JOY FLEMING
smago! Serie "Schlager-Rückblick "vor 40 Jahren" von Stephan Imming: Teil 14 – Joy Fleming ("Ein Lied kann eine Brücke sein")!

Neuzugang 17.03.1975! 

Am 15.11.1944 wurde in pfälzischen Rockenhausen mit Erna Maria Paula Raad (Tochter eines Werbekaufmanns und einer Stenotypistin) eine der größten Soul- und Rock-Sängerinnen Deutschlands geboren (fälschlicherweise wird in vielen Biografien „Strube“ als ihr Geburtsname angegeben, das ist aber der Name ihres ersten Ehemanns). Ihre Kindheit mit einem gewalttätigen Vater und einer überforderten Mutter war schwierig.

Halt fand sie in der Musik. Die ersten musikalischen Schritte absolvierte die spätere Sängerin in einem Kinderchor. Schon mit 14 Jahren gewann sie einen Nachwuchswettbewerb in der „Gambrinus Bar“ mit dem Song "Ciao Ciao Bambina".

Neben ihrer Lehre als Verkäuferin wurde sie kurze Zeit später  „Aushängeschild und Lokomotive“ ihrer ersten Band, der Gruppe „Hit Kids“, mit der sie vornehmlich in GI-Clubs tingelte. Da der Name „Erna“ für US-Soldaten nicht gut auszusprechen war, wurde aus Erna „die Dschoi“ bzw. genauer gesagt  „Joy“, so dass man ab 1966 als „Joy & The Hit Kids“ auftrat. Aus dieser Formation entstand später „Joy Unlimited“ – eine Band unter dem Motto "Fünf Boys tanzen nach der Pfeife eines Mädchens" (Original Bravo-Schalgzeile). Die Band bestand hochprozentig aus ehemaligen Musikstudenten der Mannheimer Musikhochschule und trat seit 1968 im SWF-Talentschuppen auf.

Joy & The Hit Kids spielten Beat und Pop, 7 Singles wurden veröffentlicht, einige der Songs davon sind auf der ersten LP der Nachfolgeband „Joy Unlimited“  von 1970 enthalten. Mit der Umbenennung der Band ging ein musikalischer Richtungs-Wechsel weg von typischer Beat-Musik hin zu eher komplizierter, leidenschaftlicher Musik.

Mitglieder dieser Band waren neben Joy auch Roland Heck und der im vergangenen Jahr verstorbene Gerd Köthe, die als Produzenten-Team insbesondere in den späten 70ern und frühen 80ern extrem erfolgreich waren (u. a. für Paola („Blue Bayou“), Costa Cordalis („Spiel Bouzouki“) und Peter Hofmann („Rock Classics“). Ein weiteres späteres „Joy Unlimited“-Mitglied war der Gitarrist Hans Lingenfelder, der als Ricky King – produziert von Heck und Köthe – überaus erfolgreich wurde.

Noch unter altem Namen („Joy And the Hit Kids“) nahm die Gruppe den Soundtrack für einen „anspruchsvollen“ Film Namens „Grimms Märchen von lüsternen Pärchen“, in dem für damalige Verhältnisse viel nackte Haut zu sehen war, auf. Joy sang das Titel-Lied des Films namens „Es war einmal“.

Aber auch anderweitig war Joy Fleming aktiv, so war sie Mitglied des Ensembles des am 31.10.1970 uraufgeführten Musicals "Tut, was Ihr wollt" von Donald Driver in deutscher Übersetzung von Mischa Mleinek in einer Inszenierung von Andreas Gerstenberg.

Nach 1971 stieg Joy aus "Joy Unlimited" aus und trat nur noch solo auf, wollte sich aber auf kein Genre festlegen und sang mal deutsche Schlager, dann wieder Pop oder Disco. Damals verpasste ihr Produzent ihr den Nachnamen Fleming.

Die ersten Schallplatten veröffentlichte  sie mit deutschen Original-Versionen internationaler Hits. Ihre erste Single, „Feuer“, war die deutsche Version des durch Peggy Lee zum Erfolg geführten Oldies „Fever“ (den Text schrieb übrigens Alexandra-Mentor Fred Weyrich).

Parallel erschien (mit der direkt folgenden Bestell-Nummer der Plattenfirma) der Song "Don't Let Him Touch You", der von einem seinerzeit erfolgreichen Hit einer Band namens "Angelettes" gecovert wurde.

Der Textdichter des 1968er Eurovisions-Liedes „Ein Hoch der Liebe“, Carl J. Schäuble, schrieb den Text zur dritten Single von Joy namens „Kinderhände“. Im Original handelt es sich hier um einen Joan-Baez-Titel („In the Quiet Morning“), den Baez‘ Schwester Mimi Farina für sie als Ode an die verstorbene Blues-Rock-Legende Janis Joplin schrieb. Die im gleichen Jahr erschienene kommerzieller gehaltene Single „Am Tag, als Conny Kramer starb“ von Juliane Werding, ebenfalls eine Eindeutschung einer Joan-Baez-Nummer, war deutlich erfolgreicher als der Joy-Fleming-Song.

