DAVID GARRETT
“Wunderkinder werden gefeiert, aber keiner spricht über den Drill!”

“Mein Vater hat mir mit dem Geigenbogen auf den Kopf gehauen”, so David Garrett in der MDR-Talkshow “Riverboat”!

 

 

 

Kim Fisher: Deine Geige hast Du immer bei dir. Und Gregor Meyle kann eine schöne Geschichte dazu erzählen…

Gregor Meyle: Es war ja bekannt, dass er diese tolle Geige hat. Und ich habe mich immer gefragt, wo. Wir waren zusammen bei einer Sendung und da kam er mit einem ollen Rucksack von einer Tankstelle an, den man mit so einem Punktesammel-System bekommen kann. Da war die Geige drin, hat er mir dann verraten. Sehr schlau, denn da drin hat die natürlich keiner vermutet.
David Garrett: Ja, ich habe eigentlich immer versucht, so ein bisschen abzulenken von dem, was ich da eigentlich mit mir trage. Hat bis jetzt ganz gut geklappt, auch ein großes Glück eigentlich.

Kim Fisher: Dein Vater war ein strenger Lehrer …

Nein, ich muss sagen, ich hatte einfach immer Bock auf die Musik. Geiger nicht zwingend, aber Musiker. Musik ist Leben, Harmonie, Diplomatie, Grenzenlosigkeit, Zusammengehörigkeit – das ist für mich Musik. Und das lebe ich. Es kann doch nicht Geileres geben, als Musiker zu sein. Musiker sind vom Karma geküsst.

Der Weg dorthin aber ist richtig beschissen. Ich hatte auch viele russische Lehrer, die waren nicht zimperlich. Bitte jetzt nicht wieder politisch werden, aber es war nun mal so. In meinem jungen Alter gab es sehr viel gute Konkurrenz. Und dementsprechend habe ich mich an den ganz Großen orientiert. In dem Moment, als mein Papa sich meinen Künstlernamen ausgedacht hat, als ich acht Jahre alt war, da wußte er, dass ich es schaffen kann. Ja, mein Vater hat mir mit dem Geigenbogen auf den Kopf gehauen. Weil ich ein sturer Hund bin. Ich heiße es nicht gut, wie da mit den Kindern umgegangen wird. Aber: Es ist Teil des Geschäfts und jeder schaut weg im Publikum. Seit Jahrhunderten gibt es Wunderkinder. Es wird aber verschwiegen, was hinter der Bühne passiert. Es ist tabu. Es wäre alles Talent. Bullshit. Das ist es nicht. Veranlagung: ja. Talent: ja. Üben: ja. Fleiß: ja. Aber Drill: muss auch. Ja. Und das will keiner sehen. Und wir wissen es alle und alle gucken weg. Für mich eigentlich ein Thema, dass schon längst abgehakt sein sollte. Und immer wieder gibt es einen Aufschrei in der Nation, wie so etwas passieren kann.

Kim Fisher: Du hast auch in Deinem Buch geschrieben, dass Du manchmal nachts noch geübt hast, um Deinem Vater zu genügen.

Ich wollte der Verantwortung, die ich spürte, ein Stück weit gerecht werden. Dem Einsatz, den die Eltern einem geben. Und natürlich war auch ein Riesendruck und eine Riesenverantwortung da. Und auch, weil ich natürlich gemerkt habe, dass die Stimmung gekippt ist, wenn ich nicht geliefert habe. Der Familienfrieden war dann nicht gut. Das fand ich immer schlimm, wenn wir beim Abendessen saßen und schlechte Stimmung war. Dafür habe ich mich immer geschämt.

Die Alternative war, immer so gut abzuliefern, dass so eine Situation gar nicht erst entsteht. Ich nehme meinen Papa aber dennoch in Schutz. Er hat viel für mich möglich gemacht.

Jörg Kachelmann: Sind solche Höchstleistungen wie Ihre oder die der 15-Jährigen russischen Eiskunstläuferin nur durch Kindesmisshandlung möglich?

Das Wort ist sehr hart, das möchte ich revidieren. Aber es ist Drill, die talentiertesten Kinder erfolgreich zu machen. Gäbe es einen Mozart, Beethoven oder die große Kultur ohne Drill? Nein, gäbe es nicht. Jetzt können wir uns natürlich ethisch fragen: Ist das in Ordnung? Meine Antwort ist: Ich weiß es noch nicht. Deine Antwort, Jörg?

Jörg Kachelmann: Die ist Nein. Ein klares Nein.

Jörg Kachelmann: Was war Ihr Schritt in die Freiheit? 
Mein Flug nach New York am 10. September 2001. Am 11. September bin ich dann in dem schuleigenen Gebäude aufgewacht und es war ein furchtbarer Tag. Und dann diesen Start zu haben … ich war ja auch gar nicht lebensfähig: Ich hatte Privatunterricht, ein Management und noch keine Bar von innen gesehen. Und dann New York: Tschkakalaka-BängBäng. Was für eine Chance. Und dann dachte ich: Das ziehe ich durch. Gegen alle Widrigkeiten. Das ist dann auch meine Sturheit und die Sturheit gegenüber meinem Vater, er sagte: Das ist ein falscher Schritt. Die Aussage: Das schaffst du nicht, hat mich unglaublich motiviert. Ich bekam Honig und Salz und es war mein Honig und Salz. Und genau darauf hatte ich Bock.

Jörg Kachelmann: Wie denken Sie heute über Ihren Vater?

Blut ist dicker als Wasser. Und Familie ist Familie. Mein Vater hat unglaublich viel für mich gearbeitet und für mich geleistet. Ein übendes Kind klingt grauenvoll. Und er hat sich das Tag für Tag angehört. Es war nicht alles großartig, aber alles richtig.

Foto-Credit: Marcus Wolf
Textquelle: Plan A | PR, Antje Pohle (Textvorlage)

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