UDO JÜRGENS
smago! Serie "Schlager-Rückblick "vor 40 Jahren" von Stephan Imming: Teil 25 – Udo Jürgens ("Ein ehrenwertes Haus")!
Neuzugang 28.04.1975!
Hinweis: Normalerweise wird in dieser Serie die ganze Karriere der Künstler besprochen. Im Falle "Udo Jürgens“ ist das in einer Folge nicht möglich, weil sein Lebenswerk dazu viel zu umfangreich und bemerkens- bzw. „berichtenswert" ist. Dieser Aufgabe hat sich René Jochade verschrieben mit seiner exzellenten Smago!-Udo-Jürgens-Serie. Da Udo Jürgens „vor 40 Jahren“ aber auch sehr aktiv war und mit „Griechischer Wein“ sogar seinen einzigen Solo-Nummer-1-Hit hatte (auch von seinen Studio-LPs erreichte kein Longplay diese Position, lediglich eine Live-LP, eine Tribute-CD und die LP mit der Fußball-Nationalmannschaft erreichten das), möchte ich Udos große Erfolge des Jahres 1975 noch mal Revue passieren lassen.
1973 verbrachte Udo Jürgens einen Sommer-Urlaub auf der griechischen Insel Rhodos mit seiner damaligen Freundin Karin Holzapfel und seinem Bruder Manfred Bockelmann und dessen damaliger Frau Christiane Krüger.
Vor dem Hintergrund dieser Eindrücke – vielleicht auch wegen des trüben Wetters (Regen sowohl bei Abflug aus Rhodos als auch bei Ankunft in Wien) ließ Udo, dessen damalige Urlaubsbegleitung er in Rhodos zurückließ, seinen Griechenland-Urlaub Revue passieren und komponierte eine Melodie mit relativ ungewöhnlich komplizierter Struktur (Zweiviertel-, Dreiviertel- und Viervierteltakte wechseln sich ab) – dennoch hat die Komposition der Melodie laut einem Interview von Jürgens mit der Zeit aus 2005 nur 20 Minuten gedauert – „ich wusste sofort, das wird ein Knaller“, gab er zu Protokoll. In seiner Autobiografie liest sich das wie folgt: „Ich versuchte, mich in die typischen Akkordschritte, die rhythmischen Verschiebungen und Taktwechsel, in die besondere Melodik hineinzufinden. Ich spielte in c-Moll, tastete mich herum, erwischte das Stück einer Melodie, noch eins, ein Akkord an der richtigen Stelle führte mich weiter – und auf einmal lief sie mir aus den Fingern: Ein fertiges Lied war da.“
Sein damaliger Manager Hans R. Beierlein und sein damaliger Produzent Ralph Siegel, der sofort eine Platte produzieren wollte, weil er eine eingängige Melodie wichtiger fand als einen tiefsinnigen Text, wollten so schnell wie möglich den Song produzieren. Jürgens sah das anders und bat seine Textdichter darum, einen Text zu ersinnen, in dem nicht Worte wie „Caprifischer“, „blaues Meer“, „Segel“ und sonstige Klischees enthalten sein sollten. Michael Kunze ersann dann „Sonja wach auf – draußen ist schon heller Morgen“ – aber das stellte Udo nicht zufrieden. Mehr zu den ursprünglichen Text-Versionen wird übrigens René Jochade im Rahmen seiner Udo-Serie hier erzählen.
Udo beschloss, zunächst ohne Text eine opulente Instrumental-Version zu produzieren. Das war wohl Inspiration genug, das Thema „Gastarbeiter“ auf den Plan zu holen. So ersann Michael Kunze die Geschichte der Gastarbeiter im Ruhrgebiet in Form einer Vorstadtkneipen-Story, in der das Lebensgefühl der besungenen Männer geschildert wird, die beim Wein von ihrer Heimat, vielleicht auch von der Rückkehr dorthin, träumen, denn zu jener Zeit (ca. 20 Jahre nach Einwanderung des ersten Gastarbeiters und ca. 10 Jahre nach Erreichen der Millionengrenze) wurde in Griechenland ja gerade die Militärdiktatur zu Gunsten einer Demokratie abgeschafft. Mit diesem zum damaligen Zeitgeist passenden Text war Udo einverstanden und hoffte, mal wieder einen Hit zu landen.
