ZUPFGEIGENHANSEL
“Danke, Thomas Friz!”:

Zupfgeigenhansel Erich Schmeckenbecher erinnert an einen großen Sänger +++ Letzter Auftritt vom September 2022 wird veröffentlicht +++

 

Am 29.08.2023 verstarb mit Thomas Friz der Leadsänger des legendären Folk-Duos Zupfgeigenhansel. Knapp ein Jahr zuvor, am 27.09.2022, hatte sich das Duo zu einem letzten Auftritt zusammengefunden. Anlässlich des 50. Jubiläums des Stuttgarter Kultclubs Laboratorium intonierten die beiden Folklegenden vier Songs – darunter einen ihrer größten Hits: „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“. Die geladenen Gäste, darunter Kulturministerin Olschowski und „Theaterhaus“ Chef Schretzmeier, zeigten sich berührt und begeistert zugleich. Diese Aufnahme wird nun als letztes gemeinsames Tondokument als Single veröffentlicht. Der TV-Sender Regio TV strahlt zudem am 25.09. (ab 19:00 Uhr) ein ausführliches Gespräch mit Erich Schmeckenbecher aus, der hier in einem Nachruf an seinen langjährigen Freund und Partner erinnert*:

 

 

“Am 27. September 1972 eröffnete in Stuttgart ein neuer Live-Musik-Kultur-Club seine Pforten. Man wollte dem damaligen miefigen kulturellen Angebot der Mainstream-Medien unbedingt was entgegenstellen. Das »LABORATORIUM« in der Wagenburgstrasse 147 in Stuttgart erblickte das Licht der Welt im Dunkel eines fensterlosen Nebengebäudes einer Gastwirtschaft, die schon bessere Zeiten gesehen hatte.

Vorgesehen zum Eröffnungsprogramm waren »Schobert und Black«, ein Liedermacher-Duo, welches zur damaligen Zeit mit sozialkritischen- wie Nonsensliedern, mit »Höherem Blödsinn« wie sie selbst sagten, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere war. Problem: Die beiden sind auf ihrer Tournee tags zuvor in Karlsruhe »versumpft« und konnten zum Konzert nicht rechtzeitig erscheinen. Thomas Friz, der um die Ecke wohnte, wurde von Heidi und Randy Schmid gebeten einzuspringen.

Ich war damals unter denjenigen, die noch draußen vor der Tür standen und keine Eintrittskarte ergattern konnten. Thomas kannte ich um ein paar Ecken. Er war zu der Zeit als Liedermacher mehr oder weniger regional schon kein Nobody mehr. Er kannte mich auch, allerdings aus einer ganz anderen musikalischen Ecke. Als E-Bassist in einem Rock-Jazz-Trio namens »Tergeminus« mit »großem Besteck«, also mit viel Technik um die Musik. Die Lust dazu hatte ich aber just zu dieser Zeit immer mehr verloren, denn ohne Lötkolben war das kaum möglich. Das Kabel, um das Gespielte hörbar zu machen, war ständig kaputt.

In diesem Herbst lernte ich Thomas bei einem gemeinsamen Freund in der Landhausstr. kennen und natürlich wurde akustisch gejamed. Das erste Lied, was wir zusammen sangen, war das von ihm vertonte Heinrich-Heine-Gedicht »Mein Kind wir waren Kinder«. Es hatte sofort musikalisch gefunkt und ZUPFGEIGENHANSEL war geboren. Obwohl wir erst zwei Jahre später offiziell als Duo unter diesem Namen öffentlich auftraten. Nach zahllosen »Straßenkonzerten«, überall. Selbst in der Pariser Metro, wo uns die Polizei verhaftete und abtransportierte, weil die Menschen sich in der Metro stauten und keiner mehr aus den weiter ankommenden Bahnen aussteigen konnte…

Das erste Konzert war natürlich im LAB, wie das LABORATORIUM nun genannt wurde. Zum Antikriegstag. Im November 1974. Mit Volksliedern, an denen wir inzwischen große Freude und Interesse entwickelt hatten, nachdem wir viel in Archiven und Bibliotheken stöberten und zusätzlich zu den bekannten Liedern noch völlig unbekannte, verstaubte Juwelen finden konnten.

