MATTHIAS REIM
Die CD "Phoenix" im Test von Holger Stürenburg!

Das Album ist seit heute (15.04.2016) erhältlich! 

Eigentlich gedachte der gebürtig aus dem nordhessischen Korbach stammende Sänger und Liedschreiber MATTHIAS REIM, im Jahr 2015 ein großangelegtes, rundes Jubiläum zu feiern. Denn im letzten Jahr vor genau einem Vierteljahrhundert war sein inzwischen längst Legendenstatus innehabender Dauerbrenner „Verdammt, ich lieb‘ Dich“ erschienen, mit dem „Matze“, wie seine hunderttausenden Fans den großgewachsenen, blonden Lebemann liebevoll nennen, inmitten einer Phase, in der deutschsprachige Popmusik nicht gerade den höchsten Stellenwert aufwies, einen monatelangen Nummer Eins-Hit erzielte und somit teutonische Musikgeschichte schrieb.

Im Sommer 1990, als alle Welt nur von der bevorstehenden Wiedervereinigung Deutschlands und den damit zusammenhängenden politischen Problemen sprach – von Wirtschafts- und Währungsunion, über die Fragen von NATO-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands und endgültiger Anerkennung der deutschen Ostgrenze, bis hin zu den ihren Schatten vorauswerfenden, ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen im Dezember jenen geschichtsträchtigen Jahres –, veröffentlichte Matthias Reim damals bei Polydor (heute liegen die Rechte hierfür bei Monopol/Zett Records, Berlin) die so aufbrausende, wie fragende, zweifelnde, kongenial stilübergreifend konzipierte Pop-Rock-Schlager-Melange „Verdammt, ich lieb‘ Dich“ – und siehe da, nach einem ersten Auftritt in Wim Thoelkes Donnerstagabendshow „Der Große Preis“, zog der Ohrwurm über die innere Zerrissenheit eines Mannes in Anbetracht seiner ungeklärten Gefühlswelten umgehend auf den ersten Rang der deutschen „Media Control“-Listen, verblieb dort ganze 16 Wochen, während das dazugehörige Debütalbum, schlicht „Reim“ betitelt, für sechs Wochen den Spitzenplatz der teutonischen LP-Charts für sich vereinnahmen konnte.

Aus Anlass dieses Jubiläums hatte MATTHIAS REIM für Sommer 2015 eine umfangreiche Open-Air-Tour veranschlagt – doch dann machte ihm die Gesundheit leider einen Strich durch die Rechnung. Bei dem heute 58jährigen Stehaufmännchen des deutschen Pop wurde, nach einem Leistenbruch, eine gefährliche Herzmuskelentzündung diagnostiziert, die den beliebten Künstler von Heute auf Morgen aus all seinen Planungen riss. Die laufende Tournee unter dem Motto „25 Jahre Verdammt, ich lieb‘ Dich“ wurde sofort gecancelt, sämtliche TV-Auftritte abgesagt, die für Spätherbst letzten Jahres vorgesehene Veröffentlichung eines neuen Albums – Arbeitstitel: „Drei Akkorde und die Wahrheit“ – bis auf weiteres auf Eis gelegt.

Ein halbes Jahr lang sorgten sich folglich die Fans immens um ihr Idol; niemand wusste, ob Matthias Reim jemals wieder auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zurückkehren könne. Doch am 20. Februar 2016, bei Florian Silbereisens „Glückwunschfest“ in der ARD, ging ein Aufatmen durch die einheimische Popszenerie: Matthias Reim war zum ersten Mal seit August 2015 wieder in der Öffentlichkeit zu sehen und stellte – stimmlich top wie eh und je, äußerlich gereift, aber weiterhin unzerstörbar, eine Art „deutscher Iggy Pop“ – seine aktuelle Radiosingle „Mein Leben ist Rock’n‘Roll“ vor.

Nun steht ab dem 15. April d.J. das so lange angekündigte Comebackalbum des toughen Frauenschwarms in mehreren Editionen zur Verfügung. „PHOENIX“, „Matzes“ Debüt bei der Münchener RCA/SONY, ist eine so aufrichtige, wie ungeschminkte und direkte Liedkollektion in bester kreativer Qualität, die ihrer Betitelung nach dem legendären Drachenvogel aus der ägyptischen Mythologie, der erst verbrennt und stirbt, dann wie durch ein Wunder aus der Asche aufsteigt und in ein neues Leben findet, inhaltlich und musikalisch mehr als nur gerecht wird bzw. den Kern der Sache in aller Konsequenz punktgenau trifft.

