PURPLE SCHULZ
Die CD "Der Sing des Lebens" ((immer noch KEIN Schreibfehler !!!)) im Test von Holger Stürenburg!
Ein Album zum Hören UND ZU-Hören!
„Verliebte Jungs“… „Nur mit Dir“… „Kleine Seen“… diese und noch viele, viele Lieder mehr aus der Feder des Kölner Sängers und Songschreibers PURPLE SCHULZ haben unserer Generation, die wir Mitte der 80er Jahre unsere Adoleszenz erlebten, die Erste Liebe versüßt und den ersten Liebeskummer erleichtert.
1984/85/86/87, als sich die deutsche Popmusik von der ausgelutschten Neuen Deutschen Welle freigeschwommen hatte, und Genrekollegen, von Klaus Lage über Wolf Maahn bis „BAP“ oder Herbert Grönemeyer, das einheimische Geschehen zwischen Pop und Rock prägten, dabei unzählige Klassiker schufen, zählte PURPLE SCHULZ – seinerzeit in Trio-Formation – zu den ganz großen Helden unserer Jugend.
Bis in die 90er Jahre hinein, glänzte der heute 59jährige mit oft schier brillanten LPs/CDs – aber, auch danach war er nie so richtig ‚weg vom Fenster‘. In verschiedenen Besetzungen, mal als Duo, als Trio, mal mit Band, begeisterte der plietsche Liedschreiber ein ums andere Mal sein treues Publikum. Erst 2015 traten er und sein damaliger Gitarrist Schrader – einfach Schrader, so wie der Tisch Tisch heißt (vgl. Wolfgang Borchert) – bei uns in Gelsenkirchen-Buer mit einem Unplugged-Programm im Zuge des „III. Rock am Dom“-Festivals auf und zogen weit über 300 hingerissene 80er-Kinder an.
Nebenbei ist Purple – und dies ist als besonders lobenswert zu bezeichnen – karitativ äußerst aktiv und setzt sich seit Jahren für demenzkranke Menschen ein, deren Sorgen und Nöte in unserer häufig nicht sehr humanen Glitzerwelt oft ein ungutes Randdasein einnehmen.
Dieser Tage erschien bei RAKETE Medien ein brandaktuelles Album des Deutschpop-Heroen der 80er Jahre, insgesamt seine 14. Longplay-Produktion: „DER SING DES LEBENS“ – „Sing“ ist kein Tippfehler! –, welcher da besteht aus zwei Silberscheiben. Auf der ersten befinden sich zehn brandneue Titel, eingespielt im Bandkontext, und auf der zweiten nochmals zwei Handvoll Liveaufnahmen, die ihm Rahmen der 2016er-Tournee unter dem Motto „Der Kleine mit dem Unterschied“ mitgeschnitten wurden – wobei, von den zwei 80er-Evregreens „Sehnsucht“ (1983 – in einer 2017er-Version) und „(Viel zu wenig) Zeit“ (1987), ausschließlich neuere Lieder, Geheimtipps von früher bzw. bisher noch nie auf Tonträger vorgelegte Titel für diese Live-CD bedacht wurden.
Der offensive Eröffner „Das ist die Zeit“, ein klassischer Gitarren-plus-Piano-Pop/Rock-Song, einwenig an „U2“ gemahnend, resümiert das Heute und Hier, zwischen ausgelassener Party und dumpfen Stammtischparolen, spritzig-sarkastisch wird’s daraufhin im von knarzender Blues-Harp geführten Country-Talking-Blues „Du bist da“, ein liebevoll-widerspenstiger Lobgesang auf selbstlose, sich aufopfernde Rettungssanitäter, Krankenhaus-Clowns und allgemein das Pflegepersonal in Hospitälern.
„Da denkste jetzt mal drüber nach“ parodiert, sehr textintensiv und den Lieben Gott direkt ansprechend, die Schöpfungsgeschichte auf der Basis eines gitarrenbetonten Beat-Couplets mit Ragtime-Einflüssen; „Es reicht“ ist ein philosophisches, enorm zeitkritisches Rockchanson, wiederum mit typisch britischen Beat- und trockenen Blues-Elementen angereichert.
Die tröpfelnd-perlende Pianoballade „Schweigen“ ist ein zerbrechliches Abschiedslied, garniert mit einer gedämpft dämpfenden Violine – ebenso ernsthaft, streichergeführt, zunächst ohne jeglichen Rhythmus, schleicht folkrockig, zunehmend aufmuckender, rockiger, deftiger, nun die munter-und mutmachende Aufforderung, Vergangenes hinter sich zu lassen, und gerade heute neu zu starten, „Ab heute ist für immer“, durch die Lautsprecher. Die augenzwinkernd-zweideutige Ode auf das Älterwerden und dessen deutlich sichtbare physische Folgen, „Das ist nicht fair“, eine rasant-flotte (Country-)Pop-Nummer im klanglichen Sinne von „Walking on Sunshine“, hatte Purple schon am 13. Juni 2015 in Gelsenkirchen-Buer ‚live‘ aufgeführt.
