HANNAH
Die CD "Aufstieg" im Test von Holger Stürenburg!
Der namhate Musikjournalist hat sich intensiv mit Leben und Werk der “Alpenpunk” Sängerin beschäftigt …:
Ein wahrlich geschichtsträchtiges Wochenende für unsere Freunde in Österreich liegt hinter uns. Am Sonntag wählte die Alpenrepublik diejenigen zwei Bundespräsidentschaftskandidaten, die in sich in vier Wochen in einer Stichwahl um das höchste Amt im Staate bewerben – und am Freitag zuvor veröffentlichte die aus dem Bezirk Innsbruck in Tirol stammende Sängerin HANNAH ihre dritte CD „AUFSTIEG“ bei Ariola/SONY.
Als „Alpenpunk“, so vermeldet das wilde, bunthaarige Mädel aus der 4500-Einwohner-Gemeinde Mils bei Hall, möge man ihre Musik auffassen – bei diesem Begriff denkt der alteingesessene „Hobby-Österreicher“ Holger S. natürlich zuvorderst an die grobschlächtige Anarcho-Rock-Legende „Drahdiwaberl“, die frühe „Erste Allgemeine Verunsicherung“ hinsichtlich ihrer ersten zwei, drei Alben, den „Highdelbeern“-fanatischen Rock-Grantler Wilfried Scheutz der beginnenden 80er oder an den späteren Kunst- und Kulturstaatssekretär der blau/schwarzen, später schwarz/orange/blauen Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zwischen 2000 und 2005, den kongenialen Ex-„Burg“ – Schauspieler und Edelpunk Franz Morak – also an eine illustre Runde aus so eigenwilligen, wie einzigartigen Musikern, deren wilde, kreative Gebaren wohl wahrhaftig nur in unserem südlichen Nachbarland mit seinem speziellen Humor und Wortwitz möglich scheinen.
Als ich also kürzlich davon erfuhr, Hannah wolle nun mit ihrer soeben fertiggestellten Produktion „Aufstieg“ auch in Bundesdeutschland durchstarten, hieß es für mich erst einmal, eben im speziellen als selbsternannter und gelebter „Hobby-Österreicher“, mich mit dem bisherigen musikalischen Schaffen der heute knapp 36jährigen Lady aus Tirol zu beschäftigen.
Hannah absolvierte nach ihrer Matura eine professionelle Gesangsausbildung im Fache „Rock/Pop Musik“ an der „Powervoice Akademie“ zu Hannover, arbeitete als „Vocal Coach“ (vulgo: Gesangslehrerin) und legte 2008 den Grundstein für ihre Karriere, man höre und staune, zunächst im Bereich der Volkstümlichen Musik. Dies jedoch schien sich als nicht allzu erquicklich zu erweisen, weshalb sie 2011 bei Ariola/SONY auf ihrem CD-Debüt „Es muss außa“ langsam, aber sicher, Kurs auf kraftvollere Klänge nahm, durchaus – wenn wir ihren berühmten Steirer Kollegen Andreas G. an dieser Stelle zum Vergleich heranziehen mögen – eine gewisse Spielart eines femininen „VolksRock’n’Roll“ anzustreben schien. D.h. sie setzte auf massive, gitarrenlastige Rockmusik, verbunden mit intelligenten, nachdenklichen Texten im Tiroler Dialekt, bei deren Umsetzung ebenso das eine oder andere Volkstümliche Instrument a la Akkordeon oder Steirischer eine treffliche Einsatzmöglichkeit zugestanden bekam.