Wenngleich er 1974 (der 40. Geburtstag stand bevor) noch immer ein sehr gutes Standing und „mittelprächtigen“ Erfolg hatte, wünschte er sich doch endlich wieder einen richtigen Hit. Ende 1973 gelang ihm zwar mit der typischen Siegel-Produktion „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ ein Achtungserfolg, die Nachfolger „Wilde Kirschen“ und „Geschieden“ waren trotz guter TV-Präsenz nur noch knapp in der Verkaufshitparade. „Zieh den Kopf aus der Schlinge, Bruder John“, ein klassischer Schlager mit dümmlichen Text, kam dann (zum Glück) gar nicht mehr in die Verkaufs-Charts. Viele sahen Udos Stern langsam sinken.
Ein Wendepunkt könnte dann der Auftritt bei der RTL-Löwenverleihung in der Essener Grugahalle gewesen am 05.10.1974 gewesen sein. Udo bekam zwar keinen Löwen verliehen (die Auszeichnung nahmen damals u. a. ABBA in Empfang), er war aber im Rahmenprogramm vertreten und hat nach Meinung der Presse furios „abgeräumt“.
So schrieb der spätere Chefredakteur der Bild-Zeitung, Peter Bartels, seinerzeit in Bild: „Nicht die ‚Löwen‘-Gewinner waren die Stars der ‚Löwen‘-Verleihung von Radio Luxemburg in der Essener Grugahalle, der ‚tote‘ Udo Jürgens war’s. Die 8.000 Menschen in der Gruga-Halle meinten es ernst. Jeder seiner früheren Erfolge wie ‚Anuschka‘, ‚Senorita‘ oder ‚Mathilda‘ wurden schon nach den ersten Takten mit rauschendem Applaus begrüßt. Atemlose Stille beim Dauerbrenner ‚Geschieden‘. Begeistertes Mitsingen beim ‚Teufel‘, der den Schnaps gemacht hat. Fußgetrommel! Luxemburg-Direktor Elstner: ‚Viele sind gekommen, um ihn zu beerdigen. Die Fans haben aus Udos Sarg Kleinholz gemacht‘“.
Die Fachzeitschrift „musik“ konstatierte zu Recht: „Wenn es richtig ist, dass Vierzigjährige in die Wechseljahre kommen, dann geht Udo Jürgens wieder besseren Zeiten entgegen“. – Genau so kam es. Das lange Warten auf den Text „Griechischer Wein“ sollte sich gelohnt haben.
Am 23.12.1974 (interessanterweise fast auf den Tag genau 40 Jahre vor seinem Tod) war Udos Single aus der parallel erschienenen, ebenfalls sehr erfolgreichen LP „Meine Lieder“ (fast ein Jahr in den Charts), erstmals in den Single-Charts vertreten und kam als einzige von Udo Jürgens erschienenen Liedern bis auf Platz eins der Verkaufshitparade. Das gelang ihm in Deutschland mit keiner einzigen weiteren Single – gleich acht mal hatte Udo die „Pole-Position“ inne. Der Song wurde „Hit des Jahres 1975“ – passend zur Serie „vor 40 Jahren“ war dieser Song also der größte Erfolg in jenem Jahr.
Rezept für den Geniestreich war wohl, dass den gängigen Fernweh-Schlager-Klischees geschickt aus dem Weg gegangen wurde, dennoch das Bedürfnis nach „griechischer“ Musik massenkompatibel gestillt wurde.
Der Erfolg des Liedes zog große Kreise. Udo Jürgens wurde neben Texter Michael Kunze und Manager Hans R. Beierlein vom griechischen Ministerpräsidenten Konstantin Karamanlis zu einem persönlichen Empfang nach Athen eingeladen. Hintergrund dürfte auch gewesen sein, dass der Export griechischen Weins und auch der Griechenland-Tourismus erheblich angekurbelt wurden.
Der Song wurde zum Welthit. Beispielsweise war „Come Share the Wine“ die letzte Studio-Produktion von Bing Crosby. Weltstars wie Al Martino nahmen den Song in ihr Repertoire auf. Neben weiteren, teils von Udo selbst aufgenommenen, internationalen Versionen wie „A mes amours“ (französisch), „Phile kerna krassi“ (griechisch, von Udo einst nur auf der seltenen LP „Europa nach Noten“ zu finden) und „Vinho Verde“ (portugiesisch) existiert auch eine von Guus Meeuwis interpretierte niederländische Version („Drink Schrobbeler“), in der es allerdings nicht um Gastarbeiter oder Wein, sondern um einen Kräuterlikör geht.
