DIE CAPPUCCINOS
"Zusammen stark" – Stephan Imming über die via Crowdfunding finanzierte CD des SchlagerPop Trios!
Musik top – Texte – na ja – so sein Resümee…:
Nach langen Jahren der Zusammenarbeit mit ihrer Entdeckerin, Songschreiberin und Produzentin Kristina Bach standen DIE CAPPUCCINOS ohne Plattenvertrag und Produzentin da. Guter Rat war teuer – die Fanbase war ja durchaus vorhanden, aber es war schwierig auszuloten, wie es vermarktungstechnisch mit den Jungs weitergehen könnte.
Nach dem Ausstieg des Bandmitglieds Robert Kaufmann blieben noch die niederländischen Brüder René und Michel Ursinius sowie der blonden Thüringer Peter Brückner übrig, die ihr Schicksal selber in die Hand nahmen und erstmals ein Schlagerprojekt zu einem Crowdfunding-Projekt gemacht haben. Das heißt, sie haben sich um die komplette Finanzierung ihrer neuen CD selber gekümmert und machen auch Vermarktung und Vertreib weitestgehend autark, d. h. unabhängig von großen Plattenfirmen.
Das bedeutet auf der einen Seite zwar große künstlerische Freiheit, auf der anderen Seite aber unglaublich viel Arbeit, "Klinkenputzen" und Durchsetzungsvermögen. Dass es der "Boygroup" dennoch gelungen ist, allen Widerständen zum Trotz ihre fünfte CD derart erfolgreich anzuschieben und auch ohne große Plattenfirma im Rücken mehrfach die Top 50 der deutschen CD-Charts zu stürmen, kann man gar nicht genug anerkennen und ist sicher das Ergebnis eines unglaublichen Kraftakts, vor dem man nur den Hut ziehen kann. – Zu den Songs im Einzelnen:
Die CD startet antreibend mit dem Song "Lass uns lieben", in dem es darum geht, dass eine Frau unverhofft zurück zu ihrem Liebsten zurück kommt, der davon wohl angetan ist. "Du kamst zu mir – am Abend – weil wir uns liebten" – im Umkehrschluss heißt das wohl, dass die Dame nicht "gekommen" wäre, wenn man sich nicht geliebt hätte? – Vermutlich soll man solche Texte nicht zu wörtlich nehmen.
Der Gute-Laune-Song "Lila Feuerwerk" zeigt, wie modern die Cappuccinos sind, indem sie einige erfolgreiche Elemente der aktuellen Schlager- und Popszene zusammenfügen – das Intro klingt beispielsweise verdächtig nach Beatrice Eglis "Mein Herz", und die Textpassage "Ein Hoch auf uns" kommt mir auch irgendwie bekannt vor. Und auch in den "lila Wolken" kommt ja ein Feuerwerk vor, so dass es nicht weiter erstaunt, dass das Feuerwerk lila ist. Aber besser gut geklaut als schlecht selbst gemacht – der Song vermittelt gute Laune und ist zum Mitsingen gut geeignet.
"Wer das Leben liebt" ist ein fröhlicher Schlager, der im Stil früher Jack-White-Kompositionen für Tony Marshall gehalten ist und mit seinem Country-Shuffle etwas an Texas Lightning ("No No Never" erinnert). Die positive Grundstimmung mit dem Hinweis, immer dem Leben positiv gegenüber gestimmt zu sein… Der Text von Tobias Reitz hat mich übrigens total irritiert: Michelle sagte ja: "Wer Liebe lebt, wird unsterblich sein". Nun ergibt sich aber die Erkenntnis: "Wer das Leben liebt, wird unsterblich sein". Auch die Formulierung "Wir bleiben wie wir war'n – heute und in hunderten Jahr'n" lässt aufhorchen: fehlt da nicht ein "VON"? Eins steht fest: "Wer das Leben liebt, der hat viel kapiert", – "Man weiß doch, das Leben hat – gut(!?) 360 Grad" – puuh… aber ganz andere Schlager haben trotz (oder gar wegen) solcher Schüttelreime großen Erfolg gefeiert – und die Nummer ist durchaus eingängig.
