TONY MARSHALL
smago! Serie "Schlager-Rückblick "vor 40 Jahren" von Stephan Imming: Teil 7 – UPDATE: Tony Marshall ("Vom Hofbräuhaus zur Reepberbahn" – Teil 1)!

Neuzugang “Warteliste” 23.02.1976! 

Am 03.02.1938 kam TONY MARSHALL in seinem Elternhaus in der Baden-Badener „Große Dollenstraße“ als Herbert („Herbel“) Anton Bloeth zur Welt; seinen Namen änderte er vor der Geburt seines ersten Sohnes Marc in „Hilger“ (, das war der Geburtsname der Mutter). Er war der dritte Sohn seiner Eltern, die einen Kolonialwarenladen betrieben. Seine Brüder hießen August (geb. 1933) und Frank (geb. 1936).

„Herbel“ wuchs in einer musikalischen Familie auf. Der Mandoline spielende Vater August war allerdings in Kindertagen während der Kriegswirren selten zu Hause, da er 1939 zum Militär eingezogen wurde und erst 1947 aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist. So war die Mutter die musikalisch treibende Kraft, so dass „Herbel“ zunächst Klavier, später auch Geige (auf einer „echten Matthias-Klotz-Geige“) zu spielen lernte. Außerdem wurde er von seiner Mutter im kirchlichen Knabenchor angemeldet, dem er lange Jahre angehörte.

Auch sportlich war Tony aktiv, so gewann er bereits 1948 mit 10 Jahren ein Seifenkistenrennen – und gewann ein nagelneues rotes Fahrrad, nachdem er als erster das Ziel bei der Vincenti-Schule in Baden-Baden erreichte. Auch in der Leichtathletik war Tony erfolgreich und wurde sogar Stadtmeister. Seine Lieblingsdisziplinen waren Kugelstoßen (das scheint bei Schlagersängern anzukommen, auch Howard Carpendale konnte in der Disziplin ja erfolgreich punkten), Diskuswerfen und Speerwerfen.

Nach Beendigung der Schulzeit, in der er seine spätere Frau Gaby kennen lernte, mit der er seit 1962 bis heute verheiratet ist (verlobt haben sich die beiden bereits 1959), begann der spätere Tony 1956 eine Lehre als Großhandelskaufmann bei einem Bäckereinkauf in Baden-Baden. In diesem Beruf fühlte er sich nicht wohl und hielt sich später mit verschiedenen Jobs über Wasser. Besonders gern erinnert er sich an seine Zeit als Croupier beim Spielcasino Baden-Baden, bei dem er 1959 anheuerte. Darüber hinaus arbeitete er u. a. auch im Installationsgeschäft seiner Schwiegereltern.

Eine musikalische Karriere war aber immer Ziel von Herbert Anton Hilger. Bereits im Dezember 1956 hatte er seinen ersten Auftritt bei einer Adventsveranstaltung im Baden-Badener Kurhaus, wo er u. a. Louis Armstrong imitierte. Sein Gesang überzeugte den damals anwesenden Münchener Musikkritiker Heinz Rosenberger derart, dass er ihm dringend eine musikalische Stimmausbildung empfahl. Zu der Zeit hatte „Herbel“ aber noch andere Pläne. Er wollte mit seinem Cousin nach Kanada auswandern – in letzter Sekunde ist dieser Plan aber gescheitert, so dass man ein Jahr später an Herrn Rosenberger herantrat.

Mit Hilfe eines Stipendiums, das ihm gewährt wurde, weil Tony beim Kultusministerium die Arie „Und fortiva…“ aus dem Liebestrank Donizetti perfekt vorsang, begann der Sänger im Sommersemester 1957 in der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg ein Musik-Studium  (Hauptfach Gesang beim früheren Kammersänger  Professor Fritz-Moritz Harlan, Nebenfach Klavier). Nach acht Semestern wechselte er zur Musikhochschule nach Karlsruhe zu Dozent Scipio Colombo, um heimatnäher von Baden-Baden studieren zu können – u. a., um den elterlichen Kolonialwarenhandel mit zu unterstützen.

Im Jahr 1965 – nach Beendigung des Studiums als Opernsänger, das er mit der Abschlussnote „gut“ abgeschlossen hatte,  – wurde Herbert Anton Hilger von einem Freund überredet, bei einem Schlagerfestival teilzunehmen, das unter dem damals beliebten Motto „Jekami“ („jeder kann mitmachen“) stand. Der Sänger begleitete sich auf der Gitarre und gab „Hava nagila“ und „Cucurrucucu Paloma“ zum besten und erntete einen großen Applaus, wie er das von seinen Auftritten mit klassischer Musik nicht kannte. (Das hat ihn wohl so beeindruckt, dass er diese Lieder später auf Tonträger aufnahm und immer wieder im Repertoire hatte).

Die Jury, der u. a. Michael Kutrutzki von der Hansa Musik Produktion Berlin angehörte, kürte nicht etwa ebenfalls seinerzeit teilnehmende attraktive Sängerinnen, sondern Herbert Anton Hilger zum Sieger des Schlager-Wettbewerbs. Der erste Platz beinhaltete eine Einladung nach Berlin zum Vorsingen am berühmten Hansa-Standort in der Wittelsbacher Straße.

Das Vorsingen war offensichtlich überzeugend – und so kam es zum ersten Plattenvertrag Herbert Anton Hilgers, der vom Hansa-Chef Hans Blume den Namen „Tony Marshall“ verpasst bekam – ein Name, der eigentlich nicht so recht zum damaligen musikalischen Konzept passte, das man sich für ihn ausgedacht hatte – er sollte so etwas wie ein deutscher Charlez Aznavour, Adamo oder Gilbert Becaud werden. Übrigens hieß Becaud mit bürgerlichem Namen „Silly“ -übersetzt dumm bzw. „blöd“. Im Gegensatz zu Tony ließ er sich aber nie offiziell umbenennen.