Der erste Schallplatten-Erfolg war ein Song, den Joy selbst (mit) komponierte. Der im kurpfälzer Dialekt gesungene  „Neckarbrücken Blues“ kam als nicht nur regional, sondern sogar bundesweit gut an. Interessant war auch die Werbung, die dafür gemacht wurde – die Plattenfirma legte in einer Anzeige Wert darauf, dass der Song "im Roten Ochsen in Hegnach 987 mal lief". Verkaufs-fördernder war aber vermutlich, dass der Hit am 7. Mai 1973 im "Musik aus Studio B." vorgestellt wurde.

In dieser Zeit machte sie erste Erfahrungen bei einem internationalen Musikwettbewerb. Beim „World Popular Song Festival“ belegte sie einen sehr guten zweiten Platz. Ihre Platten wurden teilweise sogar in den USA veröffentlicht.

Die Nachfolge-Single, "Change It All" (auch in deutscher Sprache unter "Such' keine and're Welt" eröffentlicht) konnte an diesen Erfolg nicht anknüpfen.

Besser lief es wieder mit einer deutschen Cover-Version des Liedes eines Weltstars – aus Chers "Half Breed" machte Texter Schäuble "Halbblut". Dieser Song wurde so populär, dass Joy Fleming damit sogar am 15.12.1973 in Dieter Thomas Hecks Hitparade auftreten durfte (ihr einziger Auftritt in der Heck-Ära). Der Song war auch ihr erster Titel, der die deutschen Verkaufs-Charts stürmte (Platz 38; 4 Wochen platziert).

Im Jahr 1974, Joy Fleming dufte im Rahmenprogramm des Festivals "Goldener Orpheus" in Bulgarien auftreten, schrieb Weltstar Stephen Stills ihr den Song "Rock Town", der als nächste Single veröffentlicht wurde. Parallel erschien eine viel beachtete LP mit Live-Aufnahmen.

Nachdem das nicht so funktionierte, besann man sich mit "Kall oh Kall", einen untreuen Zeitgenossen, wieder auf den Dialekt-Gesang, aber auch das schlug nicht so ein wie gewünscht. (1979 drehte sie übrigens den Spieß um, indem sie (mit sexy Coverfoto übrigens) in der deutschen Version des Bonnie Tyler-Hits "Married Men" feststellt: "Er ist ein Ehemann".

Im Januar 1975 schaffte es Flemings Produzent und Platten-Boss Peter Kirsten mit einem Trick, Joy als deutsche Vertreterin zur Musikmesse "MIDEM" zu lotsen, indem er sie Top-Hits wie "Rock Around the Clock" und "Bad Bad Leroy Brown" singen ließ, was zu einem Erfolg avancierte.

Nur einen Monat später nahm Joy Fleming an der prominent besetzten deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix Eurovision 1975 teil mit einem Lied von Rainer Pietsch und Michael Holm: "Ein Lied kann eine Brücke sein". Vor genau 40 Jahren stürmte dieser Grand-Prix-Klassiker die deutschen Charts. Nur mit Ausnahme-Chancen angetreten, gewann Joy überraschend den Wettbewerb und nahm den Sieg sogar noch an – das waren noch Zeiten…

Beim internationalen Wettbewerb hatte Joy Fleming jedoch zur großen Überraschung vieler Beobachter keine Chance. Wenngleich sie ihre stimmlichen Live-Qualitäten voll ausspielen konnte und auch kurz die (ebenfalls auf Single erschienene) englische Version, "Bridge Of Love", mit einbaute, gaben Dinge wie ihr grünes Kleid mit goldenen Ketten Marke "Tannenbaum" oder das Gestampfe des Dirigenten (Komponist Rainer Pietsch) den Ausschlag, dass es an dem Abend nicht funktionierte. Im Gegensatz zu sehr vielen Grand-Prix-"Flops" ist der Song jedoch NICHT in der Versenkung verschwunden, sondern ein echter Klassiker geworden, der bis heute von Kultsängern wie Guildo Horn interpretiert wird. Auch ein großartiges Buch zum wohl weltweit wichtigsten Musikwettbewerb trägt den Namen dieses Klassikers – "Ein Lied kann eine Brücke sein".

Warum Joy Flemings Songs nicht ganz groß raus kamen, begründete der erfahrene Schlager-Produzent Christian Bruhn wie folgt: „In Europa sind nun mal der Marsch- und der Walzer-Rhythmus erfunden worden und nicht der Blues und der Swing“.

