RENATE KERN
NEUE smago! Serie "Schlager-Rückblick "vor 50 Jahren" von Stephan Imming – Teil 1: "Bis morgen"!
Neuzugang 01.06.1966!
Am 23. Januar 1945 wurde Renate Poggensee in Tann an der Rhön als Kind der Caféhaus –Pianistin Gertrud Poggensee und des Raketentechnikers und Erfinders Karl Poggensee geboren. Sie wuchs im niedersächsischen Wildeshausen (zwischen Oldenburg und Bremen) auf.
Schon früh begann Renate, Klavier zu spielen und wurde dabei von ihrer Mutter angeleitet. Das Gitarrenspiel brachte Renate sich selbst bei, so dass sie schon früh in der Lage war, ihre Mutter bei Auftritten auf der Gitarre zu begleiten. Sie besuchte das Max-Planck-Gymnasium Delmenhorst, unterbrochen von einem einjährigen USA-Aufenthalt im Rahmen eines Schüleraustauschs. In den Staaten wurde Renate von einem Rundfunkmoderator als Sängerin entdeckt, er machte mit ihr Bandaufnahmen und stellte sie in seiner Sendung vor – kurz darauf durfte Renate sogar beim Sender WJR in Detroit im Fernsehen auftreten, dort sang sie gleich eine halbe Stunde lang.
Aufgrund des unerwarteten Erfolges ließ Renate ihren eigentlichen Berufswunsch (Lehrerin) fallen und konzentrierte sich auf die Musik. Sie stieg in der Schülerband „The Foot-Trappers“ ein. Eines Samstags im Dezember 1964 war Werner Last (Künstlername Kai Warner), der Bruder von James Last, in Harpstedt (liegt zwischen Delmenhorst und Wildeshausen) im Lokal „Zum Sonnenstein“ zu Gast, wo Renate bei einem „JeKaMi“ („Jeder kann mitmachen“)-Abend teilnahm und das Publikum sehr gut unterhalten hatte. Sie überzeugte mit dem Lied „Ave Maria“. Werner Last war begeistert von der „kernigen“ tiefen Stimme Renates – man „verpasste“ Renate den Künstlernamen „Kern“. Die Idee dazu hatte übrigens Schlagertextdichter Günter Loose.
So kam es, dass Renate direkt nach ihrem (übrigens sehr gut bestandenen) Abitur bei der Polydor unter Vertrag genommen wurde. Am 23. und 24. März 1965 wurden die Titel „Now And Then“, „You’ll Be The First One To Know“, „Kiss And Shake” und „Die Welt ist so schön wie ein Traum” im Polydor-Tonstudio Hamburg-Rahlstedt produziert; Renate bekam extra Sonderurlaub für diese Termine von der Schule.
Der kurz darauf als Single veröffentlichte von Werner Last produzierte und komponierte Beat-geprägte, von Günter Loose getextete Titel „Kiss And Shake“ landete direkt auf Platz 35 der deutschen Charts. Interessant ist, dass Renate gleich auf ihrer ersten Single ihre Vielseitigkeit zeigte, denn auf der B-Seite befand sich das romantische, nachdenkliche Lied „Die Welt ist so schön wie ein Traum“ – im weiteren Verlauf der Karriere verfolgte man eher diese Linie und ging eher in Richtung Schlager / Chanson als in Richtung Beat / Pop. Trotzdem wurde der Song wie erwähnt sogar in verschiedenen Versionen auf Englisch aufgenommen unter dem Titel „Now And Then“. Da die parallel veröffentlichte Single „You’ll Be The First One To Know“ im Gegensatz zur deutschsprachigen Platte floppte, konzentrierte man sich fortan auf die deutsche Sprache.
Anfangs begann Renate parallel eine Ausbildung zur Textilverkäuferin beim „Kaufhof“. Sie trat auch weiter bei Bällen und bunten Abenden auf und verfolgte ihre künstlerische Ausbildung, so nahm sie Gesangs- und Schauspielunterricht.
Die zweite (am 1. September 1965 in Hamburg aufgenommene) Single, „Du bist meine Liebe“, ist eine von Ernst Bader getextete Orchesterballade. Produktion und Komposition übernahm erneut Werner Last. Renate nahm das Lied auch in englischer Sprache auf („I’ll Remember Summer“). Erneut reichte es Ende 1965 für eine Hitparaden-Notiz. Das Lied ist auch insofern bemerkenswert, als sie es im März 1966 bei der deutschen Ausscheidung zur „Canteuropa-Tournee“ in Berlin sang und damit sogar gewann, so dass sie bei Festivals in Belgien, den Niederlanden, Polen und Österreich teilnahm, wo sie später große Erfolge feiern konnte. Am 29. Mai 1966 belegte sie beim internationalen Finale, das im rumänischen Brasov ausgetragen wurde, mit ihrem Schlager einen sehr guten zweiten Platz hinter der Schweiz.