„Es muss Außa“ war in Hannahs Heimat, Dank des Erreichens des Rang 29 als Bestnotierung in den österreichischen Albumcharts, ein ordentlicher Achtungserfolg gelungen, der zwei Jahre darauf, mittels der noch einmal um ein gutes Stück rockiger ausgefallenen Nachfolgescheibe „Weiber, es isch Zeit“, noch einmal merklich übertroffen wurde. Die überaus angenehme und kurzweilige Austrorock-CD stieg im Herbst 2013 in der Alpenrepublik bis auf Rang 3, verblieb mehr als ein Jahr lang in den Top-40-Charts, wurde mit Platin ausgezeichnet, und erregte in einem Atemzug bei aufgeschlossenen Freunden des etwas schrägeren Mundart-Pop mit Reibungsfläche in der BR Deutschland erstes Interesse an der stimmstarken, wie kess, sexy und geradeheraus auftretenden Sängerin aus Tirol. Den drei Auskoppelungen „Zoag‘s mir“, einer locker-atmosphärischen Alpenpopschlager-Melange, dem düsteren, sehr amerikanisch-großstädtisch inszenierten Rockhammer „I halts nit aus“, bzw. der perlenden, dabei bodenständig-rustikalen Feudalpop-Ballade „Schön, dass es Dich gibt“ waren in Radio und TV ebenfalls gute Resultate vergönnt.
Nun hat sich Hannah die Haare pink gesträhnt, vermengt bezüglich ihres Kleidungstils traditionelles Dirndl und zünftige Tracht mit grellen Waver-Klamotten, anrüchiger Strapse und engem Leder – und präsentiert sich darüber hinaus in musikalischer Betrachtungsweise als aufstrebende Schöpferin einer Art ‚VolksPop’n’Punk‘, der auf den ersten Blick ein betörend extravagantes Klangbild an den Tag, als paarte man die großen Hits des erwähnten Kollegen Gabalier mit den rohen, rotzigen Sounds der „Clash“ oder der Ramones“. Allenthalben im Weihnachtsgeschäft 2015 kündigte die Vorabauskopplung „Weißt Du, wie viel Sternlein stehen“, die nichts mit dem gleichnamigen Abend- und Wiegenlied aus dem Jahr 1837 gemein hat, sondern viel mehr ein bedrohlich-apokalyptisches Szenario beschreibt, welches einträte, falls die Menschheit nicht sofort global gegen Gewalt, Hass und Krieg aufstünde, an, dass Hannah offenbar nun endlich in demjenigen kreativen Fluidum angekommen ist, in dem sie künstlerisch schon immer landen wollte, betreffs dessen sie selbst betont, dies sei zu „120 Prozent sie“ (Zitat). Diese bedeutet im Klartext: Bei offensiv-offenherzigem Neo-Punk/Rock/Pop mit handfesten, oft drastischen, unverschnörkelten Texten, die die Interpretin übrigens sämtlich selbstverfasst, die verschiedenartigste Gefühle verbreiten, skizzieren, aufspießen, aber zugleich ein ums andere Mal eine Botschaft, eine tiefergehendere Aussage, in sich tragen und nach „außa“ vermitteln.
Im März 2016 folgte Single Numero Zwei: „Scheißegal“ (nicht identisch mit gleichnamigem 1995er-Hit von „Wolle“ P.) ist ein rasanter, draufgängerischer, berstend-aufmüpfiger Punk’n’Roll-Hymnus, begleitet von feschen Akkordeons im Hintergrund, gesungen aus der Sicht einer Frau, die von ihrem Ex-Freund betrogen und belogen wurde, denselben umgehend und resolut vor die Tür setzte, und nun erst einmal ihre Freiheit in jeglicher Färbung genießen mag. Im Refrain spielt Hannah unverkennbar auf einen alten, allseits bekannten Gassenhauer der „Münchener Freiheit“ an, den sie dialektisch konterkariert und lustvoll ins Gegenteil verkehrt: „Ohne Dich schlaf ich heut‘ Nacht schon ein / Ich geh‘ sicher nicht alleine heim“…
Dazu gibt’s einen gewagten Promo-Clip zu sehen, in dessen Verlauf der Betrachter halbnackte, muskelbepackte Beauty Boys ebenso zu Gesicht bekommt, wie die hübsche Sängerin persönlich in (nicht nur) sachte angedeutetem Lack-und-Leder-Kolorit… diese Mixtur aus genialischem, eingängigem Song und provokantem Video dürfte mit einiger Sicherheit die Veranlassung dafür übernehmen, dass „Scheißegal“ in Österreich, wie in Bundesdeutschland, im Sinne der sprichwörtlichen Bombe einschlagen und die attraktive Mitdreißigerin auch und insbesondere hierzulande immer mehr Fans für sich gewinnen wird, seien es tolerante Schlagerfreunde mit Hang zum Außergewöhnlichen oder bekennende Anhänger gekonnt aufbereiteter, schrillerer Klänge, weit jenseits des Mainstreams. Diese beiden, eben näher vorgestellten Vorab-Singles fungierten als Appetitanreger für „Aufstieg“, den dritten Longplayer der „Mother of Alpenpunk“, der bei Ariola/SONY erschien und nun im folgenden ausgiebig analysiert werden soll!
