FALCO
Das 3-CD-Set "FALCO 60" im Test von Holger Stürenburg!

SONY hat perfekte Katalogarbeit geleistet: Die ultimative Songkollektion des selbsternannten “Kunstprodukts der 80er Jahre”! 

Am 19. Februar 2017 hätte der 1998 tödlich verunglückte Weaner Weltstar FALCO seinen 60. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass veröffentlichte die SONY zum 17.02.2017 eine ausgiebige musikalische Erinnerung an das selbsternannte „Kunstprodukt der 80er Jahre“, welches nicht nur den Zeitgeist DER Dekade unserer Generation perfektest aufspießte, darbot und zugleich karikierte, sondern denselben dito rund um die Welt aus österreichischer Sicht bekannt machte und unverkennbar repräsentierte.

FALCO, geboren als Hans Hölzl, legte sich aus Ehrerbietung gegenüber dem „DDR“-Skispringer Falko Weißpflog seinen Künstlernamen zu und nahm 1981 – nach einiger Zeit als Bassist bei den Austro-Anarchorockern „Drahdiwaberl“ – seine erste Solo-LP „Einzelhaft“ auf. Daraufhin begann eine kometenhafte Karriere, die unzählige phantastische, international jederzeit reputierliche Meilensteine des Austropop hervorbrachte.

Mir liegt die 3-CD-Edtion vor; es gibt zusätzlich ein 2-DVD-Set und eine Vinyl-Ausgabe von „FALCO 60“ – so der Titel der herausragend ausgewählten Falco-Kompilationen – käuflich zu erwerben. Über die DVDs mit zig Musikvideos, raren Liveaufnahmen und TV-Auftritten, äußere ich mich in Bälde.

„FALCO 60“ beginnt mit dem einst noch mit „Drahdiwaberl“ eingespielten, drögen Drogenblues „Ganz Wien“ – mit herrlichen lyrischen Anspielungen auf den damaligen österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) und den bei diesem in Ungnade gefallenen Finanzminister Hannes Androsch -, gefolgt von dem unschlagbaren „Kommissar“, der hierzulande – wie auch in der Alpenrepublik – wochenlang den ersten Rang der Singlehitparaden in Beschlag nehmen konnte.

Diese beiden Titel wurden Anfang 1982 auf der LP „Einzelhaft“ veröffentlicht, unter der Tonregie von Produzent Robert Ponger. Dieser zeitgeistbestimmenden Scheibe entstammen ebenfalls „Helden von Heute“ – eine wohlmeinende, Synthipop- bzw. New-Wave-gemäß-unterkühlte Parodie auf, vielleicht vielmehr Variation  von David Bowies unvergleichlichem Generationenhymnus „Heroes“ -, der bitterböse, drastisch-hypernervöse Rap „Maschine brennt“ – im Sommer 1982 zweite Singleauskoppelung, Rang 10 in der BR Deutschland -, das gehetzte, rasende Zeitgeistdrama „Auf der Flucht“, welches die politisierenden Jugendkrawalle in Berlin 1967 mit den juvenilen Opernhausunruhen 1982 in Zürich trefflich und phänomenal zugespitzt in Verbindung brachte, und die gesungene, rockig-funkige Novelle über das traurige Schicksal einer minderjährigen, rauschgiftsüchtigen Prostituierte, „Zu viel Hitze“.

Zwei Jahre später, im Sommer 1984, erschien die vorzügliche LP „Junge Roemer“, die von Kritikern mit der britischen Yuppie-Elegie „The Lexicon of Love“ der genialischen New-Romantic-Truppe „ABC“ nicht zu Unrecht verglichen wurde. Bedauerlicherweise konnte dieses großspurige Meisterwerk nicht an die Verkaufserfolge des Vorgängers anschließen; trotzdem schrieb Falco etwa mit dem leger-coolen, konstruktiv überkandidelten, dabei sacht New-Jazz-angehauchten, funkigen Titellied, dem eleganten Neureichen-Pop „Brillantin‘ Brutal“, der ultracool-groovigen, bläserverstärkten Tanzsaal-Orgie „Hoch wie nie“ und dem edlen Disco-Epos „No Answers (Hallo Deutschland)“ fraglos Musikhistorie der mittleren 80er. Etwas schade ist jedoch, dass das kesse Duett mit TV-Sternchen Desiree Nosbusch, „Kann es Liebe sein?“ nicht auf dieser Kompilation vorkommt.

Ein Jahr darauf, Summer of 85, avancierte Falco endgültig zum weltweit gefragten Superstar. Unterstützt von den Niederländern Rob und Ferdi Bolland, schuf er zuvorderst einen kulturgeschichtlichen Höhepunkt namens „Rock me, Amadeus“ – dies war ein draller, phonstarker Rap-Rock, der sich fast in ganz Europa und sogar in den USA die Spitzenposition der jeweiligen Landeshitparaden sichern konnte. Die augenzwinkernde Beschreibung von Falcos Landsmann Wolfgang Amadeus Mozart diente als höchst ansehnlicher Vorbote für Falcos 1985er-LP „Falco – 3“, die im September 1985 auf den Markt kam und sogleich den zweiten Rang der deutschen Albumcharts zu erzielen vermochte.

