KAROLA WILLE
So begegnet MDR-Intendantin Prof. Dr. Karola Wille Kritikern am Rundfunkbeitrag!

In der MDR-Talkshow “Riverboat” äußerte sie sich im Gespräch mit Gast-Moderatorin Stefanie Müller-Spirrawie folgt …:

 

 

 

Stefanie Müller-Spirra: Was macht denn eine Intendantin normalerweise am Freitagabend, wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer das „Riverboat“ ansehen?

Ja, erstmal durchatmen. Die Woche ist ja gut gefüllt und Freitagabend sichere ich erstmal meine Grundversorgung und gehe einkaufen, um den Kühlschrank für die kommende Woche aufzufüllen. Dafür gehe ich in meinen Einkaufsmarkt und es ist immer total nett. Es sind dann nicht mehr viele Leute im Markt und am Bäckerstand steht eine liebe Frau, die begrüßt mich und sagt: “Mensch, wieder total spät! Na meine Sonne, was gibt es denn Neues?” Das ist für mich immer wie ein Durchatmen. Und dann kommt ja das „Riverboat“. Gott sei Dank immer spät, so dass ich eigentlich immer nochmal reinschaue.

Seit 10 Jahren sind Sie jetzt unsere Chefin beim MDR. Sie haben sich 1991 mit einer alten Erika-Schreibmaschine beworben. Sie wollten zum MDR – warum denn? Sie sind ja eigentlich Juristin, was hat sie am Fernsehen fasziniert?

Es war keine spontane Eingebung, als ich diese Anzeige damals in der Zeitung gelesen habe, sondern es ist eine längere Geschichte. Ich war in der Wissenschaft, an der Universität Leipzig, tätig und betreute in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre ein Forschungsprojekt mit. Dort ging es um Medienordnungen in Westeuropa – ein großes UNESCO-Forschungsprojekt und ich war daran beteiligt. Schon da wuchs bei mir immer mehr die Erkenntnis, wie wichtig demokratieunabhängige Medien sind. Und als dann die Wendezeit kam, hatte ich eine Riesenchance, da gleich mitzumischen. Als der Beschluss der Volkskammer zu den Freiheitsrechten in den Medien kam – es ging um Meinungsfreiheit und Medienfreiheit – und etwas später dann stand plötzlich diese Anzeige in der Zeitung: Der MDR kommt nach Leipzig. Da dachte ich: Das ist die Chance deines Lebens! Ich habe dann an den Gründungsbeauftragten Volkram Gebel geschrieben. Auf der Ost-Schreibmaschine und schrieb: Ja, ich bin eine Ost-Jurist, ich interessiere mich für Medien und ich bringe eine Expertise mit und möchte hier gerne arbeiten. Ich hatte totales Glück: Wir haben noch gar nicht gesendet, da durfte ich hier schon arbeiten.

Stefanie Müller-Spirra: Wer ist denn Ihr größter Kritiker?

Die Kritikerin, die ständig dabei ist, ist auch bei mir meine Mama. Sie sagt dann: Ich habe dich heute wieder im Fernsehen gesehen. Meist war alles ok, manchmal sagt sie aber auch, ich hätte etwas angestrengt ausgesehen und dann macht sie sich Sorgen.

Kim Fisher: Wenn Sie heute Fernsehen gucken, ist Ihnen da auch die Darstellung der Frau wichtig? Schauen Sie da bewusst?
Auf jeden Fall deutlich bewusster als früher, klar. Als Frau und als Intendantin einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt sowieso. Wir haben einen Vielfaltsauftrag. Wir müssen dafür stehen, die Gesellschaft in ihrer Unterschiedlichkeit und ihrer Vielfältigkeit darzustellen, die Lebenswirklichkeit der Menschen zeigen. Und wenn die Hälfte der Gesellschaft Frauen sind, dann müssen sich diese auch dargestellt finden, auch medial. Es gibt Rollenbilder – und wie stark die wirken, wissen wir alle. Wir wissen, das Stereotype auch durch Medien geprägt werden und hinter ihnen eine ziemliche Wirkkraft steckt. Eine Studie, die alle deutschen Fernsehsender vor einigen Jahren gemeinsam in Auftrag gegeben haben, zeigte, dass deutlich mehr Männer im Fernsehen zu sehen sind. Es wurden 3000 Stunden Fernsehen und mehrere Kinofilme analysiert. Die alte Rollenwelt: Nachrichtensprecher und Experten erklären die Welt – das war die Erkenntnis vor sechs Jahren und das fand ich ziemlich nachdankenswert. Wir müssen uns das noch mehr bewusst machen und reflektieren, was da genau im Fernsehen stattfindet. Ich finde, da hat sich schon viel bewegt in der ARD und beim MDR. Die Hälfte der journalistischen Führungskräfte beim MDR sind Frauen. Eine Frau spricht die meisten Kommentare in den “Tagesthemen” – und die kommt vom MDR, Kristin Schwietzer. Da freue ich mich total. Jetzt kam die Meldung, dass erstmals eine Frau alle Endspiele der Europa- und Weltmeisterschaft im Radio moderieren wird. Und alle: Wow! Ich dachte aber: Wir haben es erst geschafft, wenn keiner mehr „Wow“ sagt. Sondern alle sagen, das ist doch völlig normal. Und sich keiner mehr darüber wundert.

