HUBERT KAH
Die CD "The Very Best Of Hubert KaH" im Test von Holger Stürenburg!

Dieser Artikel ist viel, viel mehr als eine reine Fleißarbeit…:  

Inzwischen ist der Donnerhall um „Hubsi“ ja einwenig abgeklungen. Noch vor vier, sechs Wochen, sah dies ganz anders aus. Da war der 1961 im schwäbischen Reutlingen geborene Hubert Kemmler, uns allen besser bekannt unter seinem Künstlernamen HUBERT KAH, im Rahmen der zweiten Staffel des nicht unumstrittenen SAT1-Formats „Promi Big Brother“ in ein von der Außenwelt abgeschirmtes Villenkonstrukt eingezogen, ließ sich 14 Tage lang durchgehend 24 Stunden von dort überall angebrachten Kameras beobachten und sorgte mit seiner urigen, liebenswert verwirrten, oft ins überzeichnet Philosophisch-Nachdenkliche abdriftenden Darstellungsweise für unzählige humorvolle Einlagen und ihm zuhauf zufliegende Herzen der TV-Zuschauer. Er trug jeden Tag aufs Neue einfarbige, scheußlich-schöne Pullunder aus den Untiefen der Modesünden der ausgehenden 70er, haute dem darüber hinaus kaum erwähnenswerten Reality-TV-Sternchen Ela Tas ungehörig auf das wohlgeformte Popochen und freundete sich immer enger mit dem nun endgültig als hedonistischer Hallodri geouteten Ex-Richter und früheren Hamburger Partysenator Ronald Barnabas Schill an, dem – aller berechtigten Kritik an seinem wüsten Lebenswandel zum Trotz – einzigen realen Intellektuellen in der Runde aus abgehalfterten Möchtegerns und 15-Minuten-Ruhm-Zeitgeist-Idölchen, der dem einstigen Überflieger der kommerzorientierten Neuen Deutschen Welle geistig ebenbürtig war.

Doch nun ist dieser launige Spätsommer-Loch-Trubel durch wahrlich beachtenswertere Ereignissen, wie Isis-Terror, Ukraine-Krise oder Landtagswahlen in drei der ‚Fünf Neuen Bundesländer‘, (zum Glück) wieder einwenig in den Hintergrund gedrängt worden; „Hubsi“ – wie Hubert Kah von „Promi-Big-Brother“-Prolo-Kommentatorin „Cindy aus Marzahn“ mütterlich genannt wurde – bekommt, zusammen mit seinem neuen Männerfreund und „Alter Ego“ Ronald Barnabas, eine eigene Trash-Talk-Show, heiratet bald im Modus des indischen Tantrismus seine langjährige Freundin, tritt häufiger denn je in 80er- und NDW-Revivalshows auf und plant, noch im Herbst diesen Jahres eine neue, selbstproduzierte CD mit eigenen aktuellen Liedern der staunenden Öffentlichkeit darzureichen.

Bis dies soweit ist, erinnert das Kölner Remixer-, DJ- und Produzenten Duo „Blank & Jones“ mittels einer eigens kreierten Koppelung namens „The very Best of Hubert Kah“ an die wichtigsten musikalischen Arbeiten des Sohnes des einstigen Bezirksbürgermeisters des Reutlinger Stadtteils Betzingen aus den Jahren 1982 bis 1998, die von Piet Blank und Jaspa Jones erst vor kurzem äußerst liebevoll und penibel soundtechnisch aktualisiert und überarbeitet wurden.