Man dachte sich extra einen passenden Lebenslauf aus: „Tony Marshall verleugnet sein internationales Elternhaus nicht: die Mutter Französin, der Vater Deutscher. Geboren in Nancy, verbrachte er die ersten Kinderjahre in Frankreich und kam nach dem Krieg erst nach Baden-Baden". – So gesehen ist sein späteres Lied „In Baden-Baden bin ich geboren“ so etwas wie eine Gegendarstellung dieser „getürkten“ Biografie – auch hinsichtlich seines Geburtstages wurde gerne geschummelt (es wurde vier Jahre nach hinten gelegt). Seine erste Plattenfirma Decca nannte übrigens in einem Infoblatt noch das richtige Geburtsdatum und verriet sogar, wo Tony seinen ersten TV-Auftritt überhaupt hatte – noch vor Veröffentlichung der ersten Single, nämlich bei Jürgen Graf, der später als Moderator der „Sechs Siebeng’scheiten“ erfolgreich war. Damals moderierte der eine Europa-Nachwuchssendung, an der auch Tony teilnahm.

Dieser Zettel für die Senderbetreuer im Rundfunk klärt auch auf, wie es zu Tonys erster Schallplattenproduktion kam: „Auf einem großen Nachwuchswettbewerb, den Radio Luxemburg zusammen mit der Hansa Schallplatten GmbH veranstaltete, errang Tony in vier Ausscheidungen den ersten Platz und damit auch den begehrten Schallplattenvertrag. Das war Anfang 1965, aber die Zeiten für gute und anspruchsvolle Sänger waren schlecht, denn die Beatgruppen eroberten sich gerade den Markt. So dauerte es noch ein Jahr, bis TONY seine erste Schallplatte besingen konnte.“

Passend zum „frankophilen“ Ansatz war Tonys im Jahre 1966 bei der Plattenfirma Decca erschienene erste Single der Welthit „Aline“ des Sängers Christoph, den Tony standesgemäß mit französischem Akzent einsang. Zu Tonys Leidwesen (bis heute liebt er diesen Song) entpuppte sich die Schallplatte trotz recht guter Rundfunk-Einsätze als Flop. Produziert wurde die erste Single (wie auch die folgenden Aufnahmen) vom damals umtriebigen und erfolgreichen Henry Mayer.

Auch die nächsten Lieder wurden von Produzent Mayer im Chanson-Stil gehalten, die zweite Single, „C’est la vie“, wurde sogar extra für Tony geschrieben (Musik: Henry Mayer, Text: Georg Buschor).

Die letzte 1966er Single „Love Me Please Love Me“ war die deutsche Version des gleichnamigen Michel Polnareff-Songs. Den Text dazu schrieb der arrivierte Textdichter Ernst Bader. Nun wurde auch das Fernsehen auf Tony aufmerksam: Ein TV-Auftritt im SWF-Fernsehen und die „Neuvorstellung“ im „Musik aus Studio B.“, bei dem er sich aber später Howard Carpendale mit dessen „Lebenslänglich“ geschlagen geben musste, sorgten für einen Popularitätsschub.

Die erste 1967 veröffentlichte Single, „Nur ein Wort“, war wieder ein Original, das von populären Namen für Tony geschrieben wurde: die Henry-Mayer Komposition betextete Kurt Hertha. Der Song der B-Seite, „So schön“, wurde vom späteren Orchesterchef Dieter Reith komponiert.

Danach war wieder ein Cover-Song dran: Zum Chanson „Encore une danse“ des französischen Chansonniers Michel Varenne textete Günther Loose den (lt. Plattenfirma) „Slow-Beat“ „Wer kennt ihren Namen?“.

Nachdem auch die letzte bei Decca erschienene Single „Komm zu mir“ kein Erfolg wurde, beschloss Tony, seinen Plattenvertrag 1968 auslaufen zu lassen und eröffnete zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Baden-Baden in der Fürstenbergallee 6 ein Szene-Lokal namens „Club 68“.

Hinweis: Eine weitere Weißpressung aus der Decca-Zeit ist auch in Umlauf – der Song „Eine schwarze Balalaika" ist eine sehr selten zu findende Nummer.

In diesen Jahren begann Tony, mehrfach in Chicago (USA) aufzutreten und kam mit Evergreens, Hits, Volksliedern und Schlagern in renommierten Auftrittsorten wie Moulin Rouge und "Diamond Jim's" ausgesprochen gut an.

Nebenbei nahm er im Frühjahr 1969 bei einem kleinen Plattenlabel  eine einzelne Single namens „Married Woman“ auf, die er selber (u. a. mit Peter Drischel, der auch als Pete Tex bekant ist,) komponierte – auch das ein kapitaler Flop.

Im Jahre 1969 nahm er an der Vorrunde zum deutschen Schlager-Wettbewerb teil mit einem Lied namens Venus-Mädchen, das es nicht in den Wettbewerb schaffte und auch nie auf Tonträger erschienen ist. Interessanterweise finden sich zu diesem Lied keinerlei Informationen im Netz oder in der einschlägigen Literatur – vielleicht kann ein (Schlagerfestspiele-)Experte hier ja nähere Angaben machen.

Im „Club 68“ tauchte eines Tages ein junger Discjockey namens Horst Nußbaum (Künstlername Jack White) auf, der Tony sagte, dass ihm dessen „Aline“ sehr gut gefalle – er müsse den Song auch immer in seiner Funktion als DJ  auflegen – aber er empfehle ihm, fröhlichere Lieder zu singen.

