HEINZ RUDOLF KUNZE
Das Album "Deutschland" (in der 2-CD-'Limited Premium Edition' Variante) im Test von Holger Stürenburg!
Lesen Sie HIER seinen ausführlichen “Aufsatz” …:
Mit seinem geliebten, gehassten, von ihm oft bedauerten und bemitleideten Vaterland hat sich Deutschrock-Großmeister und Chef-Zyniker vom Dienst HEINZ RUDOLF KUNZE seit Anbeginn seiner Karriere von jeher sehr leidenschaftlich, energisch, dabei penibel analytisch und in die Tiefe gehend, beschäftigt. In vielen seiner Lieder, Texte und Essays schilderte der Beinahe-Lehrer am Hannoveraner Käthe-Kollwitz-Gymnasium häufig, äußerst qualifiziert, sprachlich brillant und von immensem geschichtlichen Hintergrundwissen beseelt, sein einerseits enges, hautnahes, sensibel-zerbrechliches, andererseits generell ambivalentes, enttäuschtes Verhältnis zu diesem unserem Lande, in dem, wie er einst einmal treffend vortrug, „zu Haus zu sein (ein) beklemmend grelles Fest“ (Zitat) sei. Meist herrlich ideologiefrei, hintergründig, kriselnd patriotisch, mit diesem Lande mit leidend, ohne jeglichen Anflug von Nationalismus und Engstirnigkeit, kosmopolitisch und doch erdverbunden, teilte der anfangs als „oberlehrerhaft“ geschmähte Wortakrobat seinen Landsleuten ohne gehobenen Zeigefinger mit, wie er mit und in Deutschland lebe und litte – verwurzelt in der Erde seines Geburtsorts, dem Flüchtlingslager Espelkamp, wo er 1956 als erstgeborener Sohn eines nach dem II. Weltkrieg aus Schlesien geflohenen Lehrerehepaars auf die Welt kam, und sich von nun an in einem Lande zurechtfinden musste, das zwar seine Geburts- und gedankliche Heimat war und ist, in dem er sich zwar oberflächlich zu Hause, aber niemals von Grund auf aufgenommen fühlte.
So ersann er z.B. 1983, als einige konservativere CDU-Politiker, u.a. Gerhard Meyer-Vorfelder oder Alfred Dregger, nach der „Bonner Wende“ einforderten, in den Schulen solle nun wieder vermehrt die Deutsche Nationalhymne gesungen werden, seine eigene Antwort darauf, die den Titel trug „Deutschland Klammer auf: Verlassen von allen guten Geistern, Klammer zu“. Damit legte er eine der stechendsten und zugleich einfühlsamsten gesungenen Standpunkte zur nationalen Frage vor, die bis heute brennende Aktualität in sich trägt und weiterhin verstrahlt. In seiner „Antwort auf „Born in the U.S.A.““ (Zitat), bekannte sich HRK 1985 dazu, selbst ein „Vertriebener“ (Songtitel) zu sein, „ein nirgendwo Gebliebener“ (Textzitat), der nur dort „zu Hause ist, wo man mich hört“ (dto.). Auf dem Cover seiner im Herbst vor 30 Jahren vorgelegten Erfolgs-LP „Wunderkinder“ – im Titelsong zeichnete er pfiffig und souverän die deutsche Nachkriegsgeschichte von den wirtschaftsaufschwingenden, seligen 50ern bis in die von Kriegs- und Atomangst überfluteten 80er Jahre so eindringlich, wie süffisant nach – erstrahlte eine riesengroße. schwarzrotgoldene Nationalfahne – für einen Künstler, der im Allgemeinen eher in linksintellektuellen Kreisen seine Zuhörerschaft fand, fraglos ein provokantes Wagnis in jenen Tagen. Im 1994 auf der CD „Kunze: Macht Musik“ enthaltenen Brachialrocker „Hereinspaziert“ spießte der über den Machtfaktor Musik Verfügende die seinerzeit, 1992/93, hochkochende (erste) Asylkrise und die nicht selten überspannt hysterischen Reaktionen des einheimischen Kulturmainstreams darauf spitzzüngig und absichtlich verbal überzeichnet auf, um 1999 mit dem sanften, aber trotzdem energiegeladenen Live-Dauerbrenner „Alle Herren Länder“ ein ehrliches, ungekünsteltes, herzliches weil eben nicht angreifendes oder belehrendes, womöglich gar überbetroffenes Zeichen gegen Rassismus in allen Ausformungen zu setzen.
