PURPLE SCHULZ
Konzertbericht von Holger Stürenburg: "III. Rock am Dom" – "Unplugged Day"!
Samstag, 13.06.2015 – Gelsenkirchen-Buer
mit Purple Schulz, „Boat People“ & „Dublinskis“!
Nun bin ich endlich auch in der Live-Musikszene im Ruhrpott angekommen. Nachdem ich, wie die meisten Leserinnen und Leser vermutlich am Rande mitbekamen, Anfang 2015 dem Norden Deutschlands Lebewohl gesagt und daraufhin in Gelsenkirchen meine Zelte aufgeschlagen habe, wurde es langsam Zeit, mich mal einwenig mit dem konzertären und popkulturellen Leben in meiner neuen Heimatstadt vertraut zu machen. Hierzu boten nun am vergangenen Wochenende, 12. bis 14. Juni, zwei hochkarätige Veranstaltungen einen willkommenen Anlass. Dies war zunächst am Freitag, dem 12. Juni 2015, und am Samstag, dem 13. Juni 2015, das „III. Rock am Dom“-Festival im nördlich gelegenen (1928 eingemeindeten) Stadtteil Gelsenkirchen-Buer.
Mitten auf der im Juli 2011 nach dreijähriger Bauzeit fertiggestellten Domplatte vor der alteingesessenen Buerer Katholischen Propsteikirche St. Urbanus, hatte die Kreativgemeinschaft VEST, unterstützt von den Sponsoren Volksbank Ruhr Mitte, dem Stromversorger Emscher-Lippe Energie GmbH, kurz „ELE“, dem Referat Kultur der Stadt Gelsenkirchen und einigen anderen ideellen wie finanziellen Mentoren, unter dem Motto „Unplugged Acoustic Summer Sound“ ein zweitätiges Popspektakel erster Güteklasse zusammengezaubert.
Während am Freitagabend vor allem (überwiegend) poppig-rockig singende Chöre das Publikum begeisterten, erstrahlte am darauffolgenden Samstag die gut gefüllte Domplatte bei hellstem Sonnenschein, einem leichten Windchen und – der Kreislauf hat es gedankt – keiner allzu ausufernden Hitze, als von fast ausschließlich akustischen Instrumenten beherrschter „Unplugged Day“. Ich hatte beschlossen, mir die letzten drei Bands des samstäglichen Programms zu Gemüte zu führen – und wurde wahrlich nicht enttäuscht. Nachdem zuvor die dröhnende Gelsenkirchener Metal-Combo „Schnitzel of Destiny“, die Schülerband des örtlichen Max-Planck-Gymnasiums, „Black Tiger“, und das lokale Singer/Songschreiber-Trio „Berit & the Boys“ die anwesenden Gäste gehörig angespornt hatten, betrat pünktlich um 18.00 Uhr die gleichsam aus dem Ruhegebiet stammende Folkrock-Formation „Dublinskis“ die Bühne. Der Mac (= Michael Schneider, voc, git), Der Wittich (alias Wittich Küppers, key, Akk.) und Der Olli (= Oliver Müller, dr.), drei extrem spielfreudige Virtuosen um die 50, entzündeten nun ein regelrechtes Feuerwerk aus traditionellen „tierisch irischen“ (und teilweise auch schottischen) Folkhämmern, stilgerechten Coverversionen der „Pogues“, „The Dubliners“ oder „Thin Lizzy“, vermischt mit trefflich ausgewählten Pop/Rock-Ohrwürmern der 70er bis 90er Jahre, von denen die meisten mittels eines fetzigen, heißblütigen, jedoch stets strikt akustischen Folk-Punk-Gewandes perfekt aufgefrischt und aufgewirbelt wurden.