Als Nachfolge-Single für Joys größten Hit wurde die deutsche Version eines Klassikers von Otis Redding gewählt: Aus "Respect" wurde "Geld". Obwohl von einem der arriviertesten deutschen Textdichter getextet, Michael Kunze, der in dem Jahr z. B. mit Udo Jürgens' "Griechischem Wein" große Erfolge feierte, floppte dieser Titel genau so wie die drite 1975er-Veröffentlichung, die Jerry-Rix-Komposition (Text erneut Michael Kunze) "Für Dich würd' ich durch's Feuer gehen". Erstaunlich, dass ausgerechnet die Amigos mit "Ich geh für Dich durch's Feuer" mit ähnlichem Thema Jahrzehnte später weit erfolgreicher waren :-)…

Im Jahr 1977 schwamm Joy auf der Disco-Welle mit, indem sie sich ihre Lieder von Sylvester Levay schreiben bzw. produzieren ließ, der damals mit der Silver Convention ja weltweit Erfolge feierte. Dem originellen "Ich sing fer's Finanzamt" (veröffentlicht ausgerechnet in dem Jahr, in dem Udo Jürgens ja auch angesichts der Steuer-Streitigkeiten auch für's Finanzamt sang, weil ja sowohl Österreich als auch Deutschland seine Steuern haben wollten, was in Summe mehr als 100 % der Einnahmen ausmacht) folgten die wenig beachteten englischsprachigen Levay-Songs "Are You Ready For Love?" und "I Only Wanna Get Up And Dance".

Da diese Versuche scheiterten, wurde die langjährige Zusammenarbeit mit ihrem Produzenten Peter Kirsten und dessen Plattenfirma Global Records beendet.

Über viele Jahre erschienen keine weiteren Tonträger von Joy Fleming, bis 1983 der umtriebige Ralph Siegel sie unter Vertrag bei seinem Label Jupiter Records nahm.

Leider wurden auch die dort veröffentlichten Lieder ("Nicht mal bis 3 zählen kannst Du Zwerg", "Wie ein Fels", "Helden werden auch mal älter",  "Dance Tonight", "Wie ein Felsen" und "Zu viel Gefühl" zu keinen Erfolgen.

Erst 1986 machte sich Joy Fleming wieder einem breiteren Publikum gegenüber bemerkbar – erneut brachte der Grand Prix Eurovision bzw. dessen Vorentscheidung ihr Glück, ihr Gesangs-Partner und eine ominöse Flötistin, die ihr damals in ihren Gesang "reinflötete" allerdings weniger. Das im Duett mit Marc Berry gesungene, erneut (wie schon der Brücken-Song) von Rainer Pietsch komponierte Lied "Miteinander" brachte es "nur" auf einen vierten Platz der Vorentscheidung, was laut übereinstimmender Meinung vieler Experten NICHT an Joy lag.

Danach wurde es erneut viele Jahre ruhig um Joy. Erst der Hype um Kult-Sänger Guildo Horn, auf dessen legendären "Danke"-Album Joy mitwirkte, brachte sie wieder einem größeren Publikum in Erinnerung. Vielleicht nicht zuletzt dessen Eurovisions-Erfolg geschuldet, entschied sie sich, 2001 sich noch einmal dem Wettbewerb zu stellen mit beachtlichem Erfolg: Nur knapp von Michelle geschlagen, erlangte sie mit dem Song "Power of Trust" mit den Gesangspartnerinnen Lesley und Brigitte einen guten zweiten Platz.

Seinerzeit nahm sie sich Zeit für ein Interview mit einer Journalistin, weil sie sich freute, dass sich nicht alle nur für Michelle, sondern auch jemand für sie interessierte. Als die Frage danach kam, warum sie nicht vor 2001 sich schon mal für die Eurovision beworben habe, musste sie allerdings schlucken…

Beflügelt vom guten Abschneiden des Vorjahres, versuchte sie es 2002 zum (vorerst) letzten mal mit dem Grand Prix – diesmal versuchte sie es mit dem "Jambalaya Chor" gemeinsam mit dem Song "Joy to the World". Siegerin Corinna May gab sich der damals merkwürdigen Unsitte hin, die Wahl auch anzunehmen, so dass Joy sich erneut knapp geschlagen geben musste.

Sie blieb dem Grand Prix dennoch treu, indem sie mit Stefan Raab zusammen den geeigneten Eurovisions-Kandidaten im Rahmen des Castings "SSDSGPS" suchte und mit Max Mutzke auch fand.

Joy Fleming ist der Beweis dafür, dass man auch mit nur einem echten Hit, der vor genau 40 Jahren in die Charts kam, eine langjährige Karriere absolvieren kann, wenn das musikalische Fundament stimmt.

 

VORSCHAU: In Teil 15 dieser Serie geht es um den TV-Moderator und Musiker Michael Schanze.

Stephan Imming, 11.03.2015

http://www.joy-fleming.com/

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