals die Begleitcombo Bob Dylans, ersonnen. Erfolgreich (Platz 3 der Billboard-Charts) wurde der Song aber erst 1971 durch die Folksängerin Joan Baez. Eine 1:1-Übersetzung des Textes erschien Weigel damals nicht sinnvoll – in dem Song ging es um die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs – das Thema erschien ihm für den deutschen Markt nicht interessant genug zu sein.

In dieser Zeit lernte Weigel Juliane Werding kennen, und er erzählte von seinen Plänen, aus dem Hippie-Song eine „Anti-Drogen-Ballade“ zu machen. Juliane, damals 14 Jahre alt, erzählte ihm, dass sie selbst schon mal an einem Joint gezogen habe und es sogar ganz gut fand. Eines Tages aber starb ein guter Freund namens Peter, mit dem sie einst Straßenmusik gemacht habe, an Rauschgift, es sei der erste Drogentote Essens gewesen, den es zu beklagen gegeben habe.  – Genau diese Thematik verpackte Ulli Weigel in den Song „Am Tag, als Conny Kramer starb“. Den Namen hat er in einem Berliner Telefonbuch gefunden – allerdings wollte er den Protagonisten erst „Kalle“ nennen – Juliane Werding bat darum, von „Conny Kramer“ zu reden in Anlehnung an ihren ersten Freund Conrad.

Unter vielerlei Aspekten schien Juliane damals die richtige Besetzung für den Song zu sein – beispielsweise passte das „Hippie-Image“ sowohl zum Folk-Idol Joan Baez als auch zu Juliane. Wichtig war auch, dass keine arrivierte Sängerin den Song singen sollte, sondern eine Newcomerin. Juliane sollte Identifikationsfigur derer werden, die gegen Drogen ankämpften.

In einem Interview aus 2008 gab Textdichter Ulli Weigel zu Protokoll: „Als die Aufnahme fertig war, waren wir drei – Peter, Juliane und ich – die einzigen, die daran glaubten. Alle anderen Experten im Haus sagten: ‚Das wird nie etwas. Das kriegen wir nirgends gespielt‘. Schon damals wurden deutsche Lieder mit bissigen oder aneckenden Texten manchmal gar nicht erst produziert, aus Angst, sie würden im Radio nicht gespielt werden. Während zum Beispiel ‚Let’s Spend the Night Together‘ problemlos lief. Den englischen Text verstand ja keiner“.

Die ersten Befürchtungen sollten sich zunächst bewahrheiten – die Radiosender waren sehr zögerlich darin, die erste Single Juliane Werdings zu spielen. Frank Elstner, damals Chefsprecher der deutschen Abteilung von Radio Luxemburg, rechtfertigte sich wie folgt: „Wir können zwischen Dash- und Omo-Werbung kein Lied mit solch ernstem Problem spielen“.  Unterstützung erhielt die junge Sängerin von hoher Stelle – der Berliner Kaplan Flury machte sich im Rahmen seiner „No drugs“-Aktion für den Song stark und konnte sogar die Bundesregierung als Unterstützung gewinnen.

Juliane Werding rückte das Drogenproblem damals stark in die Medien – zuvor wurde deutlich weniger darüber berichtet, 1972 kam das Thema in den Fokus – auch weil in jenem Jahr die Zahl der Rauschgifttoten erstmals die 100 überschritt. – Nach dem Auftritt am 19. Februar 1972 in der ZDF-Hitparade wurde der kommerzielle Erfolg des Liedes gigantisch – nur wenige Wochen nach ihrem ersten Auftritt in Berlin kam sie in die Verkaufscharts, um bis an die Spitze der Charts zu kommen. Inzwischen fingen auch die RTL-Hörer an zu protestieren – und Juliane wurde wochenlang als Nummer eins bei den „Großen Acht“ von Radio Luxemburg geführt. Für einen der begehrten „Löwen“ von Radio Luxemburg reichte es allerdings nicht(!). Aber noch in 1972 wurde ihr die Goldene Europa der Europawelle Saar überreicht – ebenso wurde sie von den Lesern der Jugendzeitschrift Bravo als beliebteste Sängerin des Jahres gewählt und erhielt folgerichtig den „Goldenen Otto“ – ein sensationeller Erfolg für ein Mädchen, das erst eine einzige Single herausgebracht hatte.

