HOWARD CARPENDALE
Die Doppel-CD und DVD "Das ist unsere Zeit – Live aus Berlin" im Test von Holger Stürenburg!

Sinatra trifft Springsteen – Howard Carpendale wird Deutschrocker …: 

Konzerte von HOWARD CARPENDALE sind immer wieder als etwas ganz Besonderes zu betrachten. Ich selbst habe an die zehn davon erlebt, so auch das allererste Popkonzert meines Lebens, eben einen Howard-Auftritt, am Mittwoch, dem 06. Oktober 1982, im Hamburger CCH/Saal Eins. Soeben war Helmut Kohl Kanzler geworden, wir Schüler genossen die ersten Tage der Herbstferien; anfänglich sollte es, zusammen mit unserer Pfarrei St. Thomas Morus/Stellingen, zu einer Kinderfreizeit nach Inzmühlen gehen, danach zusammen mit Frau Mama für ein paar Tage nach München – ja, und meine Frau Mama hatte sich bereiterklärt, ihren damals elfjährigen Sprössling zum Hamburger Konzert von Howard Carpendale zu begleiten. Bereits ein Jahr zuvor, im Herbst 1981, hatte ich mich in dessen Konzeptalbum „Such mich in meinen Liedern“ regelrecht ‚verliebt‘, im Juni 1982 hatte ich mir auf einer Ferientour in Bielefeld (ich war damals da, die Stadt gibt’s wirklich!) die MC (!) von Howards Konzertmitschnitt „Live ´82“ gekauft – und dann blickte ich gespannt auf den 06.10.1982, als ich eines meiner wichtigsten Kindheitsidole erstmalig ‚live‘ erleben durfte.
 

Als ich meiner Frau Mama dieser Tage erzählte, ich solle mich nun mit einem fabrikneuen Live-Album von Howard Carpendale journalistisch beschäftigten, kamen umgehend alte Erinnerungen zur Geltung. Weder meine Frau Mutter, noch ich, hatten – abgesehen von einigen Jazz-Frühschoppen mit meinem Vater – vor eben jenem Oktobertag vor 34 Jahren jemals ein originäres Popkonzert besucht und wussten daher auch gar nicht, wie ein solches überhaupt ablief. Wir saßen im CCH, fünfte Reihe, recht nahe der Bühne – um 20.00 Uhr ging das Licht aus – und, das erzählt meine Frau Mama seit jenen Tagen ein ums andere Mal, es begann ein orchestrales Dröhnen in einer derartigen Lautstärke, die sie zuvor noch nie erlebt hatte… ohrenbetäubend startete die Show (wie auch auf der genannten, dazugehörigen Live-LP) mit einer knappen, aber nun mal phonstark donnernden Passage aus dem dunklen Synthidrama „Wem…“ und dem spektakulären, an John Miles‘ Meilenstein „Music“ angelehnten Intro „Musik, das ist mein Leben“…

Inzwischen ist viel Wasser die Elbe, die Isar und die Emscher herabgeflossen, aber Howard Carpendale ist – trotz ein paar Jahren Pause zwischen 2003 und 2007 – immer noch da. Und dies fraglos besser, aktiver und voranpreschender, denn je.

So begab sich der gebürtige Südafrikaner kurz nach Veröffentlichung seiner immer noch aktuellen Studio-CD „Das ist unsere Zeit“ auf eine ausgiebige Deutschland-Tournee und zelebrierte im Rahmen derer Hits und Geheimtipps aus seiner ersten kreativen Phase 1966 bis 2003, natürlich einige bedeutsame Songs der Ära 2007ff, sowie fast alle Titel der enorm modern und rockig ausgefallenen Silberscheibe „Das ist unsere Zeit“, auf der der großgewachsene Frauenschwarm oft mehr nach Bruce Springsteen klingt, als nach klassischem, heimatlichen Schlager.

Im Zuge dieser bejubelten Konzertreise, die übrigens im Herbst 2017/Frühjahr 2018 eine Fortsetzung findet, gastierten Howard und seine Band am 10. November 2015 vor ausverkauftem Hause im Tempodrom zu Berlin. Dort wurden sowohl eine Live-Doppel-CD mit 32 Titeln, als auch eine Live-DVD mit derselben Liedanzahl plus einer zusätzlichen Bildergalerie aufgezeichnet. Rund ein Jahr darauf, liegen beide Ton- bzw. Bildträger unter der Betitelung „DAS IST UNSERE ZEIT – LIVE AUS BERLIN“ zum Weihnachtsgeschäft 2016 via Electrola/UNIVERSAL vor.

Begleitet von zehn überwiegend sehr jungen Musikern, führt uns der unschlagbare Vollprofi durch knapp fünf Jahrzehnte, in denen er – im Spannungsfeld von US-amerikanisch geprägtem Softrock, wohlig weichen Popsounds und zunehmend weniger Schlagereinflüssen – teutonische Musikgeschichte schrieb, wobei er den internationalen, kosmopolitischen Aspekt bzw. Anspruch seiner Lieder niemals aus den Augen verlor.

