UDO JÜRGENS, ALICE & ELLEN KESSLER, EDINA POP, DUSTY SPRINGFIELD, JACK WHITE u.a.
Das 3-CD-Set "Partykeller-Knaller" im Test von Holger Stürenburg!

Die Box wartet mit vielen großen Schlager-Oldies, aber auch mit einigen ausgesuchten Raritäten und Kuriositäten auf! 

Wenn man heutzutage den Begriff „Partymusik“ oder „Partyschlager“ hört, denkt vermutlich jeder Musikfreund zuvorderst an Ballermann, Apres-Ski oder „Schlager-Move“, an Mickie Krause, Willi Herren, Ina Colada oder Peter Wackel.

Dies stimmt insofern, als dass die aktuelle Szenerie des Partyschlagers tatsächlich von diesen Begrifflichkeiten bzw. Interpreten (und natürlich auch noch vielen, vielen anderen aus diesem Genre) bestimmt wird. Doch auch zu früheren Zeiten, vor vierzig, fünfzig Jahren, wurden in diesem unserem Lande mit großer Freude Tanzfeten und Musikpartys mit Schlagerhintergrund gefeiert. Um diesem Umstand zu gedenken, hat die Katalogabteilung von EMI/Universal nun ein ganz besonders spannendes und musikgeschichtlich höchst relevantes – dabei klanglich ein ums andere Mal einfach nur wonnig und launig durch die Boxen dringendes – Drei-CD-Projekt namens „PARTYKELLER-KNALLER“ zusammengestellt, welches – zu einem famosen Preis von nur ca. zehn Euro – vor einigen Tagen der Öffentlichkeit zugeführt wurde. Hierbei haben die Archivare in Berlin ausschließlich hauseigenes Material, das einst bei EMI, Polydor oder deren Unterlabels erschienen war, zusammengetragen, welches aus den Jahren 1957 bis 1979 stammt und, neben unzähligen allseits bekannten Gassenhauern und Evergreens, auch eine große Anzahl an ultrararen Schmankerln beinhaltet, die oft noch niemals zuvor im CD-Format erhältlich waren.

Für den Verfasser dieser Zeilen bedeutete die intensive Beschäftigung mit den insgesamt 60 „Partykeller-Knallern“ auf drei Silberscheiben eine kleine ‚Sentimental Journey‘ in seine frühe Kindheit. Viele der darauf verkoppelten Lieder hat mir ein Vater in den Jahren von Kindergarten und Grundschule ein ums andere Mal um die Ohren wehen lassen. Das Repertoire der Dreier-Box, als ich die Titelliste derselben kürzlich auf smago! erstmals las, rief bei mir sogleich Erinnerungen wach, etwa an den legendären, 1979 veröffentlichten Telefunken-Vinyl-Sampler „Hits mit Witz“, auf dem sich nicht wenige derjenigen 60er- und 70er-Partyhits befanden, welche nun, Dank der Kollegen bei EMI/Universal, geballt auf CD vorliegen, und der damals vor 35 Jahren auf dem Plattenspieler meines Herrn Vaters rauf und runter gespielt wurde. So hören wir gewiss die ganz großen Fetenhymnen der ausgehenden Adenauer-Ära, der wilden 60er und der so aufbruchstrunkenen, wie krisengeschüttelten 70er Jahre, die sowohl der heutigen 40plus-Generation, wie auch deren Eltern, fast allesamt in Fleisch und Blut übergangen sein müssten.