Von da an ging es mit riesigen Schritten bergauf. Ein wahrer Volkslied-Boom entwickelte sich. 1976 kam die erste Schallplatte »Volkslieder 1« mit überwältigendem Erfolg. »Volkslieder 2 und 3« folgten. Beide nun unter der Mitarbeit von Conny Plank in seinem Tonstudio in Wolpertrath bei Köln. Ein Ort, der zu unserer zweiten Heimat werden sollte. Insgesamt sechs (!) Alben war das Ergebnis einer besonderen Zusammenarbeit mit Conny. Mit ebenso überwältigendem Erfolg. Herausragend das Album mit Jiddischen Liedern »Ch hob ghert sogn«, welches ohne das sprachliche Wissen von Thomas (er hatte die Jiddische Sprache gelernt und konnte die Schrift fließend übersetzen) nicht möglich gewesen wäre. Dieses Album hatte die bis dato kaum bekannten Lieder einem breiten Publikum geöffnet und für die später einsetzende Klezmer-Musik eine pushende Wirkung.

Große Tourneen, Auftritte bei namhaftesten Festivals im In- und Ausland, Radiointerviews, Fernsehauftritte, Bio, EWG-Kulenkampff, Aspekte, Drehscheibe, ZDF, ARD, 3. Regionalprogramme Fernsehen, Preise wie den Schallplattenpreis der deutschen Phonoakademie 1978 (später ECHO genannt), sowie diverse andere Schallplattenpreise etc. folgten.

Auch in der damaligen DDR hatte Zupfgeigenhansel schon einen großen Namen. Viele Lieder wurden durch den dort nun auch aufkommendem Volkslied-Boom von dortigen neu entstandenen FOLK-Gruppen übernommen. Und spätestens nach dem Auftritt beim Jugendfestival 1979 in Ost-Berlin war Zupfgeigenhansel auch dort »Kult«. Eine Schallplatte bei Eterna, die kurz nach Erscheinen bereits vergriffen war, unterstrich die Beliebtheit weiter. Man konnte ja an Zupfgeigenhansel-LPs, Liederbücher (»Es wollt ein Bauer früh aufstehn« 1978, »Kein schöner Land« 1984, Gesamtauflage über 350 000 Exemplare) nur über entsprechende Westkontakte rankommen.
Ein weiterer Paukenschlag war die Entdeckung des österreichischen Dichters Theodor Kramer mit Vertonungen von Thomas und mir (ab 1979). Das Lied »Andre, die das Land so sehr nicht liebten« entwickelte sich zum Hit und als wir 1986 endlich ein Porträt Theodor Kramers gegenüber der  Plattenfirma durchsetzen konnten, war ein gewisser »Kramer-Vertonungs-Boom« durch unsere Arbeit längst in Gange gekommen.

Seit dem ersten Konzert im Lab waren nun 12 Zupfgeigenhansel-Jahre vergangen und über eine Million Tonträger verkauft. Mehrere Themen rund um Volkslieder zurechtgerückt, von Nazimuff befreit, alte Texte durch Vertonungen zu neuem Leben erweckt, vieles neu angestoßen wie neu geschaffen, bestehende Kultur weiterentwickelt. Das hat uns ein Verdienstkreuz, also eine staatliche Anerkennung unserer Arbeit, nicht eingebracht, denn »Verdienst« wird dort offensichtlich völlig anders verstanden. Mehr monetär als kulturell…

1986 war dann Schluss.

Ein letztes Konzert gab es noch mit dem großen Pete Seeger in der Zeche Bochum.

Danach war für lange Zeit »Funkstille«.

Die Gründe waren vielschichtig. Eine Aussage von Paul Simon über die Trennung von Simon & Garfunkel trifft auch auf Thomas und mich zu, als er sagte: »Ich wollte rauer und politischer werden. Er eher klassisch bleiben…«

Eine künstlerische wie optische Nähe zwischen den Kollegen aus Übersee und Zupfgeigenhansel wurde von keinem Geringeren als Brian Eno empfunden, der mit Conny Plank eng in den 70/80er zusammenarbeitete. Sein Urteil damals »Die sind besser als S & G…« trieb uns natürlich die Schamröte ins Gesicht, zumal unser damaliges Management diese Aussage sogleich mit einem Promo-Flugblatt zu einem großen Festival in Frankfurt in Umlauf brachte, das Zitat aber, statt Brian Eno, einem gewissen »Brian Emu« (dem Vogel) zuschrieb. – Man wusste dort, auch zu unserer Überraschung, nicht, wer Brian Eno war…

