CHRISTIAN ANDERS
Die CD "SREDNA" ("ANDERS") im Test von Holger Stürenburg!

„SREDNA“ ist nichts weiter als „ANDERS“ rückwärts…! Und ein bisschen anders war Christian ja schon immer…: 

Es gibt im einheimischen Spannungsfeld zwischen Schlager und Pop kaum einen Stilvertreter, der mehr polarisiert und mit vollster Überzeugung streitbar und schlitzohrig zugleich zu öffentlichen, oft harsch und mit harten Bandagen geführten Debatten einlädt, geradezu reizt, als ihn. Für einige seiner engsten Fans bedeutet er fast ein Höheres Wesen,  andere schieben ihm nur den miesen Ruf eines Scharlatans zu. Für manche ist er nicht mehr als ein wortstarker Maulheld mit aufgeplusterten Phrasen und nichts dahinter, wiederum andere verehren ihn hingegen im Sinne eines quasireligiösen Wegweisers. Auf jeden Fall ist er seit Anbeginn seiner Karriere – wie der Name schon sagt – anders… eben… CHRISTIAN ANDERS.

Genau dieser singende Störenfried aus tiefstem Herzen, dieser positive Quälgeist, ist im Januar d.J. stolze 70 Jahre jung geworden. Er ist seit knapp einem halben Jahrhundert bienenfleißig schöpferisch im globalen Musikbusiness tätig. Daher kennt er alle Höhen und Tiefen, alle maßgeblichen Spielregeln und Grundsätze des Haifischbeckens Popindustrie wie aus dem FF – und ist dadurch begründet natürlich jederzeit in der Lage, all diese scheinbar dogmatischen Gegebenheiten gehörig durcheinanderzuwirbeln, deren Rahmen gekonnt zu sprengen, regelmäßig konsequent zu provozieren, aufzuregen, aber auf diese Weise in einem Atemzug intensiv zum Nachdenken und Weiterdenken zu animieren. Er beschäftigte sich eingehend mit Esoterik und verschiedenen Religionen, stellte immer wieder waghalsige medizinische, theologische und gesellschaftspolitische Thesen auf – und – smago! Leserinnen, -Leser und ganz besonders die steten Nutzer und Betrachter des smago! Gästebuches wissen nicht nur ein Lied davon zu singen – genießt es in vollsten Zügen gen Nirgendwo, Freund wie Feind, ein ums andere Mal in – mal negative, mal positive – Rage und Aufruhr zu versetzen.

Abgesehen von all diesen unabdingbaren Provokationen – bei denen man niemals so leicht erkennen kann, ob der am 15. Januar 1945 in Bruck an der Mur in Österreich geborene Sänger, Komponist, Texter, Musical-Librettist, Filmschauspieler, Ex-Karate-Lehrer, Quartals-Guru und Kurzzeit-Obdachlose alles, was er so von sich gibt, wirklich ernst meint, oder ob nicht vielmehr das Kalkül dahinter steckt, den ohnehin schon verworrenen Thesen und Themen des Alltags mittels noch verquererer Gedankenspiele einen gleißend ironischen Spiegel vorzuhalten – zählt Christian Anders nun mal seit Ende der 60er Jahre zu den begnadetsten, vielfältigsten und auch nach 45, 50 Jahren weiterhin stimmstärksten Schlagersängern, die die teutonische Popnation so aufzubieten hat. Zudem hat der gleichsam als Schriftsteller, Drehbuchautor und Geschichtenerzähler sehr gefragte Selfmade-Man fraglos ein paar unvergessliche Genrehöhepunkte in seinem Repertoire, die noch heute zu den unzerstörbaren Dauerbrennern auf Schlagerparties und Disco-Feten in ganz Europa gerechnet werden müssen, selbst wenn, seine letzte Chartsnotierung in den offiziellen „Media Control“-Hitparaden, die da hieß „Verliebt in den Lehrer“ (1979), schon mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt.