Da fordert etwa der augenblickliche Neo-Metaller Heino mit viel „Karamba, Karacho“ (und zackigen, südamerikanisch ausgelegten Tango-Klängen) einen „Whiskey“ (und einen Gin!) ein (1969), mag Gitte (Haenning) 1963 nicht auf ihre bürgerlichen Eltern hören und weder einen Bahnbeamten, noch einen ‚Filmfritzen‘ ehelichen, sondern stattdessen lieber „‘nen Cowboy als Mann“, oder treibt es den jungen Howard Carpendale dringlichst zum Autorennen nach „Indianapolis“ (1970), bevor er sich in das mutmaßlich traumhafte „schöne Mädchen auf Seite Eins“ irgendeines Versandhauskataloges verliebt. Schnulzenkönig Roy Black bekannte hingegen, in trauter Zweisamkeit mit der späteren Mrs. Oldfield, Anita Hegerland, „Schön ist es auf der Welt zu sein“ (1971), während der im westfälischen Kerpen lebende Londoner Graham Bonney mit seinem unvergleichlichen britischen Akzent „3-3-3“ ‚auf dem Telephone‘ wählte (1968), die Berliner Stilwandlerin Katja Ebstein, volkstümlich angehaucht, die von Texter Georg Buschor ersonnene Sage vom „Jäger“ erzählte, in dessen Leben „mancher Schuss daneben geht“, oder die rotmähnige Vamp-Chanteuse Margot Werner lasziv-erotisch hauchend zu deftigen Swing-Ragtime-Klimpereien fabulierte: „So ein Mann / So ein Mann / zieht mich unwahrscheinlich an“ (1976).

Getanzt, gefetet und – wie man damals formulierte – abgehottet werden darf auch zu Ralph Bendix‘ so humorvollem, wie kongenialen „Babysitter-Boogie“ (1961), wie gleichsam zu dessen gesungener Kongo-Expedition „Tumba Tumbala“ (1972), Erik Silvesters peppigem 1969er-Stomper „Zucker im Kaffee“, Benny Quicks rock’n’rolliger Ode auf die kesse „Motorbiene“ (1962) oder zu Dorthe Kollos witzigem Schlagerohrwurm „Wärst Du doch in Düsseldorf geblieben“ (1968). Die griechische Weltbürgerin Vicky Leandros ist mit dem leckeren Beat-Schlager „Grünes Licht“ (1967) mit von der Party-Partie, die skandalumwitterte Berliner Chansondame Hildegard Knef fabrizierte Frank Sinatras bläserverstärkten Edel-Samba „Coffee Song“ (1946) knapp 30 Jahre später, 1975, ausgestattet mit einem überkandidelten deutschen Text des Wiener Helmut-Qualtinger-Intimus Gerhard Bronner

Das norwegische Energiebündel Wencke Myhre hat gleich drei unvergessliche „Partykeller-Knaller“ vorzuweisen, die da heißen „Komm doch“ (1967), „Flower-Power-Kleid“ (1968) und – wie kann es anders sein? – „Er hat ein knallrotes Gummiboot“ (1970); ihr Münchener Gefolgsmann in Sachen Optimismus und Schlagerfrohsinn, Chris Roberts, steht zweimal auf der Tracklist („Mein Name ist Hase“, 1970, „Kesse Küsse“, 1973), die italienische Starentertainerin Caterina Valente jahrzehnteübergreifend gleich dreimal („Fiesta Cubana“, 1955, „Tipitipitipso“, 1957 und „Flamenco Espanol“, 1979) und, wiederum mit zwei Beiträgen gelistet, ist das schwedische Schlagergirl Lill Babs („Yes, Mister Superman“, „Heja, Heja, ein Sombrero“, beide 1962).

Dauerhaft ansprechende, wenn nicht gar ewig betörende, niemals verblühende „Partykeller-Knaller“ haben selbstverständlich auch die unvergleichlichen Schlagergottheiten der Wirtschaftswunder-Ära, wie Bill Ramsey („Wumba-Tumba-Schokoladeneisverkäufer“, 1959 bzw. „Pigalle, Pigalle“), Trude Herr („Ich will keine Schokolade“, 1959 bzw. „Tschitschibum“, 1961), Gus Backus („Da sprach der alte Häuptling“, 1960 und „Sauerkraut-Polka“, 1961) oder das Schweizer „Hazy-Osterwald-Sextett“ („Konjunktur-Cha-Cha-Cha“, 1960), vorzuweisen, die seitens der EMI/Universal-Archivare auf dieser faszinierenden Drei-CD-Box einen verdienten Platz eingeräumt bekommen haben.