Juliane Werding wurde Identifikationsfigur – Reporter suchten regelmäßig abwechselnd ihren Wohnsitz (Essen, Friedjof-Nansen-Str. 8) und ihre Schule (Beatae Mariae Virginis-Schule Essen, eine Klosterschule) auf. Im Essener Lokalkompass blickte Juliane wie folgt auf diese Zeit zurück: „Es war teilweise so, das Fernsehteams einfach vor der Schule standen oder in die Klassen gekommen sind während des Unterrichts und die Nonnen mit dieser Situation vollkommen überfordert waren, weil so was natürlich noch nie vorher da gewesen war und sie nicht genau wussten, wie sie sich verhalten sollten. Und ich auch nicht, ich war ja auch kein Profi, war vollkommen erschrocken, wenn da plötzlich irgendwelche Reporter in meiner Klasse standen.“

Nach dem großen Erfolg mit der Single wurde eine LP produziert – erneut mit „schwerer Kost“ – ganz anders als die Schlager damals sonst so waren. Ganz bewusst wollte Juliane zeitkritische und nachdenkliche Lieder singen. Im Hitparadenbuch sagte sie: „Erfolge sind mir wurscht, ich will diesen Job nicht zum Beruf machen. Wenn ich ein Lied vom Text her vertreten kann, dann singe ich es. Sonst lasse ich es bleiben. Basta.“ – So passte es gut, Juliane zu einer Art „Protest-Star“ aufzubauen – ihre Plattenfirma beschrieb sie wie folgt: „Das ist Juliane – progressiv, jedoch nicht feindselig der Gesellschaft gegenüber, die im Überfluss lebt“.

Dazu passte auch Ihre erste LP „In tiefer Trauer“ – auf dem Cover stand in Form einer Traueranzeige zu lesen: „Unsere geliebte, heile Welt, in deren Schoß einst Illusionen von Liebe, Frieden und Freiheit geboren wurden, ist nach langen  und blutigen Kämpfen im 20. Jahrhundert endgültig von uns gegangen. In tiefer Trauer – Juliane Werding“.

Die Nachfolge-Single ihres „Über-Hits“ war „Kinder des Regenbogens“ (spannenderweise nicht auf ihrem ersten Album enthalten, der Song wurde erst auf einer ihrer späteren LPs als Albumtrack veröffentlicht) – in dem Song schlüpfte sie in die Rolle jugendlicher Hausbesetzer in einer Hippie-Kommune („Sie nannten sich Kinder des Regenbogens, denn sie glaubten an das Gute in der Welt“). Auch den Song stellte Juliane in der ZDF-Hitparade durch, der Erfolg der Vorgängersingle konnte aber bei weitem nicht erreicht werden. Erneut war der Text von Ulli Weigel, die Komposition stammte vom damals populären Schlagerkomponisten und Freund Ulli Weigels, Dieter Zimmermann.

Schon kurz nach Erscheinen der ersten Langspielplatte erschien das 13 Lieder beinhaltende „Juliane Werding Songbook" im Verlag Edition Intro.

1973 erschien bereits die zweite LP Julianes mit dem bezeichnenden Titel „Mein Name ist Juliane“. Dort stellte die Essenerin fest: „Mein Name ist Juliane, und ich singe, was mir gefällt – lustige Lieder und trauriger Lieder – uns’rer gar nicht mehr so heilen Welt“. Nachdem die zweite Single nicht so gut lief wie die erste, entschloss man sich wieder für das Cover eines international erfolgreichen Songs – damals waren Moody Blues mit „Nights In White Satin“ sehr erfolgreich. Wieder war es Ulli Weigel, der den deutschen Text darauf ersann: „Wildes Wasser“ – die Single kam zwar noch mal in die Top-40 – aber das war für zwei Jahre auch der vorerst letzte Hit Julianes. Erneut wurde die Single in der ZDF-Hitparade zwar vorgestellt, konnte sich aber nicht platzieren. Bereits 1970 produzierte und sang übrigens Michael Holm eine deutsche Version – „Nächte im Schatten“. Die Single stellte Juliane u. a. am 1. Juni 1973 im „Juliane Werding Portrait" vor – im Rahmen der ARD-Sendung „Rhinozerus".