Die 18 ausgewählten Titel auf vorliegender CD belegen einwandfrei, dass „Hubsi“ schon immer viel mehr anzubieten hatte, als nur den sympathischen Wirrkopf aus dem Psychofolter-Container darzustellen. Im Laufe seiner inzwischen 32jährigen Karriere im Spannungsfeld zwischen keckem NDW-Schlager, deutschsprachigem Edelpop bester Machart und englisch gesungenen Synthispielereien von internationaler Reputation, hat Hubert Kah, der zum Zeitpunkt seiner ersten Plattenveröffentlichung noch brav eingeschriebener Student an der juristischen Fakultät war, tatsächlich, jenseits aller Trash-TV-Formate dieser Welt, die eine oder andere immens wohlklingende Pop-Perle vorgelegt – davon legt die prallgefüllte Silberscheibe „The very Best of Hubert Kah“ eindrucksvoll Zeugnis ab.

Als im März 1982 Huberts – inzwischen längst Legendenstatus innhabendes – Singledebüt „Rosemarie“ auf den Markt kam, waren die Optionen für frische, teutonische Popmusik, jenseits von klassischem Schlager und brachialem, meist anpolitisiertem bzw. gesellschaftskritischen Deutschrock, als außerordentlich positiv, offen und erwartungsvoll anzusehen. Junge, ungewöhnliche, mal schrill, mal dadaistisch, mal trotzig-frech auftretende Interpreten, wie „Trio“, Joachim Witt, „Extrabreit“, Markus, „Rheingold“ oder „Fräulein Menke“, hatten es fast über Nacht kongenial und beinahe ‚aufrührerisch‘ vermocht, unsere eher eckige, kantige, manchmal schwerfällige deutsche Muttersprache in musikalischer Hinsicht mit angloamerikanischer New Wave, britischem Synthipop und gewissen neuzeitlicheren Rock- und Punkklängen zu versöhnen. Und genau in dieses kreative Chaos, das allerdings neben einer Menge Weizen, oft noch mehr Spreu enthielt, wobei beides voneinander zu trennen sich häufig als nicht allzu einfach zu bewältigen zeigte, traf nun voller Wucht und Esprit Hubert Kah – damals in Begleitung von zwei ebenfalls blutjungen Freunden mit Namen Markus Lühr (git, key) und Klaus Hirschburger (b), welche die bunte, phantasievolle Bühnenshow ihres kaum 21jährigen Frontmannes wundervoll gleißend ergänzten – mit seinem feschen Singleerstling „Rosemarie“, mit dem vorliegende CD fulminant startet. „Rosemarie“ wirkte in jenen Tagen insofern völlig neuartig, als dass der ultimative, rasante Dauerohrwurm überzeichnet romantische Gefühlsduseleien, gemixt mit einer gewissen liebenswürdigen Naivität und Harmlosigkeit, wie sie in vielen Schlagern der 50er Jahre zuhause waren, mit so zickigen, wie zackigen, trotzdem fast minimalistischen Rhythmen aus dem Drumcomputer, ein paar gewählten Pianoakkorden und sacht punkiger, treibender E-Gitarre verband, so dass Huberts augenzwinkerndes Liebesgeständnis an die „rote Rose Rosemarie“ im Grunde genommen ein einwandfreier (musik-)historischer Beleg ist für das sentimentale Revival der 50er Jahre genau drei Dekaden später. Hubert Kah und seine Kapelle brachten mit ihrem kecken Debüthit die heile Welt des teutonischen Musikfernsehens ganz schön durcheinander. In der alteingesessenen „ZDF-Hitparade“ des Dieter Thomas Heck, die sich Anfang 1982 nach und nach neuen deutschen Tönen öffnete, sorgte der Reutlinger, mal in Zwangsjacke, mal mit schlohweißem Nachthemd bekleidet, für einen nicht unbedeutenden Anflug von Missmut, der manchen kreuzbraven Zuschauer im TV-Studio der Berliner Unionfilm nicht selten zu lautstarken Buhrufen animierte. Trotzdem raste „Rosemarie“ im Frühsommer 1982 bis auf Rang 3 der „Media Control“-Listen, die dazugehörige LP mit dem doppeldeutigen Titel „Meine Höhepunkte mit Rosemarie“ stand dem in nichts nach, und stieg fast gleichzeitig auf den siebten Rang der entsprechenden LP-Hitparaden. Trotz fraglos ansprechender, kesser Songs, die gefühlsselige 50er-Nostalgie mit Coolness und Offenheit der 80er verbanden – hier seien als Beispiele die herrlich dekadenten Synthi-Kaskaden „Libido“, „Tanzen gehen“ oder „Caruso“ zu nennen – fanden diese, wie auch andere LP-Beiträge von „Meine Höhepunkte“, vom gefeierten Singleaufhänger abgesehen, keine Verwendung auf hier analysierter Best-of-Koppelung. Tatsächlich wurde seinerzeit aus „Meine Höhepunkte“ auch keine weitere 45er ausgekoppelt, so dass alles ganz gespannt auf einen brandneuen Singlekracher Made in Reutlingen wartete. Dieser erschien nach den großen Ferien 1982, trug den Titel „Sternenhimmel“, und erwies sich erneut als zeitgeistbestimmendes Schmankerl voller Lust, Leidenschaft und stets augenzwinkernd überkandidelter Melancholie. „Sternenhimmel“ schoss umgehend in denselben des deutschen Hitparadenlebens, erreichte einen hervorragenden zweiten Rang bei „Media Control“ und verkaufte sich zudem über 250.000 mal, was die Verleihung einer Goldenen Schallplatte für ihren umschwärmten Interpreten mit sich brachte. „Meine Höhepunkt“ war noch nicht aus den LP-Charts verschwunden, da erschien schon das nächste Album von „Hubert Kah mit Kapelle“, wie sich das seinerzeit von Frontmann Hubert geleitete Trio offiziell nannte, „Ich komme“ überraschte nochmals mit einer zweideutigen Betitelung, ansonsten bot Kah-Opus Numero II musikalisch nicht viel Neues. Es präsentierte kaum mehr als eine meist nur als konventionell zu bezeichnende Fortsetzung des bereits auf dem LP-Debüt betriebenen Experimentierens mit hochtechnisiertem Synthesizer, drastischer Sehnsucht, exzessiver Melancholie und zeittypischer Kühle, so dass „Ich komme“, trotz des übermäßigen – und zeit- und musikgeschichtlich durchaus berechtigten – Erfolgs von „Sternenhimmel“ nur den bescheidenen Rang 35 der LP-Hitparaden zu erklimmen vermochte. „Sternenhimmel“ blieb die einzige Auskoppelung aus dem überwiegend müde und rein kommerziell geprägten LP-Zweitling „Ich komme“, gilt aber heutzutage als überaus relevantes, klingendes Zeitzeugnis der Hochphase der marktträchtigen Neuen Deutschen Welle im Rahmen des „Summer of Pop“ 1982.