„Deutschland“ als solches lässt den einstigen „Niedermacher“ Kunze also bis heute nicht los. So ist es rundheraus nachvollziehbar, dass der knapp 60jährige Verbalanarchist seine aktuelle Albumproduktion eben nach diesem bedeutsamen Betätigungsfeld seiner lyrischen Gedanken benannte: „DEUTSCHLAND“ (RCA/SONY) heißt also das neue Opus von HEINZ RUDOLF KUNZE, welches im puren Bandkontext, ohne Bläser, Streicher und andere Gastmusiker entstand. Einzig der langjährige Kunze-Freund, Gitarrist und Pedal-Steel-Experte Martin Huch, wurde zu den Aufnahmen hinzugeladen. Als Produzent fungierte Starschlagzeuger Jens Carstens, der bislang u.a. für Udo Lindenberg, „Rosenstolz“, Howard Carpendale, oder gar Helene Fischer spielte. „Deutschland“ beinhaltet 14 neue, selbstredend abermals von HRK gänzlich eigenständig gedichtete, bis auf drei Ausnahmen auch selbstkomponierte Lieder, die stilistisch sehr unterschiedlich ausgefallen sind und dennoch bereits beim ersten Anhören, trotz mancher Qualitätsabweichungen, wie aus einem Guss wirken.
Das sehr gelungene Coverphoto zeigt eine klassische, teutonische Vorstadtstraße, sehr bürgerlich, eine gewisse Ruhe und Gemächlichkeit verstrahlend, an deren Beginn überdeutlich Hinweise auf eine Baustelle erkennbar sind. Dies ist vielleicht dahingehend interpretierbar, dass in dieses einst so gemütliche, ruhige Deutschland, in dem HRK in den 50er und 60er Jahren wohlbehütet aufwuchs, in dieser Ausprägung längst nicht mehr besteht, sondern dieses Land derzeit „die kriesengeschütteltste Zeit… nicht nur seit der Wende, sondern seit dem zweiten Weltkrieg, durchmachen muss“ (Zitat: HRK), weshalb nicht wenige, tiefergehende Baustellen hierzulande offenstehen, die derzeit mutmaßlich brachliegen, weil offenbar niemand – kein Politiker, kein Kulturschaffender, und noch weniger der staunende Bundesbürger am Rande des Geschehens – in der Lage ist, diese jauchenden Wunden in Form der dargestellten „Baustellen“ konstruktiv zu schließen und auf einen effektiven Heilprozess zu schicken.
Die musikalische „Deutschland-Tour“, die HRK – nach 36jähriger aktiver Tätigkeit im Spanungsbogen zwischen Liedermachertum, muttersprachlicher Rockmusik, dem Verfassen von Gedichtbänden und Kinderbüchern, Musicalübersetzungen und immer wieder dem genüsslichen Hineinstechen in den oft wundähnlich jauchenden Zeitgeist eben dieses umstrittenen „Deutschlands“ – in diesem Jahr mittels vorliegenden, neuen Albums durchführen mag, startet mit dem so trockenen, wie unisono heißblütigen, inhaltlich augenzwinkernd autobiographischen Bluesrocker „Es ist in mir drin“. Dieser erweist sich als irgendwo angesiedelt in der Nähe der Traditionalisten dieser Musikgattung a la Muddy Waters oder John Lee Hooker, wenn auch nicht ganz so staubtrocken bzw. erdig-herb umgesetzt, vielmehr mit einem unterschwelligen Pop-Appeal gespickt. HRK erzählt in diesem kessen, aufmunternden Gitarrenblues davon, dass er sein künstlerisches Talent offenbar schon früh entdeckte, sein Vater die Entfaltung dessen voll und ganz unterstützte, während seine Frau Mama einer angestrebten Karriere in diesem Metier eher skeptisch gegenübersteht – doch all diese brodelnde und glühende Musikalität ist „in ihm“, also dem Interpreten, nun mal feste drin – „also muss es heraus“.