Die Ängste und Nöte eines jungen Mädchens damals („Hastige Liebe, weil Du neugierig bist – erste Enttäuschung, sie prägt Dein Gesicht“) wurden zwar wohl authentisch geschildert, waren aber kommerziell nicht so erfolgreich wie der Drogen-Song, der wohl voll den damaligen Zeitgeist traf. Viele Jahre später hat Comedian und Schlagerfreund Thomas Hermanns sich des Songs noch mal angenommen und ihn auf seine Art und Weise mit einem „Ausdruckstanz“ versehen.

1964 landete Donovan einen mittelprächtigen Hit mit „The Universal Soldier“; das Original des Songs stammt bereits aus dem Jahr 1963 von „The Highwaymen“. Im Jahr 1965 schrieb der renommierte Textdichter Max Colpet eine deutsche Version für die damalige Protestsängerin „Dominique“ (bürgerlich Waltraud Isolde Elchlepp) namens „Der ewige Soldat“. Da Juliane Werding in ihrer Anfangszeit solche Themen auch am Herzen lagen, lag nahe, diesen Song im Jahr 1973 neu aufzunehmen. Passend dazu schrieb in damaliger Zeit ihre Plattenfirma: „Juliane Werdings Lieder drücken genau das aus, was und wie ihre Generation denkt und empfindet. Sie sind anklagend und angriffslustig gegenüber einer Gesellschaft, die im Überfluss lebt; ein Unterton von Skepsis ist darin aber zugleich auch jene lyrische Empfindsamkeit, die in unserer Zeit rar geworden ist.“ Der Song war wohl doch „zu schwere Kost“ für die Hitparaden, das gilt ebenso für die Berliner ZDF-Hitparade  – schade, die dort angesprochene Thematik des Antikriegsliedes ist traurig aktuell. Der Titel findet sich auch auf Julianes LP „Mein Name ist Juliane“. Spannend ist übrigens, dass der Verlag (Peer Musikverlag) damals schrieb „Max Colpet schreibt für Juliane Werding", obwohl der Textdichter die Zeilen ja ursprünglich für Dominique verfasste.

1973 machte Juliane die Mittlere Reife und besuchte anschließend die Handelsschule in Bottrop und begann eine Ausbildung als Bürokauffrau.

Auch 1974 produzierte Peter Meisel mit seinem Schützling Juliane eine Coverversion – diesmal knöpfte man sich Olivia Newton-Johns „Let Me Be There“ vor und machte daraus „Morgens Fremde – mittags Freunde". Der im Country-Style gehaltene Song war wieder kommerziell genug für einen Auftritt in Dieter Thomas Hecks ZDF-Hitparade im Sommer des Jahres, platzieren konnte er sich weder dort noch in den Charts.

Der für ein paar Jahre letzte Text von Hans-Ulrich Weigel für Juliane war 1974 „Wenn ich ein Adler wär‘“ – dabei handelt es sich um eine Komposition von Heino Petrik, wenngleich viele Fans eine gewisse Ähnlichkeit der Melodie zu Zager & Evans‘ „In The Year 2525“ sehen.

1975 war das „Internationale Jahr der Frau“. Zu diesem Anlass schrieb kein geringerer als (ausgerechnet…) Gunter Gabriel Juliane einen Emanzipationssong: „Wenn Du denkst Du denkst, dann denkst Du nur, Du denkst“. Darin wird die Konstellation besungen, wie Männer in einer Kneipe Skat spielen,  und wie sie dort mit den Machos der alten Schule umgeht: „ich gewann das Spiel – das war zu viel“. Vor ziemlich genau 40 Jahren wurde dieses Lied zu einem großen Hit – es war Julianes zweiter Top-5-Hit in Deutschland. Auch ihr Auftritt in der ZDF-Hitparade war ein voller Erfolg – sie wurde mit dem Lied nicht nur „Spitzenreiterin“ (- das gelang ihr nicht mal mit Conny Kramer -), sondern gewann in der Sendung vom 22. November 1975 gegen den späteren Skatweltmeister Willi Knack aus Dortmund beim Skat – damit war der Imagewechsel weg von der Protestsängerin hin zur modernen emanzipierten Frau perfekt (böse Zungen sagen „von der Protestjule zur Schlagermaus“), wobei sie heute auf dem Cover wohl keine „Kippe“ mehr im Mund haben würde (politisch korrekte Menschen haben sich darüber aufgeregt, dass Juliane nach ihrem „Anti-Drogen-Song“ sich nun mit Zigarette ablichten ließ).

