JOACHIM WITT
“Ich war ein richtig großer Fan von Freddy Quinn” – Joachim Witt im Interview zu seiner neuen CD “Der Fels in der Brandung”!

Martina Mack führte ein sehr, sehr ausführliches Gespräch mit dem “Fürst der Finsternis” …:

 

 

Herr Witt, Sie haben über Ihr Album ‚Fels in der Brandung‘ gesagt: „Mein neues Werk ist wie eine musikalische Insel. Ein Hort des Trostes und der Zuversicht, in einer aktuellen Welt voller Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit.“ Sehen Sie sich als Fels in der Brandung?

Das sehe ich schon so, aufgrund meiner Erfahrung und auch meines Alters. Ich habe viel erlebt und kann das ein oder andere an positiven Dingen, Erfahrungen und Ratschläge weitertragen. Meine Musik ist inhaltlich von dem geprägt, was mich bewegt und ich gehe immer davon aus, dass die Dinge, mit denen ich mich beschäftige, auch viele andere Menschen beschäftigen. Es ist mir eine Ehre und ein Privileg als Künstler, Menschen in ganz besonderen Momenten mit meiner Musik beizustehen.

Ihre Lieder schaffen Ansätze, die unter die Oberfläche gehen, wie unter anderem der Song „Signale“, der selbstkritisch, politisch und absolut am Puls der Zeit ist…

Genau das brauche ich selbst auch. Ich muss immer unter die Oberfläche gehen, tiefer schürfen, Sachen hinterfragen und kritisch bleiben. Manchmal ist es sogar eine Art therapeutischer Ansatz, einmal für mich selbst und auch als Anregung für den Zuhörer, sich noch einmal anders mit den Dingen zu beschäftigen oder auch mit sich selbst. Gerade auch im Gefühlsbereich. Da lebt man doch oft sehr an der Oberfläche, und das versuche ich zu brechen.

Wie kommen Sie in dieser Welt voller Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit gerade zurecht? 

In erster Linie hilft mir meine Familie. Der Zusammenhalt zwischen meinen Kindern, meiner Frau ist sehr stark. Daraus schöpfe ich viel Kraft und Zuversicht. Zum Teil ist es sicher auch meine Musik, die mir hilft. Damit kann ich die Dinge verarbeiten und nach außen tragen. Und mich dabei selbst ein bisschen freischreiben. Das hat mir schon aus so manchem Tief geholfen. Ich habe außerdem über die Jahre einen Mechanismus entwickelt, wo vieles an mir abprallt, ohne mich allzu negativ zu beeinflussen. Es ist gut, wenn man sich einen gewissen Schutzschild aufbaut. Diese negativen Ereignisse sind ja auch nicht neu, sie verlagern sich eben immer mal woandershin. Es ist nie so, dass man sagen kann: „Wir Menschen sind ja alle so glücklich auf der ganzen Welt.“ 

Wie haben Sie sich einen Schutzschild aufgebaut?

Indem ich bestimmte Apps einfach gelöscht habe (lacht). Bevor ich mich immer wieder neu über gewisse Dinge ärgere, lösche ich lieber die betreffenden Apps. Dann sehe ich es nicht mehr und beschäftige mich nicht mehr damit. Das ist meine Art von Selbstschutz.

Wenn Sie an Ihre Kindheit und Jugend denken. Wer war für Sie Ihr „Fels in der Brandung“?

Letztendlich war das meine Mutter. Sie hat mich immer sehr unterstützt, in allem, was ich getan habe. Auch meine Träume, meine Visionen, Musiker zu werden, hat sie mitgetragen. Gerade am Anfang ist es nicht leicht, dabei zu bleiben. Ich habe ja nicht nur positive Dinge erlebt, sondern auch viele Rückschläge. Viele Dinge haben nicht so funktioniert, wie ich mir das erhofft hatte, es gab finanzielle Schwierigkeiten. Aber meine Mutter hat mich immer bestärkt. Sie hat immer an mich geglaubt, hat mein Talent gesehen. Es hat sich dann ja auch herausgestellt, dass es der richtige Weg war. In Familien ist das oft schwierig, weil die Eltern wollen, dass die Kinder einen sicheren Beruf, eine geregelte Arbeit haben – und ich ging damals eben keiner geregelten Arbeit nach, alles war unsicher. Dazu in einer Zeit, wo alles noch viel mehr statisch war und nicht so flexibel aufgestellt wie heute. Ich fiel da aus allen Normen heraus. Damals Künstler zu sein, war sehr viel schwieriger als heute.