Der Song wurde auch gerne mal ironisch bzw. kabarettistisch umgetextet – schon Ruhrpott-Urgestein Jürgen von Manger besang kurz nach Veröffentlichung des Originals „Bottroper Bier“, die fränkische Band J.B.O besang „Fränkisches Bier“, Otto schwärmte für „friesischen Wein“, Adam und die Mickys fragten: „Krieg ich en Wein?“, und das Frühstyxradio-Team brachte als „Arschkrampen“ die Version „Griechisches Bier“ heraus.
Künstler der unterschiedlichsten Genres haben den Song textlich unverändert gecovert – mal mehr, mal weniger am Original angelehnt. Einer der ältesten Cover-Versionen ist die von Heino, danach gab es schlagerhafte Versionen wie die von Ulli Martin oder Stefan Mross (instrumental), aber auch genreübergreifende Adaptionen wie die von „Fusspils 11“, Kult-Sänger Dieter Thomas Kuhn und Tom Angelripper. Bei der Geburtstagsgala zu Udos 80. trällerte Christina Stürmer zum Vollplayback ihre Version des Griechischen Weins, die auch als Promo-Single zum Nummer-1-Album zur Gala veröffentlicht wurde. Im Gegensatz zur Longplay-CD floppte Stürmers Version kolossal – für mich nicht verwunderlich. Schade, dass Udo-Cover wie die von Herbert Grönemeyer („Wohin geht die Liebe, wenn sie geht?“) erst posthum möglich gemacht wurden.
Schließlich wurde das Lied in Udos Musical „Ich war noch niemals in New York“ umfunktioniert zur Hymne des Homo-Paares der Musical-Protagonisten Fred und Costa.
Udo selbst hat den „Griechischen Wein“ immer wieder in Konzertprogrammen gespielt. Bei der 1992er- „Geradeaus“-(bzw. „Open Air Symphony“) Tour spielte er eine Version, bei der die ersten Strophen bewusst langsam und bedächtig gesungen wurden – wohl, um noch mal auf die Bedeutung und den Inhalt des Textes hinzuweisen und den verfrühten "Mitklatsch-Faktor" etwas hinauszuzögern. Eine sehr ähnliche Version brachte Udo bei seiner letzten Konzert-Tour „Mitten im Leben“.
Genau in dem Jahr der neuen Bearbeitung gab Udo Jürgens der Süddeutschen Zeitung einige Monate vor der Tour in der Ausgabe vom 22.02.1992 ein Interview, in dem zum Ausdruck kam, dass er wohl nicht damit zufrieden war, dass der Text bzw. der Inhalt des Liedes nicht allgemein wahrgenommen wurde – er wurde von der SZ gefragt: "Herr Jürgens, der deutsche Schlager steht im Ruf, schlechte Musik mit törichten Texten zu vereinen. Tut es Ihnen weh, damit identifiziert zu werden?" – Antwort Udo Jürgens: "Das regt mich nicht auf. Diesen Ruf hat der deutsche Schlager zurecht. Ich habe sicher einmal solche Stücke gesungen. 'Griechischer Wein' zum Beispiel. Heute besteht meine Musik aus mehr Elementen, aus Chanson, Rock und Pop".
Sei es wie es sei – wie bedeutend Udos größter Hit wurde, ist auch daran zu erkennen, dass sein Lied als erster Treffer erscheint, wenn man bei Google den Suchbegriff „Griechischer Wein“ einträgt.
Nach diesem gigantischen Riesen-Erfolg war es für Udo und seine Berater natürlich schwierig, eine Nachfolge-Single zu finden. Naheliegend wäre sicher gewesen, den melancholischen Fernweh-Ansatz weiter zu verfolgen. Eine musikalisch recht ähnliche, aber bei weitem nicht so originelle und erfolgreiche Single hat man ja einige Jahre später auf den Markt gebracht („Rhodos im Regen“). 1975 aber, mit 40 Jahren, ging Udo volles Risiko, indem er (allerdings auch diesmal von Ralph Siegel produziert und von Michael Kunze getextet) eine musikalisch komplett andere Nummer folgen ließ, die vor genau 40 Jahren in den Charts war. Man entschied sich für eine rockige Nummer und griff erneut ein Zeitgeist-Phänomen auf. Diesmal ging es um die Geschichte eines unverheirateten Pärchens, dem seine spießigen Nachbarn das Leben schwermachen – der Wohnort war „Ein ehrenwertes Haus“.