Die dritte Single von Hubert Kah fand sich erst auf der Zweitauflage von „Ich komme“ und beschritt den bislang eingeschlagenen Weg weiterhin. Kess, zackig, fordernd, lustvoll, aber doch auf Dauer einwenig eintönig, drang „Einmal nur mit Erika … (dieser Welt entflieh ‘n)“ aus den Boxen, rein auf Verkaufserfolg ausgestaltet, man mag beinahe sagen, seelenlos hingeworfen, um den Namen Hubert Kah weiterhin in Hitparaden, Fernsehen und Radio, „Jugendverblödungszeitschriften“ (Zitat: Wolfgang Niedecken) und Feuilletons halten zu können. Hubert selbst wollte den Titel eigentlich „Einmal nach Amerika“ nennen, aber Produzent Dr. Claus Zundel zwang ihm die andere, kommerziellere Textfassung auf, um Kah samt Kapelle in einer poppig-welligen Klamauk-Ecke einzubetonieren. Danach verspürte der hochtalentierte Reutlinger allerdings kein übermäßiges Verlangen, so dass, nach der Veröffentlichung von „Erika“ und einer vom Jeans-Hersteller „LEVI’S“ organisierten und gesponserten Package-Tour im Verbund mit den NDW-Genre-Kollegen Nena („99 Luftballons“), Markus („Ich will Spaß“) und den bayerischen Mundartpoppern „Relax“ („Weil I di mog“), dringend ein musikalischer Neuanfang, möglichst mit einem anderen Produzenten, anvisiert werden musste, da sonst – „Ich komme“ deutete dies spürbar an – Stillstand und/oder Sackgasse die Folge gewesen wären.