Zu den „neueren“ Beiträgen auf hier analysierter CD-Kompilation, die wir Kinder der 70er und 80er in frühen Jahren unserer Adoleszenz noch ‚live‘ in den Hitparaden, Radio- und TV-Sendungen jener Tage miterlebten konnten, zählen z.B. Bata Ilics augenzwinkernd-doppeldeutiger, 20er-Jahre-inluenced-Jux-Ohrwurm „Ich möcht‘ der Knopf an Deiner Bluse sein“, Tony Holidays fescher Discorenner „Tanze Samba mit mir“ (1977), dessen rhythmisch und inhaltlich ähnlich ausgerichteter Tanzflächenfüller „Samba Ole‘ – Rumba OK“ (mit der konkurrenzlos doofen Textzeile „Das ist schön / jede Nacht / wird nur Bum-Bum gemacht“), Ireen Sheers bis heute ‚sheer‘ faszinierender 1978er-Eurovisions-Beitrag „Feuer“ oder die dralle Stimmungs-Auslegung des „GREASE“-Musical-Hits „You’re the One that I want“, im Original von Olivia Newton-John und John Travolta, mit deutschenglischem Blödeltext von Ex-„Rattle“ Frank Dostal verstehen, 1978 überkandidelt dargeboten von Helga Feddersen & Dieter Hallervorden.

Im Rahmen der unzähligen Raritäten unter den „Partykeller-Knallern“ wurden z.B. der aufgedonnerte, nahezu psychedelisch angehauchte Soulschlager „Alarmstufe Eins“ (1970) von der späteren „Dschinghis-Khan“-Sängerin Edina Pop oder deren mediterran-lebensfrohe 1969er-Single „Stop Amico“ ausgewählt. Die freche „Deutsche Originalaufnahme“ des „LUV“-Discothekenreißers „Casanova“, hier „Du bist ein Casanova“, gesungen von der darüber hinaus kaum bekannt gewordenen Sängerin Kirstin Lill (1979), oder die von ihrer Hamburger Schlagerkollegin Heidi Bachert – stimmlich und stilistisch unüberhörbar von Manuelas themenähnlichem Megahit beeinflusste/abgekupferte – luftig-swingende These „Beim Bossa Nova küsst man nicht“ (1964), wie gleichsam deren Millie-Small-Coverversion „My Boy Lollipop“, 1964 mit einer muttersprachlichen Betextung durch Kurt Hertha, sind ebenfalls bislang nur äußerst selten bis gar nicht auf Silberscheibe erhältlich gewesen. Jener Kurt Hertha bearbeitete lyrisch auch Dusty Springfields Erstlingshit „I only wanna be with you“ etwas holperig auf Deutsch als „Auf Dich nur wart‘ ich immer zu“, welches 1964 von der aus London stammenden Originalinterpretin, wahrscheinlich mit großen Lettern in Lautschrift aufgemalten Textvorlagen im Blick, niedlich, aber mit viel, viel britischer Ausdrucksweise, für den teutonischen Musikmarkt eingesungen wurde.