Gesagt – getan – Jack White organisierte einen Plattenvertrag  und sorgte für Tonys erste Ariola-Single: „Hey – ist das Leben so schön“, erneut von Tony mit Co-Autor u. a. Pete Tex geschrieben. Als Produzent ist übrigens „SNB“ auf der Single vermerkt – damit dürfte „Studio Nord Bremen“, also der bekannte Sänger und Produzent „Ronny“ Wolfgang Roloff gemeint sein.

Die zweite „SNB“-Produktion war „Sweet Caroline“, die deutsche Version des gleichnamigen Neil Diamond Hits. Den deutschen Text schrieb „Ronny Hein“ (bürgerlich Heinz Schumacher), der kurz zuvor einen großen Hit für Heino textete („Die Sonne von Mexiko“) – mit Tony aber keinen durchschlagenden Erfolg hatte.

Mit „Hans im Glück“ übernahm Jack White persönlich die Produktion von Tony Marshall. Erneut ist ein Blick auf die Autoren spannend – der Song wurde vom damaligen BRAVO-Fotografen Didi Zill (, der sehr bekannt war und später selber als Sänger in Erscheinung trat) und von Hans-Ulrich Weigel, der später mit „Rocky“ und „Conny Kramer“ überaus erfolgreich wurde, aber auch mit Ricky Shaynes „Ich sprenge alle Ketten“ in den Charts war, geschrieben.

Die deutsche von Günther Loose getextete Version des Hits „Try A Little Tenderness“ von Austin Sapaugh führte auch noch nicht zum gewünschten Erfolg – „Mein Talismann mit braunen Augen“ war erneut ein Flop. (Spitzfindige Freunde der deutschen Sprache rätseln bis heute, warum auf dem Cover der „Talisman“ mit „Doppel-n“ geschrieben wurde). Die B-Seite dieser Single war übrigens der bereits im später typischen „Happy Sound“ produzierte Song „Zwischen heute und morgen“.

In dieser für Tony schwierigen Zeit lernte er einen Kripo-Beamten namens Herbert Nold kennen, der Tony im Sommer 1970 davon überzeugen konnte, sein Management zu übernehmen. Nolds Entscheidung, sich als Manager selbständig zu machen und den sicheren Beruf des Kripo-Beamten an den Nagel zu hängen, sollte sich als richtig herausstellen. Zielsetzung war, an Tonys Image als ausgebildeter Sänger der gehobenen Güteklasse zu festigen.

Fast zeitgleich stellte Jack White (Gerüchten zufolge in lustiger Atmosphäre beim „Erdbeerfest“ im badischen Staufenberg) Tony einen „Südsee-Song“ aus Tahiti, das polynesische Volkslied „Nau Haka Taranga“ vor, dem er den deutschen Text „Schöne Maid“ gegeben hatte. Tony war entsetzt, weil er den Text schrecklich fand. (Das sah Autor Tom Wolf viele Jahre später im Buch „Schlager, die wir nie vergessen“  übrigens wohl anders – dort analysierte er den Song auf 6 1/2 Seiten (!) unter der Überschrift „Verabredungsversuch vor Apokalypse“).  Die Textanalyse ist so bemerkenswert und sicher zweifellos zutreffend, dass sie hier kurz angerissen werden soll – allein die Schilderung des Anfangs des Liedes ist köstlich:

Der Schlager beginnt in der freien, höchstens von leeren Plastiktüten berührten Natur: Ein bis zwei Amseln schmalzen ihr Lied in die knisternde Plattenstille. Dann setzt rhythmisches Klatschen ein, Bongo-Fässer gesellen sich dazu, Gitarre und Rassel haken ponderosahaft tönend ein. Ein wildwesternes Ta-ta-tatata poltert ins ersterbende Schwarzdrossel-gezwitscher (aus dem sich keckerweise ein Buchfink mit einfachem Pink-pink hervorwagt), bevor nach 15 Sekunden ein gemischter Männerchor ebenso unvermittelt wie unver-mittelbar  folgende Frage stellt: ‚Schöne Maid, hast Du heut für mich Zeit?‘. Ad hoc wird versucht, der Gefragten die Antwort vorzulegen: ‚o ja (h)o ja (ho)‘, dann aber wird ihr doch noch Entscheidungsspielraum, d. h. die objektive Möglichkeit eines abschlägigen Bescheids eingeräumt : ‚Sag bitte ja, dann bin ich nur für Dich da, o bitte o ja (h)o ja (h)o‘.“

Der Plattenvertrag zwang Marshall, die Aufnahmen in Berlin anzufertigen. Tonys Plan, Jack White von der Aufnahme abzubringen, indem er alkoholisiert nach dem Genuss einiger Chianti-Wein-Gläser im Studio erschien, um möglichst indisponiert zu sein, scheiterte – offensichtlich kam das "hojahojaho, hopsasa, trallala, jappadappadu" dank des Alkohol-Pegels erst recht überzeugend rüber. Jack White war begeistert, der „Kitchen-Sound“ war mit der Aufnahme geboren. Von Tony selbst war auf der finalen Studioaufnahme nicht mehr viel zu hören, der Hintergrundchor wurde in etwa so hoch gemischt wie die Solo-Stimme Tonys.

Hinter Jack Whites Rücken versuchte Herbert Nold gemeinsam mit Tony, das vermeintlich schlimmste zu verhindern, indem er im Spätherbst 1970 den damaligen Produktionschef der Ariola, Georg Ehmke, aufsuchte, um die Single-Veröffentlichung zu verhindern, da man eine schwere Image-Schädigung befürchtete. Ehmke lehnte ab, weil er das Hit-Potenzial des Songs offensichtlich erkannte. Allein das Vogelgezwitscher am Anfang und das „jawoll! Hee“ am Schluss des Liedes haben ihn vielleicht beeindruckt. Auch der von Jack White persönlich einge„sungene"! Part „u-wa-pa-du, ja-ba-da-ba-du" hatte eine gewisse Originalität.

