"EUROVISION SONG CONTEST"
smago! exklusiv: Der 'ultimative Chart Show' Exxperte über "Unser Lied für Stockholm"!

Wirklich top-exklusiv für www.smago.de hat das wandelnde Musiklexikon einen tollen Aufatz über den deutschen Vorentscheid zum “Eurovision Song Contest 2016” verfasst …: 

Deutschland hat gewählt – und das Positivste zuerst: Jamie-Lee Kriewitz, die Deutschland mit dem "The Voice Of Germany"-Siegersong "Ghost" nun auch beim Eurovision Song Contest in Stockholm vertritt, kann sich auf eine breite Legitimation berufen: Rund 1,2 Mio. Anrufe und SMS wurden alleine im zweiten, entscheidenden Wahlgang gezählt, davon entfielen 44,5% auf die 17-jährige. Ihr bleibt damit also ein Schicksal wie Ann-Sophie im Vorjahr erspart, die im Publikumsentscheid auf dem zweiten Platz geradezu deklassiert wurde und nur nach Wien fahren durfte (oder musste), weil beim haushohen Sieger die Auftrittsmotivation scheinbar urplötzlich ver-kümmer-te.

Die Gefahr, dass sich dieses Schicksal in diesem Jahr wiederholt, bestand schon aufgrund der Grundkonstellation: Lief doch die Siegerin des Vorentscheids von Anfang an Gefahr nur eine Teilnehmerin "von Xaviers Gnaden" zu sein, weil man bei diesem nicht rechtzeitig alle Pro und Contra unter den ihm nachgesagten (Alu-)Hut bekam.

Aber das ist die zweite gute Nachricht des Abends von Köln: Der NDR schaffte es trotz und in der Kürze der Zeit eine glaub-würdige Vorentscheidung aus dem Boden zu stampfen, die abwechslungsreicher war als die meisten der vergangenen Jahre. Und er bewies, dass die Zeiten, in denen ein ESC-Vorentscheid in der Guildo Horn-Nachfolge durch Auftritte von Zlatko oder Rudolph Moshammer und Songs wie "Ich habe meine Tage" oder "Ick wer zun Schwein" zum auf Quote ausgerichteten Kuriositäten-Kabinett wurde, endgültig vorbei sind. Ausnahmslos alle Teilnehmer des Abends überzeugten durch starken Live-Gesang und Bühnen-Präsenz.

Durchaus geschickt eingefädelt auch die Dramaturgie des Abends: Die drei bereits im Vorfeld als vermeintliche Favoriten gehandelten Songs von "Avantasia", Alex Diehl und Jamie-Lee Kriewitz wurden auf die Startplätze 7 bis 9 gesetzt (und erreichten dann auch das Super-Finale), den Abschluss durfte ESC Vorentscheidungs-Rückkehrer Ralph Siegel mit seiner Neuentdeckung Laura Pinski und einer von vielen im Vorfeld unterschätzten, starken Performance machen.

An den Anfang setzte man Ella Endlich, deren "Adrenalin" das "Atemlos-Gen" aus jedem Bluttropfen rinnt, die aber durch eine akrobatisch inszenierte Performance auf hohem Level begann und zeigte, dass es hier nicht nur um Musik ging, sondern auch um eine Bühnenpräsentation für Europa.

Die Schwestern von "Joco" wirkten dagegen dann wie das genaue Gegenstück, standen sie doch angewurzelt an Keyboard und Schlagzeug während sie den "Full Moon" besangen. Dennoch kein Langeweiler, sondern ein atmosphärisch dichter, filigraner Song für den "zweiten Horch", der ihm an dem Abend aber nicht vergönnt war.