Freddy Quinn war DAS Idol Ihrer Kindheit. Haben Sie ihn später einmal kennengelernt?

Nein, leider nicht. Ich konnte Freddy Quinn nie treffen. Damals war ich ein richtig großer Fan von ihm. Als Kind oder Heranwachsender verbindet man damit ja auch immer Träume. Die Menschen, die man verehrt, sprechen etwas in einem an, damit meine ich Sehnsüchte, die ich natürlich auch hatte. 

Um Sehnsüchte geht es auch in Ihren Liedern „Träume im Gegenwind“ und „Schwör mir“, beides sehr tiefgründige und wunderschön arrangierte Songs…

„Schwör mir“ gehört zu meinen absoluten Lieblingstiteln auf dem Album, da steckt sehr viel Herzblut drin. Ich neige sehr zu Sentimentalität, zu Fernweh und solchen Dingen. Fernweh, im Sinn einer Sehnsucht nach einer besseren Welt, die Sehnsucht nach der ewigen Liebe gehört natürlich auch dazu. Viele Sehnsüchte erfüllen sich ja leider nicht im Leben.

Sie singen mit Marianne Rosenberg, einer absoluten Ikone in der Schlagermusik, das Lied „In unserer Zeit“ – auch dieser Song ist eine Hymne für eine bessere Welt…

Ja, das Lied ist ein starkes musikalisches Manifest. Es steht für das Miteinander, statt das Gegeneinander. Es vermittelt eine positive Botschaft für die Zukunft. Das brauchen wir gerade jetzt. Marianne Rosenberg und mich verbindet eine Weltsicht der Mitmenschlichkeit, den Wunsch nach Solidarität und sozialer Gerechtigkeit.

Ihre Karriere gleicht einer Achterbahn. Trotz vieler Rückschläge haben Sie nie aufgegeben und sich und Ihre Musik über die Jahre immer wieder neu erfunden….

Ja, ich bin drangeblieben und habe immer wieder von vorne angefangen. Das war mir sehr wichtig und das ist auch der Rat, den ich immer gerne weitergeben möchte. Man sollte nicht so schnell aufgeben, auch die Rückschläge gehören dazu. Ich wollte nie Oberflächliches, Belangloses machen und mich auch nicht wiederholen. Dann habe ich eben lieber Pausen gemacht.

In den wilden Sixties haben Sie offen gegen alles Etablierte rebelliert, vor allem gegen das Schulsystem. Wegen Ihrer langen Haare durften sie nicht mit auf Klassenfahrt… 

Das war unglaublich, ja.  Ich war nie so angepasst. Ich war immer der kritische Mensch, der alles hinterfragt hat, auch gesellschaftliche Vorgänge und Zustände. Damit bin ich oft angeeckt. Ich habe mir die Haare lang wachsen lassen. Das Establishment hat sich darüber aufgeregt. Dass ich wegen meiner langen Mähne nicht mit auf Klassenreise durfte, war für mich unfassbar. Ich bin erst recht nicht zum Friseur gegangen, sondern dann zuhause geblieben. Aus heutiger Sicht total oberflächlich und absolut unwichtig. Die 60-er Jahre haben natürlich viel angerissen, haben aufgeräumt mit alten Moralvorstellungen. Die Auflehnung und Proteste mündeten dann ja in die 68-ern Bewegung. Für mich war auch die Musik der Beatles damals von großer Bedeutung. Sie waren für mich das Zeichen für den moralischen Aufbruch. Ich bin heute noch großer Fan der Beatles.

Dass man als Musiker Eindruck bei den Mädels macht, haben Sie früh gemerkt. Waren Sie damals eher schüchtern oder der Draufgänger-Typ?