Der Reggae-Rhythmus, der (wie Kollege Stürenberg ja auch schon richtig feststellte) an Winds "Lass die Sonne in Dein Herz" erinnert, leitet die deutsche Version eines niederländischen Superhits von "Nick & Simon", "Rosanne", ein – dort war der Song über ein Jahr in den Hitparaden und ein Top-10-Hit. Die gefällige Komposition gibt meines Erachtens auch viel her, der Song ist wirklich ein exzellenter Ohrwurm und wurde entsprechend von den Cappus auf Single ausgekoppelt und war auch in einigen TV-Shows zu bestaunen, beispielsweise in Andy Borgs letztem Musikantenstadl.
Das niederländische Original besticht für mich dadurch, dass die beiden Sänger Nick und Simon im Ping-Pong-Verfahren sich abwechseln bei ihren Überlegungen zu Rosanne (, die im Original übrigens mit "aah" und nicht international mit "ääh" ausgesprochen wird). Zwischendurch singen die beiden zweistimmig. – Da die Cappuccinos zu dritt sind, hätte ich mir an diesen im Original zweistimmigen Passagen Dreistimmigkeit gewünscht – na, vielleicht ist das meiner persönlichen Vorliebe für Mehrstimmigkeit geschuldet. Der Leadgesang kommt auch ausschließlich von René – für mich wäre abwechslungsreicher gewesen, wenn die anderen beiden auch Teile der Strophen singen dürfen. Die Choreografie der Jungs ist jedenfalls witzig und macht Spaß, "nachzutanzen".
Mit einem an den Ricci et Poveri-Klassiker "Mamma Maria" erinnernden Intro startet der Song "Tief in mir", in dem es wohl darum geht, dass eine Beziehung einerseits schön ist, aber "tief in mir" Zeichen sind, die gegen ein Happy End sprechen.
Als bekennende Egli-Fans müssen die Cappus natürlich auch deren Zitat (Verlieben, verloren,) "gelacht und geweint" in einem Song unterbringen – die Ballade "Wir sehen uns wieder" bietet sich dafür an. Ich hatte erst überlegt, ob Komponist Mitch Keller ein Pseudonym Ralph Siegels sein könnte, weil der ja unter gleichem Titel mal einen gleichnamigen Lena-Valaitis-Eurovisions-Song komponiert hatte, aber Komponist Mitch Keller ist ein Berliner Musikschaffender – wieder was dazugelernt. Die Ballade lebt von der Komposition. Bei diesem Song wirkte erstmals das "City Of Prague Philharmonic Orchestra" mit – schöne Streicher-Einlagen unterstreichen die romantische Melodie.
Weiter geht es mit dem Laith Al-Deen-Klassiker "Bilder von Dir" – ach nee, es handelt sich auch hier um ein neues(!) Lied, in dem es darum geht, dass der Verlassene sich nach der Verflossenen zurücksehnt: "Ich vermisse die Nächte deine Haut" (so, also ohne Satzzeichen, steht es im Booklet – was damit genau gemeint ist, erschließt sich mir nicht genau). Die Lösung ist doch ganz einfach – im Opener-Song kommt doch die Angebetete zurück, also ist alles in Butter. Interessant ist übrigens, dass eine Männergruppe darüber singt, dass die schnöden "Bilder" nicht ausreichen und doch nur Hautkontakt das Wahre sei – da zeigen sich die Cappuccinos doch mal als echte Frauenversteher…
Track Nummer 8, erneut unterstützt vom Prager Sinfonieorchester, ist mein persönlicher absoluter Lieblings-Titel der Scheibe. Eine stimmige Komposition, ein im positiven Sinne handwerklich gut gemachter Schlager alter Schule – Strophe, Bridge, Chorus, am Schluss Chorus-Wiederholung mit stimmigem Schluss, in dem das Orchester alles gibt – sich steigernd aufeinander aufgebaut, Transposition in andere Tonart – dazu auch klassische Musikinstrumente und interessante Akkordfolgen jenseits des Drei-Akkorde-Schemas – da lacht das Schlager-Herz. Den Song könnte man so auch zur Eurovision schicken. Okay – der Inhalt des Liedes (gehörnter enttäuschter Mann findet neues Glück) ist in vielen Schlager-Klassikern wie "Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben" zu finden – aber "Du warst nicht zu verhindern" ist schon eine nette Text-Idee, und Udo Lindenberg ist widerlegt – man kann ein Herz eben doch reparieren nach Meinung der prominenten Textdichter Roland Kaiser und Andy Tichler.