Los ging’s mit dem rasenden, schottischen Standard „Billy Peddle“ und dem nicht weniger aufpeitschenden „All for me Grog“, einem von den legendären „Dubliners“ bekanntgemachten Lobgesang auf Wein, Weib und die (oft daraus folgende) große Misere. Als erste wahrhaftige Höhepunkte des kurzweiligen Auftritts des feschen „Irish inspired“ Terzetts können so feurige, wie reinrassig stromlos, vulgo „unplugged“ ausgestaltete Neuauslegungen von z.B. Christopher Cross‘ treibend-gehetztem 1980er-Welthit „Ride like the Wind“, des genialischen Westcoast-Krachers „Long Train Running“, das die Kinder der 70er in erster Linie von der US-Rockband „The Doobie Brothers“ kennen, während dieser zackig-aufwiegelnde Countryrocker uns eine Dekade später Sozialisierten von der obskuren Italo-Formation „Traks“ schmackhaft gemacht worden war, und – der gesamte Domplatz zu Gelsenkirchen-Buer schmetterte den so oft missverstandenen, bitterbösen, daher so herrlich offenherzig-dekadenten Text lauthals mit – des genialischen „Great Song of Indifference“ von „Live-Aid“-Benefiz-Ikone Sir Bob Geldof, bezeichnet werden.
Die „Dublinskis“ präsentierten zudem den unzerstörbaren „Wild Rover“, jenes sagenumwobene irische Volkslied, das um 1830 entstanden war und nicht einmal von dem unseligen Blödel-Duo „Klaus & Klaus“ im Herbst vor genau 30 Jahren „an der Nordseeküste“ hatte zerstört werden können, sowie – aus dem unvergleichlichen Repertoire der unvergessenen 80er-Folkpunk-Legende „The Pogues“ – „Streams of Whiskey“ (1984) und „If I should fall from Grace with God“ (1988). Aus der jüngeren Zeit fanden der introvertierte Schleicher „Forgotten, not forgiven“ des irischen Pop-Quartetts „The Corrs“, die depressive Pianoballade „Clocks“ von „Coldplay“ (übrigens einer der absoluten Lieblingsbands der „Dublinskis“) sowie – ganz zum Schluss – deren 2000er-Debüt-Hit „Yellow“ Eingang in den vielfältigen Liederstrauß der drei aufmüpfigen Hobby-Iren.
Als eine der letzten Zugaben boten die außerordentlich agilen und sehr versiert auftretenden „Dublinskis“ den eigentlich jedem bekannten, rasanten Folkrock-Schlachtruf „Whiskey in the Jar“ dar. Die zunächst eher beschauliche Anzahl der Zuschauer auf der Domplatte war während ihrer weitgehend geradezu grandiosen, spaßig-schweißtreibenden, niemals langweiligen, womöglich eintönigen Live-Show von ca. 300 auf nun schon über 500 jubelnde, singende und tanzende Menschen angeschwollen, die Stimmung zeigte sich als immer ausgelassener, mitsingfreudiger, fröhlicher und sommerlicher, was fraglos ein gutes Omen bedeutete, für die nächste Attraktion des Abends. Dabei handelte es sich um die sechsköpfige Combo „Boat People“, die aus den Musikern der Bochumer Gitarrenrock-Band „Liquid Assets“ besteht, zu der sich zu diesem Zwecke ein ums andere Mal die stimmstarke Sängerin Nico Bansberg, genannt: „The Lady“, gesellt. Unter dem Namen „Boat People“ versuchen die Musiker, die aus einer hobbymäßigen Segler-Gemeinschaft hervorgingen, mittels akustischen Instrumentariums – ergo: Konzertgitarren, Akustikbass, Akkordeon und verschiedensten Percussions – mehrheitlich bekannten Rock- und Popkompositionen der 80er und 90er Jahre, garniert mit mal filigranen, mal mitreißend-hymnischen, selbst erdachten Werken, in einem nicht selten mediterranen, dabei einwenig jazzig-swingenden, und zusätzlich latent frankophilen Flair, im Sinne eines garstigen, erdverbundenen Chanson-Ambientes mit Widerhaken, neue, ungewohnte Facetten abzugewinnen.