Hannahs tönender Gipfelsturm startet mit einem teils gejodelten, zeitgemäß, voluminös und brausend arrangierten Boogie-Rock/Symphonic-Hardrock-Intro, welches da (sic) heißt „Aufstieg“, und sogleich in die aktuelle Single „Scheißegal“ mündet, bevor die charmante Alpenpunk-Proklamatorin ihren ureigenen, modern und liberal geäußerten Lokalpatriotismus in der intensiven, zickig-zackigen Powerballade „Hoamat“ pflegt, sich darin allerdings explizit zu der ab dem 01. Januar 2012 geltenden Neufassung der österreichischen Bundeshymne bekennt, in der es, bis heute immer wieder harsch diskutiert (auch und gerade durch den Kollegen Gabalier, der die ursprüngliche Textversion aus dem Jahr 1947 bevorzugt), abgeändert heißt: „Heimat großer Töchter und Söhne“ (wobei Hannahs lyrische Aussage in diesem per se sehr gelungenen und sympathischen „Hoamat“-Lied ihre Verbundenheit zu Österreich u.a. damit begründet, dass in ihrem Land „große Töchter und a Söhne regieren“ (Textzitat). Dies scheinen viele Österreicherinnen und Österreicher dem zum Trotz vollkommen anders zu sehen, denn die derzeit regierenden „Töchter & Söhne“, resp. deren Parteien, haben bei der Bundespräsidentschaftswahl, nur wenige Tage nach der ‚Weggelobung‘ von Tochter Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), ganz schön etwas vor den Latz bekommen!)
Daraufhin folgen „Nackte Liebe“, ein in mittlerer Geschwindigkeit angelegter, hintergründig brodelnder Rock/Pop-Verschnitt auf Gitarrenbasis, voller knisternder Erotik und doppeldeutiger Wortspielereien, und der reale, knackig-tanzbare Alpenpunk-Pop „Horizont“, den klassische Schlageranhänger, wie unverbesserliche Austropop-Fetischisten gleichermaßen liebhaben können, da der fröhliche Pop-Appeal das rabiate Punk-Feeling deutlich übersteigt. Ein leises Piano führt daran anschließend durch die mit energiegeladener Stimme vorgetragene, später streicher-verstärkte Edelballade „Stille Nächte“ über eine Liebe, die vom ersten Schulausflug an bis in die Jetztzeit überdauert hat und nun vom Lied-Ich grazil und sehr mitfühlend nachgezeichnet wird.
„Himmelwärts“ verbleibt dagegen in einem eher konventionellen Pop/Rock-Kontext zeitnahen Zuschnitts, der untermalt wird von ein paar milden Reggae-Rhythmen und sich später zum rauschenden Beinahe-Gospel auswächst, während die kokette, womöglich ein bisschen zu sehr auf jugendlich-jungmädchenhaft getrimmte (dabei aber durchwegs liebenswerte) Anmache „Hey, Alter“ aktuelle R’n’B-Elemente mit angesagtem Chartspop verschmilzt, wobei regelmäßig das Akkordeon dafür Sorge trägt, dass das spezifische Alpenpunk-Flair allemal spürbar bleibt.