Die gleichnamige LP, auf der auch die letzten Singles verkoppelt wurden, platzierte sich auch erfolgreich in den damaligen Album-Charts.

Das emanzipierte Lied im fröhlichen Sound hat Juliane nicht ohne Grund aufgenommen. Mit Blick auf ihren Conny-Kramer-Song äußerte sie: „Wenn man in so starkem Maße wie ich mit einem einzigen Lied identifiziert wird, muss man praktisch noch ein zweites Mal anfangen." – Diese Bestrebung kann als erfolgreich angesehen werden.

Nachdem „Frauenversteher“ Gunter Gabriel Juliane einen tollen Hit auf den Leib schrieb – er war ja im Sprechgesang der „Wenn Du denkst“-Single höchstpersönlich zu hören („Wart nur ab, Baby – morgen kommt die ganz große Revanche“; in der ZDF-Hitparade übernahm Moderator Heck diese Aufgabe), lag nahe, dass er auch die nächste Single schrieb – auch das gelang sehr erfolgreich.

So viel Engagement und Erfolg musste belohnt werden – erneut schaffte sie es, von den Bravo-Lesern als beliebteste Sängerin gewählt zu werden, wofür sie den „Goldenen Otto" gewann. Außerdem gab's diesmal sogar den RTL-Löwen in Silber.

Mit dem erneut Country-angehauchten „Man muss das Leben eben nehmen wie das Leben eben ist“ gelang ein weiterer Top-Hit, wenngleich Germanisten – ähnlich wie beim „Wenn Du denkst“-Song – bei solchen Texten gewaltige Stirnrunzeln ergeben….. Dafür war die Werbung der Plattenfirma genial: „Der Kerl macht's und sie bringt's: Juliane und Gunter – seine tolle Schreibe, ihre tolle Stimme" – genial!

Bei der nächsten Single, zu der auch eine gleichnamige LP veröffentlicht wurde, handelt es sich um „Komm und hilf mir durch die Einsamkeit der Nacht“. Den Song schrieb erneut Gunter Gabriel – er behandelte mit dem Song ein Thema, mit dem er sich wohl auskennt – eine Geliebte wünscht einen verheirateten Mann telefonisch zu sich – dieser kann aber angesichts seiner anwesenden Gattin nicht „offen“ telefonieren. Damals gab's halt noch nicht What's App und Facebook… –  Das war für die 70er Jahre dann wohl doch etwas zu unmoralisch, so dass ein Auftritt in Hecks Hitparade diesmal nicht ermöglicht wurde. Mit dem Titel war sie genau eine Woche in den Charts – es war ihr über mehrere Jahre hinweg letzter (relativer) Hitparaden-Erfolg. Ungewöhnlich ist übrigens, dass die in dem Schlager angesprochene Problematik mal nicht aus männlicher Sicht beschrieben wird (allein zwei Udo-Jürgens-Songs fallen mir zu dem Thema ein: „Donnerstag“ und „Gaby wartet im Park“ – aber auch Roland Kaisers „Manchmal möchte ich schon mit Dir“ geht in die Richtung), sondern aus Sicht der Geliebten.

Nach der dritten Gabriel-Single für Juliane wurde die Zusammenarbeit recht abrupt beendet, und der Grund war NICHT „drei mal dabei – bitte nicht wiederwählen"! In seinem Buch beschreibt Gunter Gabriel vielmehr, dass er sich mit der damaligen (gemeinsamen) Plattenfirma Hansa überworfen habe, als er herausfand, dass Juliane Werding einen deutlich besser dotierten Vertrag mit der Berliner Firma abgeschlossen hatte als er selber, was er wohl nicht in Ordnung fand – jedenfalls sollte es keine weitere Single mehr geben, allerdings gelang auch kein weiterer Juliane-Hit mehr bei der Hansa.

Man ging fortan wieder zum alten Rezept über, internationale Erfolge zu covern, den Text steuerte der reaktivierte Hans-Ulrich Weigel bei: „Da staunste was!?“ war die deutsche Version des Songs „Howzat“ der Australischen Band „Sherbet“. Textdichter Weigel griff den von Gabriel beschrittenen Emanzen-Weg weiter: Juliane gibt ihrem Freund in dem Lied den Laufpass – sie gibt eben nicht mehr das (O-Ton) „friedliche Schaf“. Trotz Präsenz in der ZDF-Hitparade vom Februar 1977 konnten die (männlichen?) Fans dem Song wohl nicht viel abgewinnen.

