NICO GEMBA – IBO – PETER SCHILLING
Die neue CD-Reihe "MyStar" im Test von Holger Stürenburg!

Lesen Sie HIER seine “3 in 1” Kolumne…: 

Für spezielle, oft sehr interessant ausgestaltete, dazu stets auf Mehrteiligkeit ausgerichtete und auf Ganzheitlichkeit achtende CD-Serien ist die Diepholzer Plattencompany DA Music seit langem bekannt. Abgesehen von ihrer hocherfolgreichen Doppel-CD-Reihe „Doppelt gut“, von der zum Weihnachtsgeschäft 2014 die 50. Ausgabe auf den  Markt kam und die dieses Jahr ihr 20jähriges Bestehen überhaupt feiert, riefen die Diepholzer Kollegen vor längerer Zeit die inzwischen aus rund 15 einzelnen Themen bestehende CD-Garnitur „Balladen“ ins Leben, die in unregelmäßigen Abständen mit sehr vielseitigen Zusammenstellungen eher bedächtiger Titel von allen nur erdenklichen Schlagerstars und teutonischen Popbands überzeugt. Ich erinnere mich, mindestens drei oder vier dieser liebevoll formierten Ansammlungen gemütlicher Schleicher und introvertierter Softpopper – z.B. von Wolfgang Petry, 2012 oder Andreas Martin, 2015 – für Smago.de genüsslich vorgestellt zu haben. Und ich freue mich immer wieder darauf, wenn DA Music weitere Ausgaben dieser längst etablierten und von vielen Schlagerfreunden tief ins Herz geschlossenen Reihe vorlegt.

Nun ist kürzlich ein ganz neues Konzept von DA entwickelt worden. Dieses nennt sich „My Star“ und wartet pro Exemplar, zu einem Preis von nur um die zwölf Euro, mit vollen 20 (!) Hits und Favoriten eines jeweiligen Künstlers auf. Das „My Star“-Projekt präsentiert somit einen zumeist ungeschmälerten Überblick über das bisherige Wirken des bearbeiteten Musikschaffenden und hat dabei immer wieder sogar die eine oder andere Rarität mit im Programm. Der Unterschied zu „Balladen“ ist, dass bei „My Star“ auch solche Sänger und Bands vorkommen (und vorkommen werden), die mehr im Disco-Fox, im klassischen Pop- oder gar (Deutsch-)Rock-Kontext zu Hause sind, weshalb ihre größten Erfolge eben häufiger im Up-Tempo-, denn im Slow-Song-Modus stattgefunden haben. Auch werden von den verschiedenen Gesangsartisten künftig sowohl balladeske Titel, als auch poppig-rockigere Nummern für die „My Star“-Nutzung ausgewählt. In Puncto musikhistorischer Relevanz des zusammengefügten Liedmaterials bzw. bezüglich dessen Vielfältigkeit und Vollständigkeit, ist jedoch keinerlei Divergenz zur hochqualitativen Katalogarbeit hinsichtlich der „Balladen“-Kompilationen auszumachen.

Den Anfang macht diejenige „My Star“-Ausgabe, die die 20 beliebtesten Titel des ursprünglich aus Duisburg kommenden „King of Fox“ NICO GEMBA auffährt. Diese stammen fast sämtlich aus den Jahren 2006 bis 2014; es überwiegen hauseigene, also bei DA selbst erstveröffentlichte Songs. Die einwandfrei Wendler’esque, aktuelle Single „Denkst Du wie ich…“, mit ihrem klanglich unüberhörbar ‚westerländer‘ Touch, bildet den Startschuss für über 70 Minuten pure Tanzfreude im knackigen, modernen, leider manchmal einwenig monotonen Disco-Fox-Schlager-Sound, vermengt mit sachten, stilferneren Fragmenten, die mal von Rock-Gefilden ausgehen, mal einem gewissen Reggae-Umfeld entspringen.