Dem Verfasser dieser Zeilen, damals elf, zwölf Jahre alt, erging in es jenen Tagen bezüglich Hubert Kah ähnlich, wie zwei Jahre später in Sachen „Modern Talking“: Die erste LP, den gesamten Hype um Debütsingle und neue Pop-Stilistik, fand ich super, ich gab mich zunächst gerne der allgemeinen Hysterie hin; aber bei der eilig nachgeschobenen Folge-LP – auch bei Dieter & Thomas folgte die zweite LP nur knapp ein halbes Jahr nach der ersten – war die Luft für mich raus. So, wie mich „Let’s Talk About Love“ vom „modernen Gesülze“ (Zitat: Willem F. Dincklage), im Herbst 1985 nervte, fand ich drei Jahre zuvor „Ich komme“ schlicht zum Ent-Kommen, zum Weglaufen 😉

Umso erfreuter war (bestimmt nicht nur) meine Wenigkeit, als sich Hubert Kah im Frühsommer 1984 gänzlich runderneuert, gefestigt und so anspruchsvoll und tiefsinnig wie nie zuvor in Szene setzte. Hubert und die Seinen hatten ihre bisherigen grellen Spaßklamotten gegen modisch yuppifizierte, gediegen einfarbige Designeranzüge eingetauscht; von der Hamburger POLYDOR waren sie zur Stuttgarter INTERCORD gewechselt, als neue Produzenten fungierten die Münchener Michael Cretu und Armand Volker – was damit einhergehend war, dass sich Hubert Kah somit unter die Fittiche der innovativsten und bestausgerüsteten Studiofreaks begeben hatte, die derjenige Teil der einheimischen Popszene, der zugleich auf einen internationalen Anspruch wertlegte, seinerzeit aufzubieten hatte.

Das erste – schier betörende – Resultat dieser kreativen Kooperation ‚Reutlingen-meets-Munich‘ ließ bereits in den Pfingsttagen des „Orwell-Jahres“ aufhorchen: Die soeben erschienene neue 45er von Hubert Kah, „Engel 07“‘, bestach durch konsequente (aber eben niemals wie oft zuvor übertriebene) Melancholie und Leidenschaft, verbunden mit hochintelligenten, grazil ausgetüftelten instrumentalen Verkleidungen für eine ultraeingängige Melodie, die man, ohne zu übertreiben, einfach nur als traumhaft verträumt (oder, wenn man so will, als verträumt traumhaft) bezeichnen kann! Kein Wunder, dass „Engel 07“, der geheimnisvolle ‚himmlische Spion‘, im Juni 1984 in der „ZDF-Hitparade“ den heißbegehrten ersten Rang anzufliegen in der Lage war, und in den Verkaufscharts, in denen ein halbes Jahr nach dem selbstverschuldeten Ableben der Neuen Deutschen Welle, wiederum überwiegend englisch gesungen wurde, zumindest einen guten Rang 30 einnehmen konnte.