Das Jahr 1966 begann mit der deutschen Version eines sehr bekannten Liedes der Folkgruppe „Seekers“. Zu deren „A World Of Our Own“ textete Kurt Hertha „Eine Welt für uns zwei” – die Fans waren begeistert, mit welch fester Stimme die junge Renate diesen Song interpretierte – ein Hit wurde die am 18. Oktober 1965 eingesungene Platte allerdings nicht, obwohl am 23. Februar 1966 sogar eine eigene Portrait-Sendung über sie von der ARD ausgestrahlt wurde („Renate Kern – das Porträt“). Kurz zuvor, an Weihnachten 1965, war Renate in der „Aktuellen Schaubude“ des NDR zu Gast, wo sie ausführlich interviewt wurde.
Besser als mit der Vorgänger-Single lief es wieder mit einem von Werner Last und Günter Loose geschriebenen Schlager. „Bis morgen“ war vor genau 50 Jahren ein Hit und stieg am 01.06.1966 erstmals in die deutschen Hitparaden ein, wo sich der Song 6 Wochen halten konnte. Wencke Myhre sang das Lied auf Norwegisch („I morgen“). In Österreich war Renate damit ebenfalls in den Charts, dort erreichte sie mit diesem Lied sogar die Top 10.
In dieser Zeit (ab September 1966) ging Renate mit Kollegen erstmals auf Bäder-Tournee, dabei entwickelte sich eine gute Freundschaft zu ihrem Gesangs-Kollegen Rex Gildo.
Den eigentlichen Durchbruch hatte die Sängerin aber mit ihrer nächsten Single, mit der sie ihr Image fand inklusive eines Erfolgsrezepts, das sie fortan verfolgte: Sie verkaufte sich als Ratgeberin in Liebesdingen, wobei in den Liedern immer eine traurige Melancholie mitschwang, was wohl ihrer tiefen „kernigen“ Stimme geschuldet war. Günter Loose textete für sie: „Lass den dummen Kummer“, der Song wurde am 9. September 1966 produziert. In einem Interview sagte er: „Die Konsumenten sollten in Renate eine gute Freundin sehen, einen Kumpel. Also schrieb ich Texte, die entweder einen guten Ratschlag enthielten oder in irgendeiner Form Mut gaben, was meistens schon in der Titelzeile zum Ausdruck kam.“ – Das Erfolgsrezept kam an, der Schlager kam bis auf Platz 33 der deutschen Charts und erklomm in Österreich erneut die Top-10, nicht ohne Grund wurde Renate teils scherzhaft als „Seelentrösterin der Nation“ bezeichnet.
Das melancholische Abschiedslied „An irgendeinem Tag“, erneut vom Team Last/Loose geschrieben, war der erste Erfolg des Jahres 1967. Erneut schaffte es Renate in die deutschen Top-40, in Österreich war immerhin ein 11. Platz drin. Die B-Seite der Single, „Du musst mir die Wahrheit sagen“, trug Renate im Juli 1967 bei einem polnischen Liederwettbewerb in Zoppot vor, wo sie allerdings nur einen enttäuschenden achten Platz belegte.
Ab Mitte Juli bis Ende August des Jahres 1967 begab Renate sich wieder auf Bäder-Tournee, die von Chris Howland moderiert wurde. Damals lernte sie auch die Sängerin Alexandra kennen, mit der sie angesichts ihrer tiefen Stimme bisweilen verglichen wurde.
Mit der nächsten Nummer versuchte man es noch mal mit dem damals sehr angesagten (allerdings gebremsten) Beat-Rhythmus, allerdings war Renates Devise: „Stop the Beat!“. Weder Renates noch die Beat-Freunde fanden das gut – der am 8. September 1967 aufgenommene Schlager stürmte nicht die deutschen Charts, in Österreich reichte es für eine Top-20-Notiz.
Die folgende Single wurde zwar erneut von Günter Loose getextet, verrät aber auch viel über das, was man „weibliche Logik“ nennt: „Ich schau' nach ander'n, um dich zu ärgern, – ich lass' dich warten, so oft ich nur kann. -Du wirst nicht wütend und die verzeihst mir, – das macht mich rasend und ich wünsch' dir dann…“ – und was Renate dem Angebeteten wünscht, ist schon gemein: „Eine schlaflose Nacht“. Die Fans spielten nicht mit, die Platte wurde kein Erfolg.