Ich war sehr schüchtern, damals blieb es bei verliebten Blicken (lacht). Dieses angehimmelt werden von den weiblichen Fans hat mir natürlich schon gefallen. Man verbindet als Musiker damit auch die Träume, dass man geliebt werden möchte – obwohl ich in meiner Familie diesbezüglich keine Defizite hatte. Aber diese Euphorie der Mädels, der Wunsch als Musiker auf der Bühne umschwärmt zu sein, ist natürlich noch einmal etwas anderes. Diesen Wunsch haben so gut wie alle Musiker. Vielleicht hat es aber auch mit meiner Schulzeit zu tun. Die war einfach katastrophal. Vielleicht habe ich mir damals gedacht: Wie schaffe ich mir dazu den Ausgleich? Aber all das läuft natürlich im Unterbewusstsein ab. Am Ende fügte sich durch meine Begabung dann alles zusammen. Und ich finde es einfach schön, dass ich diese Begabung noch rechtzeitig herausgefunden habe, und dass ich immer dabeigeblieben bin.

Ihre Anfänge waren noch sehr improvisiert. Stimmt es, dass Sie bei Proben mit Ihrer ersten Schüler-Band „Scalesmen“ einen heftigen Stromschlag erlitten? 

Das war tatsächlich ein sehr unglücklicher Umstand. Unsere Band musste wahnsinnig viel improvisieren in dieser Zeit. Wir haben auf dem Dachboden unserer Schule geprobt. Alles war chaotisch, insbesondere der Stromkreis – keiner blickte durch, auf einmal knallte es. Es hätte auch tödlich ausgehen können. Ich habe mir damals aber gar nicht so viele Gedanken darüber gemacht. Ich bin nach kurzer Zeit wieder aufgestanden, und nicht einmal zum Arzt gegangen. Das war schon ziemlich irre und leichtsinnig. Aber es ist mir zum Glück nie wieder passiert. Ich habe danach immer sehr genau aufgepasst und in vernünftige Technik investiert, damit so etwas nicht mehr vorkommt. Der Unfall hatte mir schon die Augen geöffnet.

Als 1976 Ihr Debut-Album „Silberblick“ entstand, sind Sie Vater geworden. Wie hat das Ihr Leben verändert? 

Das erste Kind ist natürlich ein großes Ereignis. Aber die Zeit damals war eben auch von großen Existenzängsten geprägt. Ich bewegte mich mehr oder weniger im luftleeren Raum. Wirtschaftlich war das eine Katastrophe. Hier und da hatte ich mal einen Job, aber es war nicht so, dass ich gut aufgestellt gewesen wäre. Meine Sensibilität ist sehr stark ausgeprägt. Ich nehme immer alles mit allen Antennen auf, die mir zu Verfügung stehen. Dadurch habe ich eine Art Verstärker in mir, der das Problembewusstsein eben noch einmal verstärkt. 

Das hat sich auch in Panikattacken geäußert. Wie stark hat Sie das belastet? 

Die Panikattacken sind immer wieder gekommen in dieser Phase. Das dauerte sogar drei, vier Jahre lang – bis sich der Erfolg einstellte. Als der Erfolg kam mit „Silberblick“, die Bestätigung, dass ich irgendetwas richtig gemacht habe im Leben, dann ließen auch die Panikattacken schlagartig nach. Vor allem meine finanziellen Sorgen, die mich stark beschäftigt haben, sind dann gewichen. Wenn man in solch einer Situation steckt, und ständig Angst um sein Leben hat, obwohl es völlig irrational ist, ist das sehr belastend. Ich musste aber erst einmal dahinterkommen. Auf therapeutischer Ebene war das damals völliges Neuland, Panikattacken waren nicht weiter bekannt. Heute ist das anders: Belastungssyndrome, Burn-out, heute haben die Therapeuten damit ja sehr viel zu tun bei unserer aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung.

Waren Sie damals auch in Behandlung?

Mein bester Freund war Psychologe. Wie alle anderen, kannte auch er sich nicht aus mit Panikattacken. Er konnte mir aber doch den ein oder anderen Hinweis geben, der mir geholfen hat. Durch ihn hatte ich einen gewissen Beistand. Ich habe zu der Zeit auch spirituelle Entspannungsmusik gehört, damit konnte ich sehr gut zur Ruhe kommen.