Im stillen, so schüchternen, wie wiegenden, annährend bluesigen Gitarren-Chanson „Ich wünsch‘ mir, Du bleibst“, hofft das Lied-Ich, die zu ihm nicht so recht passende Freundin möge, aller Differenzen zum Trotz, bei ihm bleiben; „Nimm es mit“ ist der wehend-poppige Rat an ein aufwachsendes Kind, in seinem Leben alles aufzunehmen, aufzusaugen, mitzunehmen, was ebenjenes Leben für sie bzw. ihn übrig hat, was es ihr/ihm schenken möchte. Ein kaum hörbares, atmosphärisches Piano, zunächst eine nur ganz im Hintergrund vernehmbare Violine, die bald darauf in regelrechten Streicherwällen aufgeht, und Purples eindringlicher Gesang, bestimmen das Abschlusslied der 10-Titel-Studio-CD, „Das letzte Mal“.
Die Live-CD beginnt mit einer ausdrucksstarken-energiegeladenen Blues-Version – Akustik-Gitarre plus Mundharmonika plus introvertierte Streicher und unaufdringlichem, dann donnernden Rhythmus – von „Sehnsucht“, demjenigen legendären Deutschrock-Markenzeichen, mit dem Purple Schulz zur Jahreswende 1984/85 seinen endgültigen Durchbruch an die Spitze des damaligen Phänomens deutschsprachiger Rock- und Popmusik zu erzielen vermochte. „Sehnsucht 2017“ wurde am 02. Januar d.J. vor 85.000 Zuschauern bei einer spektakulären Neujahrs-Veranstaltung aufgezeichnet und stellt das geschichtsträchtige Original in puncto Emotionalität, klanglicher Dimension und Leidenschaft womöglich noch in den Schatten.
Von einer Frauenstimme vorgelesene, zusammengeschnittene Zitate aus dem Lexikonartikel zum Thema „Zeit“ aus Wikipedia.de, leiten eine kühl-entschlackte, über siebenminütige Neufassung der – in jenen Tagen von Tato Gomez letztlich überproduzierten – ersten 1987er-Single „(Viel zu wenig) Zeit“ ein, woraufhin erwähnte Satire über das Altern, „Das ist nicht fair“, als Konzertaufnahme ertönt. Die Popballade „Weitergehen“ entstammt im Original der 1992er-CD „HaHa“, und stellt sich als ein surreal anmutendes Lied über Flucht und Liebe dar, welches thematisch im zeitlichen Umfeld der ausländerfeindlichen Krawalle in jener Ära anzusiedeln ist. „Kinderleicht“, entnommen der 1997er-CD „Pop“, ist ein sehnsüchtig-verträumtes, im wahrsten Sinne des Wortes ‚kinderleichtes‘, überaus liebenswertes, vor sich hin perlendes, Ruhe und Geborgenheit ausstrahlendes Gitarrenpop-Schmankerl, ausstaffiert mit gemächlicher Blues-Harp. In dieselbe stimmungsbezogene Kerbe schlägt der romantische Schleicher „Spiegeln“ aus der 2012er-CD „So und nicht anders“, gehalten in feinstem Streichersound. Über sechs Minuten lang huldigt Purple daraufhin, solo zum Piano, dem „Letzten Koffer“, welcher inhaltlich ein graziös-feinfühliges Abschiedsszenario (dto.) bedeutet, bevor wir die – erneut sehr leise und besinnlich und dennoch rhythmisch-aufwirbelnde und voranstrebende, mit einem speziellen Fluidum ausgestattete 1990er-Ballade „Unter der Haut“ – aus der LP „Purple Schulz“ und von jeher ein Livefavorit – in nahezu akustischem Ambiente genießen können.
Die beiden zuvor unveröffentlichten Titel „Kleine Geschichte vom Ende einer großen Liebe“ – ein dezent-verhaltenes Pianochanson über die Trennung eines so lange (zumindest vordergründig) verliebten Paares, das sich lyrisch, ähnlich, wie Purples grandioser 1987er-Beitrag „Vorbei“, an Erich Kästners „Sachlicher Romanze“ orientiert – , sowie das sehr modern, beinahe partyschlagergemäß, überzeichnet südländisch inszenierte, reich polemische, kabarettistische Couplet über die Flüchtlingskrise, „Wir werden das schaffen“ – gesungen aus der Sicht eines Migranten – den hochspannenden Live-Part glorios beschließt.
Fazit: Der Purple Schulz des Jahres 2017 klingt nicht weniger erfrischend, gefühlvoll und provokativ, als der Purple Schulz a.D. 1985. Musikalisch weniger poppig, als zu EMI-Zeiten vor 30/32 Jahren, das satirische Moment kommt, ob des fehlenden Kommerzzwangs, dagegen weitaus mehr und eindeutiger zum Vorschein, als zu Zeiten der ‚verliebten kleinen Seen‘. In „DER SING DES LEBENS“ muss der Rezipient direkt einsteigen, sich mit Musik und Texten und der durchgehend trefflichen Verbindung beider aufmerksam und konzentriert beschäftigen. Für Freunde deutscher Popmusik, die Musik nicht nur hören, sondern ihr gleichermaßen ZU-hören möchten, ist „DER SING DES LEBENS“ von PURPLE SCHULZ genau das richtige!
Holger Stürenburg, 21./22. März 2017
http://www.rakete-medien.de/
http://www.purpleschulz.de/