Von Albert Camus‘ 1947er-Romanklassiker „Die Pest“ inspiriert ist der daran anschließende, musikalisch eher zurückhaltende, gitarrenbetonte, zweifelsfrei etwas mystisch-wehend-fließend ausgefallene, aus der Sicht eines „merkwürdigen Mediziners in einer merkwürdigen Wüstenstadt“ (HRK) gesungene Pop-Rocker „Zu früh für den Regen“. Die irische Blues-Folk-Legende Van Morrison hingegen stand Pate für das „Heimatlied“ (HRK) „In der alten Piccardie“. Das zaghafte, verträumte, später durchaus latent aufbrausende, dabei aber durchwegs eine gewisse Idylle, ländliche Naivität und rustikale Seelenruhe verbreitende Pianochanson – auch Tom Waits („In the Neighborhood“) und einwenig Jacques Brel sind musikalisch entfernt herauszuhören – berichtet über ein kleines Bauerndorf gleichen Namens an der holländischen Grenze, gelegen im Kreis Bad Bentheim, nahe Nordhorn, das 1974 in die Gemeinde Osterwald eingemeindet wurde. Dort hat der junge HRK die Zeit zwischen seinem dritten und sechsten Lebensjahr verbracht, da sein Vater an der Dorfschule „in der alten Piccardie“ seine erste Lehrerstelle in „Deutschland“ antrat, weshalb seinem Sohnemann das nicht alltägliche Schicksal zuteilwurde, von seinem Herrn Papa ad Personam in dessen Klasse eingeschult zu werden.
Das trübe, bluesige und dennoch versöhnliche Abschiedslied an eine verlassene Liebe „Nur eine Photographie“ legt einen sehr intimen, innigen, mal wieder äußerst feingliedrigen HRK an den Tag, der beim Betrachten eines alten Bildes wohlige Erinnerungen an eine mutmaßliche Traumfrau auslebt, über die schon vor längerer Zeit zu Ende gegangene Beziehung zu derselben gefühlvoll sinniert und sich hierbei sehr besonnen, gütlich, und scheinbar immer noch vollkommen von dieser Frau betört, gibt.
Betont, wenn nicht gar maßlos und unverhältnismäßig poppig-radioorientiert, fast selbstparodistisch disco-lastig, „nächtlich-atemlos“, präsentiert sich die ungewohnt neumodisch ausgekleidete, aktuelle Radiosingle aus „Deutschland“. „Das Paradies ist hier“, komponiert von Produzent/Schlagzeuger Jens Carstens und Gitarrist Alex Grube, entblößt sich als zwar nett gemeinter, aber weitgehend substanzloser, wie dahingeschludert aufscheinender Rockschlager, ausschließlich created for Formatradio. Der belanglose Mid-Tempo-Poprocker besitzt weder den Biss früherer, ausdrücklich als Singleaspiranten konzipierter Kunze-Ohrwürmer – wie z.B. „Hunderttausend Rosen“, „Die Welt ist Pop“ oder „Hallo Himmel“ -, noch vernimmt man eine bleibende, ein ums andere Mal wiedererkennbare Melodie bzw. verspürt man eine tragfähige und nachhaltige Atmosphäre. Das ganze riecht schändlich nach Kommerz, nach völlig überflüssiger, klanglicher Zeitgeistanbiederung, und ist daher als einer der schwächsten, weil nur langweilig vor sich hin blubbernden und rhythmisch unnötig bumsenden Beiträge auf vorliegender CD einzustufen.