Seine aufgedonnerte Fox-Auslegung des unschlagbaren Nik P./DJ. Ötzi-Meilensteins „Einen Stern (der Deinen Namen trägt)“ führte den sportlichen Frauenschwarm aus dem Ruhrpott 2007 sogar in die offiziellen Media-Control-Charts, während die gleichfalls strikt und schnörkellos voranstrebende Folgesingle „Der letzte Fox“, die dem „benamten Stern“ (zumindest im Refrain) harmonisch nicht unähnlich ist, nur wenig später von Null auf Eins in den deutschen Popschlagercharts raste, was bis dato noch kein anderer Künstler in dieser Hitparadengattung vermocht hatte.

Die 2011 geborene „Fox-House Single Version“ von „Regenbogen“ reanimiert Judy Garlands niedlich-kindliches 1939er-Filmlied „Over the Rainbow“ im tanzsaaltauglichen (aber gottlob nicht „Marusha“-gemäß aufdringlich-nervtötenden) Großraumdisco-Ambiente. Das 1971 von Jean Frankfurter ins Deutsche übersetzte, im Original auf Französisch gesungene Popchanson „Butterfly“ – damals ein europaweiter Nummer-Eins-Hit und Millionenseller für den Pariser Sänger Danyel Gerard – avancierte hingegen 2013 bei Nico Gemba zu einem flotten, sogleich in Beine gehenden Fox/Reggae-Verschnitt und Riccardo Foglis 1982er-Italo-Pop-Klassiker „Storie Di Tutti I Giorni“ war in der Sichtweise Nico Gembas – anders, als bei Roland Kaiser, dessen 1996 erfolgte Eindeutschung des Fogli-Erfolgs „Sag ihm, dass ich Dich liebe“ hieß – ein Jahr zuvor rhythmisch und aufwühlend in unserer Muttersprache zu „Die meisten Träume sind Betrug“ geworden.

Regelrechten, aufpeitschenden Disco-Rock auf der Basis harter, lauter Gitarrenriffs im Sinne der großen Petry-Hymnen der 90er vernehmen wir im angriffslustigen Heavy-Muntermacher „Wer nicht aufsteht“ (2013); der sehr melodische, enorm eingängige Edelpopschlager „Egal, was ich tue“ (2009) stammt aus der Kölner Hitküche Peter Power/Ully Jonas, die zuvor u.a. mit Bernhard Brink, Michael Stein und Allessa gute Reputation erzielt hatten.

Peppige, rasante Foxschlager, wie „Dieses Lied ist für Dich“ (2010) bzw. „Dein Zug ist abgefahren“ (2006), oder ohrwurmträchtiger Tanzstoff, mal aufmüpfig-offensiv („Feuerwerk“, 2011, „Ich würd‘ so gerne mal wieder mit Dir schlafen“, 2008, „Am Zuckerwattestand“, 2009, übrigens aus der Feder von Fox-Kollege Jörg Bausch, „Eheringe zu verkaufen“, 2006, und zig (allzu) deckungsgleich klingende Dancefloor-Exponate), dann wieder romantisch-verliebt („Solang Du diesen Ring trägst“, 2009, „Das letzte Stück vom Himmel“, 2008… müsste eigentlich heißen „DES Himmels“… aber ich möchte in Anbetracht der positiven, kraftvollen Stimmung, die dieses furiose Lied versprüht, mal nicht ganz sooo pedantisch sein, wie gewohnt… ;-), runden eine über weite Strecken fraglos überaus ansprechende Kollektion der größten Partyreißer des ultimativen Fox-Experten Nico Gemba stilsicher und zielstrebig ab.

Wer die rhythmische Fox-Pop-Schlager-Mixtur des Wendler, von Jörg Bausch, Marco Kloss, Mike Bauhaus oder – ganz aktuell – Frank Lukas bzw. Norman Langen mag, bevorzugt zu solch wilden Popschlagern mit deftigen Beats abfeiert und/oder einfach nur die besten und prägnantesten Fox-Fetzer des selbsternannten „Königs der Piraten“ (so ein gleichsam auf „My Star“ bedachter 2006er-Hit des agilen Ex-Fotomodells aus dem Pott) zu einem akzeptablen Preis sein Eigen nennen möchte, der sollte bei „MY STAR – NICO GEMBA“ jederzeit zugreifen. Für den toleranten Nichttänzer, zu deren Spezies sich der Verfasser dieser Zeilen rechnen möchte, wirken jedoch viele dieser meist extrem temporeichen, rasend-treibenden, grell strahlenden, überwiegend auf Rhythmus getrimmten Popschlager auf die Dauer untereinander recht ähnlich und austauschbar, wobei nur ganz wenige dieser ja zuvorderst auf ein jüngeres, partyseliges Disco-Publikum zugeschnittenen Power-Hämmer längerfristiger im Ohr hängen bleiben wollen.