Eher eine Multimedia-Inszenierung war der Auftritt von "Gregorian" als "Masters Of Chant". Das Projekt, das eigentlich bereits auf Abschieds-Tour ist, verbindet Gesang im Stil gregorianischer Choräle mit eingängiger Pop-Musik – in meinen Augen war das ganze visuell aber dann doch "Too Much", durch düstere Mönchskutten, Pyrotechnik all-überall und zum guten Schluss Laserstrahlen, die aus ihren Fingern schossen – möge der Chant mit ihnen sein…

Mit den folgenden Nummern gönnte der NDR dem Zuschauer eine kleine Erholungspause: "Woods Of Birnam", die aus Musikern des "Two-Hit-Wonders" "Polarkreis 18" bestehen, wirkten mit ihrem "Lift Me Up (From The Underground)" irgendwie 20 bis 30 Jahre zu spät gekommen. "Luxuslärm" bewiesen, dass sie sich in den vergangenen zehn Jahren eine enorme Routine und ein großes Fan-Publikum erspielt hatten, "Solange Liebe in mir wohnt" (übrigens aus der Feder von "Warum hast Du nicht Nein gesagt" Co-Autor Götz von Sydow) zählt aber nach meinem Dafürhalten nicht zu ihren stärksten Nummern. Und "Keoma" mit "Protected" war eher die Gelegenheit, noch einmal durchzuatmen, bevor die Show unaufhaltsam Fahrt aufnahm.

"Mystery Of A Blood Red Rose" von "Avantasia" wurde im Vorfeld als "Heavy Metal-Act" und "Deutschlands Antwort auf Lordi" beschrieben – das ist es sicherlich nicht, liefert die Band um "Edguy"-Sänger Tobias Sammet doch eher melodischen Bombast-Rock – der sie aber vielleicht deswegen auch für ein breiteres ESC-Publikum hör- und wählbar machte. Platz 3 in der Endabrechnung war daher vielleicht keine so große Überraschung mehr.

Am späteren Zweitplatzierten Alex Diehl und "Nur ein Lied" schieden sich die Geister. Ein sympathischer Auftritt, der vom NDR auffällig protegiert wurde – zum einen durch Einblenden des Textes in drei Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch) hinter dem Künstler (als Tele-Prompter scheint diese Variante im Rücken eher nicht gedacht und geeignet gewesen zu sein), zum anderen durch die Aufforderung, man möge doch bei diesem Song – als einzigem – sein Smartphone einschalten und die kleine Taschenlampe brennen lassen – und zum dritten durch den ausdrücklichen Hinweis, dass Alex Diehl alle Einnahmen aus diesem Song spenden würde. Sicher ein schöner Gedanke, im Erfolgsfall mit einer "Botschaft" nach Schweden gefahren zu sein – Chancen hätte ich ihm dort aber keine eingeräumt.

Als Vorletzte durfte dann Jamie-Lee ran – im Vergleich zu ihrem Sieg bei "TVOG" optisch in der Inszenierung deutlich aufgepeppt – dem durchschnittlichen Radio-Pop Song aus der Feder von "DJ Thomilla" alias Thomas Burchia, Conrad Hensel und Anna Leyne – wenigstens mal wieder deutsche Autoren für einen deutschen ESC-Beitrag – hilft das aber in meinen Ohren jedoch wenig. Zu sehr biedert sich das Songwriting und die Produktion bei amerikanischem R&B à la Rihanna und eingängigen Pop-Beats skandinavischer Prägung an, um einen eigenen Charakter zu entfalten, geschweige denn, die doch recht eigene Persönlichkeit von Jamie-Lee zu unterstreichen. Vielleicht kein Zufall, dass er trotz einer guten Einschaltquote im "The Voice"-Finale die Top Ten der deutschen Charts mit Platz 11 verpasst hat und eigentlich schon "durch" war. Ob es eine gute Idee ist, die nicht aufgegangene Saat nun im europäischen Blumen- und Märchenwald noch einmal aufzuwärmen, bleibt abzuwarten. Ich bin eher skeptisch, dass wir die schwachen Platzierungen, die uns derartige Songs in den vergangenen Jahren – insbesondere 2015 – einbrachten, nennenswert übertreffen werden – aber um zurück zum Anfang zu kommen: Es ist eine Mehrheitsentscheidung des Publikums in der Hoffnung, dass diese nicht auf Sympathiewerten für Jamie-Lee oder Mitgliedszahlen ihrer Fanclubs und "Communitys" beruht, sondern auf der festen Überzeugung des deutschen TV-Zuschauers, Europa möge dieses Lied lieben…