»Unpolitisch« war Thomas nie. Er war mit mir immer der Meinung, dass es das gar nicht gäbe. Als aufrechter Demokrat verschluckte er sich nie an seiner Meinung, die ihm nach einem Solo-Auftritt in Göppingen im Januar 1994 allerdings zum Verhängnis wurde. Da wurde er von rechtsradikalen Skinheads im Anschluss überfallen und brutal zusammengeschlagen. Und nachdem Überlegenheitsideologien (Rassismus) wie Unterlegenheitsideologien (Antisemitismus) wieder diverse Brandmauern einreißen und Land gewinnen wird eine Stimme wie die von Thomas Friz in Zukunft fehlen. Das Rad der Geschichte wird sich durch das Zurückdrehen desselben wiederholen müssen. Der auch von Zupfgeigenhansel mühsam in Gang gesetzte Lernprozess sich für Menschlichkeit und Toleranz einzusetzen, gerade nach den unsäglichen Hinterlassenschaften seiner damaligen Gegner, wird als linksversifft denunziert. Gestochen scharfe Haarschnitte, die die dem von Himmler ähneln, strenge Scheitel ala GröFaZ sind wieder in. Die Niedertracht boomt und das vielfältige Miteinander soll dem Gleichschritt der Einfältigkeit vorgezogen werden. Ein Ergebnis langjährig radikaler Marktförmigkeit, die nunmehr Soziales, Kultur, Gesellschaft nur noch als Handelsartikel einer radikalen wie völkischen Gemeinschaft zu begreifen imstande ist.

Die »Funkstille« dauerte, bis auf gelegentliche Kontakte und aufmerksames, gegenseitiges Beäugen, was der andere nun gerade jeweils macht, ganze 35 Jahre.

Als ich im Herbst 2021 in der Lorcher Stadthalle ein Solo-Konzert gab, drang die Nachricht zu mir durch: »Du, Thomas ist da!«. Ich fragte: »welcher Thomas?«. »Na, Thomas Friz!«. Ich bat ihn natürlich auf die Bühne und wir hatten spontan zwei Lieder gesungen. Es gab standing ovations und es hat großen Spass gemacht. Als wäre es gestern gewesen, dass wir das letzte Mal zusammen auf der Bühne standen.

Es folgte die Arbeit an unserem 50 Jährigen Bühnenjubiläum und einer großen Werkschau, eine »3er CD – ZUPFGEIGENHANSEL – 50 Jahre 70 Lieder« mit entsprechenden Booklets. Und sie bescherte uns einen kleinen künstlerischen Frühling, zumal im Internet, wie real, unsere Lieder boomten. Sie wurden gecovert, gesungen und natürlich auch geklaut. Trotz 35 jähriger »Funkstille« sind die Lieder nicht vergessen. Sie sind lebendig wie zu Beginn. Ein erstaunlicher Umstand, wenn man bedenkt, dass die heutige Zeit heute schon vergisst was morgen sein könnte…

Und es folgte die Einladung vom Laboratorium in Stuttgart, dem »LAB«, zu deren 50-jährigem Jubiläum am 29. September 2022. Thomas sprang ja zur Eröffnung für »Schobert und Black« ein. Black war auch diesmal eingeladen, hatte aber wegen Corona wieder einen »black out« und konnte leider nicht dabei sein.

Es war der letzte gemeinsame ZUPFGEIGENHANSEL Auftritt. Wir sangen vier Lieder. Mehr war auch, ob des damals schon labilen Gesundheitszustandes von Thomas, nicht drin. Dennoch hatten die Lieder die alte, berührende Kraft wie die alt gewohnte, tiefe Wirkung. Es war eine große Freude. Tränen flossen. Erinnerungen tauchten auf. Der endgültige Abschied nahe.

Thomas Friz starb am 29.08.2023. Knapp ein Jahr später.

Einer der größten und charismatischsten Sänger aus dem »Ländle«, die die deutsche/europäische Folkszene je sah, international bekannt und geschätzt, verstummte.

Leider war es ihm nicht mehr vergönnt eine weitere Ehrung für jüngst über insgesamt 5 Millionen Streams im Internet des Liedes »Ich bin Soldat, doch bin ich es nicht gerne« entgegenzunehmen.

Die Welt verliert einen begnadeten Folk-Sänger und aufrichtigen Demokraten. Die Ehefrau ihren Mann, die Söhne ihren Vater… Ich einen wahren Freund und langen Weggefährten, trotz all der erlebten Gegensätze, die sich mit der entsprechenden Anziehungskraft bekanntlich in oft genialer, künstlerischer Ergänzung äußern.

Geh schon mal vor, altes Haus und halte schon mal Ausschau im Himmel nach Auftrittsmöglichkeiten. Irgendwann komme ich nach und dann werden wir gemeinsam auch noch den Himmel verändern… Macht et jut, alter Freund“

 

Erich Schmeckenbecher

 

 

 

Ab 27.09.2023 auf allen Streaming-Plattformen: „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“

 

 

Ab sofort wieder erhältlich: – die Werkschau: „Miteinander: 50 Jahre – 70 Lieder“ unter www.zupfgeigenhansel.de

 

 

 

 

 

Das wohl letzte gemeinsame Foto – Thomas Friz und Erich Schmeckenbecher im Laboratorium Stuttgart

Foto-Credit: D7

Textquelle: D7 (Textvorlage)

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