Einer der liebenswertesten und menschenfreundlichsten Schlagersänger der späten 80er und 90er Jahre war der 1961 in Mazedonien geborene Ibrahim Bekirovic, der seinen Vornamen zu „IBO“ abkürzte und unter diesem Pseudonym ab 1985 rund 15 Jahre lang nicht mehr aus den einheimischen Hitlisten, Schlagerparaden und entsprechenden TV-Sendungen wegzudenken war. Der lebensfrohe, stets humorvoll und augenzwinkernd agierende Popentertainer ist im November 2000 bei einem unverschuldeten Autounfall in Österreich im Alter von nur 39 Jahren verstorben.

Seine größten Hiterfolge, die nahezu ausnahmslos vom kongenialen Songwriter-Team Mick Hannes/Walter Gerke („Franz K.“, „Saphir“) verfasst wurden, sind nun – teilweise in den Urfassungen, aber auch öfters in Neuaufnahmen bzw. Remixes aus den Jahren 1998 bis 2003 – für „My Star“ auserlesen worden. Natürlich kennen wir alle Ibos hinreißenden Erstlingshit „Ibiza“, der im Sommer vor 30 Jahren die hiesigen Radiostationen gehörig aufwirbelte und als einer der bedeutsamsten und vor allem folgen-reichsten Schlagerrenner des Jahres 1985 in die Annalen einging. Warum folgen-reich? Ja, weil es – beinahe identisch vom Konzept her, aber lyrisch natürlich weitaus lieblicher und weniger ‚kriminell‘, wie bei Falcos „Jeanny“ – nach dem Ursprungshit noch zwei weitere „Ibiza“-Ausformungen geben sollte. War Ibo 1985 unter dem kecken Motto „Wer braucht Dich? / ich hab Ibiza!“ zunächst vor seiner Ex-Liebsten auf ebenjene Baleareninsel geflohen, so beschloss er ein Jahr darauf mittels „Ibiza II (Wenn Du mich brauchst)“ (für „My Star“ im synthetisch-donnernden 2003er-„Moonheads RMX“-Mix ausgesucht) und den darin gesungenen Textzeilen „ich hau hier ab / und mach die Koffer klar / Du bist mir wichtiger / als Ibiza“ zu der Gnädigsten zurückzukehren – um 1995 nochmals nachzulegen und seine Hübsche im mit „Ibiza III“ untertitelten Popschlager „Ich brauch Dich in der Wirklichkeit“ dringend zu sich zum Paella-Essen dauerhaft und für immer auf die katalanische Urlaubsinsel zu bestellen… Der Grundlagen-Hit „Ibiza“ selbst findet sich auf „My Star“ als 2000 veröffentlichte DA-Neuaufnahme, sowie in einem sog. „Deli Cutt RMX“ aus dem Jahr 2003, der über fünf Minuten lang die Ur-Melodie bis zur Unkenntlichkeit entstellt und letztlich ein völlig neues, keinesfalls unsympathisches Club-Sound-Klangkonstrukt entwickelt hat, dem scheinbar rein zufällig ein paar tönende Aspekte des alten Ibo-Gassenhauers zugefügt wurden.