Mit dem „Goldenen Reiter“ schufen sie 1981 nicht nur einen Mega-Hit, Sie wurden  nach einem Auftritt in der ARD-Show „Musikladen“ zum Super-Star der Neuen Deutschen Welle (NDW). Wie haben Sie das erlebt?

Das war ein außergewöhnliches Glücksgefühl für mich. Man kann diesen Moment nur schwer rekapitulieren. Ich weiß auch nicht mehr, was ich in diesem Moment gedacht habe. Aber es war einfach ein unglaublich befreiendes Gefühl, der ganze Druck fiel plötzlich von mir ab. Ich habe den Erfolg nicht einmal gefeiert. Später habe ich dann gedacht: Okay, Gott sei Dank, dass ich doch nicht so falsch gelegen habe. Ich wusste zwar sofort, dass das ein richtig toller Titel ist, aber zunächst einmal passierte rein gar nichts. Erst nach dem Aufritt in der TV-Show ging das Lied durch die Decke.

Ist „Der goldene Reiter“ eine Art Lebensversicherung?

Das kann man so sagen. Der Titel hat mir viel Freude bereitet und ist wirklich eine Lebensversicherung. Das Lied berührt die gesellschaftlichen Vorgänge und Problematiken, auch in unserer heutigen Gesellschaft, wo viele an Burn-Out und Überforderung leiden. Es waren ja auch meine Probleme, meine Panikattacken, weshalb ich diese Nummer geschrieben habe. Es ist ein sehr persönliches Lied, weil es auch mich beschreibt. Und ich habe im Text mein eigenes Schicksal vorausgesehen. 1983 war der Erfolg plötzlich weg. Ich verlor alles. 

Damals waren Sie Mitte 30 und standen vor dem AUS, als sich das „Märchenblau“-Album nicht verkaufte und auch das Folge-Album nicht lief. Wie gingen Sie damit um?

Ich bin mit meiner Frau Petra und meinen damals zwei kleinen Kindern Fabian und Kimberly kurzentschlossen nach Portugal an die Algarve gezogen. Das war die absolut beste Entscheidung zu diesem Zeitpunkt. Zum einen ist es dort unglaublich schön. Zum anderen hatte ich dort diesen Ausgleich, der für mich so prägend war. Ich bin ein sehr naturverbundener Mensch, die Landschaft hat mir sehr gut gefallen. Vor allem wollte ich mich aber aus dieser mich umklammernden Situation befreien, und die Algarve war dafür der perfekte Ort.

Weshalb haben Sie sich die Algarve ausgesucht?

Ich hatte dort zuvor mit meinem Management Urlaub gemacht und mich direkt in die Gegend verliebt. Ich kam an einem Haus vorbei, das lag wunderschön auf einem Felsen. Ein kleines portugiesisches Farmhaus. Dieses Haus war gerade zu verkaufen – und ich sagte sofort: „Das kaufe ich!“ Und das zu einer Zeit, in der mich alles Mögliche einholte. Horrende Steuernachzahlungen, außerdem hatte mich mein Steuerberater mit Investitionen falsch beraten. Ich kam in wirtschaftliche Schwierigkeiten, das hatte mir einen richtigen Schlag versetzt. Um wieder Geld zu haben, habe ich mein Mischpult und andere exklusive Studiogeräte verkauft. Im Laufe der Jahre musste ich mich aus der Misere wieder herauskämpfen. Wir waren vier Jahre in Portugal und sind dann zurückgegangen nach Deutschland. Das Haus habe ich wieder verkauft. Im Rückblick war das für mich eine wunderschöne Erfahrung, das würde ich wieder so machen.

Nicht nur Ihre Karriere war ins Stocken geraten, sondern später auch Ihre Ehe mit Petra… 

Als ich Mitte 40 war, trennten wir uns. Wir sind längst geschieden, ich habe mittlerweile zwei Scheidungen hinter mir. Petra und ich hatten uns damals auseinandergelebt, aber wir sind heute noch befreundet. Wir sehen uns ab und zu, weil meine Tochter Kimberly bei mir direkt in der Nähe wohnt. Kimberly ist unsere gemeinsame Tochter und insofern sehen wir uns nach wie vor. Mit meiner ersten Frau habe ich meinen Sohn Fabian.