Über den ‚frommen Wunsch‘, die Religion, alle religiösen Empfindungen dieser Welt, zu privatisieren, in die eigenen vier Wände zu verfrachten, ohne dass der Glaube für Kriege, Hass und Gewalt missbraucht werden kann, handelt die klanglich, wie textlich, nun neuerlich weitaus anspruchsvollere, zugleich provokativ quergedachte Einforderung „Jeder bete für sich allein“. Dieses dunkle, hoch philosophische Rockdrama, diesmal (zum Glück und anschaulich vernehmbar) abermals von Heinz selbst komponiert, lässt die expressive Bissigkeit vergangener Kunze-Kampfansagen an Mainstream-Denken und niveaulose Mittelmäßigkeit in bester Manier hochleben, regt zum Überlegen und Reflektieren ein. Den ebenfalls außerordentlich sympathischen, erfrischend-herzlichen „Eagles- bzw. „Poco“-angelehnten Westcoast-Countrypop-Verschnitt „Setz‘ Dich her“ nennt das Deutschrock-Urgestein mit Wohnsitz Hannover selbst ein „beschädigtes Liebeslied“, in dem der Protagonist einer lieben Person, der es nicht so gut geht, helfen möchte, er diese zu unterstützen und zu stärken gedenkt.
Der mit einem spaßigen Liebestext voller amüsanter Wortspielereien, delikat ironisiertem Schwerenötertum und einer interessanten, lyrischen Wendung am Schluss versehene, frech-gewitzte Popfetzer „Mund zu Mund Beatmung“ kam HRK in den Sinn, nachdem er am 3. Mai letzten Jahres im „ZDF Fernsehgarten“, solo am Piano, seinen Evergreen „Dein ist mein ganzes Herz“ vorgetragen hatte. Kurz darauf, musste er die niederschmetternde Erfahrung über sich ergehen lassen, wie bei dem Auftritt einer Band nach ihm, die einen knalligen Basedrum-Titel im Programm hatte, das zahlreich anwesende Publikum dieser alljährlichen, sommerlichen Sonntagvormittag-TV-Attraktion vollkommen aus dem Häuschen geriet, mittanzte, johlte und grölte. Daraufhin beschloss er, schnellstmöglich ebenfalls ein solches tanzbares Schmankerl aufzunehmen. Jens Carsten schrieb die (diesmal wirklich vortrefflich zeitgemäß-aktuelle) Musik; Heinz fand dazu die nahezu entzückenden, aparten Reime – fertig war eine moderne, rasante, fröhliche Nummer mit sprachlichen Widerhaken und voller köstlichen Humors.
„Immer noch besser als arbeiten“ persifliert gekonnt, kritisch, sarkastisch, aber niemals belehrend oder gar verletzend, im Sinne der lakonischen, typisch britischen Ironie von Kunze-Vorbild Ray Davies jr. („The Kinks“), die allgemeine Verflachung von Politik und Kultur, die Grundsatz- und Überzeugungslosigkeit vieler Zeitgenossen, die sich, nur aus reinen Karrieregründen, bis zur Unkenntlichkeit verbiegen, auf der Basis eines drastisch rifflastigen, temporeichen, forsch überkandidelten Rock’n’Roll-Hymnus, letztlich einer Art „Where have all the good Times gone?“ anno Domini 2016.
Das wirklich furiose, klanglich, wie textlich und gesanglich richtiggehend phänomenal und hochqualitativ ausformulierte, ausgearbeitete und austarierte, einen nicht geringen Teil des Repertoires dieser ohnehin über weite Strecken hochwertigen CD noch in den Schatten stellende Titellied, das im Entstehungsprozess von „Deutschland“ erst ganz an dessen Ende zum Vorschein kam, setzt stilistisch auf basslastigen, scheppernd-schleppenden, zickig sprudelnden Funk-Rock in mittlerer Geschwindigkeit. Sachbezogen bietet das so vielschichtige, facettenreiche, wie komplexe und verzwickte Lied – dürfen wir auch in diesem Falle von einem „geschädigten Liebeslied“ (s.o.) sprechen?? – eine intensive, vertraute Reflexion, einen (selbst)kritischen, grüblerischen Denkprozess eines in diesem Land lebenden, geborenen, so gut wie nie scheuklappenhafteten, multifunktionalen Künstlers, der sich, trotz aller Missstände, Fehlentwicklungen, Absurditäten und Irrationalitäten, mit ganz viel Hirn, Herz und Bauch, vielleicht manchmal durchaus gleichermaßen mit noch viel mehr Kopf-, Herz- und Bauchschmerzen, irgendwie dann doch zu seinem vielgeschundenen Vaterlande bekennt – ohne hierbei jedoch in dumpfe Volkstümelei oder zeitgeistkompatiblen Hurrapatriotismus zu verfallen: Ein großes, reifes Werk eines phantastischen, wie immer enorm wortgewandten Liedschreibers, Zeitbeobachters, und –kritikers, das genau dort anschließt, wo 1983 eingangs erwähnte „Antipode“ zu „Deutschland, Deutschland über alles“, „Deutschland (verlassen von allen guten Geistern)“, aufhörte.