Kuriosität am Rande: Jack White musste sich als junger Produzent von einem Kumpel, dem Kölner Wirt „Heini“, Geld für die Produktion leihen. „Heini hat mich nie im Stich gelassen“, so Jack White, „und unsere Freundschaft besteht bis heute. Besonders glücklich hat mich gemacht, als Heini 1972 eine seiner vier Kneipen in ‚Die Schöne Maid‘ umbenannte.“

Es kam wie es kommen musste – die „Schöne Maid“ wurde ein Riesen-Hit, der sich in Deutschland 1 Mio. mal verkauft hatte und sogar in den Niederlanden 100.000 mal über die Ladentische ging, wobei ein TV-Auftritt im Dezember 1971 in der Rudi-Carrell-Show dem Verkaufserfolg noch mal einen gewaltigen Schub gab.

Den Studiomusikern der Produktion war der gigantische Erfolg der Single wohl gar nicht lieb – so heißt es in der Chronik des Meisel-Verlages: „Schlagzeuger Tom Hom aber erinnert sich genau einer Bitte, die die Musiker an Jack White hatten: Nicht unsere Namen nennen – sie schämten sich ein wenig ob der Kochtöpfe".

Fortan war Tony Marshall der „Stimmungsmacher der Nation“. Einerseits war er darüber glücklich, weil damit komplette finanzielle Unabhängigkeit erreicht war, die ihm als verheirateten Familienvater (zu dem Zeitpunkt hatte er zwei Söhne, Marc (der von „Marshall und Alexander")  und Pascal, gelegen kam. Er konnte sich sogar ein Haus mit Swimmingpool leisten – dort waren an der Wand die Noten des Liedes großformatig künstlerisch gestaltet, die das ermöglicht hatten – so wurde es zumindest in der ARD-Dokumentation „Ein Star im Festzelt“ dargestellt, die am 02.10.1978 ausgestrahlt wurde.  – Andrerseits ist es für einen ausgebildeten Opernsänger sicher unerfreulich, wenn man mit einer klassischen Musikausbildung im Festzelt singen muss und auf Schallplatten stimmlich im allgemeinen Chorgesang fast untergeht. Im Gegensatz zu einigen anderen Schlagerkollegen hat Tony sich aber mit dieser Situation arrangiert.

Der Song war derart erfolgreich, dass er in englischer Sprache weltweit (u. a. in Australien, Südafrika und Spanien) veröffentlicht wurde – den englischen Text „Pretty Maid“ schrieb Pete Bellotte.

Jack White übertraf sich als Textdichter selber: Auf „ohjahoojahoo“ und „schbadabadu“ (oder so ähnlich) in „Schöne Maid“ folgte „schnabbel-di-peng“ (oder ähnlich):  Gleich der nächste von ihm  geschriebene Tony-Hit „Komm gib mir Deine Hand“ (bekannt auch durch die Textzeile „Heute hau'n wir auf die Pauke“) wurde sogar ein Nummer-Eins-Hit in Deutschland, der auch in der ZDF-Hitparade zur Nummer 1 avancierte (, nachdem die „Schöne Maid“ in Hecks Show nicht stattfand). Zeitweise war Tony Marshall sogar gleichzeitig auf Platz 1 und Platz 3 der deutschen Verkaufshitparade.

Der große Erfolg Tonys führte dazu, dass Tony 1972 für die ZDF-Sitzung des Mainzer Karnevals-Klassikers „Mainz bleibt Mainz“ engagiert wurde. In der damals von Otto Höpfner moderierten Sendung war Tony Marshall Stargast, was zu Unmut führte, weil z. B. damit Ernst Negers „Humba Tätärä“ nicht genügend gewürdigt wurde und vor allem Tony Marshall kein Mainzer ist. Da half auch nichts, dass er seine „Schöne Maid“ mit den „Finther Schoppesängern“ vortrug und die Idee damals eigentlich war, die zuvor von dieser Chorgruppe parodierten Sänger persönlich auf die Bühne zu holen. – Tony Marshall war somit letztlich dafür verantwortlich, dass aus „Mainz wie es singt und lacht“ (SWF) und „Mainz bleibt Mainz“ (ZDF) ab 1973 der spätere TV-Klassiker „Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht“ wurde (so wurde es von ARD und ZDF nur zwei Wochen nach der von Höpfner geleiteten Sitzung beschlossen) – bis zum heutigen Tag ein Quoten-Garant.

Der Riesen-Erfolg von Tonys Tonträgern wurde zum Anlass genommen, sogar einen Schlager-Film namens „Heute hau'n wir auf die Pauke“ zu drehen, der am 08.02.1973 in den „Lifa-Lichtspielen“ Offenburg  „Welt-Premiere“ hatte. In dem Film dreht es sich um die Lebensgeschichte des Schlager-Produzenten Jack White und um seine Künstler: Neben Tony Marshall „spielten“ auch Jürgen Marcus, Renate und Werner Leismann,  Nina und Mike, Tanja Berg, Lena Valaitis, Severine und Peggy March in dem Streifen mit. Die Berliner RIAS-Radio-Legende Nero Brandenburg übernahm eine Rolle als DJ. Trotz des Star-Aufgebots wurde der Film ein Misserfolg, was Film-Kritiker vermutlich nicht sonderlich frustriert hat. Entsprechend wurde auch der gleichnamige Soundtrack kein Erfolg.