„Tubthumbing“, 1997 ein globaler Mitgröhl-Hit für die britischen Alternative-Popper „Chumbawamba“, eröffnete den rund einstündigen Konzertreigen von „Lady Nico“ und ihren Begleitern, doch nicht, wie es ursprünglich der Fall war, als laute, grelle Gitarrenrocknummer ausgekleidet, sondern vielmehr in der faszinierenden Form eines Ska-ähnlichen Punk-Chansons voller Energie und Lebensfreude umgesetzt, direkt gefolgt, radikal dem Frühjahr 1983 entsprungen, und konsequent ins Heute und Hier transferiert, von dem mystischen, einst so synthesizer-überfrachteten New-Wave-Drama „Sweet Dreams (are made of this)“, im Original von den „Eurythmics“.
Daran anschließend durfte Sänger Andre‘ Twilfer eine tatsächlich vorzügliche, klangliche Eigenkreation namens „Wrong Time Blues“ vokalistisch anstimmen. Der gute Mann sieht nicht nur aus, wie Ian McCulloch, jener so zerbrechlich-entrückt wirkende Frontmann der famosen 80er-Darkwave-Heroen „Echo & the Bunnymen“, er klingt auch genauso brüchig, flehend, gleichermaßen geradlinig-drastisch – und hat darüber hinaus seine Lektion in Sachen Tom Waits mehr als nur zufriedenstellend gelernt. An dieses wundervoll düster-fragile Pop-Blues-Kleinod schlossen – gesungen seitens Nico, „The Lady“ – der soulige 2010er-Erfolg „Rolling in the Deep“ von der britischen Teenie-Chanteuse Adele, und – diesmal in unserer Muttersprache – eine akustische, entsprechend entschlackte, weniger drall-überzeichnete Modifikation des sonst so unsäglich bedeutungsschwanger vor sich hin wabernden 2014er-Selbstbeweihräucherungsepos „Auf uns“ des Augsburger Liedermachers und Popsängers Andreas Bourani an.
Gottlob hieß es nach diesem kurzen Eintauchen in die Untiefen des heutigen teutonischen Massenpop zum Ex-und-Hopp-Gebrauch umgehend ein weiteres Mal „Back to the Eighties“. Nico versorgte „Blondies“ 1980er-Reißer „Call me“ mit jugendlicher, trotzig-erotischer Dynamik, bevor die „Lady“, nun gemeinsam mit erwähntem Ian-McCulloch-Look-a-Like Andre‘ Twilfer, das so atmosphärische „U2“-Meisterwerk „With or without you“ kongenial, beinahe sakral zelebrierte und mit dieser knisternden Interpretation von Bonos aussichtslosem 1987er-Anti-Liebeslied bei letztlich allen mitfühlenden Zuhörern auf dem Domplatz nicht mehr und nicht weniger auslöste, als real existierendes Gänsehautgefühl. Ebenfalls aus der coolen Dekade entliehen sich die „Boat People“ nun Kate Bushs exzentrisches 1985er-Melodram „Running up that Hill“ oder – im Frühjahr vor 30 Jahren wochenlang Nummer Eins hierzulande – „Shout“ von „Tears for Fears“.
„Boat People“ spielten die größtenteils sehr geläufigen Rock- und Pop-Evergreens der letzten 30, 35 Jahre nicht einfach nur nach. Durch die ausnahmslos akustische Inszenierung, den Verzicht auf hämmernde Schlagzeuge oder alles übertünchende Synthesizer, legten die oft betagten Nummern in der Umsetzung durch das Ruhrpott-Sextett nicht selten eine spezifische, buchstäblich elektrisierende Form der Ursächlichkeit, Naturverbundenheit und Echtheit an den Tag – was im breitgefächerten Studioarrangement der Urfassungen immer wieder mal der angestrebten Radiotauglichkeit bzw. der kommerzorientierten Anlehnung an den Massengeschmack zum Opfer fiel. Die sechs Mucker aus dem Pott fügten den einzelnen Beiträgen enorm viel Eigenständigkeit, Spritzigkeit und eine deutliche Portion an Individualität hinzu, so dass nahezu jeder aufgeführte Titel gänzlich für sich stand, niemals nur eine schlichte Abkupferung bzw. Kopie darstellte, sondern vielmehr stets das Zeug dazu hatte, unablässig zu einem einwandfreien „Boat People“-Original auszuwachsen.