Bald darauf verfestigte Huberts drittes Album „Goldene Zeiten“ – das erste bei Intercord – seinen neu gewonnenen Status als anspruchsvoller Interpret filigraner deutschgesungener Popsongs auf Synthibasis, ohne unnötige juvenile Sperenzchen und Haudrauf-Fröhlichkeit, dafür beseelt von umso mehr Tiefgang, Qualität und international jederzeit konkurrenzfähigem klanglichen, wie stilistischen Ambiente. Gleichzeitig gab es mit dem wundervoll sehnsüchtig-mystischen Synthipop-Drama „Wenn der Mond die Sonne berührt“ eine weitere graziöse Singleauskoppelung aus „Goldene Zeiten“ zu hören, die sowohl im Oktober, als auch im Dezember 1984, (wenn auch folgenlos) in der „ZDF-Hitparade“ vorgestellt wurde, die Top 50 der „Media Control“-Listen locker nahm und zudem bis heute, trotz oder vielleicht sogar gerade wegen seines eigenwilligen Arrangements, als immer wieder gern gehörter Radiohit oft zum Einsatz kommt.

Der Titelsong – ein durchaus als programmatisch aufzufassender, wehender, absolut edel-feudaler Synthipopper voller Kraft, Esprit und Eleganz – wurde, leider sehr (vielleicht gar zu) spät, ergo erst im März 1985, aus dem dazugehörigen, gleichnamigen Album ausgekoppelt. Daher konnte er in den Hitlisten nicht mehr reüssieren, zählt aber bis heute zu den speziellen Fanfavoriten und kann zudem mit Fug und Recht als eines der interessantesten, weitflächigsten und kompaktesten Hubert-Kah-Lieder überhaupt bezeichnet werden.

Inzwischen hatte die Band über den Manager der ebenfalls bei INTERCORD (bzw. deren Unterlabel CURB) unter Vertrag stehenden, australischen New-Wave-Combo „Real Life“ („Send me an Angel“) erste internationale Kontakte, d.h. in erster Linie in die USA und nach Japan, knüpfen können, wo man zunehmend mehr Interesse für Huberts sensiblen Synthipop aufbrachte. So sollte eigentlich noch eine vierte Single aus „Goldene Zeiten“ ausgekoppelt werden, die zwar mittels eines „verrückten Musikvideos“ (Zitat: Hubert) in einem Luxemburger Schloss intensiv vorbereitet und sogar ein paar Mal öffentlich beworben wurde, aber nachher aus Zeitmangel als Folge der anstehenden Weltkarriere doch nicht mehr als kleine Schwarze in den Handel kam: „Solo tu“ ist auf jeden Fall mal wieder ein kleines, aber feines, perfekt düster-melancholisch, wie nicht von dieser Welt, ausgekleidetes, eher sanft-schleichend umgesetztes Synthi-Epos, prall gefüllt mit Wehmut und Herzblut, weshalb dieses neuerliche Pop-Kleinod somit absolut zu Recht einen ehrwürdigen Platz auf „The very Best of…“ zugestanden bekam.

