LUNA LUNA
Die Download-CD "Wenn ich tot bin – Das Beste" im Test von Holger Stürenburg!
Die Begründer des deutschen Gothic-Rock – starten sie nun endlich ´posthum´ durch …?
„Wenn ich tot bin / dann sollst Du tanzen, tanzen“ – dieser brachiale Schlachtruf ist bis heute ein heißgeliebter Songfavorit in der breitgefächerten Gothic-Szene. Verantwortlich zeichnete für diesen beißend zynischen, ultimativen Beerdigungsaufmischer die 1989 in Münster gegründete Band „LUNA LUNA“.
Der charismatische Dorstener Sänger Frank Niggemann und der heutzutage als Musikpromoter, mit eigener Agentur, tätige Gitarrist und Songschreiber Stefan Kahé riefen, gemeinsam mit Markus Schoer (key), Bassist Lambert Stallmeyer, Trommler ‚Wolles‘ Bahne und Geigerin Betti Hagemann, die später u.a. mit Purple Schulz oder Culcha Candela gearbeitet hat, eine zweifelsohne schier begnadete Truppe ins Leben, die zwar Zeit ihres Bestehens ein Geheimtipp blieb, aber fraglos zu den Pionieren des heutzutage stark florierenden Gothic-/Mittelalter-/Folkrock-Spektrums gerechnet werden muss. Interessant ist an dieser Stelle vielleicht auch die Tatsache, dass Stefan Kahé zusammen mit Bettina Hagemann einige Jahre lang in der Gruppe „Gesundfutter“ mit Hape Kerkeling zusammen musizierte.
Zwischen 1993 und 1997 hat das Sextett drei Longplayer veröffentlicht. Dazu gehört ein Album zur Abschiedstour namens „Supernova“, welches seitens eines Minilabels aus Lengerich über den Vertrieb „Rough Trade“ auf den Markt befördert wurde. Der wohl bekannteste Titel von „LUNA LUNA“, „Wenn ich tot bin“, fand sich interessanterweise nicht auf den Major-CDs, sondern nur auf dem Album „Supernova“ (Rough Trade). „Ehrlich gesagt war der Songs seinerzeit der Dealbreaker mit dem Majorlabel“, erinnert sich Stefan Kahé. „Wir wollten mehr in die Indie-Richtung und weg von normalen Popsongs. Das gefiel dem Label nicht, die in uns die Nachfolger von PUR sahen und so haben wir damals tatsächlich selbst die Option nicht verlängert, wussten dabei aber sehr genau, dass das mit unserer neuen Ausrichtung der Firma auch ganz recht war. Dass gerade ‚Wenn ich tot bin‘ wie von selbst – also, ohne Marketing oder Promotion – Eintritt in die Szene fand, ist im Nachhinein wirklich toll.“
1997 lösten sich „LUNA LUNA“ aus mannigfaltigen Gründen auf. Nun ist, auf Betreiben von Stefan Kahe, der fast alle Songs für „LUNA LUNA“ verfasst hatte, endlich eine vorerst nur im Download-Bereich erhältliche Best-Of-Koppelung dieser in den konturlosen 90ern vollkommen verkannten Band präsentiert worden.
„WENN ICH TOT BIN – DAS BESTE“ ist über das Label SUPERNOVA MUSIC auf allen offiziellen Downloadportalen, wie ITunes, Deezer, Amazon etc., erhältlich und beinhaltet – fast chronologisch geordnet – 16 Perlen des frühen, deutschsprachigen Gothic-Folkrock Band plus eine 1995 mitgeschnittene Liveversion des gnadenlos genialischen Titelsongs.