Neben erwähnter Mozart-Hommage (im für den US-Amerikanischen Markt bestimmten Mix), fanden die knackig-treibende, zweite Single „Vienna Calling“, das frech-aufmüpfige Bekenntnis zum freiheitlich-demokratischen System, „Männer des Westens – Any Kind of Land“, die ironisch zugespitzte Betrachtung des damals von Ronald Reagan regierten „America“, sowie der ultimative Skandal-Hit „Jeanny“ Platz auf „FALCO 60“, um den sich seit jenen Tagen zig Legenden ranken, ob es sich lyrisch um die Entführung eines 19jährigen Mädchens handelt, oder doch nur um ein surreales Liebeslied mit mystisch-dunklem Hintergrund.

Noch im Jahr 1986 legte Falco in puncto „Jeanny“ nach und bot auf seiner im Herbst jenen Jahres vorgelegten LP „Emotional“ eine Folge-Aufnahme von „Jeanny“ auf, die da heißt „Coming Home“ und die Story noch vertrackter und verschwurbelter werden ließ: In „Coming Home (Ein Jahr danach – Jeanny Part II)“ spann Falco die Geschichte seiner mysteriösen „Jeanny“ weiter, deutete er an, dass das Lied-Ich das Mädel tatsächlich entführt habe, weil – oder obwohl – es sie über alles liebte, weshalb der Liedprotagonist offenbar verurteilt wurde und ins Gefängnis kam.

Es wurden gleichermaßen einige weitere, sehr interessante Titel aus „Emotional“ für „FALCO 60“ aus dem Archiv ausgegraben. So z.B. der wehend-rockige ‚Zeitgeist-Express‘ „Les Nouveoux Riches“, der dem seinerzeitigen, nicht unumstrittenen (nicht gerade von einem guten Gedächtnis beseelten) österreichischen Bundespräsidenten Dr. Kurt „Ich habe meine Pflicht erfüllt“ Waldheim gewidmete Soft-Hip-Hop „The Sound of Musik“, der Titelsong, ein ausgeruhter, innovativ vor sich hin schwelgender Pop-Reggae, und das opulente Liebesgeständnis an den „Star unserer Tage“ (Textzitat), „The Star of Sun and Moon“ (liebevolle Grüße an F.K.).

1987 gab es keine neue Falco-LP, dafür aber im November genannten Jahres das antreibende, hardrockige Duett „Body next to Body“, welches der ‚Falke‘ gemeinsam mit dem dänischen Photomodell bzw. der Sylvester-Stallone-Teilzeit-Gattin Brigitte Nielsen stöhnend aufnahm. Dieses ist, im Vinyl-Format, nur noch seltenst im Second-Hand-Bereich erhältlich und wurde nun endlich auf „Falco 60“ für die Nachwelt wieder aufbereitet – die Kritiken vor 30 Jahren waren zwar verheerend, aber der Song per se ist, gerade WEIL er so aufgeplustert und synthetisch aufscheint, wahrhaft Klasse und steht für die überzeichnete Oberflächlichkeit der späten 80er Jahre, wie kaum ein anderes Lied.

Im August 1988 schien Falcos Stern zu sinken. Er machte mit der LP „Wiener Blut“ auf sich aufmerksam, die qualitativ zwar überwiegend überzeugte, aber nicht mehr an die Hitparadenerfolge der Vorjahre anknüpfen konnte. Drei Titel daraus fanden den Weg auf „Falco 60“. Dabei handelt es sich um den, inhaltlich bissigen, klanglich enorm riffrockigen Titelsong „Wiener Blut“, das neuzeitliche Weaner Lied „Tricks“ – eine Art Qualtinger im deftigen Synthi-Modus -, und die überspitzt karikative, streicherverzierte Huldigung der schwedisch-US-amerikanischen Filmschauspielerin Gerta „Garbo“.

Die Tour zu „Wiener Blut“, geplant für den Spätherbst 1988, wurde abgesagt; es schien so, als stünde ein realer Abgesang auf Falco an – dessen 1990 erschienene LP „Data de Groove“ floppte gnadenlos. Vielleicht lag dies an den verqueren, teils gar wirr wirkenden Texten. Trotzdem befanden sich auch auf dieser schwierigen, oft nicht umgehend nachvollziehbaren LP einige wahrhaft glanzvolle Beiträge, wie etwa der Titelsong, ein luftig-swingender, sommerlich-frischer Tanzpop mit Widerhaken, der feudal-abgehobene, sphärisch-nächtliche Edel-Schleicher „Charisma Kommando“ oder der so beschwingte, wie voranstrebende, bluesig-soulige, teils an Eric Clapton, teils an die „Dire Straits“ erinnernde Großstadt-Rock „Alles im Liegen“ – selbst, wenn sich die textlichen Inhalte nicht unbedingt sofort erschließen, bzw. interpretieren lassen.