Nach seinem letzten vollständigen Studio-Opus „Explosive Leidenschaften“ aus dem Jahr 2006, hat Christian Anders in der jüngsten Vergangenheit überwiegend mit teilweise durchaus kessen, andererseits jedoch oft unnötig zeitgeistigen, synthetisch aufgedonnerten, von allem womöglich altbacken wirkendem Ambiente befreiten, somit nicht selten nervös und krachend rhythmisierten Dancefloor-Auslegungen manch seiner Alt-Klassiker – z.B. „Ruby“ (Original: 1980), „Hinter verschlossenen Türen“ (1985) oder „Gespensterstadt“ (1983/84) – auf sich aufmerksam gemacht und damit auch in der jugendlich-hip beherrschten Club- und Nightlife-Szene Fuß fassen können. Ob diese häufig grell und laut aufmarschierenden Vorhaben geschmacklich immerzu auf der Haben-Seite zu verbuchen waren, bleibt eine Frage, die vermutlich von Generation zu Generation auf die unterschiedlichste Weise beantwortet wird.

Nun also, aus Anlass seines 70. Ehrentages, gönnt der langmähnige Jubilar sich und all seinen immer noch zuhauf vorhandenen Fans, wie natürlich ebenso seinen nicht weniger phonstarken Neidern, Kritikern oder einfach solchen Menschen, die seine absichtlich radikal anmutende Überdrehtheit nicht umgehend nachvollziehen wollen oder können, endlich (!) ein brandaktuelles Album mit ganz neuen, zuvor (nahezu) unveröffentlichten, von nur ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, durchwegs selbstverfassten – ja, man muss vorab sagen – realen Klangperlen, die „typisch Anders“ und somit eben, wie bei ihm üblich, „ganz Anders“ sind.

„SREDNA“ (oder schlicht „ANDERS“) nennt sich das bei Christians hauseigenem Musiklabel SÜSSMATZ Productions erschienene 13-Titel-Oeuvre, das vom ersten Takt an einwandfrei Zeugnis darüber ablegt, dass der umstrittene Kreativkopf aus der Steiermark noch lange, lange nicht zum sprichwörtlichen „alten Eisen“ gerechnet werden muss.

Wir hören auf „SREDNA“ in erster Linie eine Menge schneller, eloquent treibender Rockschlager voller Atmosphäre, Leidenschaft und hoch emotional überschäumenden Fluidums, oft sehr intelligent und betriebsam inszeniert im vollmundigen bis gar üppigen E-Gitarren-Gewand. Derlei phantasievolle und spritzige Liedbeiträge der Sorte „Die Nacht (Ich bin die ganze Nacht gefahren)“ – dies kennen wir bereits von Christians 2011er-Remix-Scheibe „Es fährt ein Zug 3000“, damals aber im eher mauen Disco-Fox-Kontext verhackstückt – „Lady (Lady of the Night)“ oder „Liebe (Die große Liebe)“ dringen frisch, jung, voranstrebend und offensiv aus den Lautsprechern. Kein Ton, keine Silbe lassen vermuten, dass der Interpret dieser tollen, flotten und vor allem strikt kompakt aufbereiteten Knapp-Vier-Minuten-Feinarbeiten gerade seinen 70. Ehrentag begangen hat. Dies alles rockt prächtig vor sich und versprüht glasklare Lebensfreude in Reinkultur, zeigt einen Künstler, der – auch und gerade in stimmlicher Hinsicht – scheinbar niemals altert und noch genauso sehnsuchtsvoll, herzzerreißend, manchmal überkandidelt und ins Melodramatische abgleitend seine klingenden Kunstwerke gesanglich verwirklicht.

Gleichermaßen rasant, beinahe gehetzt und regelrecht exzessiv explosiv wird’s im spannungsgeladenen, abermals E-Gitarren-geführten Gefühlsausbruch „Nimm mich (Nimm mich für ihn)“, von sanft einlullenden Akustikgitarren, Banjos und Mandolinen im Sinne der hippie-durchtränkten frühen 70er zehrt dagegen das – insbesondere dichterisch phänomenal eindringliche und festgefügte – folkig-gemächlich vor sich hin schleichende Kleinod „Sommermelancholie“, das in Sachen Authentizität, Flair und klanglichen Kolorits seinem trefflichen Liedtitel de Facto alle Ehre macht.