Auch viele weitere, noch immer sehr bekannte und begehrte Ibo-Hits haben auf „My Star“ ihren jederzeit berechtigten Platz eingeräumt bekommen: Ob der heißerträumte „Bungalow in Santa Nirgendwo“ (Februar 1987), das hochgradig verliebte „Du oder keine“ (1988), der knackige Prae-Fox-Schlager „Ich wette eine Million“ (1992), oder der aufmuckende Pop-Rock-Verschnitt mit nahezu Eins-zu-Eins-kopiertem „Verlieben, verlor’n, vergessen, verzeih’n“-Gitarrensolo, „Mit offenen Karten“ (1994) – alle diese unvergesslichen, so edlen, wie eindringlichen und tanzbaren Popschlager fanden ihre Neuverwertung auf der aktuellen Ibo-Kompilation von DA Music und haben in den 25, 30 Jahren seit ihrem Entstehen wahrlich nichts von ihrem sympathischen, heiteren und launigen Charme eingebüßt.

Spätere Titel ertönten mal im klassischen „Happy-Petry-Sound“ („Nimm den ersten Flieger“, 1994, „Alter Schwede“, 1998), im fetzigen Rockschlager-Gewand („Jetzt oder nie“, 1996, ) oder gar im Sinne eines krossen, gitarrenbetonten Rock’n’Roll („Alles oder Nichts“, 1994, „Blau & Weiß“ – der 1999er-Fangesang auf den FC Schalke 04, den Heimatverein am neuen Wohnort des Rezensenten). Der 1998er-Radiohit „Ein Himmelbett im Internet“ allerdings erscheint melodisch und harmonisch als konsequentes Cybersex-Plagiat des im virtuellen Zeitalter offenbar leerstehenden Flachbaus in Sankt Wo-auch-immer…

Im klanglichen Mittelmaß verbleiben außerdem die konventionellen Dance-Schlager „Sieben Jahre“ (1996), „Ratzfatz in Mallorca“ (2000), wie gleichermaßen „Hello“, 1984 ein stiller, schleichender Welthit für US-Balladenkönig Lionel Richie, der kurz nach dem Millennium bei Ibo mit deutschem Text zu einem ebenso betitelten, flachbrüstig plätschernden Reggae-Verschnitt ohne jegliche Phantasie und Esprit wurde.

Einen absoluten Höhepunkt auf „My Star“, wie gleichsam in Ibo gesamter Popkarriere, stellt dagegen das großstädtisch-hitzige Nightlife-Epos „Spieglein, Spieglein an der Wand“ dar. Dieses erschien erstmals 1992 und war auf Englisch bereits sieben Jahr zuvor als „I am Alive“ ein formidabler Eurodisco-Club-Aufmischer von „Saphir“ gewesen, einem Kurzzeit-Seitenprojekt von Ibos Leib-und-Magen-Produzenten Gerke und Hannes, die dieses Poptrio 1985 im Zuge der ungeheuren „Modern Talking“/“Bad Boys Blue“/Sandra Cretu-Invasion für nur eine einzige LP namens „Perfect Combinations“ realisiert hatten. „Süßes Blut“, Ibos zweite 1985er-Single nach „Ibiza“ und bis heute realer Fan-Favorit, klang vollends nach Bohlen und Co. – dieser kongeniale, nächtlich-urbane Romantic-Disco-Ohrwurm wurde in einem aufgemotzten „Remix ´99“ für „My Star“ zugedacht.

Obwohl mit „Das schaffst Du nicht“ (1987) und „An Deiner Stelle nähm‘ ich mich“ (1989) zwei weitere, sehr exquisite Ibo-Knaller unberücksichtigt blieben, haben die Kollegen aus der Katalogabteilung von DA Music für die „My Star“-Ausgabe des viel zu früh von uns gegangenen, zu seinen Lebzeiten immer so fröhlichen und offenen Deutsch-Mazedoniers fast alles das serviert, was den unbändigen Frohmut und Optimismus des schwarzhaarigen Frauenschwarms aus Skopje seinerzeit ausgemacht hatte. Für 80er-Kinder, die ihre Tonträgersammlung mit den relevantesten Schlagern ihrer Jugend um eine weitere, sehr effektive Best-of-Koppelung auffrischen wollen, wie auch für jüngere Besucher des alljährlichen „Schlager-Moves“ in Hamburg, ist „MY STAR – IBO“ genau das richtige; gerade jene Sommerveranstaltung auf St. Pauli wäre ohne das mehrfache Abspielen von „Ibiza“ von den mitfahrenden Trucks herab schier unvorstellbar.