Mit einem solchen – dem liebenswerten, sowieso selbst ersonnenen, gesungenen Lokalpatriotismus namens „Sommernacht im Ruhrgebiet“, den die Band, so war es zu vernehmen, schon seit Schülerband-Tagen in den an jenem Abend so oft zitierten 80er Jahren mit sich herumschleppt und seitdem unentwegt mit viel Freude und einem gewissen Augenzwinkern ihren Fans darreicht – endete die meistenteils brillante Aufwartung einer öfters sicherlich gewöhnungsbedürftigen, dafür aber umso spannenderen, entdeckenswerten Truppe, die am vergangenen Samstagabend eindrucksvoll bewiesen hat, dass man mit viel Witz, Power und Charme aus jedem noch so ausgelutschten Uralt-Radiodauerbrenner doch noch so viel Neues, Unerwartetes, Taufrisches herausholen kann!
Um punkt 20.32 Uhr war es an der Zeit für den langersehnten Hauptact des Abends, vulgo des zweiten und letzten Tages des III. „Rock am Dom“-Festivals zu Gelsenkirchen-Buer. Wie beschrieben, war das Jahr 1985 mit so manchem Evergreen, wenn auch in zumeist sehr gekonnten, akustischen Auffrischungen, am 13. Juni 2015 des Öfteren zum Einsatz gekommen. Nun enterte ein wahrhaftig imposanter und hocherfolgreicher musikalischer Mitgestalter des deutschsprachigen Popsommers 30 Years ago die gemütliche, kleine Bühne vor der altehrwürdigen St. Urbanus-Pfarrei. PURPLE SCHULZ hatte mit einer nach ihm benannten Kölner Popformation vor 30 Jahren eine zeitgeistbestimmende LP vorgelegt, die da hieß „Verliebte Jungs“, mehrere äußerst reputierliche Hitsingles beinhaltete und fraglos nationale Popgeschichte schrieb – in einer Ära, als nach den Irrungen und Wirrungen der inzwischen abgeebbten Neuen Deutschen Welle, endlich wieder fröhliche, nicht zu anstrengende, dabei aber durchwegs anspruchsvolle, poppig-rockige Musik mit guten, muttersprachlichen Texten eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Die „Münchener Freiheit“ gehörte in diese Szenerie, ebenso wie „Paso Doble“, „Steinwolke“, manch sanftere Beiträge von Klaus Lage, Herbert Grönemeyer oder Wolf Maahn – und eben, ganz oben mit dabei, Purple Schulz.
Bis in die späten 90er Jahre hinein, veröffentlichte der gebürtige Kölner eine qualitativ überaus gelungene Scheibe nach der anderen, bis er sich nach dem Millennium erst, gemeinsam mit dem letzten verbliebenen Mitstreiter aus den goldenen 80ern, Josef Piek, als „Purple Schulz – Das Duo“ im Chanson-, Kleinkunst- und Liedermacher-Umfeld bewegte, um 2012, zusammen mit dem großgewachsenen „Schrader“ (der einfach „Schrader“ heißt, so wie – laut Wolfgang Borchert – der Tisch den Namen „Tisch“ trägt), dem früheren Gitarristen von Guildo Horns „Orthopädischen Strümpfen“, eine neue Zweier-Kooperation zu begründen, die dann im Herbst genannten Jahres mit „So und nicht anders“ den ersten neuen Purple-Schulz-Longplayer seit 2003 vorgelegte.