1986 beschloss das immer noch als Trio fungierende Popprojekt um Bandchef Hubert Kah, künftig vermehrt internationale Wege zu beschreiten, weshalb man sich dazu entschied, von nun an nur noch auf Englisch singen zu wollen. Kommerziell betrachtet, stellte diese Umorientierung sicherlich einen nachvollziehbaren Schritt dar, aber die zehn Lieder – die „Ten Songs“ – aus Huberts ebenso betitelter 1986er-LP hätten mit einiger Sicherheit im muttersprachlichen Kontext, zumindest im deutschen Sprachraum, ebenso stark überzeugt, wie nun mit englischer Lyrik. Die erste Single aus „Ten Songs“ hieß „Limousine“ und war ein grooviger, cool-hochglänzender Synthigospel mit grandios eingesetzten, knackigen, latent bluesigen Rhythmen, frechen sexy-souligen Frauenchören, versehen mit einer auch diesmal wieder geradezu göttlichen, letztlich vollkommenen Melodie. Diese bestach, zusätzlich zu ihrer musikalischen Intensität, durch einen extra für die wöchentliche ARD-Hitparade „Formel Eins“ gedrehten Videoclip, den ein Superfan, laut Hubert, – und dies, das kann der Verfasser dieser Zeilen jederzeit bestätigen, ganz und gar nicht zu Unrecht – als „das Superschärfste“ bezeichnet hatte und von im Kurzfilm vorkommenden „sexy Tussies im Leichenwagen“ und einem „Bassisten, der aussah, wie ein Halbtoter“ voller Begeisterung schwärmte. Der feine Edelpop „Limousine“ führte Hubert Kah im Frühsommer 1986 anstandslos in einheimische Top-10-Gefilde zurück und sorgte tatsächlich für einen der „superschärfsten“ Popklassiker des Musikjahres 1986. Das kurz darauf veröffentliche Album „Ten Songs“ erklomm im Hochsommer Rang 35 der hiesigen LP-Charts; im Herbst folgte ein treibender, offensiv-draller, mit fetten Synthibläsern und einem schwitzigen Saxophon angereicherter Remix des LP-Titels „Something I should know“ als weitere Single aus „Ten Songs“, die, wie auch die gesamte schwarze Scheibe, in Michael Cretus legendären „Rainbow-Studios“ zu München aufgenommen worden war und klanglich, wie stimmungsbezogen, von britischem New-Romantic-Pop a la „Duran Duran“ oder „O.M.D.“ qualitativ wahrhaftig nicht mehr zu unterscheiden war. „Something I should know“ war zweifelsohne ein weiterer Höhepunkt (jedoch ‚ohne Rosemarie‘…) in Hubert Kahs imposanter künstlerischer Laufbahn, der im Oktober 1986 einen ehrenwerten Rang 45 in den „Media Control“-Listen einnehmen konnte und somit natürlich auch a.D. 2014 auf „The very Best of“ berücksichtigt wurde.

Die dritte Single aus „Ten Songs“, vorgelegt im Frühjahr 1987, hatte Hubert zusammen mit dem ebenfalls aus Reutlingen stammenden Produzenten und Studioeigner Ulrich Herter geschrieben, der schon am Entstehen von „Sternenhimmel“ maßgeblich beteiligt war, und selbst 1982/83 mit dem kurzlebigen NDW-Projekt „KIZ“ („Die Sennerin vom Königsee“) bzw. ab Sommer 1985 mit dem frechen Synthi-trifft-Swing-Duo „Two of us“ („Blue Night Shadow“) einige Meriten hatte einfahren können. Das erneut episch-weitschweifige, wiederum von durch diverse Synthesizer geschaffenen sphärischen Klängen, treibenden Rhythmen und einer zum genau richtigen Zeitpunkt eingefügten drastischen E-Gitarre lebende „Love is so sensible“ fiel einwandfrei und unwiderruflich in die Schublade ‚äußerst wertvolle Popmusik‘. Der kompakte, wahrhaftige ‚Perfect Popsong‘ befand sich jederzeit auf der Höhe internationaler Vorgaben, war nur für den europäischen Markt produziert worden, konnte aber im eigenen Land nicht an den Erfolg der beiden Vorgängersingles aus „Ten Songs“ anknüpfen, verfehlte daher also hierzulande den Einstieg in die Verkaufshitparaden.

Im Sommer 1987 erschien die ebenfalls kosmopolitisch tönende, diesmal sogleich ins Tanzbein gehende Klangorgie „Military Drums“, die zuvor auf keiner LP zu finden war, und erst einer Zweitauflage von „Ten Songs“ hinzugefügt wurde. Besonders die vielen Dance-Remixe und Neuabmischungen von „Military Drums“ brachten die Disco-Clubs nahezu weltweit zum Beben, in den „Club Charts“ der „US Billboard“-Listen wurden gar die Top 10 erreicht. Qualitative und klangliche Unterschiede zu stilistisch ähnlich agierenden internationalen Synthi-Dance-Titeln waren längst nicht mehr auszumachen; mit deftiger „Rosemarie“-Geselligkeit hatte dieser phänomenale Tanzrocker längst nichts mehr am Hut.