1992 wagte Falco einen Neustart – diesmal bei der Plattenfirma EMI – mit dem konsequenten Opus „Nachtflug“. Auch aus dieser hervorragenden LP schafften es die drei wichtigsten Titel auf „Falco 60“: Die prägnant symphonisch inszenierte, erste Single „Titanic“ – mit der völlig zutreffenden, gerade in der heutigen Zeit (leider) unwiderruflich geltenden Textzeile „Dekadenz for you and me / Decadance“ -, der morbide, balladeske Titelsong „Nachtflug“ und das dancefloor-lastige „Monarchy now“ stellen den Falco der frühen 90er Jahre überaus positiv ins rechte Licht.

Das erst nach Falcos viel zu frühem Tod, 1999 posthum veröffentlichte Rock-Melodram „Verdammt, wir leben noch“ hören wir in einem 1995 entstandenen „Rough Mix“. Im selben Jahr tauchte Falco unter dem Pseudonym „T.M.A.“ erneut, alles andere als unerfolgreich, im musikalischen Wirrwarr der 90er Jahre auf. Im damals mächtig angesagten – nicht unbedingt geschmacksrelevanten – Techno-Sound, gab’s eine bissige Parodie auf den aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert stammenden Berliner Gassenhauer „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“, den krachenden, rennenden Dancefloor-Rocker „Naked“ oder die ebenso Tanzboden-lastige Single „Push! Push!“. Aus Falcos letztem Album vor seinem Tod, wurden der schräge, lautmalerische Düsterrocker „No Time for Revolution“, der hochphilosophische Titelgeber „Out of the Dark“ – mit der alles bestimmenden Textzeile „Muss ich denn streben / um zu leben?“ – und ein Remix der beindruckend und betörend hypertrophen 1998er-Single „Egoist“ für „FALCO 60“ herausgesucht.

Auf der dritten CD von „FALCO 60“ befinden sich überwiegend rare Aufnahmen, Live-Versionen, Maxi-Auslegungen und einige brandneue Remixe. Offiziell auf CD unveröffentlicht sind etwa der hibbelig-symphonische 1987er-Beitrag Falcos zur Curt-Cress-Scheibe “Sing“, „Welcome to Japan“, oder die so fetzigen, wie schrägen Funkrocker „Genie und Partisan (A Fascinating Man)“ und „Metamorphic Rocks“, beide dem 1992er-Album „Darwin (The Evolution)“ des „Bolland Projects“ entstammend. Den im Tempo eher zurückhaltenden Electro-Swing „Ecce Machina“ steuerte Falco 1995 dem CD-Werk „Mediator“ des österreichischen Schlagzeugers Thomas „Tom“ Lang bei.

Gemeinsam mit der österreichischen Pop/Rock-Band „OPUS“, trat Falco 1985 ‚live‘ in Graz-Liebenau auf und intonierte mit derselben deren Powerrock-Ballade „Flying High“ und seinen eigenen Megahit „Rock me, Amadeus“; beide Titel wurden zuvor ausschließlich auf der 2013er-„OPUS“-CD „OPUS & Friends“ veröffentlicht.

Es folgen auf CD-03 die nur noch mit viel Glück in Vinyl-Form aufzutreibende „Extended Other Version“ des Falco/Nielsen-Zwiegesangs „Body next to Body“ (1987), der auf knapp acht Minuten ausgedehnte „Specially Remix“ des famosen 1984er-Geheimtipps „Junge Roemer“, die „Extended Version“ der seinerzeitigen Maxi-B-Seite von „Rock me, Amadeus“, „Urban Tropical“, die 12Inch-Auslegung des 1986er-Hits „The Sound of Musik“ und das – ebenfalls in verlängerter, sehr dancefloor-orientierter Version bedacht – Cover des 1972er-„Steely-Dan“-Klassikers „Do it again“, welchen Falco für seine 1988er-LP „Wiener Blut“ auserwählt hatte.

Schlussendlich vernehmen wir – zugegebenermaßen  sehr moderne, durchaus gewöhnungsbedürftige – Remixe seitens neuzeitlicher DJs, wie etwa des „Kommissars“ durch das alpenländische Duo „Ogris Debris“ und „YNNOX“. Zudem wurden „America“ (1985) durch den Wiener „Milo Mills“ und „Vienna Calling“ durch den Electroswing-Pionier Parov Stelar neu abgemischt.

Alles in allem, kann man sagen, dass SONY/Ariola – ähnlich wie bei „Merci, Udo“ – eine wahrhaft großartige Katalogarbeit geleistet hat. Es wurden für diese Drei-CD-Box die wichtigsten und bedeutsamsten Titel von FALCO zusammengeführt. Wir 80er-Kinder konnten ohne FALCO unsere Dekade nicht überstehen – aber, es ist mir ebenso bekannt, dass auch viele Nachgeborene sich zu seiner Musik hingezogen fühlen. Er stellte die (wie ich finde, konstruktive) Dekadenz unseres Jahrzehnts in bester Kunstform vor. Ich empfehle allen 80er-Mitangehörigen und allen nachgeborenen, 80er-Affinen Menschen, diese 3-CD-Box zu erwerben.

 

 

Holger Stürenburg, Februar 2017

http://www.falco.at

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