Nachdem Renate bereits an mehreren Gesangswettbewerben teilgenommen hatte, stellte sie sich am 4. Juli 1968 dem von Walter Giller moderierten deutschen Schlagerwettbewerb. Bei einer starken Konkurrenz erreichte sie einen guten Platz im Mittelfeld (Platz 7) mit dem von Horst-Heinz Henning und „Hans Chrislin“ geschriebenen Schlager „Lieber mal weinen im Glück“. Hinter „Hans Chrislin“ verbarg sich Christine Neuhausen, die ihre Schlager teilweise auch unter dem Pseudonym „Max Mainzel“ veröffentlichte. Trotz des eher schlechten Abschneidens im Wettbewerb wurde Renates Lied ein großer Hit und schaffte es sogar bis in die Top-10 der deutschen Charts, wo er sich viele Wochen lang hielt. Es wurde eine gleichnamige LP veröffentlicht, die für eine Schlager-LP auch recht erfolgreich war (Top-40 der LP-Charts) – darauf enthalten waren allerdings lediglich die zuvor produzierten Singles.
Der bekannte österreichische Sender „Radio Salzburg“ erkor Renate zur besten deutschsprachigen Sängerin des Jahres 1968.
Am 18. Januar 1969 war Renate bei einem „historischen Ereignis“ dabei – erstmals wurde vom ZDF Dieter Thomas Hecks Hitparade ausgestrahlt. Mit dabei war Renate Kern mit ihrem ersten Schlager, den sie höchstselbst getextet hat: „Du musst mit den Wimpern klimpern“ (besonders imposant: die Zeile „klimpre, was die Wimper hält!“). Bei ihrem TV-Auftritt war sie etwas gehandicapt – sie wurde im Dezember 1968 von einem Auto angefahren und hatte deshalb das Bein eingegipst. Kollege Rex Gildo war aber galant und hilfsbereit zur Stelle, um zu helfen. Fans lieben auch die B-Seite der Single („Herbstwind“) – eine frühe Aufnahme der Melodie, mit der später Ricky King („Le Reve“), Bernhard Brink („Liebe auf Zeit“) und Mireille Mathieu („Walzer der Liebe“) Erfolg haben sollten.
Den nächsten Schlager textete wieder Günter Loose. Seine Premiere hatte das Lied beim großen „Gala Abend der Schallplatte 1969“. Das Lied „Lass doch den Sonnenschein“ war erneut ein großer Erfolg und schaffte es bis in die Top-20 der Charts. Am 24. Mai 1969 war Renate damit erneut in der ZDF-Hitparade zu Gast.
Mit der nächsten Single gab Renate sich im Frühsommer 1969 wieder melancholisch – Günter Loose textete „Lieber heute geküsst als morgen geweint, denn wer weiß, ob morgen die Sonne noch scheint“. – Das Publikum überzeugte es, eine Top-30-Platzierung in den Charts war Renate sicher.
Zum nächsten Schlager schrieb die Bravo 1969: „1990 – ein zarter Ableger von „In the Year 2525“ – ein recht milder Fall von Zukunftsvision“. Ob Renate damals schon ahnte, dass es ihr zu diesem Zeitpunkt nicht besonders gut gehen würde? Der diesmal von Werner Last „im Alleingang“ geschriebene Schlager stieß jedenfalls offensichtlich in der Redaktion der ZDF-Hitparade nicht auf viel Gegenliebe, dort wurde nämlich am 21. Februar 1970 die B-Seite „Come On Let’s Dance“ dem geneigten Publikum vorgestellt. Vermutlich war der Text ausschlaggebend, denn erneut gab sich Renate als Lebensberaterin – diesmal waren die Männer mit Tanzschwierigkeiten dran:
In einer Ecke saß er bescheiden, weil er vom Tanzen leider nichts verstand.
Seit einer Stunde sah ich ihn leiden, da fasste ich mir Mut und nahm ihn bei der Hand.
Come on let's dance, come on, my Boy. – Come on let's dance, come on, sei nicht so scheu!
Das lernst auch du, das wäre doch gelacht. – Come on let's dance, ich zeig dir wie man's macht.“
Böse Zungen behaupten, dass der Schlager Uli Potofskis Lieblingslied sei.
Zum Jahresende 1969 erschien Renates zweite LP namens „Meine Welt ist schön“, auf der u. a. ein weiterer von ihr getexteter Titel („Am Kamin“) zu finden ist sowie eine Komposition des später weltberühmten Orchesterchefs James Last („Happy Heart“). Mit ihm, dem Bruder ihres Produzenten Werner Last, der sich inzwischen Kai Warner nannte, hatte sie ab dem 17. November 1969 täglich Auftritte in den kanadischen Städten Toronto und Montreal – jeweils in großen Hotels. Ende dieses Ausflugs nach Kanada war am 19. Dezember 1969. Sie präsentierte dabei neben ihren Schlagererfolgen Folklore, Edith-Piaf-Chansons und internationale Klassiker wie „You’ll Never Walk Alone“.