Huberts zweites englischgesungenes Werk „Sound of my Heart“ wirkte einerseits radikal Dancefloor-ausgerichtet, zackig rhythmisch, funkig-feurig, mit krachenden  House-Elementen und allerlei neumodischen Sequenzen aus dem Computer ausstaffiert bis zum Überdruss. Dennoch vermittelte die im März 1989 präsentierte LP großbürgerliche Gediegenheit, Eleganz und prickelnd coolen Pop-Appeal bester Ausprägung. „Welcome, Machine Gun“, die erste Single daraus, erreichte im April genannten Jahres in unseren Breitengraden  nur die Top 40, wurde aber vor allem in den Tanzsälen der USA frenetisch gefeiert, wo der fetzige, rasante, alles andere als alltägliche Synthi-Rock-House-Verschnitt konsequent seinen strikten Weg unter die ersten Zehn der „Billoboard“-Clubcharts fand. Die Folgesingle „So Many People“ war weniger tanzbar, sondern vielmehr ein enorm überzeugender, mitreißender, extrem kraftvoller, vorantreibender, geradezu hymnischer Power-Pop im furiosen, breitgefächerten Synthesizer-Mantel, angesiedelt irgendwo zwischen „Alphaville“ und den „Pet Shop Boys“, aber leider ohne Platzierung in den deutschen Singlehitparaden. Nur für den US-Markt als Single ausgesucht wurde die eher konventionelle, aus dem allgemeinen Spät-80er-Popgeschehen nicht besonders hervorstechende, vermutlich weil übermäßig kommerzielle, gitarrenverzierte Dance-Pop-Süßigkeit „It’s Me, Cathy (Follow My Heart)“, für deren US-Liveperformance die weltweit bekannte, oft im Chor bzw. Hintergrund eingesetzte Rocksängerin Amy Goff, die Bombastrocker „Meat Loaf“ auf dessen 1986er-LP „Blind Before I Stop“ vokalistisch unterstützte und zeitgleich eigene Hits mit der Europop-Formation „Blind Date“ („Your Heart Keeps Burning“) vorweisen konnte, extra nach New York eingeflogen werden musste, da ihr erotisch hauchendes Stimmchen im Refrain den weiblichen Part übernommen hatte.

Der auf Ibiza in Kooperation mit Denis Herman als Gastsänger eingespielte, nach sanfter Einleitung mit entschiedenen Akustikgitarren aufblühende, schlicht schöne, gefühlvolle und trefflich zurückhaltend inszenierte New-Romantic-Schleicher „Midnight Sun“ erinnerte klanglich an die norwegischen Pophelden „a-ha“ und wirkte explizit versöhnlich, entspannt und erwartungsfreudig in die Zukunft blickend, ohne jedoch eine tiefe Dankbarkeit an die Vergangenheit ausblenden zu wollen. Er war im Original auf „Sound of my Heart“ enthalten, diente zu keinem Zeitpunkt als Single, galt aber bandintern als wohliges Abschiedslied für die 80er Jahre und die so erfolgreiche Zusammenarbeit der drei Musiker Hubert Kemmler, Klaus Hirschburger und Markus Löhr, die mit Beginn der neuen Dekade getrennter Wege gehen sollten. Von nun an übernahm Hubert selbst den Bandnamen und führte „Hubert Kah“ so als Soloprojekt weiter in die 90er Jahre hinein.