Die knapp zweieinhalbstündige Aufwartung startete – ich nehme an, gegen zehn nach Acht – dem Tourmotto gemäß mit dem so aufbrausenden, wie aufmunternden Titellied der zeitentsprechenden Studioproduktion „Das ist unsere Zeit“, gefolgt von dem ebenfalls diesem Album entstammenden, krossen Folkrocker „Worauf warten wir“, der stilistisch, gerade durch das führende Akkordeon, an die derzeitigen Erfolge von „Santiano“ und ähnlich ausgerichteten Folk/Gothic/Mittelalterbands gemahnt.

Nach nur wenigen Worten der Begrüßung, kam der knackige, treibende, damals von Andre‘ Franke, dem musikalischen Leiter und „Kapitän“ (Zitat: H.C.) der aktuellen Tourneeband, und Joachim Horn-Bernges verfasste Gitarrenrock-Hymnus „Hi“ (aus der 2007er-Rückmeldung „20 Uhr 10“) zum Einsatz, woraufhin der Held des Abends erst mal genüsslich über seinen damals anstehenden 70. Geburtstag und seine Unfähigkeit, die moderne Computertechnologie zu verstehen, plauderte.

Kurz darauf ging es zurück in die genialen, mittleren 80er Jahre, in denen Howard für den einen oder anderen Gassenhauer mehr als nur gut war. Zunächst hören und sehen wir die romantisch-urbane, sacht countryinfizierte Gitarrenballade „Durch die Nacht“, entnommen der schier phantastischen 1985er-LP „Mittendrin“, sowie den perfekt austarierten Überhit des Herbstes 1984, „Samstag Nacht“, in einer aufgedonnerten, funky-rockigen Auslegung; ein grandioses Lied, an dem sicher nicht nur für den Verfasser dieser Zeilen unvergessliche Jugenderinnerungen hängen.

Wiederum dem Liederstrauß von „Das ist unsere Zeit“ entstammen das aufmüpfige Synthi-plus-Gitarrenopus „Heut‘ beginnt der Rest Deines Leben“ – nicht identisch mit gleichnamiger 1995er-Single von Udo Jürgens aus dessen damaliger CD „Zärtlicher Chaot“ –, die intime Ballade „Nah am Herzen“, zu deren Intonation sich der Weltklasse-Entertainer aus Durban auf den Weg durch das Tempodrom begab, zig Hände schüttelte, Geschenke und Blumen annahm und sogar das eine oder andere „Selfie“ zuließ, sowie der klassische US-Stadionrocker „Es ist alles noch da“, der sich mit Rock’n’Roll-Erlebnissen des Künstlers in seiner Jugend in den 60er Jahren auseinandersetzt.

Energisch rockend, voranstrebend, geht’s weiter mit „Das alles bin ich“, dem Titelgeber von Howards 2011er-CD, und – man höre und staune – einer im besten Sinne des Wortes deftig-krachenden, geradezu rasenden Deutung von „Es geht um mehr“, einem traumhaften Romantikschlager aus dem Jahr 1980 (zugleich einem meiner frühesten Carpendale-Favoriten allgemein). Nun stellte der Star des Abends einige seiner Bandmusiker vor und konnte hierbei auch seinen legendären, vollschlanken und dabei stets verschmitzten Ex-Bassisten Frank Itt – ich weiß nicht, bei vielen Carpendale-Touren ich den schon gesehen habe – trotz dessen schwerer Erkrankung auf der Bühne begrüßen.

Wie gewohnt, musste auch mindestens ein Titel von Howards wohl größter Inspirationsquelle, Elvis Presley, auf der Setlist stehen. Diesmal war es der vom „King of Rock’n’Roll“ 1973 aufgenommene Bombastpop „Always On My Mind“, mit sanftem Reggae-Rhythmus und feierlichen Chören angereichert, der in eine wahrhaftige Rarität mündete: Der chansonhafte Sprechgesang „Du schläfst“ erschien 1981 erstmals auf der wegweisenden, sehr persönlichen, bluesig-düsteren LP „Such mich in meinen Liedern“, war seinerzeit von Schauspieler und Sänger Volker Lechtenbrink betextet worden und kam m.E. erst- und beinahe letztmalig ‚live‘ auf eingangs erwähnter 1981/82er-Tour zum Einsatz, die vor 34 Jahren meinen Einstieg in die konzertären Sphären des Howard C. bedeuten sollte. Dieses fließende, ruhige, gemächliche Lied war nie ein spezifischer Hit gewesen, aber die Gänsehautstimmung, die es von jeher erzeugt, sprüht aus demselben auch 35 Jahre nach Erstveröffentlichung genauso intensiv, massiv und leidenschaftlich hervor, wie damals, so dass es kein Wunder ist, dass an diese kleine, zärtliche Ballade sogleich Howards 1977er-Evergreen „Ti amo“, deutsche Version des gleichnamigen Italo-Pop-Meilensteins von Umberto Tozzi, nahtlos anzuschließen vermag, wobei die Darbietung dieses unverbrüchlichen Dauerbrenners 2015 in Berlin durch einen stimmstarken, mehrköpfigen Gospel-Chor soulig unterstützt wurde.