Interessant war übrigens damals der Einsatz der Fanclubs, von denen Renate zu jener Zeit ca. 200 hatte. Sie schrieb ihre Fans wie folgt an: „Gleichzeitig darf ich Dir meine neue LP vorstellen, mit dem Titel: ‚Meine Welt ist schön‘. – Höre sie Dir doch einmal im nächsten Plattengeschäft an! Es würde mich freuen, wenn Du mir oder meiner Plattenfirma Deine Meinung schreiben würdest, denn meine Platten sollen Dir gefallen. Möchtest Du einige Titel davon im Rundfunk hören, so schreibe an die Sender. Je mehr Zuschriften dort eingehen, je öfter werden meine Platten gespielt“.
Die erste Single der 1970er Jahre war da am 19. Februar 1970 aufgenommene „Supermann“, ein Schlager, den Renate erneut selbst getextet hat und in dem sie auf Distanz zu Äußerlichkeiten geht: „Was willst Du mit ’nem Supermann, in Wahrheit ist da gar nichts dran“. Auch Renate selber gab sich meist eher hochgeschlossen und burschikos im Gegensatz zu vielen ihrer weiblichen Kolleginnen. Einige Fans meinen, mit etwas mehr Sex-Appeal hätte sie ihre Karriere noch weiter vorantreiben können.
Am 4. Juni 1970 fand der von Elfie von Kalckreuth moderierte „deutsche Schlager-Wettbewerb 1970“ statt – erneut beteiligte sich Renate an diesem Wettbewerb. Dr. Michael Kunze schrieb ihr den Titel „Alle Blumen brauchen Sonne“. Nachdem die Schwedin Anna-Lena 1968 mit „Alle Blumen wollen blühen“ vierter im Wettbewerb wurde, gelang Renate zwei Jahre später sogar ein hervorragender zweiter Platz (hinter Howard Carpendale, dessen „Das schöne Mädchen von Seite Eins“ nicht zu toppen war). Ihren Schlager stellte Renate am 4. Juli 1970 in der ZDF-Hitparade vor. Im Sommer des Jahres reichte es für einen Top-30-Hit.
Der nächste melancholische Titel Renates war der Last/Loose-Schlager „Warum willst Du weinen?“, der sich insbesondere dadurch auszeichnete, dass im Arrangement für Schlager eher unübliche Instrumente wie Holzblasinstrumente und Violinen eingesetzt wurden. Das Publikum honorierte 1970 diese Originalität nicht – ein Hit wurde der Song nicht.
Ab dem Dezember 1970 trat Renate für ein paar Monate in Krefeld und Mönchengladbach im Musical „Tut, was Ihr wollt“ auf, sie spielte die Rolle der Viola und erhielt dafür gute Kritiken. Dadurch wurde der Filmregisseur Franz Josef Gottlieb auf Renate aufmerksam und bot ihr eine Rolle im Kinofilm „Hilfe, die Verwandten kommen“ an. Renate sagte zu, wurde aber zwei Wochen vor Drehbeginn von ihrer Kollegin Uschi Glas ausgebootet – in einigen Quellen munkelt man da von Intrigen. Angeblich sei Kollege Christian Anders aus Solidarität zu Renate ebenfalls aus dem Filmprojekt ausgestiegen.
Zu Beginn des Jahres 1971 musste sich Renate einen neuen Produzenten suchen. „Musste“ deshalb, weil ihr bisheriger Erfolgsproduzent sich auf seine eigene Karriere als Orchesterchef konzentrieren wollte. Die Wahl fiel auf Peter Orloff, der damals sowohl als Sänger sehr erfolgreich war (neben Renate war er ja auch bei der ersten ZDF-Hitparade zu Gast) wie auch als Produzent (er war für den Riesenhit „Du“ von Peter Maffay zuständig).
Die erste gemeinsame Produktion, „Er nahm ein anderes Mädchen“, schlug gleich ein. Es handelt sich um die deutsche Version des Janis Joplin-Hits „Me And Bobby McGee“, eine Kris-Kristofferson-Komposition, zu der Orloff einen deutschen Text verfasste. Während Janis Joplin für ihre Interpretation einen Grammy ausgehändigt bekam, gelang Renate ein Top-40-Hit. Der Song wurde im März 1971 in den Berliner Meisel-Studios eingesungen, weil Peter Orloff damals mit dem Verleger Peter Meisel kooperierte.
