smago! GAST KOLUMNE
Dr. Peter Ruhr: SELBER SCHULD. “Warum wir den Schlager haben, den wir (nicht) verdienen”!
smago! ist sehr stolz, nachfolgende Gast-Kolumne von Dr. Peter Ruhr, einem der versiertesten TV-Unterhaltungs-Redakteure, veröffentlichen zu dürfen…:
SELBER SCHULD. Warum wir den Schlager haben, den wir (nicht) verdienen.
Andy Tichler hat recht, wenn er in seinem Kommentar („Oldies: die Airplay Jahrescharts „Deutschland Konservativ“ – ein Armutszeugnis für die deutsche Radiolandschaft) sich darüber beklagt, dass das Radioangebot sich weitestgehend auf Oldies stützt. Jetzt lassen wir einmal die Frage aussen vor, wieso vor allem englischsprachige Oldies in den Runkfunkcharts so weit vorne liegen – darüber wird ein andermal zu reden sein. Fragen wir: warum hören wir auch im Deutschbereich so viele Oldies?
Schauen wir uns einmal die Situation an. Ein gut eingeführter und leidlich bekannter IntepretIn bring ca alle 4 Monate einen neuen Titel auf den Markt (oder was davon noch übrig ist), d.h. dem Rundfunkredakteur liegt alle 3 bis 4 Monate ein neuer Titel vor. Der Sänger oder die Sängerin sieht gut aus, hat eine leidlich gute Stimme, das Ganze ist ordentlich produziert. Und ist doch immer wieder das gleiche. Ein Titel klingt wie der andere. Marshmallowmusik. Plastik. Macht nicht satt.
Um jetzt gleich mal nostalgisch zu werden – wie war das früher? Das sortierte die Plattenfirma schon einmal viel aus. Wer nicht selbst schreiben konnte hatte ein Produktionsteam und Schreiber, die sich mit dem Thema befassten. Und so kam es dann zu Titeln wie 'Adios Amor', 'Ein Festival der Liebe', 'Es fährt ein Zug nach Nirgendwo' usw. usw. Es war nicht alles gut, damals, das bei Weitem nicht. Aber die Titel hatten Persönlichkeit, unterschieden sich voneinander, und vor allem hat man sich überlegt, mit welchem Produkt man auf den Markt geht.
Und heute? Wer kann denn die Titel noch voneinander unterscheiden? Wer hat die Melodien nach dem Hören noch einen langen halben Tag im Kopf? Wo bohrt er denn, der Ohrwurm? Wo sind die Melodien, die sich beim Zuhören festhaken, die noch bleiben, auch wenn der Titel schon lange verklungen ist? Wo sind die Bilder, die den Menschen berühren?
Dass es – selten genug! – möglich ist, sieht man in der Tat an Titeln wie 'Du hast mich tausenmal belogen' (von Frau zu Frau!) , '1.000 und eine Nacht' (von Mann zu Mann), 'Schenk mir dein Herz' von den Höhner, 'Ein Stern, der deinen Namen trägt' oder die großen Titel von Helene Fischer. Das sind Titel, die es wert sind gespielt zu werden, und das viele Andere? Das Namenlose? Eine gut eingeführte Interpretin hat mir einmal gestanden, sie hätte Mühe, sich nach vier veröffentlichten Titeln den Text zu merken, da die Bilder, die Texte, die Zeilen sich zu sehr ähneln. Das ist die Situation. Schuld ist nicht deren Gedächtnis sondern die Auswechselbarkeit des Programms.
So gesehen sind die Fragen über den hohen Anteil von Oldies im Programm berechtigt. Früher war vielleicht nicht alles besser, aber der Schlager schon. Und: bei all dem Geschimpfe über die derzeitige miserable Lage des Marktes – die Probleme sind ein großes Stück weit auch selbst gemacht. Warum das so ist – davon vielleicht ein ander mal mehr.
Peter Ruhr
Dr. Peter Ruhr – exklusiv für www.smago.de