Interessant ist auch die Produktion "Wahrheit" in ungewöhnlichem Rhythmus (hoffentlich liege ich mit 6/8-Takt richtig), das mich im Arrangement etwas an Santiano-Produktionen erinnert. Recht pathetisch und dramatisch geht es um die Schilderung der Phase zwischen heißer Liebe und Trennungsschmerz. Auch hier sind Textholprigkeiten wie "klingt ein Schrei aus mein'm Herz", "folge wehrlos mein'm Herz" (richtig: meinem Herzen), "und seh' ein Negativ von Dein'm Gesicht", "Weil uns're Nacht gab mir ne neue Sicht" (statt "weil uns're Nacht mir eine neue Sicht gab") – das ist meines Erachtens für eine moderne Schlagerproduktion nicht mehr zeitgemäß – es sei denn, man setzt hier wohl auf Old-School-Schlager, wie es beim nächsten Song der Fall ist.
In bester Vicky-Leandros und Demis-Roussos-Tradition wird dann ein Schlager ganz alter Schule präsentiert: "Oh Magdalena" hätte auch ein Rex Gildo– oder Bata Illic-Song sein können. Wobei weniger manchmal mehr ist – einfach gehaltene Kompositionen müssen nicht immer die schlechtesten sein, wie diese Produktion beweist. Auch der frivole Text "Komm sei mein Engel heut Nacht – und zeig es mir – , was spanisches Feuer mit Dir macht" erinnert an Roland Kaisers Frühwerk: "Manchmal möchte ich schon mit Dir"…. :). Den Titel könnte man sicher ohne weiteres auch den Amigos kredenzen…
25 Jahre nach Matthias Reims "Verdammt ich lieb Dich" ist dessen Problem mit seiner Angebeteten geklärt: "Seit ein paar Wochen schon – geh ich nicht ans Telefon" singen die Cappuccinos – also wenn Matthias Reims Ex solche Erfahrungen mit ihrem Verflossenen hatte, ist es kein Wunder, dass sie ihn nicht anrief und er daher bedauern musste: "es klingelt – klingelt aber nicht". – Aber Spaß beiseite – nach ein paar Highlights ist "Nicht überlebensfähig" für mich ein Füll-Song, der so daherplätschert, da hilft auch das Orchester nicht weiter – sorry…
Mit "Affären tun weh" ist das Dutzend voll – ein Lied, wie es auch auf jede "Tanzplatte des Jahres" von Hugo Strasser oder Günter Noris und Konsorten gepasst hätte. Jedenfalls habe ich dazu erst mal einen Rumba getanzt – na ja, also das, was ich dafür halte. Geschrieben wurde der Text überwiegend von Niederländern – "Tol und Tol", Jan Smit und René Ursinus waren daran beteiligt – vielleicht kommt man deshalb auf Reime wie "Paar – Jahr'n" und "groß – Risiko". – Auf jeden Fall zeigen sich die Cappus mal wieder als Frauenversteher: "Die Versuchung war zu groß – Affären tun weh" – ja, der "Prinz auf dem weißen Pferd" ist nicht der, der solchen Versuchungen nachgeht.