Im Sommer 1972 wurde der eingeschlagene Erfolgsweg fortgesetzt – mit „Ich fang für Euch den Sonnenschein“ schaffte Tony nach dem inzwischen bewährten Erfolgsrezept den dritten Top-Hit in Folge. Erneut war er in der ZDF-Hitparade mit seinem Schlager drei mal vertreten und schaffte es dort bis auf Platz 2 – seine Performance ist bis heute unvergessen wie er buchstäblich den Sonnenschein mit seinen Händen zu fangen versuchte… – Kurz zuvor wurde das erste Album, „Schöne Maid“, auf den Markt gebracht, das fast ein Jahr in den LP-Charts platziert war und dort bis auf Platz 2 kletterte. Kurze Zeit später erschien die LP „Ich fang für Euch den Sonnenschein“, auf der auch die alten SNB-Produktionen enthalten waren – auch ein Top-20-Erfolg.

Auf der LP "Ich fang für Euch den Sonnenschein" ist in der Biografie übrigens die Rede von einer Tochter namens „Isabel“. Stella, die wirklich Tonys Tochter ist, kann zum Erscheinungstermin der LP noch nicht gemeint sein. Im Internet finden sich Hinweise, dass es sich um eine vermeintliche uneheliche Tochter Tonys handelt und Tony 14 Jahre fälschlicherweise als Vater angesehen wurde – erst ein Vaterschaftstest brachte demnach ans Licht, dass Tony nicht der Vater war. Die Illustrierte „Die Aktuelle“ berichtete am 12. Dezember 1992, dass Isabel fast zeitgleich mit Tonys Sohn Pascal zur Welt kam und vermeintlich aus einer Liaison mit einer 10 Jahre jüngeren Frau hervorging und lange Jahre bei Tony aufwuchs, bis es zu einem Streit kam und Isabel enthüllte, dass Tony gar nicht der Vater war – der klassische Fall eines Kuckukskindes.

Aus dieser „Sonnenschein“- LP wurde auch die nächste Single, der Top-10-Hit „…und in der Heimat“ ausgekoppelt – der vierte Treffer in Folge nach bewährtem Rezept – Produktion, Komposition und Text: Jack White – Gesang im fröhlichen Kitchen-Sound: Tony Marshall. Die dreimalige Teilnahme bei der ZDF-Hitparade war ja inzwischen schon fast obligatorisch. Der Erfolg war seinerseits förmlich greifbar, so wurde Tony 1972 auch mit der „Goldenen  Europa“ der Europawelle Saar ausgezeichnet. Beworben wurde die Single übrigens mit dem Hinweis auf den „Hit aus dem Cinerama-Film Heute hau'n wir auf die Pauke“.

Die nächste Single wurde interessanterweise nicht aus der damals aktuellen „Sonnenschein“-LP ausgekoppelt, sondern aus der Debut-LP „Schöne Maid“. Eigentlich sollte vermutlich das Lied „Majka“ auf den Markt gebracht werden – zumindest wurde die Single als Promo-Exemplar bereits veröffentlicht, kam aber wohl nicht so an. Folglich fiel die Wahl auf „Junge, die Welt ist schön“ – die Entscheidung war goldrichtig, erneut ging es drei mal in die ZDF-Hitparade, abermals wurde die Top-20 im Verkauf geknackt. Der Song wurde 1974 international auch in englischer Sprache veröffentlicht („Let's Have A Ball", B-Seite „Sunshine Boy", die engl. Version von Ich fang für Euch den Sonnenschein).

Interessant ist übrigens Tonys (Jack Whites) „Sinneswandel“ – hieß es noch nur eine Single vorher „…und in der Heimat ja, da ist es doch am schönsten“, wird nun behauptet: „Pack doch Dein Ränzel, denn jedem echten Jungen sollte fremder Wind mal um die Nase weh’n!“.

Nachdem die Single so ein Erfolg wurde, scheute man sich nicht, noch eine gleichnamige LP auf den Markt zu bringen, die Anfang 1974 bis auf Platz 22 der LP-Charts kam (, nachdem 1973 mit der Medley-LP „Lass das mal den Tony machen“ sogar die Top-10 der LP-Charts erreicht wurden). Daraus ausgekoppelt wurde die nächste Single – „Onkel Golle“ schrammte nur knapp an den Top-20 vorbei, kam aber auch nicht in der ZDF-Hitparade vor. Kleines Schmankerl am Rande: Die B-Seite von „Onkel Golle“ war „In Baden-Baden bin ich geboren“. Auf der Rückseite des Covers hingegen wird pikanterweise erneut das Märchen erzählt, Tony sei „im französischen Nancy zur Welt“ gekommen.

Auch „Tätärätätätätä“ wurde nicht bei Heck gespielt, dabei war auf dem Cover der Single Tony in Berlin singend abgebildet. Dabei hatte der Schlager durchaus pädagogische Ansätze und klärte über ein Blechblasinstrument auf: „Tätärätätätätä  – so macht die Trompete – hier auf uns’rer Fete“. Mit dem Lied wurden die Verkaufszahlen langsam rückläufig, es reichte gerade mal für einen Top-50-Erfolg. Die LP „Tony Tony Tätärä“ schaffte es gar nicht mehr in die Charts, obwohl sie nach gleichem Strickmuster produziert wurde wie die Erfolgs-LP „Lass das mal den Tony machen“ – mit Stimmungsliedern in Medley-Form. Auch die LP „Das Leben ist so wunderbar“ blieb eher unbeachtet, obwohl auf deren Rückseite Tony mit der „Tätärä“-Trompete in der Hand abgebildet war und darüber hinaus ein Dieter-Thomas-Heck-Gedenk-Armbändchen trug – es nutzte nichts.

Große Sorgen plagten Tony seit dem Sommer des Jahres 1974, als er Probleme mit seinen Stimmbändern bekam. Sein Arzt Prof. Haas diagnostizierte schwere Polypen auf beiden Stimmbändern, die am 9. Dezember 1974 operativ entfernt werden mussten – zum Glück verlief die Operation komplikationslos und verursachte keine langfristigen Schäden.