Co-Produzent und Komponist Willy Klüter (zuletzt v.a. mit Isabel Varell, Susan Ebrahimi oder Vivian Lindt höchst erfolgreich) hat, in wohliger Zusammenarbeit mit der Münchener Lyriklegende Dr. Bernd Meinunger, für den Göttlichsten aller Schlagergötter die erneut äußerst gefühlige, streicherverzierte, gewollt süßlich arrangierte Schmachtballade „Liebe meines Lebens (WK)“ verfasst, während der in Garmisch-Partnerkirchen geborene Producer Klüter das ekstatisch-urbane, sehr 80er-beeinflusste (klanglich einwenig an frühe „Modern Talking“-Popnummern gemahnende) Disco-Club-Meisterwerk „Kein Atemzug mehr ohne Dich“ gemeinsam mit dem ebenfalls seit über 30 Jahren hoch angesehenen, sudetendeutschen Liedautor Robert Jung für Christians neue Silberscheibe ersonnen hat.

Absolut außergewöhnlich und nun einmal, wie der CD-Titel schon sagt, gnadenlos „sredna“, erweist sich der so cool-verschnickte, wie heißblütig-elegante  New-Jazz-trifft-Mambo-Diamant „Marimba“. Hierbei handelt es sich um eine vom Meister selbst neu betextete, muttersprachliche Fassung der 1953 entstandenen Latino-Komposition „Quien Sera?“, die bereits – auf Englisch als „Sway“ – von US-Crooner Dean Martin, dem britischen Pop-Gentleman Cliff Richard oder erst 2003 von Popjazzer Michael Buble hitträchtig aufgenommen wurde. Christian zaubert aus diesem feurigen, mexikanischen Big-Band-Standard eine wiegende Edel-Elegie, mit zig Bläsern und Streichern, perlendem Jazz-Piano und softrockiger E-Gitarre angereichert, die unzweifelhaft das Zeug dazu hat, Christian Anders anno Domini 2015 nochmals in die offiziösen Singlehitparaden zurückzuführen.

Romantik und Sehnsucht pur und ohne doppelten Boden, so ehrlich, wie liebenswert pathetisch, zelebriert der gelernte Elektroinstallateur den so flehenden, wie wollüstig frohlockenden Up-Tempo-Gitarren-Hammer „Die schönste Frau (Die schönste Frau der Welt)“, der thematisch und von der Umsetzung her nicht unwesentlich an Christians hochkarätigen 1981er-Popohrwurm „Sag ihr, dass ich sie liebe“ (seinerzeit der fundamentale Christan-Anders-Einstieg für den damals knapp zehnjährigen Rezensenten) erinnert und sich inzwischen längst zum speziellen Favoriten meiner Person aus „SREDNA“ entwickelt hat. Properen, grundehrlichen Rock’n’Roll mit nur geringem Schlageranteil vernehmen wir im radikalen, rasenden Fetzer „Es begann mit einem Kuss“. Das prickelnd-wiegende Gefühlsgeständnis „Immer wenn Du gehst“ trägt hingegen etwas so Großbürgerlich-Chansonhaftes, wie herzzerreißend Jungverliebtes in sich und kann genauso problemlos als trefflicher Anspieltipp auf „SREDNA“ hervorgehoben werden.

Selbstverständlich kann es der Chefprovokateur des deutschen Schlagers im Rahmen dieses nahezu ausnahmslos als sehr gelungen und überzeugend einzustufenden Songzyklus keinesfalls lassen, seinen Zuhörern einen spezifisch geistlich-spirituell angehauchten, inhaltlich bei näherem Hinsehen jedoch schon arg aufgeplusterten, überdrehten Gospel-Versuch aufzutischen: „Warum?“, musikalisch eine sympathische, hymnisch-aufwiegelnde, gitarrenrockige Hippie-Hymne, verkündet überdimensional wirkende Philosophien, die allerdings, sofern man sie feiner analysiert, eiligen Schrittes zu liebgemeinten, aber letztlich nutzlosen Briefkastenonkel-Ratschlägen schrumpfen – bevor die programmatische, aber eher konventionelle Schlagerballade „Vorbei“ vorliegende Silberscheibe durchaus passend beschließt.