Mit dem „Schrader“ teilte sich der überzeugte „Kölsche Jong“ Purple Schulz, der seinerseits Keyboard und Synthesizer bediente, nun auch am vergangenen Samstagabend die Bühne am Buerer Dom. Der aufmunternde, westcoast-beeinflusste Edelpop „Ich habe Feuer gemacht“ (aus erwähnter 2012er-CD „So und nicht anders“) diente als Startschuss in eine phantastisch austarierte Mixtur aus neueren, oft sehr nachdenklichen Liedern und – wie kann es anders sein? – den großen Hiterfolgen der Jahre 1984 bis 1990, als nicht wenige Purple-Schulz-45er zum jeweiligen Jahresende als ‚meistgespielte, deutschsprachige Single des Jahres‘ in die nationalen Popannalen eingingen.
Die zynische Yuppie-Verhohnepiepelung „Schöne Leute“ (1990) heizte nochmals immens die (ohnehin schon siedende) Stimmung im Auditorium an; in den vorderen Reihen fanden sich nun zumeist keine Teenager mehr – wie es noch bei den vorherigen Bands überwiegend der Fall gewesen war – sondern fast ausschließlich Zeitzeugen, die gemeinsam mit ihrem Idol in Würde gealtert sind, vermutlich bei Ersterscheinen der alten Knaller der Backfisch-Generation jener Tage angehörten, und folglich jedes einzelne Textwort in- und auswendig mitsingen konnten.
Bisher unveröffentlicht ist die so liebevolle, wie satirische Auseinandersetzung eben mit dem Älterwerden (und der damit oft verbundenen Zunahme des Körpergewichts), „Das ist doch nicht fair“, woraufhin das sehr ernste Chanson „Fragezeichen“ auf der Setlist stand, in dem sich der sympathische Popcharmeur uss Kölle am Rhing sehr intensiv, emotional und verständnisvoll mit Morbus Alzheimer/Demenz auseinandersetzt, an der sein verstorbener Vater die letzten Jahre seines Lebens gelitten hatte, weshalb sich sein Sohnemann seitdem in karitativer Hinsicht stark für demenzkranke Menschen und deren Angehörige einsetzt. Das Musikvideo zu „Fragezeichen“ dient längst als Einleitungs- bzw. Lehrvideo auf Seminaren und Fortbildungen für Pflegekräfte, die in ihrem Beruf mit diesem hoffnungslosen, unheilbaren Krankheitsbild konfrontiert sind.
Mit dem Themenkreis „Familie“ hat sich Purple Schulz ebenfalls Zeit seiner Karriere mehrfach beschäftigt, man denke nur an die Verarbeitung einer unglücklichen Kindheit 1985 in dem brachialen Hardrocker „Durch Ruinen“ oder an die zynische Aneinanderreihung härtester Erziehungsmethoden im selben Jahr in seinem hektischen Klangdrama „Das kleine Herz“. Auf erwähnter 2012er-Silberscheibe „So und nicht anders“ befindet sich die schüchtern-verschlossene Ballade „Geheiminis“, die sich lyrisch gleichsam mit dem alltäglichen Wahnsinn im Familienleben auseinandersetzt. Nach einigen häufig allzu zotigen, nicht immer trefflichen Anspielungen auf den Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche und den religiösen Fundamentalismus im allgemeinen, beackert mittels des eher im Comedy-Bereich anzusiedelnden Couplets „So macht das keinen Spaß“, wurde nun endgültig die überdimensionale Hit-Schatulle geöffnet: Die von jeher äußerst sensible Liebeserklärung „Kleine Seen“ erklang im Duo-Format mit „dem Schrader“ nun noch lieblicher, zarter und feingliedriger, als im radiogerechten 1985er-Original, woraufhin sich Purple, mit von ihm eigens gespielter Blues-Harp verfeinert, durch seinen dunkel-düster-nächtlichen Verzweiflungsschrei „Sehnsucht“ (1984) kämpfte, der ganz besonders, Dank des so betörend ehrlichen Hilferufs „Ich will raus!!!