Ob autobiographisch und selbstkritisch oder einfach nur zum fröhlichen Abrocken, Abtanzen, Mitmachen geschaffen – man glaubt Matthias Reim jede dichterische Formulierung in seinen neuen Liedern aufs Wort. Denn, um diese famose Produktion überhaupt beenden und daran anschließend die für Spätsommer 2016 angesetzte Tournee ins Auge fassen zu können, musste der als waghalsig, oft vielleicht sogar leichtfertig bekannte Künstler seine Ess- und Trinkgewohnheiten radikal umstellen, das Rauchen aufs Minimalste reduzieren, sich auf viel Bewegung, Sport, eben einen gesundheitsfördernden Lebenswandel einlassen, bei dem ihn übrigens seine neue, alte Liebe, die junge Sangeskollegin Christin Stark, äußerst liebenswürdig und partnerschaftlich unterstützt.

Mit dem so aufregenden, wie aufstrebenden Gitarrenrocker „Das Lied“, der über eine gesungene Liebeserklärung erzählt, die der Künstler irgendwann mal in ferner Vergangenheit für eine Frau geschrieben hatte, die eben „das Lied“ niemals zu hören bekam, von dessen Existenz gar nichts weiß, und die das Lied-Ich doch so sehr geliebt habe, beginnt dieses faszinierende Beinahe-Konzeptalbum über den gesundheitlichen und menschlichen Wiederaufstieg des Matthias Reim. Untermalt und bereichert durch „Santiano“-ähnliche Irish Folk/Shanty-Elemente, zudem mit geringfügigen, aber ungemein verkaufsträchtigen Mittelalter-Einflüssen gefestigt, sorgt daraufhin das durchdringende, laute, wallende Liebeslied „Alles, was ich will“ dafür, dass sogleich weiterhin straight, munter und lebensfroh gerockt werden kann.

Im zunächst außerordentlich still beginnenden, dann stürmisch, nahezu vulkanisch aufschäumenden, dabei durch und durch eindringlichen und zutiefst ehrlichen Folk-Blues „Zu früh um zu gehen“ verarbeitet Matthias Reim kryptisch seine Gedanken und Empfindungen während seiner langen, schweren Krankheitsphase; das nochmalige Liebesgeständnis „Erlöse mich“ präsentiert sich hingegen als ein sich nach und nach zu einem rauschenden, rasanten, treibenden Powerrocker aufbauenden, anschwellenden Emotionshymnus zum Mitsingen und Mitfühlen.

„Träume“ ist ein nächtlich-mediterran inszeniertes, mit wehendem Akkordeon und lieblichen Streichern verfeinertes, nur hintergründig rockendes Pop-Chanson über eine surreale Reise mit der früheren Partnerin auf eine Insel, die auf keiner Karte steht; die graziöse, elitär-schwebende Poprock-Ballade „Asyl im Paradies“ stammt von der Ost-Rock-Band „Silly“ und gilt als einer der letzten Liedbeiträge, die Sängerin Tamara Danz kurz vor ihrem Krebstod 1996, für die von ihr 19 Jahre zuvor mitbegründete Truppe geschrieben hatte und aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbst ‚live‘ aufführen konnte.

Der schnelle, unmissverständliche, gehoben-stimmungsvolle, sehr erwachsene Gitarrenrocker „Mein Leben ist Rock’n’Roll“ verstrahlt einwandfrei Hit-Potential, resümiert das Leben des Matthias Reim augenzwinkernd, authentisch und wartet mit einer erklärenden Reminiszenz zur Entstehung seines größten und dauerhaftesten Evergreens „Verdammt, ich lieb‘ Dich“ auf. Demgegenüber legt die (folk)rockige, temporeiche Ode auf die so chaotische, wie lebenslustige Traumfrau „Marie“ mal wieder den draufgängerischen, hingerissen heißverliebten Matthias Reim an den Tag, der – wie schon so oft zuvor – einer temperamentvollen und unsteten Lady verfallen ist, von der er ganz genau weiß, dass sie keineswegs die richtige für ihn ist, ihn ein ums andere Mal nur ausnutzt, schockiert, ihn aber offenbar dennoch (oder gerade deshalb) für immer und ewig in ihren Bann gezogen hat.

Abermals in schleichendem, nachdenklichen, überaus intimem Kontext stilistisch beheimatet, eingeleitet nur von einem zerbrechlich anmutenden Piano, daraufhin zu einer expressiven, trotzdem gleichbleibend sanft und inbrünstig arrangierten Powerballade auswachsend, verbleibt das neuerliche Liebeslied „Drei Akkorde und die Wahrheit“, das vor der Krankheitspause des Künstlers ja anfänglich als Titelsong eines neuen Albums dienen sollte, welches dann aber nach Fertigstellung programmatisch und völlig zutreffend „Phoenix“ benamt wurde.