Kurzum: „SREDNA“ präsentiert 13 überwiegend kurzweilige, kraftvolle Edelschlager mit einer Menge Rock- und Pop (manchmal einer Prise Folk- und Swing)-Attitüde in sich, die fast vollständig auf gleichbleibend hohem Niveau agieren und sich entfalten. Tiefpunkte oder Ausreißer finden sich so gut wie gar nicht, spätestens nach dem dritten Durchlauf der CD geht einem so manche Melodie daraus schon nicht mehr aus dem Kopf. „SREDNA“ ist ein würdiges, qualitativ hochwertiges Lebenszeichen eines – trotz aller Diskussionswürdigkeit mancher seiner politischen Gedanken – weiterhin großartigen Künstlers des deutschen Schlager- und Popgeschehens, der, ohne alle ideologischen Dünkel betrachtet und bewertet, immer wieder wie im Schlafe dazu fähig ist, schier faszinierende Schlagersmaragde für die Ewigkeit auszutüfteln. Seine neue CD wirkt wie aus einem Guss, sie brilliert (und experimentiert) mit geschickten und kunstgerechten, eingängigen Melodien mitsamt gewohnt schwülstiger, empfindsamer und seelenvoller Reime, die man einmal genossen hat, um sie dann vorerst nicht mehr ad acta legen zu können. Die Ohrwurmwahrscheinlichkeit der meisten Titel von „SREDNA“ liegt bei punktgenauen hundert Prozent. Auf allzu aufwendige arrangementbezogene Anpassungen an den (je nach Sichtweise) seicht-belanglosen/bumsend-krachenden musikalischen Zeitgeist des Jahres 2015 verzichtet der Star unserer Generation der Kinder der 70er und 80er Jahre gottlob vollständig. „SREDNA“ ist jedem aufgeschlossenen und dennoch traditionsbewussten Freund aufregender, poppig-rockiger Schlager-Schmucksteine mit Herz UND Hirn jederzeit ans – ja, in trauter Zweisamkeit – Herz UND Hirn zu legen!

Holger Stürenburg, 07. bis 08. Februar 2015 (Textvorlage)
http://www.suessmatz.eu
http://www.christiananders.com/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen.

− 2 = 1

Diese Webseite benutzt Cookies. Aktuell sind Cookies, die nicht essentiell für den Betrieb dieser Seite nötig sind, blockiert. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind nur auf essentielle Cookies eingestellt. Um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. essentielle Cookies: PHP Session - Dieses Cookie ist nötig für die Funktion der Seite um wichtige Informationen an folgende Seiten weiterzugeben. nicht essentielle Cookies - Der Seitenbetreiber hat diese Cookies genehmigt, Sie sind sie jedoch deaktiviert: YOUTUBE-Videos - Beim Einblenden der Youtube-Videos werden Cookies von Youtube/Google als auch deren Partner eingebunden. Youtube und deren Partner verwenden Cookies, um Ihre Nutzererfahrung zu personalisieren, Ihnen Werbung basierend auf Ihren Interessen anzuzeigen sowie für Analyse- und Messungszwecke. Durch das Einblenden der Videos und deren Nutzung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu, die in der Cookie-Richtlinie auf https://policies.google.com/privacy?hl=de näher beschrieben wird. Spotify-Playlist - Beim Einblenden der Spotify Playliste werden Cookies von Spotify als auch deren Partner eingebunden. Spotify und deren Partner verwenden Cookies, um Ihre Nutzererfahrung zu personalisieren, Ihnen Werbung basierend auf Ihren Interessen anzuzeigen sowie für Analyse- und Messungszwecke. Durch das Einblenden der Playlist und deren Nutzung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu, die in der Cookie-Richtlinie auf spotify.de näher beschrieben wird.

Schließen