Die zweite Orloff-Single war eine deutsche Version des von Enrico Morricone komponierten Joan Baez Klassikers „The Ballad Of Sacco And Vancetti“ (aus dem entsprechenden Film) – Textdichter Fred Jay textete darauf „Geh mit Gott“. Angeblich war der Schlager für die ZDF-Hitparade vorgesehen, bis ein Redakteur den Einwand erhob, dass ein Titel mit „Gott“ dem Schlagerpublikum der Hitparade nicht zuzumuten sei. Spannend: Der Produzent Dieter Zimmermann, der ein Jahr zuvor Katja Ebsteins Grand-Prix-Beitrag „Diese Welt“ komponierte, produzierte mit der späteren ABBA-Agnetha ebenfalls den Song mit gleichem Text. Erfolgreich wurden beide Versionen nicht.
Im typischen Peter Orloff-Marschrhythmus kam die nächste 1972er Single daher. „Morgen früh lachst Du schon wieder“ wurde von Orloff komponiert, getextet und produziert. Immerhin reichte es für einen Top-40-Hit. Interessant ist, dass Renate wie so oft zuvor die „Trösterin“ gibt, obwohl sie – wie sich viel später ja herausstellen sollte – selber Zuspruch gebraucht hätte angesichts ihrer Krankheit, der Depression.
Im Oktober 1972 wurde die erneut von Orloff produzierte und geschriebene Nummer „Das macht diese Welt erst richtig schön“ eingesungen – das Lied kam beim Publikum nicht an. Dennoch wurde kurz darauf Renates dritte LP, „Nur wer liebt, kann glücklich werden“, auf den Markt gebracht – die erste von Peter Orloff produzierte LP. Der Titel der LP hätte passender nicht gewählt werden können. Renate verliebte sich nämlich in Peter Orloffs Toningenieur, den (damals noch verheirateten) Klaus-Peter Hildebrandt aus Berlin. Die Sympathie war gegenseitig – die beiden wurden ein Paar und zogen 1973 zusammen, überdies übernahm Hildebrandt fortan das Management für Renate.
Beruflich lief es nicht sonderlich rund bei Renate. Sie übte immer wieder (berechtigt) Kritik daran, nicht in der ZDF-Hitparade eingesetzt zu werden. Am 4. August 1973 war es aber wieder so weit – mit „Andiamo Amigo“ stellte sie aber nicht ihre damals aktuelle Single vor („Mach es wie die Sonnenuhr“, sondern einen Abklatsch des damals populären Liedes „E Viva Espana“. Schon der Titel des Liedes – die Gegenüberstellung des italienischen Wortes „Andiamo“ und des spanischen Wortes „Amigo“ zeigt, dass man sich nicht viel Mühe mit der Produktion gegeben hatte. Trotz eines guten Auftritts reichte es erneut nicht zu einer Platzierung für die nächste Show. Renate wurde „nur“ Fünfte – letztlich bedeutete das auch das „Aus“ bei ihrer bisherigen Plattenfirma Polydor, wo man sie nach acht Jahren teils erfolgreicher Zusammenarbeit fallen ließ – der Vertrag wurde nach dem 31. Dezember 1973 nicht weiter verlängert.
Renate entschied sich zu einem Wechsel zur damals schlageraffinen Plattenfirma BASF (die warb mit den Worten „Die BASF freut sich, dass Renate Kern nun zu ihrem Hause gehört“), die Produktion übernahm fortan ihr Lebensgefährte Klaus-Dieter Hildebrandt. Gleich die erste neue Produktion war ein kleiner Hit – „Wenn Du gehst“ war Anfang 1974 für 3 Wochen in den Top-50 der Charts, den Titel durfte sie auch am 23. März 1974 in Dieter Thomas Hecks Hitparade vortragen. Leider war das sowohl Renates letzte Charts-Präsenz wie auch ihr letzter Auftritt in der legendären ZDF-Show. Der Legende nach soll Renates Plattenfirma über ihr Outfit in der Hitparade „not amused“ gewesen sein – deshalb sei sie nie wieder mit einem Song dort vorgeschlagen worden sein – wer weiß, ob es stimmt… – Neben Klaus Hildebrandt produzierte Joachim Heider das von ihm komponierte und von Joachim Relin getextete Lied.
Auch der Folgetitel, „Zwei in Verona“, war ein Heider/Relin-Schlager, der allerdings alleine von Hildebrandt produziert wurde und (folglich?) kein Hit werden konnte. Im Frühjahr 1974 erschien dann auch Renates vierte LP mit dem schlichten Namen – „Renate Kern“. Darauf enthalten war die Single „Freu Dich doch auf den nächsten Sommer“ – ein Stück, das der „alte Spezi“ Werner Last für Renate geschrieben hatte – produziert wie inzwischen üblich von Klaus Hildebrandt.