Nach der Trennung von Ihrer Frau Petra kamen Sie mit der Schauspielerin und Sängerin Nadja Saeger zusammen, die Sie auch künstlerisch sehr unterstützt und inspiriert hat. Haben Sie noch Kontakt zu ihr?

Mit Nadja verbindet mich mittlerweile eine lebenslange Freundschaft. Wir waren fast 15 Jahre zusammen. Unsere Liebesbeziehung wurde auf eine esoterische Ebene gehoben. Wir haben einen sehr guten Kontakt, sind uns nach wie vor innig verbunden, und diese Verbundenheit wird auch immer bestehen – bis dass der Tod uns trennt. 

Nach der Trennung von Nadja litten Sie furchtbar unter Liebeskummer. Wie haben Sie sich immer motiviert, gerade in Zeiten, wo es nicht so gut lief? 

Es war für mich eine grausame Zeit. Ich habe furchtbar gelitten, mir ging es sehr schlecht. Aber trotzdem ist mir auch in dieser Situation wieder etwas Neues eingefallen – das war immer so – in welcher Schwierigkeit ich auch war. Ich bin ein sehr flexibler Mensch, der schnell auf Umstände reagieren kann. Ich konnte mich immer wieder aus eigener Kraft herausziehen. Und meistens war es so: Je tiefer das Tal, desto intensiver wurde meine Musik.

In der Trennungsphase von Nadja haben Sie mit Peter Heppner Ihren sensationellen Hit, „Die Flut“ geschaffen – und wurden zum Star der musikalischen Gothic-Welt…

Das ist richtig. Ich habe komponiert und mir für das neue Album den Schmerz von der Seele geschrieben, bis er langsam nachließ. Ich hatte die Vision von einer Flut, die Bestehendes zerstört und Neues erschafft. „Die Flut“ kam 1998 auf das Album „Bayreuth eins“. Die Beziehung hat sich dann sogar regeneriert, Nadja und ich wurden wieder ein Paar. Diese ganze Problematik mit ihr war der Anstoß für die neue Zielrichtung von Sound. Dadurch kam ich zur Musik der schwarzen Szene. Ich habe gespürt, wie dicht Gothic und EBM an dem Gefühl waren, das ich vermitteln wollte in meinem Liebeskummer. 

Das Album „Bayreuth eins“ 1998 war nach einer Durstrecke von 16 Jahren Ihr größter Erfolg. Sie haben sich völlig neu als Ihre eigene Autorität inszeniert – exzentrisch und dramatisch  im dunklen Gehrock mit Grabesstimme…

„Die Flut“ war sozusagen der Soundtrack des Neubeginns, die Hymne der bevorstehenden Jahrtausendwende. „Die Flut“ stellte sogar den „Goldenen Reiter“ in den Schatten. Für mich war es ein absolutes Hochgefühl nach so langer Zeit. Es hat mich aus diesem sehnsuchtsvollen Tief geholt. Ich hatte wieder etwas Neues gefunden, das war bis dahin der Höhepunkt meiner Karriere. Bei meinem ersten Konzert in Berlin mit den „Bayreuth“-Liedern kamen mir die Tränen, als ich sah, wie viele Menschen sich vor der Konzerthalle drängten. Wir haben danach noch zwei weitere „Bayreuth“-Alben produziert.

Gehörte zum Neubeginn auch, dass Sie sich fast nur noch vegetarisch ernähren?

Das war schon etwas früher, Anfang der 90er, als ich die Band „Metallic Traffic“ produzierte. Es war unsere erste Besprechung, wir kannten uns noch gar nicht, als der Sänger mich plötzlich fragte: „Was, du isst noch Fleisch“? Das kam so trocken über den Tisch, und ich dachte: „Was meint er denn jetzt?“ Ich habe dann darüber nachgedacht und es war tatsächlich wie ein Schalter, den ich umgelegt habe. Heute ernähre ich mich weitgehend vegetarisch und es geht mir gut damit.

In Ihrer Biografie schreiben Sie auch, dass Sie dem Alkohol so gut wie entsagt haben?