Nachdem eigentlich alle aktuellen Strömungen deutschsprachiger Pop- und Schlagermusik auf der aktuellen Cappuccinos-CD zu finden waren, hatte ich fast schon Sorge, dass DER Super-Hit der letzten Jahre fehlen würde. Sollte man ausgerechnet die Mentorin Kristina Bach vergessen haben, die mit "Atemlos" ja den Hit ihres Lebens schrieb? Mitnichten: "Das wird 'ne Wahnsinnsnacht" liefert Attribute dieses Superhits – aus "wir ziehen durch die Straßen und die Clubs dieser Stadt" wird "Samstagnacht komm wir ziehen los – nehmen Kurs auf alle Clubs der Stadt" – und aus "Atemlos – einfach raus – Deine Augen ziehen mich aus" wird "Du ziehst mich aus mit Deinem kessen Blick" – geht doch! 🙂 – Leider fehlt dem Song musikalisch die treibende Kraft des Helene-Fischer-Hits.
Von ihrer CD verabschieden sich die Cappuccinos sinnigerweise mit dem romantischen Song "Goodbye", bei dem noch mal das Prager Orchester zum Einsatz kommt. In bester "Merci Cherie"-Manier verabschieden sich die Musiker von ihrer Flamme, weil: "Das Gefühl ist längst nicht mehr … Geh doch fort, komm nie mehr her". – Die schöne Ballade ist ein würdiger Abschluss einer vielseitigen und insgesamt gelungenen CD.
Unter dem Strich muss man den Cappuccinos zu ihrer Produktion gratulieren – es handelt sich um eine moderne Schlager-CD, mit der Neuland betreten wurde – im Wege des Crowdfundings so ein Projekt anzugehen und sich dabei Unterstützer zu holen, die im Booklet genannt werden – das zeugt davon, dass die Jungs bereit sind, "anzupacken".
In einem Punkt muss ich dem Rezensenten Holger Stürenberg recht geben – bei vielen der Texte der CD sträuben sich mir schon etwas die Nackenhaare. Die deutschsprachige Musikszene hat sich in den letzten Jahren exzellent entwickelt, und das liegt nach meiner Einschätzung auch daran, dass eben solche Reime wie "Paar – Jahr'n" etc. , die früher gang und gäbe waren, kaum noch vorkommen.
Erklärungsansätze gibt es schon dafür – René Ursinus' Muttersprache ist ja meines Wissens nicht deutsch. Und Tobias Reitz schreibt sonst meines Erachtens stimmigere Texte – aber da sehe ich so etwas wie das "Irma Holder-Phänomen": Irma Holder schrieb für Udo Jürgens exzellente Texte wie "Damals wollt ich erwachsen sein" – dort textete sie: "Als Kind darf man weinen und braucht sich nicht ZU schämen". Sie weiß also, dass brauchen mit "zu" gebraucht wird. Dennoch textete sie Jahre später für Patrick Lindner: "Dann brauchst Du gar nicht der Größte sein – es zählt nur das Herz allein" – ohne "zu" – man gewinnt also den Eindruck, dass sie sich quasi auf das Niveau des Interpreten und seiner Zuhörerschaft begeben hat. So unsinnig das im Fall "Holder" schon war – im Fall der Cappuccinos finde ich so eine Herangehensweise nicht zielführend, weil die ja schon ein sehr breites musikalisches Spektrum haben.
In einem Interview erzählte Tobias Reitz kürzlich, ein guter Text zeichne sich dadurch aus, Plattitüden wie "ich liebe Dich" etc. zu vermeiden, sondern kreativ gewisse Dinge zu umschreiben. "Lass uns lieben – nichts versäumen… weil wir uns liebten – jede Nacht" – also ich weiß nicht, für mich zeugt das nicht gerade von Kreativität – mit Verlaub.
Musikalisch gibt es an der CD wenig zu meckern – insgesamt hätte ich mir viel mehr dreistimmigen Satzgesang gewünscht – aber wie erwähnt ist das sicher Geschmackssache.
Aber genug gestänkert – jeder soll sich ein eigenes Bild machen. Und wer schlageraffin ist und mal nicht die ewig gleichen Nebel/Silbereisen-Protagonisten hören will, dem sei die CD der Cappuccinos unbedingt ans Herz gelegt. Der Mut und der große Einsatz für dieses Projekt sollte belohnt werden.
Stephan Imming, 26.07.2015
http://www.20fifteenmusic.com/
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