Am 2. November 1974 heiratete Renate ihren Klaus in der evangelischen Kirche von Ganderkesee. Bei der anschließenden Feier sang sie voll Freude ihren Sommerschlager „Freu Dich doch auf den nächsten Sommer“. Aufgrund des so genannten „Turner Syndroms“ war Renate leider nicht in der Lage, ein Kind zu bekommen.
Die erste Single des Jahres 1975 war ein Schlager der Erfolgsautoren Jean Frankfurter und Robert Jung – „Zwischen Dir und mir gibt es keine Tür“ war ein Sommerschlager, der zwar recht erfolgreich in Renates Heimatsender Radio Bremen lief, aber nicht in die hiesigen Hitparaden stürmte – zu erdrückend war die Dominanz der internationalen Gruppen wie ABBA, Smokie oder die George Baker Selection („Paloma Blanca“). Kurz darauf erschien die ebenfalls recht erfolglose LP „Und draußen weht immer der Wind“, deren Titelsong Renate höchstselbst sowohl komponierte als auch textete.
Im gleichen Jahr begannen Renate und ihr Mann Klaus Hildebrandt die Zusammenarbeit mit dem singenden Geschwisterpaar „Mona und Michael“, für die sie das Lied „Ich hab der Liebe in die Augen gesehen“ produzierten. Einen Schnitt im Leben Renate Kerns brachte das Jahr 1976 mit sich. Damals wurde in ihrem Anfang der 1970er Jahre gebauten Haus im Obergeschoss für 2 Millionen DM ein imposantes Tonstudio aufgebaut, in dem sie mit ihrem Mann nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Aufnahmen produzierte. Die erste Produktion im eigenen Studio war der selbst komponierte Schlager „Eine Insel in der Sonne“. Der Nachfolgetitel „Schmetterling, flieg“ war eher unspektakulär, obwohl man mit Komponist und Textdichter Hans Blum einen großen Namen für den Titel gewinnen konnte.
Man begann damals auch, unter Pseudonymen zu experimentieren. Unter dem Namen „Nathalie de Navarre“ veröffentlichte Renate Beethovens Mondscheinsonate in französischer Sprache, begleitet von einem Damenchor. „Tu es moi“ war ein kapitaler Flop. Bei der Gelegenheit nahm sie auch Ricky Kings „Verde“ in französischer Sprache – „Quand tu es chez moi“ auf – auch da hatte Roland Kaiser mit „Frei – das heißt allein“ weit mehr Erfolg.
Mit „Tonio“, erneut von Renate selber geschrieben, hatte sie noch mal einen kleinen Rundfunk-Hit. Der Schlager war der letzte Titel bei der Plattenfirma BASF, die nicht nur mit ihr, sondern generell den Betrieb am 31.12.1976 wegen Erfolglosigkeit einstellte.
Im Jahr 1977 wechselte Renate zur kleinen Plattenfirma Crystal, wo sie zunächst den selbst geschriebenen Titel „Morgen, da fährt mein Zug in eine andere Welt“ veröffentlichte – ein Total-Flop. Schlimm war damals für Renate, dass sie in ihrem Tonstudio als Bürokraft und „Kaffee-Tante“ fungierte, um andere zu bedienen, die im Studio ihres Hauses produzierten. Unter anderem war man damals für Größen wie Roger Whittaker und Lolita aktiv.
Auch die interessante These „Die Liebe macht uns Frauen schöner“ wollten ihr die Fans nicht mehr wirklich abkaufen. Bei „Komm – zeig mal Deine Zähne“, einem Lied von Jean Frankfurter, zeigte Renate erstmals auf einem Cover andere Dinge als ihre Zähne – schade, es war zu spät und nutze nicht mehr viel.
Die letzte Single bei Crystal war „Polterabend im grünen Kranz“, die von Dr. Michael Kunze getextete deutsche Version von Raymond Froggatts „Callow-La Vita“ – das Lied war in den Benelux-Staaten recht erfolgreich. Renate hatte mit ihrer Version ähnlich wenig Erfolg wie die Schweizerin Paola, die zur gleichen Melodie „Wie man sich bettet..“ sang.