Ich habe damit immer mal wieder pausiert. Allerdings trinke ich einfach gerne mal ein Gläschen Wein zum Essen. In den letzten Jahren ist der Alkohol allerdings mehr zur Ausnahme geworden. Jetzt, mit fast 75 Jahren, habe ich ihm fast völlig entsagt. Ich habe mir gesagt: Du musst dich entscheiden, ob du bestimmte Dinge weitermachst, oder ob du sie einfach mal lässt – zugunsten von vielleicht noch etwas mehr Lebenszeit. Jetzt, in meiner aktuellen Lebensphase, sind ja schon fünf Jahre entscheidend. Ich denke über diese Dinge heute anders nach. Ich möchte so lange wie möglich gesund und flexibel bleiben, weiterhin auftreten können. Da muss man schon aufpassen, dass man keinen groben Fehler macht in der Ernährung und mit den Dingen, die man zu sich nimmt.

Wie halten Sie sich fit?

Ich gehe schwimmen, dazu ein bisschen Fitness-Training, das ist das Einzige und das mache ich regelmäßig.

Welcher Künstler, welche Band, hat Sie künstlerisch am meisten inspiriert?

Gesellschaftspolitisch waren es die Beatles, obwohl nicht alle ihrer Text so waren. Später, in den 70er Jahren, waren es eher Menschen wie Roxy Music, Lou Reed, David Bowie.

Haben Sie heute noch Kontakt zu den Stars der Neuen Deutschen Welle?

Zu Markus habe ich noch immer Kontakt. Nach der Wende war ich Anfang der 90er- Jahre sehr viel mit Peter Schilling und Markus in den neuen Bundesländern unterwegs. Dort gab es einen enormen Bedarf an der Musik der Neuen Deutschen Welle, an den Stars, die sie damals nicht live erleben konnten. Das war eine sehr lehrreiche Zeit.

Ihre stärksten Titel haben Sie dann abgeliefert, wenn Sie sich von Trends ferngehalten haben. Wie ist das heute?

In meiner früheren Zeit war das tatsächlich so. Heute habe ich mit Elephant-Music ein Produzenten-Team, das natürlich kommerziell ausgerichtet ist. Sie haben für viele Künstler sehr große Hits geschaffen. Ich habe mich an sie gewandt, weil ich dachte, ich müsste vielleicht noch einmal breitere Anerkennung finden und mehr Menschen mit meiner Musik ansprechen, als ich es in den letzten Jahren gewohnt war. Ich war in einer bestimmten Szene etabliert, habe da bis heute eine hohe Anerkennung. Aber darüber hinaus etwas zu entwickeln, das war das Ziel.

Wenn Sie zurückblicken, was war die schönste Zeit in Ihrem Leben?

Die schönste Zeit kommt hoffentlich noch (lacht). Im Rückblick war meine schönste Zeit die, als ich in Portugal gelebt habe. Ich habe mich damals frei gefühlt, war unbeschwert und glücklich. Eine unheimlich schöne Phase in meinem Leben war auch der Aufbruch, als ich mit dem Lied „Die Flut“ in die neue Szene kam. Das war ein neues und ganz entscheidendes Lebensgefühl für mich.

Wie würden Sie dieses neue Lebensgefühl beschreiben?

Dadurch, dass ich noch mehr in die Tiefe gegangen bin, hat sich auch mein Lebensgefühl verbessert. Auch durch die Erlebnisse, die partnerschaftlichen Erlebnisse in Beziehungen. Dadurch habe ich mich auch selbst noch einmal besser kennengelernt. Auch Nadja spielte dabei eine Rolle. Das hat sehr viel Positives ausgelöst in mir. Auch diese starke Sehnsucht, die ich immer gespürt habe, ist stärker hervorgetreten.

Die starke Sehnsucht wonach?

In erster Linie ist es bei mir immer die starke Sehnsucht nach einer besseren Welt, nach einem schöneren Miteinander. Mit diesen Dingen habe ich mich dann noch stärker beschäftigt und das merkt man auch an meinen Texten. Meine Texte haben sich verändert. Ich habe zuvor eher auf die Gesellschaft rausgeguckt. Später habe ich dann genauer darauf geguckt, und die Zusammenhänge erkannt. 

Auf der Bühne inszenieren Sie sich als der „Godfather of Dark Rock“. Wie muss man sich Ihr Leben als Vater, Großvater und Ehemann vorstellen? 