“, in der ehemaligen „DDR“ einen spezifischen Kultstatus genoss. Purple erzählte nicht ohne Stolz, aber dafür mit sehr viel Selbstironie gespickt, dass er im Sommer 1989, nur wenige Wochen vor Beginn der Ausreisewelle von „DDR“-Bürgern über Ungarn oder die Tschechoslowakische Botschaft in die BR Deutschland, gerade diesen Titel voller Inbrunst im Rahmen einiger Auftritte im ‚Arbeiter-und-Bauern-Staat“ vorgetragen hatte, viele aus seinem damaligen Publikum ihn bald darauf wortwörtlich nahmen – er selbst aber, der ja diesen freiheitssüchtigen, später von so vielen Menschen aus der „DDR“ befolgten Urschrei „Ich will raus!!!“ sozusagen künstlerisch erfunden habe, noch heute auf das Bundesverdienstkreuz für diese gesangliche Heldentat warte 😉
Zum vorläufigen Abschluss tanzten, 30 Jahre nach ihrem kreativen Entstehen, nochmals die pfiffig-knackigen „Verliebten Jungs“ frühlingsfrisch und lausbübisch durch die Straßen und „rieben sich die Nasen / an den Frauen / die sich das gefallen lassen“ (Textzitate) und proklamierte der sichtlich zufriedene und spürbar gerührte 59jährige, vermutlich in die Richtung seiner lieben Frau Eri Schulz, mit der er seit inzwischen rund einem Vierteljahrhundert glücklich zusammenlebt, und die an diesem Abend am Merchandising-Stand für ihren Göttergatten dessen CDs, DVDs, T-Shirts etc. an Frau und Mann brachte: „Du hast mir gerade noch gefehlt (zum Glück)“, 1990 erste Singleauskoppelung aus dem schier zeitlosen, noch heute faszinierenden Hitalbum „Purple Schulz“.
Auf dieser kompakten Deutschpop-LP war ganz zum Schluss der B-Seite die stille, in sich gekehrte und doch so hoffnungsvolle Ballade „Immer nur leben“ enthalten, mit der Purple Schulz, wie er anmerkte, „bestimmt schon seit 1847“, in steter Regelmäßigkeit jedes seiner Konzerte versöhnlich und zukunftsträchtig beendete. Dies galt bereits bei den letzten beiden, von mir besuchten Purple-Schulz-Shows 2002 im „Karstadt Kultur Café‘“ bzw. 2007 auf dem „Alstervergnügen“, jeweils in Hamburg, – und dieser liebgewonnenen Tradition huldigte er nun auch bei seinem lautstark gefeierten Duo-Auftritt, zusammen mit dem schlaksigen, sehr bluesorientiert agierenden Gitarristen „Der Schrader“, im Rahmen des III. „Rock am Dom“-Festivals im Schatten der 1890 erbauten katholischen Propstei St. Urbanus.
Das große Finale, mit dem das rockige Dom-Fest gegen 21.45 Uhr endgültig beschlossen werden sollte, musste ich mir schenken. Die Straßenbahn zurück nach Gelsenkirchen-Altstadt fährt samstagabends nur noch alle 30 Minuten; immerhin war ich es nach (von einer Ausnahme, Peter Sebastians „Star-Pyramide“ am 07.12.2014, abgesehen) über dreijähriger, gesundheitlicher Konzertabstinenz gar nicht mehr gewöhnt, mehrere Stunden lang, dazu noch die meiste Zeit davon stehend, tanzend, mitsingend, sich bewegend auf einem Klasse Musikfestival auszuharren – und außerdem stand ja kaum zwölf Stunden später eine erneute Fahrt von GE-Altstadt nach GE-Buer an…
Über den „13. Sicherheitstag Gelsenkirchen“, der am Sonntag, dem 14. Juni 2015, auf dem Gelände des Polizeipräsidiums Gelsenkirchen-Buer stattfand und u.a. superbe Live-Darbietungen von z.B. FRANK NEUENFELS, MICHAEL FISCHER oder JÖRG BAUSCH präsentierte, lesen wir dieser Tage an dieser Stelle mehr!
Holger Stürenburg, 13. bis 15. Juni 2015