Die 1980er Jahre begannen für Renate denkbar schlecht – ihr innig geliebter Vater starb überraschend an einer Herzattacke. Dafür begann es beruflich besser zu laufen. Das Hamburger Urgestein „Willem“ vermittelte ihr Kontakte zur US-Country-Szene. Unter anderem lernte die Sängerin den Bruder von Johnny Cash, Thommy Cash kennen und einen Produzenten namens Byron Hill. Auf eigene Kosten produzierte sie den von Byron Hill und J. Remington Wilde geschriebenen Country Song „Imagine That“. Unter dem Namen „Nancy Wood“ veröffentlichte sie die Single in den USA und schaffte damit einen bemerkenswerten Achtungserfolg, indem sie immerhin vier Wochen in den Top-100 der Countrycharts platziert war, was umso bemerkenswerter ist, als diese Charts damals eine reine Männerdomäne waren. – Insgesamt nahm „Nancy“ im Laufe der Zeit vier Sessions in Nashville auf und mischte sie dann teilweise eigenhändig im heimischen Tonstudio ab. Den neuen Künstlernamen erklärte Renate in einem Interview wie folgt: „Damals war in der Öffentlichkeit viel von ‚Nancy Reagan‘ und ‚Natalie Wood‘ die Rede. Da dachten wir, das Publikum werde den Namen ‚Nancy Wood‘ aufnehmen, als wäre er ihm schon vertraut.“
Beflügelt von diesem Erfolg, wurde die englischsprachige Single unter dem Namen „Nancy Wood“ auch auf dem deutschen Markt bei der Plattenfirma Ariola veröffentlicht, dort entschied man sich aber für eine andere A-Seite: „Turn Your Lovelight On“. Das Lied stellte sie am 24. Juni 1981 im ARD-Musikladen vor. Renate nahm unter ihrem deutschen Künstlernamen den Titel auch in deutscher Sprache auf und veröffentlichte ihn bei Columbia (EMI) unter dem Titel „Ach bist Du schön“. Zu dieser Veröffentlichung sagte die Künstlerin in einem Interview: „Country-Musik wollte ich eigentlich schon immer machen, doch damals besaß ich für diese Art der Musik, die er- und durchlebt sein muss, noch nicht die nötige Reife. Außerdem hätte vor sieben Jahren noch kein Hahn nach Country-&-Western-Liedern in deutscher Sprache gekräht.“
Wenngleich der Erfolg dieser Veröffentlichungen ausblieb, wurde man doch auf die Country-Sängerin „Nancy Wood“ aufmerksam. Renate bekam bei ihrem „Heimatsender“ Radio-Bremen eine eigene Radiosendung unter dem Namen „Nancy’s Country Drive-in“.
Da sich „Nancy“ und ihr Mann als Country-Pioniere sahen, scheuten sie keine weiteren Investitionen und gründeten einen Musikverlag namens „Hoysweg GmbH“ und eine Plattenfirma namens „Lovelight“, um die Produktionen auf den Markt zu bringen, die von den etablierten Plattenfirmen abgelehnt worden waren. 1983 brachte „Nancy“ die Doppel-LP „Imagine That“ bei dieser neuen Firma auf den Markt, als Single wurde „Lyin' Cheatin' Woman Chasin' Honky Tonkin' Whiskey Drinkin' You“ ausgekoppelt. Mit dem Titel trat sie erneut (im Rahmen der Berliner Funkausstellung) am 8. September 1983 in Manfred Sexauers Pop-Sendung „Musikladen“ auf.
Im Jahr 1984 wurde lediglich die MC „On the Road“, die nicht auf Vinyl erhältlich war und von der es auch keine Single-Auskopplungen gibt (aus Kostengründen), veröffentlicht. In den Staaten erfreute sich „Nancy“ ungebrochener Popularität: Eine Auszeichnung der GACMF (German American Country Music Federation) zur besten europäischen Country-Sängerin des Jahres wurde ihr dank der Country-Zeitschrift „Gazette“ verliehen.
1985 wurde dann wieder eine „richtige“ LP veröffentlicht: „Loneliness Is Just A Point Of View“ mit den Auskopplungen „In the Movies“ und „Blue Bayou“. Parallel wurde mit ihrer Band „George & Lucky Riders“ die LP „Ours And Yours“ auf den Markt gebracht mit Eigenkompositionen von Renate Kern. Im Duett sangen George und Renate das Lied „A Place To Hide“.
Ein Jahr später ging Renate gleich auf drei großen Country-Festivals für Deutschland ins Rennen. Sie war zu Gast bei der TROS Country Radio Show in Holland, der International Show im Rahmen der „Fan Fair“ in Nashivlle und beim ersten Internationalen Country Festival in Prag.
Einen Auftritt der besonderen Art absolvierte Renate im September 1987. Beim Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagen in Deutschland trat sie mit ihrer Countryband „George And the Lucky Riders“ auf – geplant war, dass Reagan persönlich anwesend sein sollte, das klappte aber terminlich nicht, allerdings wurde das Konzert für ihn mitgeschnitten.