Um schon mal beim Fachhandel positive Stimmung für den Song zu machen, bedankte sich Manager Beierleins Produktionsfirma Montana schon mal artig namentlich(!) bei den 30 Fachhändlerinnen und Fachhändlern, die im Branchenblatt „Musikmarkt“ mit ihrem Tipp „Griechischer Wein“ als Hit richtig lagen.
Die Single wurde mit Superlativen beworben wie „Großartiger Udo! Und ein Hit, der kommen musste“ oder „Der beste Udo, den es je gab“ beworben.
Die Rechnung ging auf – ein gutes halbes Jahr, nachdem die Bild-Zeitung von Udos Comeback bei der RTL-Löwenverleihung berichtete, waren dort am 10.05.1975 die „großen Acht der Woche von Radio Luxemburg“ zu finden – auf Platz 1 Udos Griechischer Wein, auf Platz 7 Udos Ehrenwertes Haus. Das Dankeschön an die Fachhändler ging diesmal sogar an 41 Menschen via „Musikmarkt“-Anzeige.
Die „wilde Ehe“, die schon damals gesellschaftlicher Alltag war, aber kleinbürgerlich mit Doppelmoral vielfach abgelehnt wurde, wird von Udo ausführlich beschrieben – er kommt zum Schluss: „Diese Heuchelei halt‘ ich nicht länger aus“ – kein Wunder, wird das in wilder Ehe lebende Paar doch von der spießigen Hausgemeinschaft (z. B. einer „Dicken, die den Hund verwöhnt, jedoch ihr eig’nes Kind vergisst“ oder „der von oben – wenn der Gasmann kommt, zieht sie den Schlafrock aus“) drangsaliert.
Interessant zu beobachten ist, dass Udos „ehrenwertes Haus“ auf breite Zustimmung stieß, während das einige Jahre zuvor veröffentlichte gesellschaftskritische „Lieb Vaterland“ doch bisweilen sehr kritisch gesehen wurde. Das dürfte mehrere Gründe haben: Zum einen legte Udo die Protestsänger-Charakteristik beiseite und bediente sich des Stilmittels humorvoller Ironie. Zum anderen aber änderten sich gesellschaftliche Realitäten, beispielsweise waren die SPD als Regierungspartei inzwischen etabliert, wenngleich Wolfgang Menge im Drehbuch zu „Ein Herz und eine Seele“ Sozialdemokraten immer noch von Ekel Alfred despektierlich als„ Sozis“ beschimpfen ließ.
Jedenfalls wurde Udo für seine LP „Meine Lieder“, auf der die beiden hier beschriebenen Titel enthalten sind, mit dem deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet für Udo als „Sänger des Jahres“; der Schallplattenpreis für das „Lied des Jahres“ ging an „Ein ehrenwertes Haus“. Auch eine Goldene Europa bekam Udo für seine erfolgreichen 1975er-Hits überreicht.
„Ein ehrenwertes Haus“ wurde nicht so oft gecovert wie die Vorgänger-Single, allerdings nahm der damals recht populäre Countrysänger Gunter Gabriel den Song mit auf sein Album – ebenso wie Kult-Schlagersänger Dieter Thomas Kuhn. In jüngerer Zeit hat Udo den Song mit Roger Cicero im Duett gesungen und auch selber zu seinem 66. Geburtstag eine eigene neue Version mit aktualisiertem Text veröffentlicht.
Sehr interessant sind übrigens auch die B-Seiten der Singles: „Gestern war es noch Liebe“ ist ein „im Schatten stehendes“ Lied, das Udo für bedeutend genug hielt, später für die Compilation „Aber bitte mit Sahne Teil 2“ noch mal neu aufzunehmen. Und „Illusionen“ ist einer der beiden Songs, die Udo mit der 1969 verstorbenen Sängerin Alexandra schrieb – erstmals auch von ihm selbst interpretiert – das Lied wurde ja als „If I Never Sing Another Song“ zum Welthit.







Stephan Imming, 21.05.2015
http.//www.ariola.de
http://www.udojuergens.de