Mit „Wir trinken Brüderschaft mit der ganzen Stadt“ versuchte man es erneut mit einem Stimmungs-Hit, diesmal schrieb der renommierte Fred Jay den Text – genutzt hat es wenig, mehr als ein kleiner Top-50-Erfolg war damit nicht drin.

Auf der LP „Das Leben ist so wunderbar“ befindet sich ein Lied, das stilistisch nicht zu dem passte, was Tony in der Zeit nach „Schöne Maid“ auf Tonträger veröffentlichte. Nachdem die „fröhliche“ Schiene anscheinend weniger gefragt zu sein schien, wagte Produzent Jack White es, die Nummer auf Single zu veröffentlichen – der Song „Anna Karina“ erinnert stark an Tonys Anfangszeit als Chansonsänger – er durfte dies Lied am 19. Juli 1975 auch in der ZDF-Hitparade vorstellen – ein Hit wurde es aber nicht, der Stilwechsel wurde vom Publikum nicht mitgetragen, auch wenn die Ariola mit „Tony mal ganz anders“ warb.

Ein volkstümlicher „Nonalbumtrack“ war der nächste Versuch eines Hits, der im Herbst 1975 unternommen wurde – der maritime Evergreen „Fahr mich in die Ferne“ aus der LP „Fröhlicher Musikant“  war nicht wirklich das, was sich Tony-Fans von ihrem Star erhofften. Ganz offensichtlich war er inzwischen zu sehr dem Stempel „Stimmungsmacher der Nation“ verhaftet.

Mit der nächsten Single ging es zur Karnevalssession 1976 wieder in die volkstümliche Schunkelecke. Vor ziemlich genau 40 Jahren war Tony mit „Vom Hofbräuhaus zur Reeperbahn“ mehrere Woche auf der „Warteliste“ für die Top 50 der Verkaufscharts. Bei einem „historischen“ Auftritt in der ZDF-Disco stellte er den Song zwei Tage vor Rosenmontag vor. „Historisch“ ist der Auftritt nicht, weil man damals auf die „tolle“ Idee kam, durch das Studio eine Polonäse tanzen zu lassen. Diese Idee hatte ja erst kürzlich Florian Silbereisen, als bei seinem Fest zu seinem Klubbb3-Schlager „Du schaffst das schon“ Polonäse getanzt wurde. Dabei wurde übrigens ein penetranter Polonäse-Verweigerer beobachtet, aber das nur am Rande.

„Historisch“ ist dieser Auftritt bei Ilja Richter wegen der Teilnehmer der Polonäse. „Mitgehangen – mitgefangen“ hieß es nämlich für ABBA. Die turnten Polonäse tanzend durch das TV-Studio – so machte die ABBA-Schönheit Agnetha mehr oder weniger Werbung für Tony Marshall, dabei wollte man doch nur die ABBA-Single „Mamma Mia“ präsentieren. Genutzt hat es nichts, der von Horst-Heinz Henning und Thomas Klewer geschriebene Schlager blieb bestenfalls ein Achtungserfolg.

 

https://www.youtube.com/watch?v=07Cw_Ac34Vc

 

Vielleicht hat Agnetha Tony bei der Polonäse ja Tipps ins Ohr geflüstert, wie es geht beim Grand Prix. Nur wenige Tage vorher, am 18. Februar 1976, wurde nämlich bekannt gegeben, wer die deutsche Vorentscheidung zum Grand Prix gewonnen hatte – es war… – Tony Marshall mit dem von Detlef Petersen geschriebenen Chanson „Der Star“. Unfassbare 118.250 Postkarten wurden beim damals zuständigen Hessischen Rundfunkt gezählt. Eine davon schrieb übrigens ich im zarten kindlichen Alter.

 

Da die in München wohnende israelische Sängerin Nizza Thobi aber behauptete, das Lied bereits vier Jahre zuvor öffentlich vorgetragen zu haben und zu allem Überfluss der Song bei der GEMA bereits offensichtlich bekannt war, wurde Tony Marshall disqualifiziert für den Wettbewerb, Nachrücker waren die Les Humphries Singers, die mit dem Ralph-Siegel-Song allerdings international fulminant scheiterten – vielleicht wäre es ja mit Tony besser gelaufen.

 

In „Der Star“ geht es um die Sorgen und Nöte des großen Idols („Star“), der das, was der Fan von ihm erwartet, eigentlich gar nicht einlösen kann. Ein sehr beeindruckendes, sensationell arrangiertes Lied, das Tony auch in französischer Sprache aufnahm („Joue ta vie“). Für viele ist es das mit Abstand beste Stück, das Tony je veröffentlicht hat – das Chanson ist eins der wenigen Lieder, mit dem der ausgebildete Opernsänger sein wahres Können zeigen durfte.

 

 Somit hat es sich leider  nicht gelohnt, dass Tony sich extra zur Singleveröffentlichung einen „neuen Fiffi“ zugelegt hat – jedenfalls wurde fortan sein Haar lockiger als zuvor getragen..

 

Wie tief der Stachel mit der Nicht-Teilnahme bei der Eurovision bei Tony sitzt, kann man anhand einer Textpassage seiner Autobiografie „Einer wie Du“ klar erkennen. Dort heißt es:

Doch es gab für mich eine Genugtuung. Am Abend der Veranstaltung, die aus den Niederlanden in der ARD übertragen wurde, trat ich zeitgleich live im ZDF in der „Großen Starparade“ auf. Ich wurde anmoderiert als derjenige, den die Schlager-Mafia um seinen Auftritt beim Grand Prix betrogen hatte. Das Publikum war auf meiner Seitees spürte, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war. Selbstverständlich trug ich den 'Star' vor, und ich hatten den letzten Ton noch nicht ausklingen lassen, als mir donnernder Applaus von allen Seiten entgegenbrandete. Da wusste ich, dass meine Fans mich nicht im Stich lassen würden. Und ich sollte Recht behalten: Ich stehe immer noch auf der Bühne und im Rampenlicht, von den Les Humphries Singers hört man so gut wie nichts mehr." – Ungewöhnlich deutliche Worte für einen ansonsten ja nicht gerade als aggressiv bekannten Tony Marshall.