So veröffentlichte der Reutlinger im Hebst 1996, von der breiten Öffentlichkeit allerdings weitgehend unbemerkt, eine nach ihm selbst betitelte CD, die es, wie auch die beiden Singleauskoppelung daraus, in diesem unserem Lande zu keinerlei Hitparadenehren brachte. Trotzdem schien gerade dieses Album für den Künstler selbst von spezieller persönlicher Bedeutung zu sein, so dass zwei Titel daraus nun auch auf „The very Best of…“ zum Einsatz kommen. Hubert wollte mittels dieses bombastischen Werks klassisches Ambiente mit progressivem Pop, Wave und leichten Gothic-Anklängen vermischen, was in puncto Kreativität, Mut und Innovation sicherlich ein hehres Anliegen war (und in der Realisierung auch überwiegend gut gelang), auf dem Markt in den ohnehin musikalisch nicht selten todlangweiligen ausgehenden 90er Jahren aber keinerlei Chancen eingeräumt bekam, sich zwischen Dancefloor, Boygroups und erzkommerziellem Wegwerf-Pop in irgendeiner Weise positiv durchzusetzen.

Die schon 1995 vorab veröffentlichte Single „C’est la vie“ hatte Hubert zusammen mit seiner damaligen Ehefrau Susanne Kemmler (alias „Sumatic“) und Starproduzent Dietmar Kawohl (u.a. „Boney M.“, Juliane Werding, Roland Kaiser) verfasst und für sein 96er-Opus mit verschiedenen Orchestern feudal, getragen, dunkel, nur sacht hintergründig rhythmisiert und auf hochmelodischer Basis im Sinne einer Art „Bryan Ferry des Synthipop“ aufgenommen. Fraglos ein völlig zeituntypischer kleiner Diamant zwischen bestem Pop und fast opernhafter Dramatik, der zweifellos absolut zu Recht für „The very Best of…“ ausgewählt wurde. Noch monumentaler, großorchestraler, lautstärker, springt daran anschließend das so geheimnisvolle, wie superbe, very british anmutende Popchanson „Sailing (Away From Me)“ aus den Lautsprechern, bei dem hörbar New-Wave-Moritatenbarde Marc Almond Pate stand. Beide nun reanimierten Titel aus „Hubert Kah“ sind nicht mehr und nicht weniger, als hochqualitative, vollkommen zu Unrecht kommerziell untergegangene filigrane Popedelsteine inmitten einer ansonsten musikalisch schaurigen Musikära voller Banalitäten und Ex-und-Hopp-Klangmüll.

Eine 1998 hinterher geschobene, düster-melancholische, im besten Sinne des Wortes abgehoben wirkende New-Wave-trifft-Großstadtdisco-Single mit dem Titel „Love Chain (… Maria)“, die seinerzeit aber auch keine Spuren in den Popcharts hinterließ, beendet eine hoch spannende, faszinierende Reise durch die so vielseitigen tönenden Welten eines quasi genialen Komponisten und Sängers, der, egal in welcher Stilistik er experimentell herumschwirrte, immer wieder für zeitlos schöne Popsongs im Spannungsfeld zwischen Elite und Kommerz sorgte. „The very Best of Hubert Kah“ stellt zu einem angenehmen Preis von um die zwölf Euro nicht nur eine schöne, vielfältige und intime Erinnerung an die jugendlichen Tage von uns 80er-Jahre-Kindern dar. Vorliegende Kompilation zeigt auch all denen, die Hubert Kah zuvorderst als Pullundertragenden Knuddel-„Hubsi“ bei „Promi Big Brother“ kennengelernt haben, dass dieser nicht nur als liebenswerter Container-Chaot mit mancher Macke Beachtung finden sollte, sondern den man auch und gerade als vor Kreativität nur so überbordenden Popkünstler ernstnehmen sollte, der, wie beschrieben, unzählige, noch heute enorm überzeugende, oft zeitlose, teils schier perfekte poppige Kunstwerke geschaffen hat, die teils auch 25, 30 Jahre nach ihrer Entstehung vor Intensität, Eingängigkeit, Power und realer Zeitlosigkeit nur so strotzen!

Holger Stürenburg, 15. bis 18. September 2014

http://www.hubert-kah.com/frontend/frameset.html

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