Für die dritte brandneue DA-CD, die unter dem Titel „MY STAR“ firmiert, verbleiben wir vorerst mitten in den 80ern, wenden uns hier aber nun der zu Beginn jenes Dezenniums alles beherrschenden Neuen Deutschen Welle (NDW) zu. Deren begabteste Protagonisten vermochten es im weiteren Verlauf der coolen Dekade nicht selten, einen praktikablen Sprung von schnelllebiger NDW-Hektik hin in ein kompaktes, deutschsprachiges Popackerland durchzuführen, statt im Orkus der nach 1983 in letzter Konsequenz gnadenlos versickernden Welle mit unterzugehen. Einer der erfolgreichsten Hauptakteure der kommerzorientierten NDW war der gebürtige Stuttgarter PETER SCHILLING. Diesem widmet DA Music die Numero Drei des ersten Schwungs ihrer neuen CD-Serie „MY STAR“. Und hier ist den Kollegen insofern etwas ganz Besonderes gelungen, als dass sie es geschafft haben, Peters einstige Plattenfirma WEA/Warner dazu zu bringen, sich netterweise zu erbarmen und einige zwischen 1982 und 1992 entstandene Originalaufnahmen des singenden Weltraumexperten aus der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt eben für „MY STAR“ zur Verfügung zu stellen. Wir hören also ALLE kennzeichnenden Hits von Peter Schilling aus den 80er bis frühen 90er Jahren in ihrer Gesamtheit nicht in einer der später leider allzu oft unnötig zusammengeschusterten, häufig lieblosen Nachspielungen, sondern unverbrüchlich in der Urauslegung, die damals bei WEA/Warner ersterschienen war.

„Major Tom (Völlig losgelöst)“, Peters fundamentaler Einstiegshit, der im Frühjahr 1983, zu Hochzeiten von „E.T.“-Sience-Fiction-Taumel und brennend-hemmender Raketenangst, ganze acht Wochen lang den ersten Rang der teutonischen Singlecharts besetzte, sich über sechs Millionen Mal verkaufte und im Laufe des Jahres auch in Italien, Spanien, den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz und Österreich hohe Hitparadenpositionen erklimmen konnte, leitet – in der fünfminütigen LP-Version – das abermals 20teilige Repertoire von „My Star“ ein. Dicht gefolgt von Peters weiterer Top-10-Single „Die Wüste lebt (Alarmsignale…)“, ebenfalls in der vom allbekannten Singlemix stark abweichenden 4.53-Min-Albumfassung, und dem schlussendlich Ende 1983 zusätzlich als – wenn auch hierzulande weniger beachtete –  Single ausgekoppelten Titelsong des gefeierten LP-Debüts des Stuttgarter 80er-Heroen, „Fehler im System“.