„Die Letzten unserer Art“ ist ein zunächst teils atonal anmutender, dann andererseits sehr harmonischer, schwelgender Pianoschleicher, der sich Zug um Zug zu einem hymnischen, edel-anmutigen Popmelodram auswächst. Zu einem „Mann des vorigen Jahrhunderts“ hatte sich Heinz bereits in einem Liveprogramm kurz nach dem Millennium – ich glaube, es war die Tour zu „Wasser bis zum Hals steht mir“, Anfang 2002 – ausgerufen. Damals blaffte er (NATÜRLICH NUR (…) ganz im Sinne eines „Rollenliedes“!!!…) gegen die ‚erbärmliche Jugend von heute‘ – 2016 bezeichnet er sich und seine Generation, die sich einst irgendwo zwischen Hippietum und Punk einfand, mutig für ihre Ideale kämpfte, vieles davon, aber bei weitem nicht genug, erreichte, im Sinne eines Fazits als ‚die Letzten ihrer Art‘, von deren so attraktiver, wie schrulliger, längst historisierter Ausführung heutzutage keine Modelle mehr nachgebaut werden.
Der flotte, sehr melodische, im positivsten Sinne des Wortes schlagerhaft-wiegende Lobgesang „Auf meine Mutter“ ist ein einmal wieder liebenswert ironischer, versiert und punktgenau überzeichnender, ab und zu nachgerade widerspenstiger Lobgesang auf alle Mütter dieser Welt, während der zackige, vertrackte Gitarrenrocker „Ich möchte anders sein“ auf ein weiteres autobiographisch auf die Kleinstadtjugend des damals ca. 15jährigen HRK, rund um 1969 herum, eingeht, als dieser in der Schule als schüchterner, verkopfter Streber galt, im privaten Bereich sich hingegen unverhohlen fast nur noch Rock- und Beatmusik hingab – und, sozusagen als deutschsprachige Antwort auf den „Kinks“-Klassiker „I’m not like everybody else“, schon in seiner frühen Jugend erkannt hatte, niemals so (eintönig, langweilig, unkreativ, vorgefertigt etc.) zu sein, wie sein näheres Umfeld im öden, kleinbürgerlichen Osnabrück.
Das nur am Piano, ohne jegliche Bandbegleitung eingespielte Couplet „Ein fauler Trick“, das ein Thema des 2013er-„Perfect Popsongs“ „The Old Magician“ der britischen New Wave-Band „Prefab Sprout“ kongenial aufgreift und auf ähnlicher harmonischer Grundlage ins Deutsche transferiert, beschließt den offiziellen Teil der 2016er-Stellungnahme von HEINZ RUDOLF KUNZE.
Als Bonustitel wurden der „Limited Premium Edition“ der erneut strikt gitarrenbetonte, regelrecht aufbrausende Hardrocker „Das Ja-Wort“ und die sympathisch schräge, philosophisch-skurrile Pianokaskade „Der große Kakadu“ hinzugekoppelt, dessen epische Reime, ausufernde Wortspielereien und verschnörkelte Aussagen an den frühen, eher deprimiert-verschlossenen (daher aber nicht selten lyrisch am überzeugendsten) HRK der „Schwere Mut“-Ära in den hereinbrechenden 80ern – auf sehr positive Weise – erinnern lassen.