Im Jahr 1977 wechselte Juliane Werding den Produzenten – Peter Meisel gab den Staffelstab an Tony Hendrik und seine Frau Karin Hartmann, spätere Gründer des „Coconut"-Labels, weiter. Die erste Single war der vom neuen Produzententeam geschriebene Song „Oh Mann oh Mann, wo hat der Mann nur seine Augen“? – Das Single-Cover erinnert vom Design stark an Julianes „Wenn Du denkst“-Song – auch inhaltlich hätte der Song von Gunter sein können, allerdings war der kommerzielle Erfolg bei weitem nicht so groß wie der von ihrem 1975er Hit, obwohl das Thema erneut originell war: der Karriere-Mann vergisst vor lauter Aktivität seine Frau, die sich ihrerseits wiederum freut, dass auf den Nachbarn Meier „Verlass“ ist. Parallel zur Single erschien auch eine von Hendrik/Hartmann produzierte LP „Oh Mann oh Mann…“.

Auch 1978 produzierte Tony Hendrik Juliane Werding und versuchte es mal wieder mit einer Cover-Version: aus „Yellow Dogs“ „Just One More Night“ wurde „Nur noch eine Nacht“ – erstmals trat Juliane Werding als Co-Autorin (hier Textdichterin) in Erscheinung. Das Lied aus der 1978er LP „…ein Schritt weiter“ kam nicht wirklich an.

Ein weiterer unbeschwerter Song aus diesem Album wurde im Sommer 1978 ausgekoppelt – erneut trat Ulli Weigel bei „Postfach auf der grünen Wiese“ in Erscheinung, wieder handelte es sich um einen adaptierten Titel – diesmal wurde der rockige Fleetwood-Mac-Hit „Don’t Stop“ eingedeutscht.

Für damalige Verhältnisse ungewöhnlich: Ein dritter Song wurde aus „..ein Schritt weiter“ ausgekoppelt. Der von vielen Kritikern gelobte, aber kommerziell desaströs gefloppte Song „Hotel Royal“, komponiert von Tony Hendrik und wieder von Ulli Weigel getextet, konnte nicht überzeugen – erneut ging es dort um Drogen, aber auch um Prostitution – für damalige Verhältnisse schwere Schlagerkost. Spannend: Produzent Tony Hendrik brachte den Song 1980 mit anderem (eigenen) Text in einer Version von Wolfgang Petry, dem er quasi zum Durchbruch verholfen hatte, auf den Markt („Und Sandra weint") – als B-Seite der recht bekannten Single „Mein Zuhaus“. A propos „Mein Zuhaus“ – das wechselte im Jahr 1978 – Juliane zog mit ihrem Freund nach München-Giesing.

Aller guten Dinge sind.. – in dem Fall vier – eine weitere Single aus ihrem damals aktuellen Album veröffentlichte Juliane 1979: „Klappe auf – Klappe zu“. Diese Single ist aus mehreren Gründen interessant – erstmals kann der geneigte Fan auf dem Single-Cover Juliane mit Zöpfen bewundern – ein erstaunlicher Look für eine Frau, die zuvor eher auf den Emanzipations-Zug gesprungen ist. Aber auch die Songautoren haben es in sich: Wolfgang Hofer ist genau der Wolfgang, der selbst mit „Trödler Abraham“ in Deutschland einen Riesen-Hit hatte und über Jahrzehnte hinweg einer der wichtigsten Textdichter für Udo Jürgens war  (u. a. „Mit 66 Jahren“). Komponist „Andreas Krause“ hatte gerade als „Andy Martin“ seinen Song „South Of the Border“ veröffentlicht – später wurde er als „Andreas Martin“ sehr bekannt. – Genutzt hat es alles nichts, auch der Tratsch-Song „Klappe auf – Klappe zu“ kam nicht in die Hitlisten – damit war die langjährige Hansa-Ära beendet, und Juliane wechselte die Plattenfirma.

Zur Freude vieler Fans wurde Julianes „Frühwerk“ im Rahmen der Ariola-„Original Album Classics“ neu aufgelegt – ihre fünf Hansa Studio-Alben wurden erneut veröffentlicht – tolle Sache!