1984 erschien des Rezensenten Lieblings-LP von Peter Schilling, die da hieß „120 Grad“ und, anstatt NDW-kompatibles Synthi-Geplänkel ungemütlich aufzukochen, mittels kerniger, deutschgesungener Rock/Pop-Experimente voller Eleganz und Dramatik für den Künstler vielmehr einen immensen Schritt nach vorne bedeutete. Die erste Singleauskoppelung aus diesem Meisterwerk, die gekonnt behäbig-schwebend und zeitgleich cool-erhaben inszenierte Weltuntergangstragödie „Terra Titanic“ – im Juni 1984 Rang Drei in der legendären „ZDF-Hitparade“ –, wurde ebenfalls für „My Star“ auf die Liste gesetzt, wie das schlicht grandiose, so glitzernde, wie peitschende Großstadtdrama „Hitze der Nacht“, letzteres erneut in der etwas längeren (5.19 Min-)Albumversion. Wiederum zwei Jahre später, im Herbst 1986, gab es äußerst ungewohnte Liedperlen von Peter Schilling zu hören. Erstmals wich der schüchterne Liederschreiber und Gitarrist in lyrischer Hinsicht gänzlich ab von zukunftsbezogenen, surrealen Raumfahrtgeschichten und ähnlich phantastischen Themenkreisen und setzte stattdessen für zwei – in Sachen Dichte und Ausdrucksstärke mal wieder geradezu phänomenal ausgefallene – WEA/WARNER-Singles vollständig auf zwischenmenschliche Textinhalte: „Ich vermisse Dich“ (in der Singleversion auf „My Star“ vorhanden) ist ein so aggressives, wie verträumtes, resigniertes und doch hoffendes Liebesgeständnis, melodisch, rhythmisch und stimmungsbezogen angelehnt an den famosen Radiorocker „Missing you“ des US-amerikanischen Musikers John Waite aus 1984, das sich zwar im Herbst zwei Jahre später auf einem durchaus ordentlichen Rang 32 der „Media Control“-Hitparaden einfand, aber die kommerziellen Erwartungen von Peter und WEA trotzdem offenbar keinesfalls zufrieden stellte. Die nicht weniger in düster-romantischem Fluidum dargereichte Synthi-Rock-Elegie „Alles endet bei Dir“ – diese nun nicht, wie von vielen Fans gewünscht, endlich mal in der ultrararen Singleabmischung anlizenziert, sondern mal wieder in der hinlänglich im CD-Format vorliegenden, knapp sechsminütigen Maxi-Auslegung – konnte sich demgegenüber gar nicht in den Verkaufscharts plazieren. Dies führte dazu, dass sich Peter Schilling vorerst entnervt aus dem Musikbusiness zurückzog und eine zu diesen beiden – qualitativ, wie gesagt, absolut hochwertigen – 45ern geplante LP niemals zu Ende geführt wurde. 1989 feierte der personifizierte „Major Tom“ allerdings einen unerwarteten „Billboard“-Hit in den USA mit dem großspurig mystischen Synthi-Dance-Monument „The Different Story (World of Lust and Crime“), das sich soundtechnisch an damalige Technopop-Erfolge von Sandra Cretu, „New Order“ oder gar den „Pet Shop Boys“ anlehnte.

Nachdem in unseren Breitengraden im Zuge der Wiedervereinigung ein kleines, aber feines NDW-Revival vonstattengegangen war, das z.B. zu neuen Arbeiten von Franziska (Frl.) Menke oder Joachim Witt führte bzw. die alten Helden der frühen 80er zu umjubelten Comeback-Tourneen („Extrabreit“) bzw. Remix-Alben („Spliff“) ermunterte, folgte 1992 von Peter Schilling das ewig unterschätzte LP-Opus „Geheime Macht“. Dieses blieb, trotz noch so spannender Songexponate darauf, bedauerlicherweise wie Blei in den Regalen der CD-Läden liegen. Dennoch trug auch und gerade diese letzte WEA-Produktion von Peter ein paar außerordentlich intelligent und gewitzt aufbereitete Pop-Rock-Melangen auf Gitarren- und Synthibasis in sich, von denen auf „My Star“ der straighte, hymnische Edelrocker „Zug um Zug“, der zugleich sphärische, wie zickige Synthipop „Bild der Dunkelheit“ und der verspielte Tanzpop „Feuerglut (Viel zu heiß)“ zwecks erfreuenden Wiederhörens vorzufinden sind.

Von einigen dümmlichen Tekkno-Remixes seiner 80er-Knaller abgesehen, hörte man von Peter Schilling bis 2003, als er einen neuen Plattenvertrag eben mit DA Music unterzeichnete, nicht viel Neues. „Raumnot 6 vs. 6“ nannte sich sein Erstlingswerk bei den Diepholzern, aus dem der mild fließende, wohlig futuristische Dream-Pop „Raumnot (weißt Du, was es heißt…)“ und das aufwühlende, phonstarke, dralle Synthi-Lamento „Sonne, Mond und Sterne“ für „My Star“ aus den Archiven gekramt wurde. Das weitgehend unausgegorene Folgewerk „Zeitsprung“ (2005) ist mit der ersten, recht nervös-gehetzten Singleauskoppelung „Weit weg“ und dem pompös-verquasten „Weder Fisch, noch Fleisch“-Versuch „Experiment Erde“ auf „My Star“ vertreten. Die weitaus tiefgehendere, gitarrengeführte Mystikballade „Es gibt keine Sehnsucht“ und der ebenfalls sehr sanftmütige, positive Mid-Tempo-Feudalpop „Das Prinzip Mensch“, der als Titelgeber für Peters 2006er-CD diente, wurden ebendieser Silberscheibe für „My Star“ entnommen.