Abgeklärt, gedankenvoll, durchaus zweifelnd und unentschlossen, stellt sich Matthias Reim nun, von sachten, großstädtischen, poppig-bluesigen, entfernt an „Dire Straits“ und den ruhigeren Eric Clapton gemahnenden, höchst atmosphärischen Gitarrenklängen geführt, die Frage hinsichtlich einer zu Ende gegangenen Beziehung „Was zieht mich noch zu Dir?“; während er in der in den Strophen erneut bluesdurchtränkten, im Refrain jedoch strikt-offensiv drauflosrockenden, typischen Matthias-Reim-Komposition „Stoppschild“ seine Partnerin dazu auffordert, ihn im Hinblick auf seinen bei ihm regelmäßig durchbrechenden, wilden, ausschweifenden Lebenswandel immer wieder liebevoll und freundschaftlich zu bremsen, ihm sogar absichtlich Steine in den Weg zu legen, damit er nicht wiederum auf eine optionale ‚schiefe Bahn‘, sei es gesundheitlich, sei es finanziell oder amourös, geraten möge.

„Ich bin raus“, fetzig, eilend, voranstrebend, ist mal wieder ein krosser, knackiger, peitschender Deutschrocker per Excellance, von nur latentem, kaum spürbaren Popappeal gestört, bevor eine sehr bedächtige, gemächliche Pianomelodie, in die bald ebenso friedlich-gemütlich tönende Gitarreneinsprengsel integriert werden, auf den einzigen realen Tanz-Pop-Rock-Verschnitt auf vorliegender CD einstimmt: „Keinen Schritt zurück“ könnte, irreführend betulich beginnend, doch bald schnittig-flink loslegend, mit unerwarteten Fox-Rhythmen und –Effekten angereichert, ob der gerade diesem Titel überdeutlich innewohnenden Intensität und Eingängigkeit, fraglos einen weiteren, reputierlichen Single-Reißer aus „Phoenix“ bedeuten.

Die ausnahmslos akustisch gehaltene, sehr philosophische, hymnenhafte, mittels Dobro, Steel Guitar und Mandoline einwenig Country-angehauchte Ballade „Am jüngsten Tag“ beschließt diese geschmacklich hervorragende, vielschichtige, komplexe und für den Künstler selbst sicher enorm reflexive, innige, aber gleichermaßen zukunftsträchtige, musikalische Bestandsaufnahme der aktuellen Lebenswelten des Matthias Reim mit allen Ecken und Kanten, Fehlern, Erkenntnissen, und dem jederzeit spürbaren Willen zu Neuanfang, Umkehr und Selbstbesinnung.

Die meisten Titel von „Phoenix“ hat Matthias Reim eigenständig verfasst und – dies ist merklich zu spüren – zumeist sicherlich auch so oder ähnlich selbst erlebt. Support bei der Genese von „Phoenix“ erhielt er von seinem 18jährigen Sohn Julian und/oder seitens der unumstrittenen Songschreiber-Koryphäen Joachim Horn-Bernges und Andre‘ Franke, die beide gemeinsam u.a. mit Howard Carpendale immense Erfolge feierten. Die Produktion des Gesamtwerks übernahm der Husumer Tausendsassa Thorsten Brötzmann, der zuletzt u.a. mit Vicky Leandros, „Oonagh“ oder „D.J. Ötzi“ zusammenarbeitete. Nur die abschließende Ballade „Am jüngsten Tag“ entstand unter der Aufsicht von Christian Lohr, dem Förderer von z.B. Gregor Meyle oder „Adoro“.

Hier vorgestelltes Album stellt nicht mehr und nicht weniger dar, als eine – musikalisch, lyrisch, gesanglich –   fortlaufend geradlinige, kontinuierlich auf bestem, formvollendeten Niveau angesiedelte, grundehrliche, diesmal sehr textintensive Produktion, bestehend aus einer zielsicher und vortrefflich ausgearbeiteten Mischung aus besinnlichen, wie leidenschaftlichen Balladen und auftrumpfenden, kessen Rock-Pop-Nummern, wobei gerade diese häufig wohlklingend ausstaffiert wurden mit diversen Spielarten des Blues, des Folk(Rock) oder des Chansons.

„Phoenix“ bedeutet eine sehr ansprechende, überzeugende, sachdienliche Rückkehr eines großen deutschen Musikers in die höheren Gefilde der hiesigen Pop- und Rockszene. Es ist ein Album, das insbesondere zum regelrechten Eintauchen in die häufig sehr tiefgehenden, gehaltvollen, zum Sinnieren und Durchdenken animierenden Texte einlädt, es beinhaltet nicht im Geringsten substanzlose Trallala-Musik zum Nebenbeihören. „Phoenix“ ist vielmehr ein reifes, starkes Werk eines besonnenen, geläuterten, von einer schwerwiegenden Krankheit geheilten und genesenen Powermenschen, dem man unzweifelhaft abnimmt, dass er das Warnsignal, das von dieser Erkrankung ausging, erkannt hat, und künftig sein Leben anders, kompakter, konkreter, führen wird, als dies bisher der Fall war. Dieses angestrebte Vorhaben ist aus jedem Takt von „Phoenix“ unüberhörbar, charakteristisch und demonstrativ zu vernehmen und zu verspüren.

Holger Stürenburg, 11./12. April 2016
http://www.rcadeutschland.de/
http://matthiasreim.de/

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