Mit dem neuen Jahrzehnt (1980) ging Juliane Werding zur Kölner EMI Electrola, wo sie das für ihre Verhältnisse rockige Album „Traumland“ produzierte. Die erste Single daraus war „Großstadtlichter“, die deutsche Version des Alides-Hidding-Songs „Hollywood Seven“, der in den Niederlanden recht populär war; Alides Hidding war später auch Mitglied der recht bekannten Band „Time Bandits“. Im Jahr 1976 wurde das Lied von Jon English bereits in Australien veröffentlicht und war dort ein Top-20-Hit. – In der deutschen, von Michael Kunze getexteten Version geht es um ein Mädchen vom Land, das sich in der Großstadt nicht wirklich zurecht findet. Mit allen Mitteln wird die Dramatik des Themas beackert, ein imposantes Saxofonsolo und Julianes teils zittrige Stimme unterstreichen das Scheitern der Landpomeranze in der großen weiten Welt. – Genutzt hat es nichts, es wurde kein Hit, auch das Album fiel beim Publikum durch.

1981 wurde die „Non-Album-Single“ „Niemand hat Zeit“ veröffentlicht – erneut schrieb Michael Kunze den Text zu einem Coversong – diesmal wurde der Styx-Titel „Too Much Time On My Hands“ eingedeutscht. In der deutschen Version besingt Juliane das sensible Thema, dass Eltern sich für ihre Kinder zu wenig Zeit nehmen. Während das Original in Kanada und in den USA ein Top-10-Hit wurde, konnte sich die deutsche Version nicht in den Verkaufshitparaden etablieren.

In einer Münchner Agentur begann Juliane 1982 eine Ausbildung zur PR-Frau, die sie abschloss und anschließend in dem Bereich (neben ihrer Karriere) bis 1985 tätig war. Im gleichen Jahr veröffentlichte sie ihre dritte und letzte Single bei der EMI: „Es geht auch ohne Dich“, die deutsche Version von Elaine Paiges „If  You Don’t Want My Love“. Erneut war Michael Kunze der Textdichter – er beschrieb die Schwierigkeit, nach einer Trennung einen Neuanfang zu schaffen.

Alle bei der EMI erschienenen Lieder wurden auf der im Rahmen der „Originale“-Reihe erschienenen CD „Traumland“ auf CD veröfffentlicht.

1983  war es wieder Michael Kunze, der einen deutschen Text zu einem internationalen Hit für Juliane fand: Aus Mike Oldfields „Moonlight Shadow“ wurde „Nacht voll Schatten“. Mit ihrem neuen Produzenten Harald Steinhauer und bei der neuen Plattenfirma WEA hatte Juliane wohl den richtigen Griff gemacht: Der Song wurde ein echter Verkaufsschlager. Erstmals nach langen Jahren erreichte sie auch wieder Platz 1 der ZDF-Hitparade. Ihren Job in der PR-Agentur gab sie deshalb aber nicht auf – es blieb demnach bei sporadischen TV-Auftritten und Studio-Aufnahmen. Mit der Sängerin des Originals,  Maggie Railey, ging Juliane übrigens viele Jahre später auf Tour.

Spannend ist es, wie es zu dieser Version kam: „Die Idee, 'Moonlight Shadow' in deutscher Sprache aufzunehmen, stammte von Mambo-Chef Jürgen Thürnau, und er sprach auch Virgin-Chef Udo Lange an. Doch der offizielle Weg schien nicht so gut zu funktionieren wie der inoffizielle. Juliane reiste nämlich einfach nach Berlin, weil sie wusste, dass Mike Oldfield da gerade ein Konzert gab. In der Waldbühne schaffte sie es problemlos, ohne Eintrittskarte oder gar einen Backstagepass hinter die Bühne und bis in die Nähe des großen Mike Oldfield zu kommen. Und ohne großes Drumherumreden fragte sie ihn, ob er etwas dagegen hätte, wenn sie seinen Titel mit einem deutschen Text aufnehmen würde. Ihm blieb schließlich nichts anderes übrig, als ja zu sagen". (Quelle: Musikmarkt vom 15. März 1984).