Stefanie Müller-Spirra: Der MDR schreibt sich auf die Fahne, innerhalb der ARD die „Stimme des Ostens“ zu sein. Wie wichtig finden Sie es, dass sich die Menschen im Sendegebiet auch wiederfinden und verstanden fühlen?

Das ist für mich ein sehr, sehr wichtiges Thema. Wir hatten jetzt gerade 30 Jahre Deutsche Einheit und ein Bericht der Kommission „30 Jahre Deutsche Einheit“ ergab, dass sich 83% der Ostdeutschen in ihren Lebensleistungen nicht genügend anerkannt und als Menschen zweiter Klasse fühlen. Ich glaube, das hat ganz viele Ursachen, kommt aber natürlich auch ein bisschen über mediale Bilder, die geschaffen wurden: Der Osten sei abgehängt, ein Stück Armut, eine vermeintliche Krisenregion, ein Stück ausgebreiteter Rechtsradikalismus. Das gehört alles zu diesem Bild vom Osten Deutschlands. Aber es ist bei Weitem nicht alles. Diese Vielfältigkeit und das, was hier entstanden ist, was die Menschen auch für Leistungen vollbracht haben, unter schwierigen Voraussetzungen teilweise und welche Kraft in diesen drei Ländern liegt: das dazustellen und zu reflektieren und auch bundesweit zu vermitteln, ist zutiefst eine Aufgabe des MDR. Wir fühlen uns auch verantwortlich, dies mehr in die ARD zu bringen und in die bundesweiten Bilder über den Osten. Es geht darum, das Tolle und auch die Leistungskraft der ostdeutschen Länder zu vermitteln, in all ihrer Differenziertheit und mit all ihren Schwierigkeiten. Aber eben gegen diese negativen Bilder anzugehen und auch gegen die Stereotype, die es über den Osten noch gibt. Da fühlen wir uns als MDR stark verantwortlich.

Stefanie Müller-Spirra: Gerade sind die Diskussionen um den Rundfunkbeitrag allgegenwärtig. Viele Menschen fragen sich: Warum reichen rund acht Milliarden Euro pro Jahr für die öffentlich-rechtlichen Sender nicht aus? Was sagen Sie denen?

Denen würde ich gern jetzt in der Corona-Zeit sagen, dass gerade diese Krise gezeigt hat, wie wichtig es ist, dass es ein System gibt, das verlässliche Informationen bietet und auf das man vertrauen kann, weil es guten Journalismus bietet. Und dass wir in dieser schwierigen Zeit den Schulen mit vielen Bildungsinhalten für Kindern geholfen haben. Ich finde, dass wir einen ganz besonderen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland haben, der vielfältig ist. Deutschland ist föderal und wir wollen an den Problemen der Menschen dran sein. Deshalb ist auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk föderal. Das kostet natürlich Geld, widerzuspiegeln zu können, was die Menschen in ganz Deutschland bewegt und dafür nah bei ihnen sein zu können. Wir werden von der Gesellschaft finanziert und deshalb haben die Menschen natürlich den Anspruch darauf, dass wir das in guter journalistischer Qualität liefern und die Menschen sich darauf verlassen können. Wir haben uns riesig gefreut: 64 % der Menschen sagen, sie vertrauen dem MDR im besonderen Maße vertrauen und fast 90% der Menschen sagen, wir vertrauen dem MDR als öffentlich-rechtliches Programm. Das spricht für die Kolleginnen und Kollegen im Haus. Das zeigt auf, dass wir in der Gesellschaft tief verankert sind. Klar, gibt es auch Kritik und Dinge, an denen wir noch ein bisschen arbeiten müssen. Aber das ist ja normal und damit müssen wir offen umgehen.

Stefanie Müller-Spirra: Gibt es starke Frauen in Ihrem Umfeld?

Ich sage mal: Unbedingt. Während der Berlinale habe ich mal ausprobiert, einen Empfang nur für Frauen zu machen. Ich habe Regisseurinnen, Produzentinnen und andere Frauen aus der Filmbranche eingeladen und dachte, mal sehen, ob das funktioniert. Und es hat funktioniert. Mittlerweile ist es eine Tradition. Es war laut, es war fröhlich, einfach ein schöner Abend – und auch die lauteste Veranstaltung, die ich kenne. Es gibt einen schönen Begriff, den ich jetzt gelernt habe: Die Tankstellenkollegin. Eine Kollegin, zu der man mal gehen kann und auftanken kann. Einfach mal reden, austauschen und einfach mal ein bisschen was abholen. Ich denke, das ist sehr wichtig. Beim MDR gibt es ein Frauennetzwerk mit mittlerweile über 100 Kolleginnen, die sich ein paar Mal im Jahr treffen und miteinander austauschen.

Foto-Credit: MDR / Kirsten Nijhof
Textquelle: Plan A | PR, Antje Pohle - Mit Zitaten aus der MDR-Talkshow RIVERBOAT (Textvorlage)

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