Gegen Ende der 1980er Jahre begann Renate psychisch sehr krank zu werden. Sie begab sich in Behandlung, doch weder Gesprächstherapien noch Medikamente konnten ihr wirklich helfen. Die „beste Medizin“ dürfte in dieser Zeit gewesen sein, dass sie im Osten der Republik (schon kurz vor dem Mauerfall im November) tolle Konzerte gegeben hatte und auch erfolgreich mit ihrer Radiosendung war.
Die letzten Tonträger, die von „Nancy“ veröffentlicht wurden, waren die deutschsprachige Platte „König der Nacht“ und die englischsprachige Veröffentlichung „Wild Flowers“ (- dazu gab es später noch eine gleichnamige MC-Veröffentlichung). Danach ging es bis Mitte 1990 auf ausgedehnte Tour durch die ehemalige DDR, wo sie gute Erfolge feiern konnte. Privat machte Renate aber zu schaffen, dass ihr Mann offensichtlich eine neue Geliebte hatte. Renate tröstete sich mit Alkohol und war froh, noch in ihrer Mutter einen Halt zu haben. Dennoch zog sie aus ihrem eigenen Haus aus und bezog (mit Unterstützung der Mutter) ein Haus zur Miete.
Am 3. Oktober 1990 gab Renate in Chemnitz noch einmal ein frenetisch gefeiertes Konzert, das sie trotz ihrer psychischen Erkrankung zum Erfolg führen konnte. Danach wurde ihre Krankheit immer schlimmer, so dass sie von ihrem Mann in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen wurde, wo sie am 15. Februar 1991 als „gebessert und nicht selbstmordgefährdet“ entlassen wurde.
Drei Tage später, am 18. Februar 1991, erhängte sich Renate in ihrer Wohnung, ohne einen Abschiedsbrief zu hinterlassen – man fand lediglich die Quittung für den Strick. Die Ursachen kann sich niemand erklären – auch nicht ihr Mann, der in der Regenbogenpresse allerdings über Verbindungen zur Sekte Scientology spekulierte. Ausschlaggebend könnten aber auch Verzweiflung über das Karriereende oder die außerehelichen Beziehungen ihres Mannes gewesen sein. In der Presse war auch von der angespannten finanziellen Situation des Paares zu lesen. Ihre letzte Ruhe fand sie auf einem Friedhof in Rostock. Auf ihrem Grabstein steht der Titel eines großen Erfolges: „Alle Blumen brauchen Sonne“.
Das umtriebige Wiederveröffentlichungslabel Bear Family Records veröffentlichte im Jahr 1997 zwei CDs „Du bist meine Liebe“ und „Er nahm ein anderes Mädchen“, auf denen über 50 der alten Songs der Polydor-Ära wiederveröffentlicht wurden mitsamt ausführlicher Discografie und Informationen.
Ein Jahr später wurde auf Arte ein Film über Renates Leben und Karriere ausgestrahlt, bei dem auch Freunde, Weggefährten, Fans und Kollegen wie Dieter Thomas Heck und Peter Orloff zu Wort kamen – Name des Films: „Und vor mir die Sterne…“
2003 bot das Leben von Renate Kern noch einmal Stoff für Margit Rogalls Theaterstück „Butterfahrt“, drei Jahre später veröffentlichte Wolfgang Miko seinen dokumentarischen Roman „Singen und Suizid: Aufstieg und Niedergang einer deutschen Sängerin“.
Bis heute ist Renate Kern und ihr Schicksal nicht unvergessen. Schlagersängerin und -komponistin Kristina Bach gab 2014 gegenüber dem TV-Sender n-tv zu Protokoll: „Ich habe deshalb so früh als Musikautorin angefangen, weil ich durch den Freitod der Sängerin Renate Kern, die irgendwann keinen Erfolg mehr hatte und depressiv wurde, gewarnt war. Sie war die Ziehmutter von Uwe Kanthak, mit dem ich verheiratet war und der heute der Manager von Helene Fischer ist.“
Noch spannender ist die Verbindung von Renate Kern zu Deutschlands derzeit wohl prominentesten und erfolgreichsten Manager, zum gerade erwähnten Uwe Kanthak. Laut Bericht eines Artikels im Nachrichtenmagazin „Spiegel“ kam der überhaupt erst über eine in seiner Jugend entstandene Freundschaft zu Renate Kern ins Showgeschäft – DIE verschaffte ihm nämlich die nötigen Kontakte, so kam er auch zu seinem ersten Job als Promoter bei einer Plattenfirma.
Wenngleich die ganz große Popularität ausblieb, ist Renate Kern doch noch immer eine unvergessene, beliebte Sängerin, deren tiefe Stimme und traurige Melancholie vielen Menschen Freude bereitet hat.
Stephan Imming, 23.05.2016
https://de.wikipedia.org/wiki/Renate_Kern