Auch Siw Malmkvists ausgelassene Hommage an den „Rhythmus 1920“ (1963), der liebevoll-gemächliche (durchwegs instrumentale) Foxtrott „Dame Dame Ya“ des legendären Orchesterleiters Bela Sanders, der, anders als sein ungarisches Pseudonym vermuten lässt, in Wirklichkeit aus Wuppertal-Elberfeld stammte und als musikalischer Pionier des ab 1966 vom „Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband“ jährlich konzipierten Schallplattenprojekts „Die Tanzplatte des Jahres“ gilt, oder die legendären Kessler-Zwillinge Alice & Ellen K. mit ihrer scherzhaften Weltreise „Schreib‘ mir eine Karte“ (1959) fallen in die Schublade „rar & begehrt“. Sogar Großmeister Udo Jürgens persönlich ist mit einer von Heinz Gietz und Hans Bradkte ersonnenen (mit späteren Udo-Meisterwerken natürlich qualitativ und stilistisch keinesfalls vergleichbaren) Swing-Samba-Schlager-Melange namens „Cara-Caramel, Choco-Chocolate“ unter den „Partykeller-Knallern“ vorzufinden. Als die Flensburger Sängerin Marion Maerz noch unter ihrem Realnamen „Marion Litterscheid“ publizierte, nahm sie 1964 neunzehnjährig für Polydor die munter-teenagerhafte Joe-Menke-Komposition „Mister Boyfriend“ auf, und sogar – alleine die Ausgrabung dieses karnevalistisch angehauchten Jux-Schlagers dürfte für viele Sammler einen realen Kaufzwang betreffs der „Partykeller-Knaller“ bedeuten – Mr. Jack White ad Personam ist mit der noch nie zuvor auf CD aufbereiteten, als Vinyl kaum noch auffindbaren, selbstgesungenen 1967er-Single „Bumba Girl“ auf diesem wahrhaftig phänomenal kompilierten Drei-CD-Set vertreten. Ebenfalls in südamerikanischen Gefilden hielt sich übrigens auch Lady Edina Pop 1971 in ihrem heißblütigen Tanzschlager „Carneval Brasil“ auf.

Fraglos fanden auch einige reale Trash-Beiträge und liebenswerte Peinlichkeiten den Weg auf die proppevolle Drei-CD-Box: Zu denjenigen „Partykeller-Knallern“, die wirklich nur nach ein paar Gläsern Bier oder Wein genießbar sind, kann man einwandfrei Nico Haaks doppeldeutigen Holland-Schunkler „Unter dem Schottenrock ist gar nichts“ (1976), die recht unbedeutende Nachfolgesingle des Dauerbrenners „Schmidtchen Schleicher“ (der ebenfalls auf „Partykeller-Knaller“ berücksichtigt wurde), rechnen, wie unterschiedslos den herrlich blöden (von Frl. Menkes Vater Joe M. verfassten) „Itsy-Bitsy-Teenie-Weenie“-Verschnitt „Minikini“ (1964) der ominösen Gesangsformation „Der Textil-Sparverein“, deren Gesangsstimmen im Netz überwiegend Rene Kollo zugeordnet werden und die offenbar ausschließlich zwecks kostengünstigen Nachsingens bekannter zeitnaher Hits für Polydor-Billiglabels ins Leben gerufen wurde, oder den kurzlebigen Modetanz „Hoppel Poppel“, hier dargeboten vom „Orchester Dicky Gray“, hinter dem sich der Oberhausener Starkomponist und –produzent Werner Twardy verbarg.

Mit der offenkundig von einem anonymen Studiosänger, der sich für eine einzige Produktion unter dem Titel „Hab’n wir nicht ´nen klugen Hund“ den Wau-Wau-Namen „Waldi“ zuerkannt hatte, endet eine fulminante Kollektion amüsanter, kurzweiliger, teils köstlicher, teils komischer, deutscher Schlagermusik aus rund zwei Jahrzehnten, die nicht nur zum Tanzen, Feiern und Mitsingen geeignet sind, sondern zugleich als fröhliche Zeitreise in die Aufbruchzeit der Bundesrepublik, hinein in die reformfreudigen 60er und 70er Jahre, dient, und letztlich eine ganze Menge des damaligen, heutzutage vielleicht manchmal belächelten Zeitgeistes dieser Ära auf aufregende und authentische Weise aufwärmt und repräsentiert. Kurzum: Die Drei-CD-Box „PARTYKELLER-KNALLER“ ist für Sammler, musik- und zeitgeschichtlich interessierte Menschen ebenso interessant, wie für Freunde guter, frecher Partymucke, jenseits aktueller Strömungen von Ballermann bis Mickie Krause!

Holger Stürenburg, 28. bis 31. August 2015

http://www.j-white.de

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