Den Abschluss durfte der Grandseigneur des ESC, Ralph Siegel, machen. Nach elf Jahren hatte der NDR wieder einmal einen seiner Songs zur Vorentscheidung ausgewählt und die Neugier auf diesen Song, der erst sechs Tage vor dem Vorentscheid überhaupt vorgestellt wurde, war im Fernsehstudio zu spüren. Eine typische, siegeleske Melodieführung, die aber auch Einflüsse der aktuellen Pop-Musik aufnahm und deswegen mit Sicherheit kein "bisschen Frieden 2.0" ist. In jedem Fall aber ein typischer Wettbewerbsbeitrag, bei dem es auch immer auf eins maßgeblich ankommt: Die Präsentation. Der 19-jährigen Laura Pinski gelang es dabei schon in der Generalprobe das Fachpublikum zu überzeugen. Ausdrucksstark und mit sicherer Stimme sang sie "Under The Sun We Are One". Natürlich gab es auch Kritiker, die bemängelten, eine "Steh"-Performance sei nicht mehr zeitgemäß – es gab aber durchaus auch treffliche Argumente dafür: gerade nach der visuellen Reizüberflutung bei Jamie-Lee Kriewitz war es wohltuend zum Abschluss wieder einen Song zu haben, bei dem es auf zwei Aspekte ankam: Songwriting und Darbietung. Beides gelang. Dass es am Ende "nur" Platz 4 wurde, ist einerseits Schade – andererseits aber auch Beleg dafür, dass Ralph Siegel und Laura Pinski doch vieles richtiggemacht haben. Wenn Siegel nämlich im Vorfeld in diversen Artikeln und Blog-Beiträgen unterstellt wurde "nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein", sollte dies hiermit widerlegt sein – oder die anderen sechs Songs, die hinter ihnen landeten, wären komplett aus der Zeit gefallen – darunter waren aber mit "Adrenalin" oder "Protected" Songs, die als "sehr modern" betitelt wurden. Und es beantwortete auch die Frage, warum sich Ralph das nach 44 erfolgreichen Jahren immer noch und immer wieder antut: Gerade weil er immer wieder junge Talente entdeckt und ihnen mit seinen Songs eine große Bühne bieten kann.

Laura Pinski selbst sah die Platzierung nach der Live-Sendung gelassen und freute sich darüber, dass ihre Performance genauso geklappt hat, wie sie sich das gewünscht hat und sie als Newcomerin unter der Vielzahl der dem NDR insgesamt angebotenen Beiträge, letztendlich einen tollen vierten Platz belegt hat. "Das Wunder von Köln", das sich Ralph Siegel so erhofft hat, ist damit zwar leider nicht eingetreten. Damit ist Siegel aber auch nicht gezwungen, seine Ankündigung wahr zu machen, sich bei einem Vorentscheidungssieg vom deutschen ESC zurückzuziehen, sondern hat hoffentlich um so mehr Motivation weiterhin mit zu machen. (Ohnehin fraglich, wie das hätte aussehen sollen – Komponist ist sein Beruf, und wenn ihm wieder ein Song einfällt – hätte er dann sagen "Nein, der ist vielleicht toll, aber den werfe ich weg, ich bin jetzt in Rente und habe doch aufgehört zu… denken" (Komponieren ist nun mal Kopf-Arbeit)?) Vielleicht gibt es ja 2017 dann auch eine zweite Chance für Laura Pinski – dieses Jahr war sie im Konzert der "Avantasia"'s und "The Voice"-Siegerinnen und ihrer Communitys eher "der No Name" – den Namen für 2017 hat sie sich aber vielleicht jetzt schon gemacht. Und die Beispiele Maxi + Chris Garden, Corinna May und Lou (siehe HIER) zeigen, dass es bereits einige Male beim zweiten Mal dann zum ganz großen Wurf gereicht hat…

Frank Ehrlacher – top-exklusiv für smago!
http://www.eurovision.tv
http://www.eurovision.de

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