HELENE FISCHER; HEINO u.a.
smago! Gast Kolumne von Dr. Florian Grimm: Marketing-Produkt Musik – Der Schlager erobert die Internetgeneration!

Alles geht! * Heino bricht die letzten Tabus (und bleibt sich treu) * Rot statt Pink! * Der Oberförster spart Kosten 

Junge Leute  grenzen sich von der als spießig empfundenen Elterngeneration durch den Konsum angelsächsischer Popmusik ab. Dies war spätestens seit Mitte der 1960er Jahre auch in Deutschland üblich. Die vom Internet geprägte Generation der „Digital Natives“ verwischt jedoch alle geschmacklichen Grenzen zwischen englischsprachigem Rock und Pop einerseits und Schlager sowie Volksmusik andererseits. Der international tätige Künstleragent Stefan Lohmann aus Hamburg und Jörg Mandt, Geschäftsführer von Bauer Entertainment, führen das auch auf die Nachwirkungen der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland zurück. Gemeinsam vermarkten sie Nachwuchsmusiker, die den Typus des jungen, modernen Schlagerstars verkörpern. Die weltweit 11.000 Mitarbeiter beschäftigende Bauer Media Group liefert insbesondere mit ihren Publikumszeitschriften bei der Kommunikation Unterstützung.

 

Alles geht!

Stefan Lohmann arbeitete als Künstleragent unter anderem mit Stars zusammen wie Joe Cocker, den Scorpions, Gloria Gaynor, Jethro Tull, Wir sind Helden oder Patricia Kaas.  Er kooperiert mit Bauer Entertainment, der neu gegründeten Abteilung der Bauer Media Group, die insbesondere deutschsprachige Künstler fördert und vermarktet. Die Musiker können exklusiv über Lohmanns Agentur „Meine Stars Booking“ gebucht werden.  „Ursprünglich war der Begriff ,Schlager‘ einfach eine Ableitung von ,schlagkräftig‘ beziehungsweise von ,Verkaufsschlager‘, er bezeichnete also einfach einen ,Hit‘“, erläutert Lohmann. „Erst Mitte der 1960er Jahre kam es zur Aufspaltung zwischen Schlager und Popmusik. Bis dahin waren nahezu alle Nr.1-Hits deutschsprachig. Nach der Internationalisierung des Musikmarktes waren Anfang der 70er Jahre dann nur noch fünf bis zehn Prozent der Nr.1-Hits deutschsprachig. Die Jugend wollte sich von den Eltern abgrenzen.  Das führte auch zur Aufspaltung in der Musik und dem Versuch, Schlager als ,Elternmusik‘ und Popmusik  als ,Musik der neuen Generation‘ voneinander zu trennen“, sagt Lohmann. Dieses Phänomen habe sich mittlerweile geradezu umgekehrt. „Immer mehr junge Menschen wünschen sich deutsche Texte zum Mitsingen und Mitfühlen“,  betont Lohmann. Durch die Fußballweltmeisterschaft sei 2006 in Deutschland ein neues Wir-Gefühl entstanden, das von Bands aufgegriffen werde wie „Silbermond“, „Ich und Ich“ „Klee“ oder die „Sportfreunde Stiller“. Der Trend zum deutschen Pop schlägt sich mittlerweile auch in den Charts nieder: Mitte Februar 2011 schafften es beispielsweise sieben deutsche Bands in die Top-10 der deutschen Album-Charts – darunter Andrea Berg, Schandmaul, Unheilig, Helene Fischer und Max Raabe.

 

Heino bricht die letzten Tabus (und bleibt sich treu)

 

Von diesem Trend zur Vermischung von Volksmusik, Schlager und Pop profitiert ironischerweise nun sogar Heino.  Dem Volksmusik-Urgestein Heino, Inbegriff deutscher Spießigkeit seit fast fünfzig Jahren, ist mit seinen Deutschpop-Coverversionen eine Sensation gelungen. Er hat sein Markenimage um 180 Grad gedreht hin zu einem coolen Provokateur, über den sich selbst Punk-Veteranen wie die „Ärzte“ laut Medienberichten angeblich ärgern. Gleichzeitig ist er sich treu geblieben. „Heute muss man zum Regelbrecher werden, aber auch nicht zu radikal. Heino singt immer noch im alten Volksmusik- und Schlager-Sound“, erklärt Jörg Mandt das paradoxe Phänomen des neuen Heino. Lohmann ergänzt mit Blick auf den Sensationserfolg:  „Bei Heino war es natürlich die Reibung, die Kontroverse, die dieses Album ausgelöst hat und der mediale Hype, den dieser Streit verursacht hat. Man wurde ja gezwungen, sich seine eigene Meinung zu bilden. Wunderbare PR – Respekt!“  Nach anfänglichem Schmollen haben sich die deutschen Rockstars mittlerweile mit dem Volksmusiker ausgesöhnt. Wenn Heino als Ehrengast  bei der Schock-Rocker-Band „Rammstein“ auf dem Heavy-Metal-Festival in Wacken auftreten kann, gibt es in der deutschen Musikszene wirklich kein Tabus mehr. „Cool ist, was in ist!“, fasst Stefan Lohmann die neue Toleranz zusammen.