In der folgenden Zeit nahm sich Juliane mystischer, geheimnisvoller Texte an – stets von Harald Steinhauer produziert und mit Texten von Dr. Michael Kunze. Erstmals in den 1980er Jahren wurde 1984 eine Original-Single (kein Cover) von diesem Team heraus gebracht: „Geh nicht in die Stadt (heut Nacht)“ war trotz schwierigem Themas erfolgreich – der Lebenspartner Julianes kam aufgrund Perspektivlosigkeit auf die schiefe Bahn – ihr Appell: „Geh nicht in die Stadt!“ wird von diesem aber nicht erhört. – Der Song war so stark, dass die Schweizer Sängerin Sue Schell (die Sue von Peter, Sue & Marc) ihn auf englisch aufnahm („Two Different Beats“) – leider weithin unbeachtet… – umso erfolgreicher war Julianes deutsche Version in den Niederlanden.

Im Sommer 1984 wurde es wohl mal wieder Zeit für eine deutsche Cover-Version – Nik Kershaw hatte seinerzeit einen Hit mit „Wouldn’t It Be Good“, in dem es um englische Innenpolitik (die von Margret Thatcher) ging – bei Juliane hieß es „Sonne auf der Haut“ – erneut konnte sie damit die Charts entern. Erstmals wurde bei dieser Single, die erneut auch in den BeNeLux-Ländern erfolgreich war, Mats Björklund als Coproduzent erwähnt. Während Textdichter Michael Kunze sich bei „Nacht voll Schatten“ inhaltlich noch am Original orientierte, hat er bei „Sonne auf der Haut“ sein eigenes Thema gefunden – Juliane beklagt darin die Oberflächlichkeit eines attraktiven Anblicks, die oft zu Lasten des Charakters geht: „braungebrannt und niemals ganz allein… doch innendrin ein Herz aus Stein“. Forennutzer „PinkPopÄlsKling“ deckt männliches oberflächliches Denken da schonungslos auf – nicht gerade schmeichelhaft für Frau Werding: „Tja, Juliane, es ist ein Naturgesetz, dass beim Kampf um einen Mann die Naturheilpraktikerin dem glamourösen Vamp unterliegt, also jammer nicht rum.“ Die einen sagen so – die anderen so: Auch „Sonne auf der Haut“ wurde ein Verkaufserfolg.

Ende 1984 erschien mit „Ohne Angst“ die nach vier Jahren wieder erste LP, auf der die ersten drei WEA-Singles enthalten waren und als vierte Single „Drei Jahre lang“ ausgekoppelt wurde – ein Song, der wie eine Fortsetzung der Vor-Vorgängersingle „Geh nicht in die Stadt“ angesehen werden kann: Offensichtlich hielt sich der fiktive Freund nicht an die Ansage, „nicht in die Stadt zu gehen“ und wanderte in den Bau – und zwar für „Drei Jahre lang“. Wieder schrieb Michael Kunze einen eindringlichen Text auf Harald Steinhauers Komposition – der anspruchsvolle Schlager war auch kommerziell erfolgreich, es reichte für eine gute Top-30-Position.

Interessant: Einige Protagonisten der Neuen deutschen Welle schrieben einige der Songs auf ihrer Comeback-LP, so schrieben Friedel Geratsch (Geier Sturzflug), Harry Gutowski (Songautor von Frl. Menke) und Guntmar Feuerstein (Strandjungs) den einen oder anderen Song der Platte.

Lohn der Angst“ war die fünfte und letzte Auskopplung aus Julianes Comeback-Album „Ohne Angst“. Erneut ist sie in Sorge, um das, was ihr Freund so nachts treibt, wobei Michael Kunze im Text offen lässt, was genau so besorgniserregend ist – vielleicht ein (illegales?) Autorennen? Für den großen Erfolg ihrer letzten Lieder erhielt Juliane 1985 aus den Händen von Dieter Thomas Heck die erste von insgesamt fünf Goldenen Stimmgabeln überreicht.

Der Musikjahrgang 1985 war für Juliane damit abgeschlossen – und ebenso ihre Tätigkeit in der Public Relations-Branche. Stattdessen begann sie eine Ausbildung als Heilpraktikerin. Während ihrer Zeit in der PR Agentur hatte sie  nämlich die Aufgabe, medizinische Artikel in eine verständliche Sprache zu bringen – dabei kam sie immer tiefer in medizinische Themen und beschloss, das als künftige berufliche Perspektive in Angriff zu nehmen.

(… – Fortetzung folgt …)

Stephan Imming, 17.10.2015
http://www.da-music.de
http://www.juliane-werding.de/

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