LESLIE MANDOKI zum "ECHO 2018"
Keine Toleranz für Intoleranz – "Weckruf mit Widerhall"!
Lesen Sie HIER einen über alle Maßen lesenswerten Gast-Kommentar von Leslie Mandoki …:
Tutzing. Als ehemaliger illegaler Einwanderer, der in seinem Geburtsland als musikalischer Rebell von der Diktatur verfolgt wurde und hier in Deutschland politisches Asyl bekam, wurde ich 1980 stolzer Bürger unserer „Bunten Republik“, wie mein Freund Udo Lindenberg Deutschland definierte. Als ich dann erstmals meinen deutschen Pass in Händen hielt, wurde mir klar, dass ich ab jetzt nicht nur emotional, sondern auch die pure Verantwortung trage würde – auch für die deutsche Vergangenheit. Ich bin Staatsbürger geworden, weil ich mich in dieses Land, seine Kultur, seinen Wertekanon und in die Menschen mit ihrer Mentalität verliebt habe. Ich war der tiefen Überzeugung, dass es in einem derart geläuterten Land, meinem geliebten Deutschland mit seiner Erinnerungskultur niemals wieder notwendig sein würde, die Mahnung „Wehret den Anfängen“ im Zusammenhang mit Antisemitismus ausrufen zu müssen. Umso lauter formte sich dieser Satz nun in mir bei der umstrittenen Verleihung des Echo an Kollegah und Farid Bang ausgerechnet am Tag des Holocaust Gedenkens mit brachialer Lautstärke: „Wehret den Anfängen!“.
Die Deutsche Phono-Akademie des Bundesverbandes Musikindustrie, dessen Mitglied ich bin, verleiht seit 1992 den Deutschen Musikpreis ECHO. Seither habe ich als Jurymitglied an jeder Verleihung teilgenommen. Somit fühle ich mich auch seit vielen Jahren dieser Musikpreisverleihung verbunden, durch die nun beschämenderweise vergangene Woche Künstler mit antisemitischen, frauenfeindlichen, gewaltverherrlichenden, homophoben Hasstexten ausgezeichnet wurden. Aber Musik ist immer ein Abbild der Gesellschaft und in Zeiten von Echokammern, Filterblasen und alternativen Fakten müssen wir musikalischen Rebellen als Teil der kosmopolitischen Elite aus Verantwortung wieder lauter werden! Waren wir von unserem bildungsaristokratischen Elfenbeinturm aus nicht geradezu besoffen von der Begeisterung über unsere edle Haltung der Weltoffenheit, die wir so narzistisch zur Schau gestellt haben? Selbstgefällig prahlten wir mit unserer Toleranz und haben dabei Räume geschaffen für Intoleranz.
Wir sind ein Einwanderungsland, jeder Fünfte hierzulande hat einen Migrationshintergrund und inzwischen erleben wir Antisemitismus auch in Schulen etwa in Brennpunkt-Gegenden unserer Hauptstadt ähnlich wie in bestimmten Stadtteilen von Brüssel oder Paris, wo sich Juden kaum mit einer Kippa auf die Straße trauen. Wir haben offensichtlich vermeintliche kosmopolitische Weltgewandtheit für wichtiger erachtet als Prinzipientreue, Verteidigung unseres lebens- und liebenswerten Wertekanons. Die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, dürfte sich in dieser Form eigentlich gar nicht stellen. Wir sind ein säkulärer Staat mit absoluter Religionsfreiheit. Die im Grundgesetz verankerten Grundrechte sind für jedermann verständlich nachzulesen und auch, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit dort an ihre Grenzen stößt, wo sie die Rechte anderer verletzt. In einer so weit entwickelten Gesellschaft sind Religion wie auch sexuelle Orientierung geschützte persönliche Privatsphäre. Aber es kann nicht zu Deutschland gehören, Kinder zu verheiraten, die Gleichberechtigung der Frauen in Frage zu stellen, Homophobie, Rassismus oder Antisemitismus zu schüren.
Und als wir dann so selbstgefällig, hochmütig und berauscht waren von unserer eigenen Güte, die Geflüchteten zu Recht aufzunehmen, haben wir versäumt, etwas für ihre nachhaltige Integration sehr Wichtiges zu tun. Nämlich, ihnen neben unserem Willkommensgruß auch unseren wertvollen Wertekanon und dessen Verbindlichkeit für unsere Gesellschaft nahezubringen und zu vermitteln. So entstand ein diffuses Gefühl, wonach unsere Werte, die sich nach den singulären Verbrechen der Nazis herauskristallisiert und durch unser Grundgesetz festgeschrieben sind, in irgendeiner Form zur individuellen Disposition stehen könnten. Und genau da werden jetzt die Rapper Kollegah und Farid Bang mit einem Preis ausgezeichnet trotz ihrer Verbal-Angriffe auf unseren Wertekanon. Wir alle müssen jetzt Konsequenzen ziehen und gesellschaftliche Verantwortung leben.
Danke, Campino, und alle anderen Künstler, die jetzt auch ihre Stimmen erheben. Wir wissen, verbalisierter, vertonter Antisemitismus ist durch Kunstfreiheit, Jugendkultur oder sonstigen ethisch-moralisch unhaltbare Verniedlichungen nicht zu rechtfertigen. Mit dem Statement meines Freundes Peter Maffay bin ich absolut im Konsens und habe tiefstes Verständnis für meinen Kollegen Klaus Voormann, mit dem ich immer wieder zusammenarbeiten durfte, dass er seinen Echo zurückschicken möchte.
Dieser ECHO – Eklat gibt eine grauenvolle gesellschaftliche Verschiebung wieder. Dass nach der Show Farid Bang am Mikrofon für seine antisemitischen, frauenfeindlichen, homophoben Hasszeilen abgefeiert wurde und das Partyvolk ausgelassen dazu tanzte, zeichnete ein bedrohliches Bild. Antisemitischer Hass ist wieder salonfähig geworden ist. Wir müssen jetzt alle gemeinsam aufstehen und den Anfängen wehren.
Was bei dem ECHO geschehen ist, ist auch ein Spiegel unserer Gesellschaft und dafür tragen wir alle miteinander Verantwortung. Wir müssen offen diskutieren und uns damit auseinandersetzen.
Gerne lade ich die beiden Herren zu mir ins Studio nach Bayern ein, um von Musiker zu Musiker zu diskutieren, was Kunst darf und wo die Grenzen überschritten sind.
In meiner geliebten „Bunten Republik“ Deutschland muss sich jeder Verfolgte, der zu uns geflohen ist, ebenso wohl und sicher fühlen dürfen, wie ein jüdisches Kind, das in Berlin mit einer Kippa in die Schule geht, weil in unserer Gesellschaft für Frauenfeindlichkeit, Homophobie oder Antisemitismus kein Platz ist.
Deshalb kann unser Credo nur lauten: „Keine Toleranz für Intoleranz!“
Foto-Credits: Red-Rock Production
Leslie Mandoki – übermittelt via Kahé PR & Dialog, Stefan Kahé
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