So ganz gelöst scheint das Rätsel um die damalige Disqualifikation vielleicht doch nicht zu sein. Tony schreibt in seinem Buch nämlich auch: „Ein halbes Jahr später errechte mich die Meldung, dass es sich mit der Sängerin, die angeblich mein Lied schon eher gesungen hatte, völlig anders verhalten hatte“.

Nähere Einzelheiten rund um den Song „Der Star“ finden sich HIER …:

In jener Zeit erschien eine LP namens „Ja, so ist der Tony“ mit buchstäblich zwei Seiten und den Überschriften – „mal so…“ und „mal so…“, was bedeutet, dass sich Tony einerseits als Stimmungsmacher präsentierte (Single: „Vom Hofbräuhaus zur Reeperbahn“) und andrerseits als Chansonnier. Nach dem „Star“ wurde ein zweites Lied dieser Machart veröffentlicht: „Allein (…auf der großen Hazienda)“ ist die deutsche Version eines Liedes der George Baker Selection („Alone“), das George Baker (bürgerlich Hans Bouwens) auf der Erfolgs-LP „Paloma Blanca“ im Original veröffentlichte. Den deutschen Text schrieb Fred Jay – ein Hit wurde das Lied leider nicht, obwohl Tony den Song am 31. Juli 1976 in der ZDF-Hitparade präsentieren durfte.

Nachdem das alles nicht so funktionierte wie vielleicht erhofft, besann sich Tony auf alte Erfolgsmuster – Jack White schrieb und produzierte ihm den (O-Ton Plattenfirma) „neuen Happyhit vom Stimmungsmacher der Nation“ „Wir wollen doch mal wieder Stimmung machen“ – aber zurück in die Erfolgsspur führte auch dieser Titel nicht.

Parallel versuchte Tony sich als Produzent. Mit der „Happy Family“ wurde das von ihm geschriebene Lied „Gulli Wattka“ bei der Polydor veröffentlicht – ohne nennenswerten Erfolg.

Im Sommer 1977 erinnerte sich Tony wohl daran, dass er ja mal beim Mainzer Karneval aufgetreten ist und dass das gewaltige Kreise gezogen hatte. Ein Klassiker dort ist bekanntlich das Lied „Wir sind die Tramps von der Pfalz“. Das verstorbene Klimbim-Urgestein Horst Jüssen, der ja auch Ehemann von Lena Valaitis war, schrieb darauf einen „Spezialtext“, dessen Refrain auf der Rückseite der Single mit Übersetzung(!) abgedruckt wurde: „Wir sind die Tramps von der Pfalz –  uns steht das Wasser immer bist zum Hals – wir schaffen nix, nix wird gedoh (wir arbeiten nicht – nichts, nichts wird getan) – krie’hn ma auch nix abgezoh“ (kriegen wir auch nichts abgezogen).“ Ohne diese Übersetzung hätte man definitiv nicht verstehen können, worum es in dem Song geht. Das erinnert mich an Otto, der mal in einer großen TV-Show war und sich einen Übersetzungs-Knopf für das Ohr geben ließ, weil er ja nur „Ostfriesisch“ spricht…

Ebenfalls im Sommer 1977 verstarb bekanntlich Elvis Presley. Das nahm Tony zum Anlass, sein Debut als Produzent zu geben – mit „Regina“, begleitet von Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper, produzierte er für die Plattenfirma Philips den Song „Requiem For Elvis“ – so ziemlich unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. Die Uraufführung fand am 29. Oktober 1977 in einer Kirche (St. Bernhardus) statt. Das Medieninteresse war groß, so war der SWF für die Sendung „Pop 77" am Start. Aufgrund einer einstweiligen Verfügung, die vom Freiburger Erzbischof erwirkt wurde, durfte das Material aber nicht gesendet werden.  Tony und sein Manager Herbert Nold waren zur Vorstellung der Single damals in den USA und trafen in Graceland den Vater Elvis Presleys, Vernon Presley.

Klaus Nowy, der kurz zuvor seine eigene Single „Rock’n’Roll Vampire“ veröffentlichte und sogar für Udo Jürgens tätig war (wird als Co-Autor von – na ja – „Zieh den Kopf aus der Schlinge, Bruder John“ angegeben), war eigentlich ein typischer Vertreter der damaligen Krautrockszene. Er arrangierte aber Tonys nächste Single, die vom heutigen Helene-Fischer-Produzenten Jean Frankfurter komponiert und vom kürzlich verstorbenen Ralph-Siegel-Spezi Robert Jung getextet wurde: „Oh Miranda“. Was genau Tony in freier Natur mit „Miranda“ genau getan hat, lässt sich nur erahnen. Die auf dem Singlecover zu sehenden Verschmutzungen in der Ellenbogen-Gegend lassen darauf schließen, dass er ein Freund der Missionars-Stellung zu sein scheint – hä ähm…

Mit dem nächsten Lied hatte Jack White eine ausgesprochen „originelle“ Idee – er nahm sich ein polynesisches Volkslied vor und verfasste darauf (gemeinsam mit Kurt Hertha)  einen eigenen Text. Was bei der „Schönen Maid“ funktioniert hat, klappte erneut – auch „Bora Bora“ wurde 1978 ein großer Erfolg. Gleich vier mal präsentierte Tony ab dem 1. Mai 1978 den Song in der ZDF-Hitparade,  nachdem er zuvor fast zwei Jahre dort nicht zu Gast war. Auf dem Singlecover trug Tony die gleiche Jacke wie bei der „Miranda“-Single –darum wurde dann das Foto von einem schönen Südseestrand drapiert.