„Wölfe“ ist ein properer, rigoros geradeaus driftender Popschlager mit Widerhaken, „Aber Du liebst mich“ spielt wiederum mit sonnigem Reggae-Ambiente, beinhaltet ein heißes Gitarrensolo, abermals liebliche Akkordeon-Passagen und basiert auf einem herrlich vor sich hin treibenden Groove. Regelrechten Alpenpunk ohne Abstriche, furios gitarrenbetont und lautstark ausgelebt, gibt’s im brachialen Heavy-Düsterrocker „Steig“ zu hören, „Wenn der Himmel weint“ zeigt sich als ungestüme, hymnische Mehr-Rock-als-Pop-Poprock-Mischung, im Klangbild des Heute und Hier; in diesem musikalischen Milieu treibt sich, wenn auch hier sanfter und im mittleren Tempo arrangiert, gleichsam „Das allerschönste Lied“ (Liedtitel) herum. Im Anschluss an die oben beschriebene, erste Single „Weißt Du, wie viel Sternlein stehen?“, beendet das so großorchestrale, wie hoch dramatische Outro „In den Bergen wird es still“ Hannahs weiteren, diesmal schon einwandfrei fundamentalen, wie fundierten Schritt, weg vom Volkstümlichen Schlager, hin zu der von ihr kreierten bzw. – siehe Einleitung – phasenhaft tatsächlich auch konstruktiv und gewitzt reanimierten Stilistik des Alpenpunk.
Der in Gesang gegossene „AUFSTIEG“ von HannaH ist noch kein allmächtiges Meisterwerk, aber das mehrheitlich sehr ansprechende Liedprogramm weist klanglich, textlich – stimmlich agiert die Lady eh perfekt – den fachgemäßen, strikt und ohne Scheuklappen beschrittenen Weg in die richtige Richtung. Während ihre Landsmännin/Landsschwester Christina Stürmer in erster Linie den Radiomainstream ohne allzu tiefgehende Substanz bedient und derzeit eigentlich ausschließlich die hübsche Wienerin „HerzDame“ gleichsam tolle, exzentrische und experimentierfreudige Austropop-Versuche startet (ihr Debütalbum aber noch nicht vorliegt, so dass dazu noch nichts Grundlegenderes zu sagen ist), könnte es Hannah (auf einer Augenhöhe mit „HerzDame“) ohne Frage gelingen, in Sachen Reputation, kommerziell, wie qualitativ, neuartigen weiblichen Popambitionen Made in Austria einen gewaltigen Schub zu verleihen. Womöglich sollte die farbenfrohe Alpenpunkerin die Nutzung der ungehörigen Umschreibung für den „Großen Stuhlgang“ in allen Variationen im Rahmen ihrer ansonsten so frechen, wie verführerischen Texte nicht in „Kommissar-Schimanski“-gemäße Höhen treiben und sich – selbst wenn sie ohne jede Frage zehn Jahre jünger aussieht, als in ihrem Personalausweis notiert – teilweise erwachsener, weniger Backfisch-haft in ihrer Lyrik ausdrücken und verkörpern.
Von solchen, ja auch nur subjektiv meinerseits wahrgenommenen Lappalien abgesehen jedoch, absolviert Hannah ihren geradlinigen, unbeirrten „Aufstieg“ auf gleichnamigem Album realistisch, genüsslich und zielstrebig. Sie packt ihre Vorhaben mit Vehemenz, ausgewiesenem stimmlichen Können, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit kernig und leidenschaftlich an. Nachdem die aufstrebende Künstlerin in ihrer „Hoamat“ bereits, glaubt man der Biographie auf ihrer Homepage, als „eine der meistgebuchten Sängerinnen 2015“ gilt und sogar als die „aktuell erfolgreichste Sängerin im Lande“ deklamiert wird, dürfte sich dieser außerordentlich positive Ruf der jungen Dame in der Alpenrepublik in diesem Jahr noch weiter festigen und ausbauen – und ggf. gelingt ihr mit „Aufstieg“ dito ein sehr verdienter und anstrebenswerter Einstieg in die popmusikalische Szenerie der Bundesrepublik Deutschland.
Es bleibt zu sagen: HANNAH hat alle Chancen dieser Welt, dem „Alpenpunk“ ein großartiges Revival bzw. eine elektrisierende Weiterentwicklung zu bescheren. Dies beweist ihr persönlicher „Aufstieg“ im CD-Format, eine abwechslungsreiche und mannigfaltige Silberscheibe, die fraglos einen weiteren, eklatanten Schritt der nicht alltäglichen, jungen Sängerin an die Spitze des gegenwärtigen Austropop darstellt, in aller Form!
Holger Stürenburg, 23./24. April 2016) – überarbeitet: 27. April 2016
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