„Mond Scheine“, aus der ersten CD „Es war einmal“, lässt den Liederreigen intensiv starten, ein gemächliches, nahezu akustisch arrangiertes Lied mit – im Gegensatz zum eher düsteren Klangbild – sehr optimistischer Aussage. Ebenfalls der Debüt-Produktion entstammen die folklastige, recht introvertiert-gefühlige „Immaculate Fools“-bzw. „The Adventures“ ähnliche Gitarren-plus-Geige-Melange „Tanz mit mir“, die frühe Warnung vor Populisten jeglicher Couleur, die im historischen Kontext der Sage des „Rattenfänger(s)“ (Songtitel) von Hameln aufscheint, die düster-bissige Moritat „Und sie lachte“ (Text: Heinrich Heine), das rasende Trinklied/Abschiedslied „Küss mich“ oder der akkordeondurchtränkte, fröhliche Wohligkeit verstrahlende Folk-Blues „Die Haut“. Die temporeiche Singleauskoppelung „Sechzig Sekunden“ verbindet frivoles 30er-Couplet mit französischem Chanson der 50er und frechem, aufmüpfigem Pop der ausgehenden 80er Jahre. Als kleiner, aber feiner Geheimhit galt 1993 die zünftige Liebeserklärung an die mystische Schönheit „Schwarze Rose“. Die klassisch-symphonisch arrangierte, zum Schluss hin durch gruselige, originale Hitler-Zitate und Marschmusik untermalte „Deutsche Nacht“ beschreibt die Umstände und Ursachen für die brutalen Ausschreitungen gegen Andersdenkende und Ausländer, die schon zu Beginn der 90er Jahre das politische Klima nach der Wiedervereinigung regelrecht vergifteten.
„Marionetten“, entnommen der zweiten Major-Scheibe „Rosa“ (1994), rockt deutlich voran, einwenig Alternative-Rock-orientiert, laut, radikal, tanzbar, als seien die damaligen Retrorocker „Spin Doctors“ (erinnere: „Two Princes“, „Little Miss can’t be wrong“) Gothic-Brüder gewesen. „Sturmalarm“ ist bester, wehender Wave-Rock nahe bei „R.E.M.“ oder – entfernter – „U2“, geführt von romantisch-dunklen Streichern, „Ohne Worte“ hingegen kommt – seiner Betitelung entsprechend – ohne dieselben aus, brilliert einerseits durch fesche Rhythmen, die an Polka, Mazurka und andere osteuropäische Volkstänze erinnern, sowie durch akustisch-folkloristische Instrumentierung.
Der gediegene, nächtlich-ver(alp)träumte Folkrocker „Nur ein Lied“, der Shanty-hafte, regelrecht diabolische Walzer „Der Letzte macht die Tür zu“ und der verschrobene, brodelnde, nahezu episch ausufernde Synthi-Rocker „Übers Wasser gehen“ – knapp 13 Minuten klang -, wurden von der ultrararen „Supernova“-Scheibe für die aktuelle Best-of-Koppelung ausgewählt.
Höhepunkt des vorliegenden Songprogramms sind natürlich die Studio- und Liveversion des großartigen Hymnus der ‚schwarzen Szene‘, „WENN ICH TOT BIN“, eine so perfekte, wie von Selbstzweifeln geplagte Abrechnung mit dem irdischen Dasein, die noch heute Wochenende für Wochenende republikweit auf unzähligen Gothic-Partys zum Einsatz kommt.
„LUNA LUNA“ waren zweifellos Vorreiter der seit ein paar Jahren auch kommerziell außerordentlich reputierlichen, deutschen Folkrockszene mit Gothic-Einschlag. Sie waren nie so exzentrisch, wie etwa „Subway to Sally“ oder „FAUN“, aber – zum Glück – gleichermaßen zu keinem Zeitpunkt so übertrieben kommerziell, wie „Santiano“ oder „Dartagnan“.
Zum Zeitpunkt ihres Auftauchens im deutschen Musikleben, herrschte Boygroup-Wahn und Dancefloor-Vulgarität allerorten – für gute, muttersprachliche Rockmusik mit Widerhaken und ehrlicher Qualität war schlicht kein Platz vorhanden. Aus rein persönlicher Einschätzung des Verfassers dieser Zeilen, sollten „LUNA LUNA“, neben „Selig“, „Nationalgalerie“ (mit denen der Recklinghausener Sechser übrigens mehrfach auf gemeinsamer Tournee war) und „Rosenstolz“, als einziger tatsächlich ernstzunehmender, deutscher Rock-Act der ansonsten kulturell so öden und verblödenden, wie verblödeten 90er Jahre eingestuft werden.
Nun erschienene Download-Kollektion „WENN ICH TOT BIN – DAS BESTE“ wird dafür sorgen, dass diese tolle, innovative und keinesfalls alltägliche Combo nicht in Vergessenheit gerät – zumal das Titellied, wie beschrieben, ohnehin bis heute von den Schwarzbekleideten – vollkommen zurecht – vergöttert wird!
„WENN ICH TOT BIN – DAS BESTE“ ist zeitnah auf allen relevanten Downloadportalen erhältlich!
Holger Stürenburg, 22. November 2016