VANESSA MAI
Bemerkenswerte WDR-Doku "Schlagerprinzessinnen" – fehlte da nicht eine Prinzessin …?
Viele erfolgreiche Sängerinnen wurden in der WDR-Doku vorgestellt – Vanessa Mai hingegen nicht! Stephan Imming orakelt, warum …:
Am kommenden Freitag erscheint das erste „Live“-Album von Vanessa Mai. Im Zusammenhang mit der Bewerbung des neuen Tonträgers wird seitens der Plattenfirma u. a. die Berliner Zeitung zitiert: „Am Montag hat die gegenwärtig erfolgreichste junge deutsche Popkünstlerin vor Tausenden von Zuschauern im Tempodrom ein begeistert bejubeltes Konzert gegeben.“ – Das Zitat ist richtig, spannend ist aber der Kontext: die Überschrift des Blattes zu besagtem Artikel lautet: „Vanessa Mai feiert die Abkehr von der weiblichen Souveränität“. Wie bitte? … Es kommt noch besser – unter der Teilüberschrift „Frau als Mangelwesen“ ist zu lesen: „Vanessa Mai dagegen hat die Sprache der Selbstbestimmtheit und Unterwerfung durch jene der Unterwürfigkeit und Unvollständigkeit ersetzt: Bei ihr ist die Frau ein unsouveränes Mangelwesen, das erst durch die dauerhafte Vereinigung mit einem souveränen Mann zu sich selbst kommt.
Derartige Zitate lassen aufhorchen. Wie kommt man darauf, ausgerechnet die nun wirklich sexy auftretende Vanessa Mai so zu beurteilen? – Autor des Artikels ist Jens Balzer, stellvertretender Ressortleiter im Feuilleton der Berliner Zeitung. Der Popexperte schreibt dort laut Webseite des Blattes u. a. über White-House und Doom-Metal und ist damit nach Meinung des Westdeutschen Rundfunks offensichtlich prädestiniert, sich über „Schlagerprinzessinnen“ zu äußern. Okay, woher soll der WDR auch andere Schlagerexperten kennen, nachdem er den Schlager aus seinem Radioprogramm verbannt hat? Da macht es für den Kölner Sender Sinn, einen Berliner Buchautoren zu befragen.
Autor Belzer hat offensichtlich eine Vorliebe für Helene Fischer. In seinem Buch „Pop – Ein Panorama der Gegenwart“ beschreibt er den Superstar des deutschen Schlagers wie folgt: „Sie ist ein hyperaktiver, sich unaufhörlich von einer Erscheinungsform in die nächste transformierender Organismus – und wirkt doch zumeist mechanisch und leidenschaftslos, roboterhaft desinteressiert und undurchsichtig. Daraus erklärt sich auch der sonderbar selbstwidersprüchliche und deswegen so erregende Eros, der Helene Fischer umgibt: Die Sprache der Herrschaft und die der Unterwerfung sind in ihrer Inszenierung unentwirrbar verschränkt. Für die Pop-Heldinnen der Gegenwart ist diese Schizo-Erotik typisch…“. Er widmet ihr sogar ein eigenes Kapitel: „Helene Fischer und die Geburt des nihilistischen Postfeminismus“. Kein Wunder also, dass auch im Artikel über das Vanessa Mai-Konzert Helene charakterisiert wird. Erneut geht es weniger um ihre Musik, vielmehr wird konstatiert, Helene „bekräftigte auch im Bekleidungsstil und in ihrer Bühnenästhetik vehement den Willen zur sexuellen und sonstigen Dominanz.“
„Sexuelle und sonstige Dominanz“ – damit war Helene wohl prädestiniert, in der Reportage „Schlagerprinzessinnen“ vorzukommen – das ist es offensichtlich, was eine Prinzessin heutzutage ausmacht… – In der WDR-Doku haut auch Kristina Bach, Autorin von Helenes Superhit „Atemlos“, in diese Kerbe – sie konstatiert, dass der Typ „blonder Engel, hohe Stimme“, den Helene verkörpere, sie zu eine „Glamour-Figur wie Marlene Dietrich“ mache. Da ist es fast schon eine Wohltat, wenn Mary Roos mal nicht über Sex, sondern über Schlager redet und dem Nachwuchs rät, sein „eigenes Ding“ zu machen und nicht immer dem Superstar – sprich Helene – hinterherzurennen.
Weitere „Schlagerprinzessinnen“ der WDR-Doku waren z. B. Andrea Berg, Maite Kelly, Christin Stark, Linda Hesse, Laura Wilde und eben Mary Roos (okay, wenn Prinz Charles ein „Prinz“ ist, kann man die göttliche Mary sicher auch „Prinzessin“ nennen). Neben Michelle fehlte bei der Betrachtung ein Name: Echopreisträgerin Vanessa Mai. Der WDR, der ja wie erwähnt den Schlager aus seinen Radioprogrammen geschmissen hat, aber in seinem Fernsehprogramm den aktuellen Erfolg des Schlagers wohl auch nicht mehr ignorieren kann (auf der WDR-Homepage ist sogar die Rede von einem „ungeahnten Boom“), lässt da lieber Boom – äääh, Doom-Metal-Experte Jens Balzer statt Vanessa Mai zu Wort kommen. Und der wiederum scheint ja seine eigene Meinung zu „Fräulein Mai“ zu haben. Woran er festmacht, sie verkörpere die Frau als „unsouveränes Mangelwesen“, ist interessant zu lesen.
In seinem Vanessa-Mai-Konzertbericht beschreibt er weniger die Musik der Sängerin, sondern eher deren Outfit: „Dazu trug sie einen schwarzen Body, schwarze Stiefel und eine zerfetzte Schürze mit Karoküchentuchmuster“, „nun trug sie einen BH in Ocker und eine fleischfarbene Highway-Hose und sah dadurch im ersten Moment aus wie nackt.“; „Weil die Highway-Hose so tief in ihre Poritze schnitt, bat Vanessa Mai ihren Kameramann Greg darum, sie in dieser Montur auf keinen Fall von hinten zu filmen, was Greg zum allgemeinen Gekieks und Gejuchze natürlich gerade deswegen tat.“
Nicht nur in der Politik, auch im Schlager sind die Grenzen zwischen Satire und Ernsthaftigkeit so fließend, dass die Grenzen da immer unübersichtlicher werden, das gilt auch für den Schlager. Insofern ist man geneigt zu sagen: Wolfgang Trepper, übernehmen Sie! – Die Zitierung einiger Statements Jens Balzers (da ist der Name vielleicht sogar Programm?) dürfte für Lacher bei vielen Schlagerfreunden sorgen und noch deren Wortschatz erweitern: „Schizo-Erotik“, „nihilistischer Postfeminismus“, „Highway-Hose“, „weibliche Souveränität“ – all diese Vokabeln im Zusammenhang mit einer blonden jungen Frau, die „Wolke siiiieben ist noch freiii“ singt – das hat schon was. Schade, die „Poritze“ von Vanessa hätte sich sicher auch gut als Thema in der WDR-Doku gemacht…
Bis zum 8. Januar kann die WDR-Reportage noch in dessen Mediathek angesehen werden:
http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/doku-am-freitag/video-schlagerprinzessinnen-100.html
Der angesprochene Artikel der Berliner Zeitung findet sich hier:
Foto-Credit: Sandra Ludewig
Stephan Imming, 04.01.2017
http://www.ariola.de
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