Desweiteren finden sich auf CD-02 der Limitierten Sonderausgabe (ich glaube, diese Bezeichnung der Doppel-CD wäre dem ‚Sprachfetischisten‘ Kunze deutlich lieber gewesen, als diese musikszenetypischen Anglizismen von ‚Limidett“ bis „Edischnnn“!) acht Livemitschnitte aus dem aktuellen Solorepertoire „Einstimmig“, mit dem HRK, nur mit Piano und/oder Akustik-Gitarre plus Dylan-mäßiger Mundharmonika in entsprechender Halterung ‚bewaffnet‘, seit einiger Zeit erfolgreich durch die Lande tourt. Hier wären z.B. entschlackte, nur aufs Nötigste minimierte Auslegungen der bitter-hoffnungslosen Führung durch ein Irrenhaus „Folgen Sie mir weiter“ (1982), der wortreichen, apokalyptischen ‚Rücknahme der Schöpfung in sieben Tagen‘ „Das Ultimatum“ (dto.) oder der lauschig-erholsamen 1994er-Hitballade „Leg nicht auf“ zu nennen. Der blumige Schmachtblues „Alles gelogen“ (1991), die aus demselben Jahr stammende, zutiefst persönliche Revue durch des Künstlers Adoleszenz, „Brille“, das rückblickend-sentimentale, gesungene Beziehungsende „Abschied muss man üben“ (2001) und die heimelige 2009er-Liebeserklärung „Elixier“ finden in diesem behaglich-privaten Ambiente überaus knisternd, nah und innig zu neuer Blüte.
„Deutschland“ ist keine von vorne bis hinten schier umwerfende, aber trotzdem generell sehr ansprechende, vor allem immens stilvielfältige Liedkollektion geworden. Insbesondere die musikalischen Öffnungen hin zu klassischem, quietschenden Blues, 70er-Jahre-seligem Hippie-Country-Pop US-amerikanischer Machart, gerne auch mal in Richtung einer zünftigen Basedrum-Pop-Parodie, führen dem geneigten Zuhörer die unbändige Experimentierfreudigkeit, kreative Klischeeferne und künstlerische Offenheit des Multitalents HRK unverbrüchlich vor Augen. Nur ein allzu plumpes Einschmeicheln beim streng nach Verkäuflichkeit ausbaldowerten Mainstream-Pop des Heute und Hier – man kann nicht jedem Menschen, der gerne mal (wie wohl alle Leser und Autoren von SMAGO!) Deutsche Schlager hört, „Fahrerlaubnis und Wahlrecht entziehen“ wollen (HRK im Januar 2015) und dann, so geschehen eben bei „Das Paradies ist hier“, selbst in den (hier wirklich untersten) Schubladen des zuvor so gescholtenen Metiers wildern – ist ineffizient, wirkt gekünstelt, unecht und berufsjugendlich auf Teufel komm raus.
In puncto Lyrik zeigt sich Kunze allerdings wie gewohnt mustergültig, wagemutig und exemplarisch. Er verzichtet jedoch auf allzu deftige Herausforderungen des politischen Klimas. Solche libertären, oder wie ich es gerne nenne: anarchokonservativen Provokationen sorgten zuletzt hinsichtlich der (wie ich finde) überhaupt nicht mehrdeutigen, sondern im Gegenteil sehr zielgerichteten Abhandlung „Willkommen Ihr Mörder“ bei Freund und Feind für die eine oder andere Irritation, zumal die nachträgliche (Um-?)Deutung des Textes durch dessen Schöpfer selbst bisweilen weit hergeholt, ängstlich, wenn nicht gar feige erschien.
Nichtsdestotrotz ist „DEUTSCHLAND“, das neue Album von HEINZ RUDOLF KUNZE, ein mehrheitlich profundes, solides, entschlossenes und immer wieder spannungsreiches, aber auch häufig widersprüchliches Werk geworden, das, neben wenigem, schnöden Allgemeingut, mit z.B. „Zu früh in den Regen“; In der alten Piccardie“, „Nur eine Photographie“ oder „Mund zu Mund Beatmung“ tatsächlich und unwiderlegbar einige kleine, aber prickelnd feine, zukunftsträchtige Meisterwerke ohne jegliches Ablaufdatum aufweist!
Holger Stürenburg, 17. bis 21. März 2016
http://www.rcadeutschland.de/
http://heinzrudolfkunze.de/steinvomherzen_website/