Ich bin begeisterter Großvater und genieße es, Opa zu sein. Meine Tochter hat zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Die beiden sind 4 und 5 Jahre alt. Vom Gefühl bin ich ein sehr leidenschaftlicher Opa, von der Aktion, von dem, was wir zusammen unternehmen ist es wieder ein bisschen anders. Ich tobe nicht mit den Kindern durch die Gegend, aber ich freue mich immer, wenn ich Zeit mit ihnen verbringen kann. Aber am schönsten finde ich es, wenn sie „Opi“ zu mir sagen, da geht mir richtig das Herz auf. Ich fühle mich dann total und bedingungslos geliebt. Vor 40 Jahren hätte ich das nicht für möglich gehalten. Allein diese Altersklassifizierung durch den Begriff fand ich schon so abstoßend. Und jetzt fühle ich mich so wohl damit, das ist ein richtig schönes Gefühl mit den Kleinen. 

Was unternehmen Sie am liebsten mit Ihren Enkeln?

Wir spielen gerne miteinander, setzen Puzzles zusammen. Aber dadurch, dass die beiden zu zweit sind, beschäftigen sie sich auch gerne mit sich selbst. Wenn sie bei uns zu Besuch sind, haben sie ihre Spielecke mit ihren ganzen Spielsachen. Darauf stürzen sie sich dann begeistert und sind stundenlang damit beschäftigt.

Singen Sie auch mal für Ihre Enkel?

Nein, das finde ich peinlich (lacht). Neulich haben meine Enkelkinder mal ein Video gesehen mit mir. Sie nehmen jetzt schon mehr wahr. Meine Enkelin stand dann vor dem Fernseher und hat sehr verwundert geschaut. Sie hat es natürlich noch nicht verstanden. Es war für sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen, weil sie mich ja ganz anders erlebt. Aber ihre Reaktion zu sehen, das war schon sehr niedlich.

Wie sieht ein freier Tag bei Ihnen aus?

Freie Tage habe ich ehrlich gesagt nicht wirklich. Abgesehen davon, dass ich zwischendurch immer mal schwimmen gehe, ist es so, dass ich fast gezwungen bin, von morgens bis abends am Laptop zu sein. Ich muss ständig Mails beantworten, ich muss ständig Entscheidungen treffen, auch in Sachen Vermarktung. Da bin ich stark involviert und es gibt keine Entscheidung, die ohne mich gefällt wird. Wenn ich auftrete, oder zu Proben gehe, dann habe ich auch dazwischen immer noch Dinge, die erledigt werden müssen, Interviews oder sonstige Termine. Freizeit in dem Sinn, gibt es für mich nicht.

Seit Ihrem Album „Rübezahl“ 2018 haben Sie auch einen Rübezahl-Bart. Der bleibt auch in Zukunft, oder?

Ja, der Bart bleibt! Ich trage ihn jetzt nicht mehr so lang, er ist ein bisschen gestutzt. Ich mag ihn sehr. In dem Alter, in dem ich jetzt bin, finde ich einen Bart ganz gut. Er lenkt von den Partien im Gesicht ab, die im Alter unattraktiv werden (lacht).

Wie findet Ihre Frau Juliane den Bart?

Am Anfang, als der so lang war, fand sie ihn sehr gewöhnungsbedürftig. Sie hat dann aber eingesehen, dass es beruflich notwendig war für mein Image. 

Mit Juliane sind Sie seit 17 Jahren zusammen, vor fünf Jahren haben Sie geheiratet. Was ist Ihr Glücks-Geheimnis?

Vielleicht ist es ganz einfach: Wir regen uns nicht über jeden Mist auf. Es ist ein sehr respektvolles miteinander umgehen. Wir liegen im Gefühlsbereich auch nicht weit auseinander, so dass das Verständnis für den anderen immer da ist. Dass man nachvollziehen kann, wie der andere denkt. Wir ärgern uns zum Beispiel nicht über diese Beziehungskinderkrankheiten, wer wann aufräumt, oder wer wann die Spülmaschine ausräumt. Diese ganzen Dinge, die sich dann irgendwann zu einem Problem aufbauen, und an denen Beziehungen oft auch zerbrechen, das gibt es bei uns nicht. Bei vielen Paaren kommt ja nach einer gewissen Zeit auch eine gewisse Respektlosigkeit in die Beziehung oder man demaskiert den Partner vor anderen. Das sind die Grundsünden in einer Beziehung, das geht nicht. Man erlebt das sehr häufig, dass man die eigene Schwäche oder Ohnmacht dadurch ausgleicht, in dem man den Partner vor fremden Leuten bloßstellt. 