 

Rot statt Pink!

 

Auch Helene Fischer, ursprünglich Teil der Volksmusik-Szene, hat sich stilistisch und musikalisch stark an die internationale, angelsächsisch geprägte Popmusikbranche angenähert. Ihr Schlagzeuger Gary Wallis spiele  für britische Superstars wie Rod-Stewart oder Pink Floyd, erzählt Lohmann. Zudem sei  Wallis auch der Schlagzeuger von „Mike and The Mechanics“, der Band des Genesis-Gitarristen Mike Rutherford. „Helene Fischer ist erfolgreich, weil sie wirklich verdammt gut ist. Sie ist auch für die Medien ein Geschenk: gutaussehend, tolle Stimme und alles scheint ihr leicht zu fallen“, sagt Lohmann. „Zudem hat sie ein gewisses ,Drama‘ in der Stimme. Sie erinnert mich ein wenig an Patricia Kaas, die ich mehrfach gebucht und live erlebt habe. Ich will damit nicht den Klang der Stimmen vergleichen, sondern das Gefühl, die Sehnsucht, die Helene Fischer mit Ihrer Stimme transportiert– großartig!“ Helene Fischer kommt bei Facebook auf gut 429.000 „Gefällt mir-Angaben“ und Beatrice-Egli, die 2013 das Finale von Deutschland sucht den Superstar gewann, auf mehr als 318.000. Schlager-Veteran Howard Carpendale versammelt dagegen nur etwa 78.000 auf sich. Diesen Erfolg  moderner deutschsprachiger Musik wollen Lohmann  und Mandt zur Vermarktung junger deutscher Musiker nutzen. Die Bauer Media Group leistet gemäß ihrem Motto „We think popular“ dabei Unterstützung. Der Medienkonzern publiziert unter anderem weltweit über 570 Publikumszeitschriften und wird seinen Umsatz 2013 voraussichtlich um 11 Prozent auf 2,36 Milliarden Euro steigern.

Lohmann und Mandt setzen auch auf ,fiktionale Acts‘, also auf Künstler, deren wahre Namen und Biographien der Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Beispielsweise mit  „Anna singt Rot“  verfolgen sie ein unkompliziertes Marketingkonzept. Die Sängerin covert internationale Hits, die mit deutschen Texten versehen werden. Der ungewöhnliche Name sowie die Symbolfarbe Rot, die für leidenschaftliche Emotionen steht,  seien weitere wichtige Elemente, sagt Mandt. Allerdings gebe es dabei durchaus auch einen realen persönlichen Hintergrund. Einer der großen Hits des Geburtsmonats von Anna, im Sommer 1986, sei „Lady in Red“ von Chris de Burgh gewesen. Deswegen hätten ihre musikbegeisterten Eltern ihre Tochter statt im sonst für Mädchen üblichen Pink vorwiegend in rot gekleidet, erzählt Mandt. Demnächst sei ein Duett von Anna singt Rot mit Chris de Burgh geplant, bei dem „Lady in Red“ auf Deutsch und Englisch vorgetragen werde. Zudem trat Anna zusammen mit Heino und der Münchner Freiheit vor 100.000 Menschen beim Goldschlager-Konzert am Brandenburger Tor auf, das von dem Sender ProSiebenSAT1 fürs Fernsehen aufgezeichnet wurde. Auch die Bauer-Entertainment Künstler Marjan und Lukas sangen auf dem Festival. „Mit solchen Veranstaltungen bieten wir auch der Werbebranche Vorteile bei der Verbreitung ihrer Botschaften – etwa durch die hohe Reichweite und die starke Identifikation der Musikfans mit ihren Idolen“, betont Lohmann.

 

Der Oberförster spart Kosten

 

Deutlich anders ist das Marketingkonzept des fiktionalen Acts: „Oberförster Otto Tanne“. Der „Oberförster“ wird in verschiedenen Regionen von unterschiedlichen Darstellern verkörpert. Das spart Kosten  – etwa bei Anreise und Übernachtung. Nach  der Veröffentlichung einer Werbeanzeige bei einer Agentur für Musical-Schauspieler habe man verschiedene Darsteller von ähnlicher Größe und Stimmlage gecastet, berichtet Mandt. Mit dem „Oberförster“ will Bauer Entertainment einen Stimmungsmusiker schaffen, den sich jeder Schützenverein leisten kann.  Der von Jürgen Drews zum neuen „König von Mallorca“ gekrönte Schlagersänger Axel Fischer wird ebenfalls von Lohmann und Mandt vermarktet. Auch er verkörpert die Verjüngung des Schlagers:  „Axel Fischer spricht eine jüngere Zielgruppe an. Sein erstes Video haben über zwölf Millionen Menschen auf YouTube gesehen. Sein jungenhaftes Aussehen und seine authentische Art auf der Bühne sowie im Umgang mit den Fans machen ihn sehr beliebt“, sagt Lohmann.  

Foto-Credit: Sebastian Gabsch

Dr. Grimm Event-Consulting, Dr. Florian Grimm

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