Dreißig Jahre nach diesem Single-Hit (war ein halbes Jahr in den Charts und erreichte die Top-20) wurde Tony zum Ehrenbürger Bora Boras ernannt. Er verschaffte der Insel eine enorme Popularität. Kehrseite der Medaille ist, dass das recht unberührte Stück Land nun deutlich für den Tourismus erschlossen wurde.

Im Herbst des Jahres hatte Jack White mit seinem Schützling Marc Seaberg einen veritablen Hit – „Looking For Freedom“ kam bis auf Platz 13 der Verkaufscharts. Unter dem Pseudonym „Jon Athan“ schrieb Wolfgang Preuß, der „Wolf“ von „Inga und Wolf“, den deutschen Text: „Auf der Straße nach Süden“. Auch Tony kam damit zu Hit-Ehren und präsentierte den Song zwei mal in der ZDF-Hitparade.

Richtig populär wurde das Stück aber erst 1989, als Jack White eine neue Version des Songs mit David Hasselhoff produzierte. Der war zuvor mit zwei Alben in den USA nicht erfolgreich – aber der „Freedom“-Song passte im Jahr des Mauerfalls einfach zu gut, ein Nummer-1-Erfolg für Hasselhoff war die logische Folge, die in seinem legendären Auftritt in Berlin an Silvester 1989 gipfelte. Im Zuge dieses Erfolges brachte auch Tony seine deutsche Version noch einmal auf den Markt und trat sogar mit David gemeinsam im ZDF-Fernsehgarten auf.

Für 1979 hatte Tony eine ungewöhnliche Idee, Geld zu sparen. Textdichter „Werner Steffen“ schrieb zusammen mit Jack White den Song „Wir zahlen keine Miete mehr“, der wieder in typischem Happysound für den „Fröhlichmacher der Nation“ gehalten war.

Die Schweizer Unterhaltungsformation Dorados hatte in ihrem Heimatland 1977 einen kleinen Hit namens „Mary ven con migo“. Anlässlich des Jahrs des Kindes brachte Tony dazu eine von Joachim Relin (bürgerlich Hans Joachim Balke) und „Jon Athan“ getextete nachdenkliche Version heraus: „Ich will mit Dir spielen“ handelt davon, sich als Erwachsener Zeit für das Spiel mit einem Kind zu nehmen. Das Lied passte zu Tonys persönlicher Situation – am 16. Mai 1979 kam seine Tochter Stella zur Welt – leider mit einer Behinderung, weshalb Tony Jahre später eine Tony-Marshall-Stiftung ins Leben rief, die sich insbesondere um Menschen mit Behinderung kümmert und bei der seine Tochter Stella auch tätig ist.

Abgeschlossen hat Tony die 1970er Jahre mit einem für ihn typischen Mitklatsch-Lied. Der Jack-White-Song „Ich klau Dir eine Straßenbahn“ wurde erneut von „Jon Athan“ getextet. Der Werbespruch der Plattenfirma für die Scheibe war sensationell: „Mit Tony Marshall 'bahnt' sich ein neuer Hit an“ – leider hat es nicht ganz funktioniert damit, obwohl es eine weitere Werbemaßnahme gab – direkt nach dem Münchener Oktoberfest wurde eine Straßenbahn gechartert für eine Tony-Spezialfahrt, um Vertreter der Branche von Tonys neuestem Hit zu überzeugen. Der Inhalt des Liedes wird in den „Single-Facts" kurz und knackig zusammengefasst: „Mit Schwung und Witz erzählt Tony hier die Geschichte eines jungen Mannes, der sich in ein Mädchen verliebt hat, das er jeden Tag an der Straßenbahnhaltestelle trifft.  Um dem Mädchen zu imponieren, beschließt er: 'Ich klau Dir eine Straßenbahn – und fahr mit Dir spazieren…'"

Der Komponist und Produzent Tony Marshall wurde auch wieder aktiv – hinter dem Pseudonym „Fantasy“ (der Gruppenname kommt mir doch irgendwie bekannt vor?) scheint u. a. Tonys Sohn Mark zu stecken, wenn man sich das Single-Cover von 1979 ansieht. Die Single „Singerman“ (von Tony komponiert) wurde kein Erfolg.

Der Schunkelwalzer „Wir bleiben noch etwas hier“ läutete die 1980er Jahre ein – komponiert, produziert und getextet von Jack White.

Mit den nächsten Schlagern blieb Tony dem Walzer-Rhythmus treu, der Art des Liedes jedoch nicht – „Bring mir noch ein Bier“ handelt von einem „von einem Mädchen verlassenen“ Mann, dem nach Fröhlichkeit nicht der Sinn steht. Den Text zur Jack-White-Komposition schrieb wieder „Jon Athan“.

Nach dem Schunkelwalzer und dem „nachdenklichen“ Walzer kam ein volkstümlicher Walzer an die Reihe mit dem Thema, das schon die Bläck Fööss aufbereitet haben – frei nach „Drink doch ene mit“ textete wieder „Jon Athan“ „Bleib nicht allein“. Diesmal hat Tony höchstselbst das Lied komponiert – er stellte es am 9. Februar 1981 in der ZDF-Hitparade vor. Kurze Zeit später nahm Tony das Lied übrigens mit neuem Text noch mal auf – als „Badischer Wein“.

(…)

Stephan Imming, 23.02.2016

http://www.tony-marshall.de/

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