Kennen Sie das aus eigener Erfahrung?

Ich habe das früher tatsächlich auch erlebt und fand es einfach nur furchtbar. Und das gibt es in ganz vielen Beziehungen. Um diese Dinge muss ich mir in dieser Ehe keinen Kopf machen.

Arbeitet Juliane auch im Showbusiness?

Juliane ist keine Künstlerin, aber sie macht für mich das Merchandising, das ist ihr Bereich, den sie übernommen hat.

Was macht Sie glücklich?

Es macht mich glücklich, unbeschwert leben zu können. Unbeschwert von irgendwelchem Druck von außen. Auch wirtschaftlich unbeschwert leben zu können, ist für mich ganz wichtig. Das Allerwichtigste für mich ist es aber, eine glückliche Beziehung zu haben, eine glückliche Familie. Das steht über allem.

Die finanziellen Probleme liegen ja hinter Ihnen…

Zum Glück ist das so. Aber ich kenne diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten von früher zur Genüge, und das hat mich immer sehr belastet. Nicht zu wissen, wie es weitergeht, das war ein immenser Druck. Das liegt jetzt hinter mir. Diese Sorgen muss ich mir nicht mehr machen, ich komme gut zurecht. Ich denke, allein vom „Goldenen Reiter“ werden auch meine Kinder noch etwas haben.

Könnten Sie sich vorstellen, noch einmal in den sonnigen Süden zu ziehen?

Ich könnte mir das durchaus vorstellen. Ich habe wie gesagt, in Portugal meine glücklichste Zeit erlebt. Und zumindest über den Winter könnte ich mir vorstellen, mir ein Domizil im sonnigen Süden zu suchen.  

In den Ruhestand wollen Sie aber trotzdem nicht gehen?

Nein, Ruhestand ist für mich überhaupt keine Option. Ich liebe es, Musik zu machen. Solange ich mich fit fühle, mich körperlich und geistig gut bewegen kann, werde ich weitermachen und für meine Fans auftreten. Ich bin noch immer sehr neugierig, stecke voller Ideen. Zur Ruhe setze ich mich erst, wenn ich im Sarg liege.

Sie haben Fans in allen Strömungen und mehreren Generationen. Mit Ihrem neuen Album „Fels in der Brandung“ gehen Sie ab Mitte September auf eine kleine Club-Tour, Die Konzerte in Berlin und Leizpig sind schon jetzt ausverkauft…

Das freut mich sehr. Im Osten bin ich ja eine Burg. Da habe ich viele treue Fans und die fühlen sich auch immer total verstanden. Ich weiß auch, warum das so ist. 

Warum glauben Sie, ist das so?

Ich strahle etwas aus, was mit sozialem Verständnis zu tun hat. Das ist auch in meinen Texten der Fall und das habe ich auch erlebt, als ich nach der Wende da war. Im Osten haben die Menschen eine andere Sozialisierung erfahren. Sie gehen einfach besser miteinander um. Das ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt, und ich denke, das spüren die Menschen. 

Sie haben im Laufe der Jahre viel ausprobiert, Rock, Pop, NDW, Dark Wave, Gothic. Zuletzt inszenierten Sie sich gerne düster, hart, martialisch. Wie sehr entspricht Ihnen das?

In den letzten Jahren habe ich erlebt, dass sich viele Menschen aus der Gothic-Szene von meiner Musik angesprochen fühlen. Ich denke, es liegt daran, wie ich Texte gestalte und Themen behandle. Persönlich bin ich kein düsterer Typ, sondern grundsätzlich ein positiver Mensch. Klar, bin ich nachdenklich und tiefgründig. Die Tiefe macht eben das Seelenleben aus. Aber ich sehe mich selbst als sehr humorvoll an und suche gerne die lustigen Momente im Leben. 

 

 

 

 

 

 

Foto-Credit: Franz Schepers
Textquelle: Martina Mack

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