Von nun an produzierte Peter Schilling seine Lieder für sein eigenes Label MajorTonRecords und veröffentlichte dort bis heute drei Alben, die auf „My Star“ durch die verheißungsvolle, sehr still, gemächlich und in sich gekehrt ausgekleidete Ballade „Das gute Gefühl des richtigen Wegs“ (2007), den aufmuckenden Softrocker „Es ist nie zu spät“ (2010),  der auf vortreffliche Art und Weise mit „Beatles“-gemäßen Harmonien und Melodiebögen verfeinert wurde, und – aus Peters allerneuester, extrem aufregender Scheibe „DNA“ – den geradlinig rasenden, inhaltlich gleißend zeitkritischen Rocker „So ist die Welt“ vertreten sind.

Die gewählte Form der chronologischen Verkoppelung bzw. Anordnung von Peter Schillings zeitgeistbestimmenden, -untermalenden, wie auch das jeweilige zeitnahe Lebensgefühl immer wieder spitz aufs Korn nehmenden musikalischen Stellungnahmen – d.h. „MY STAR – PETER SCHILLING“ beginnt 1982 mit „Major Tom“ und endet 2014 mit „So ist die Welt“ – lässt den geneigten Zuhörer nicht nur die persönliche künstlerische Entwicklung des Interpreten, sondern auch einen nicht unbedeutenden Part der allgemeinen Genese der deutschen Popmusik in den letzten knapp 33 Jahren gespannt mitverfolgen. NDW-Begeisterte, passionierte 80er-Jahre-Forscher und –Nachempfinder und jüngere, aufgeschlossene Freunde gehobener deutscher Popmusik mit Widerhaken, können also bedenkenlos zugreifen und sich für die 20 auf „MY STAR – PETER SCHILLING“ versammelten einheimischen Kulturgüter auf eine packende und reizvolle Reise durch drei Jahrzehnte teutonischen Pops begeben, die mit so mancher tönender Überraschung betört und gefällt.

Mit vorliegenden drei Best-of-Selektionen von NICO GEMBA, IBO und PETER SCHILLING hat die neue DA-Serie „MY STAR“ so facettenreich, wie vielversprechend ihren Anfangspunkt gesetzt. Wer meine Artikel auf Smago.de kennt, dem ist natürlich nicht verborgen geblieben, dass ich – rein subjektiv – dem einen Interpreten, als reiner Fan und Musikfreak, womöglich näher stehe, als dem anderen, dass mir Deutschpop oft mehr aus dem Herzen spricht, als etwa Disco-Fox. Dies ist auch diesem Text zu entnehmen. Dennoch haben die Katalogverantwortlichen bei DA Music ohne Zweifel in allen drei Fällen ganze Arbeit geleistet. Wer sich so eine, „My Star“ betitelte Kollektion zulegt, hält tatsächlich und ohne Abstriche die jeweils 20 wichtigsten, erfolgreichsten, ja hauptsächlichen Titel SEINES Stars komprimiert in Händen. Die Thema für Thema getroffene Songauslese lässt, wie beschrieben, kaum Wünsche offen, auch wenn mal ein per se notwendiger Titel, aus welchen (rechtlichen?) Gründen auch immer, unter den Tisch fiel, oder nicht der erträumte Mix eines Liedes zur Verwendung kam. „My Star“ hat alle Chancen, sich längerfristig als charmante und gefällige Best-of-Serie auf dem Markt durchzusetzen. Und, wie der Buschfunk verkündet, dürften in Bälde auch die Fans von MATTHIAS REIM, NINO DE ANGELO und anderen, in Sachen „MY STAR“ reich beschenkt werden…

 

Holger Stürenburg, 17. bis 19. März 2015
http://www.da-music.de
http://www.peterschilling.com/

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