Das so empfindsame, wie atmosphärische Gedenken an einen „Astronaut(en“) (aus der betont rocklastigen 1996er-CD „Kein Typ für eine Nacht“), der die skandalösen Geschehnisse auf dem Planeten Erde von ‚irgendwo da oben‘ betrachtet, war nun an der Reihe, bevor eine Swamprock-ähnliche Interpretation der prickelnden Country-Folk-Rock-Melange „Calm After The Storm“, mit der das niederländische Duo „The Common Linnets“ am 6. Mai 2014 den zweiten Platz beim „Eurovision Song Contest“ in Kopenhagen für sich in Anspruch nehmen konnte, endgültig in die Abteilung „Greatest Hits“ geleitete.

Dieselbe beginnt – im gemütlichen „Unplugged“-Verfahren – mit dem Kenny-Rogers-angelehnten Countrypop-Ohrwurm „Schade“, der einstigen Single-B-Seite von Howards 1984er-Reißer „Hello Again“, dem gleichsam akustisch, mit zwei Akkordeons und diversen Konzertgitarren luftig arrangierten 1975er-Hit „Deine Spuren im Sand“, der sommerlich-frischverliebten 1982er-Single „Ich will den Morgen mit Dir erleben“ und – nochmals sehr Country-betont ausgekleidet – „Tür an Tür mit Alice“, 1976 „Deutsche Originalaufnahme“ von „Smokie’s“ Welthit „Living Next Door To Alice“.

Die melancholische Abschiedsballade „Du bist doch noch hier“ fand den Weg von der 2003er-CD „Der richtige Moment“ ebenso ins gegenwärtige Konzertrepertoire, wie – selbstverständlich – der 1984er-Willkommensblues „Hello Again“, erst nur a-capella dargeboten, und dann bald im Bandkontext rockig fortgesetzt. Nur zur Pianobegleitung, huldigte Howard daran anschließend seinem großen Kollegen Udo Jürgens, der nun vor schon knapp zwei Jahren viel zu früh von uns gegangen ist, mit einem sehr nahen, sensiblen und freundschaftlichen vokalistischen Vortrag von „Ich war noch niemals in New York“, versehen mit mitfühlenden, neuen lyrischen Worten.

Ja, und dann gab es gar kein Halten mehr: Wir hören und sehen auf „Das ist unsere Zeit – Live aus Berlin“ etwa den 1980er-Singleknüller „Wie frei willst Du sein“ in kokettem Rock-Gewand, die 1998er-Coverversion von Ronan Keatings Feudalpop „Life is a Rollercoaster“, „Ruf‘ mich an“, die 1978er-Superschnulze „Dann geh‘ doch“, bei deren Darbietung das Publikum beinahe mehr seine Stimme erhebt, als der Künstler selbst, und zum Schluss dieses Blocks – wie kann es anders sein? – DAS Carpendale-Erkennungszeichen schlichthin, von ihm selbst als „sein Lieblingslied“ deklariert, den wundervollen, wolkenverhangen-nächtlichen Großstadtblues „Nachts, wenn alles schläft“, nun verfeinert mit einem so feinen, wie feisten Saxophonsolo.

Zum Ausklang des Auftritts, präsentierten Howard und seine Band nochmals drei unter die Haut gehende, weitgehend rockig-aufreibende Beiträge aus „Das ist unsere Zeit“, die da heißen „Aus einem anderen Leben vielleicht“, „Wofür es keine Worte gibt“ und „Alles hat seine Zeit“. Als Zugaben gibt es eine neuerliche, ruppig-symphonische Heavy-Adaption von „Das ist unsere Zeit“, das introvertierte, zurückhaltende Liebesgeständnis „Wir sind Eins“ und ein weiteres Mal – nun als Riffrock dargereicht – „Das alles bin ich“ zu genießen.

Mit hier vorgestellter Live-DVD bzw. Doppel-CD hat HOWARD CARPENDALE endgültig bewiesen, dass er letztlich ein echter Rock’n’Roller ist. Springsteen trifft Sinatra, rohe Gitarrenklänge paaren sich mit eingängigen, lieblichen Melodien. Die kraftvollen, neuen Rockdramen paaren sich auf vorzügliche Weise mit Howards Softpop-/-rock-Hits der 70er und 80er. Diese Konzerttournee, hier festgehalten auf DVD und CD, zeigt vielleicht den ehrlichsten und echtesten Howard Carpendale, den es jemals gab. Er wollte nie ein reiner Schlagersänger sein und er beweist nun, dass er wohl schon immer das Zeug dazu hatte, einen vielschichtigen Rockentertainer zu geben. Vielleicht mag die eine oder andere Passage auf vorliegenden Bild- bzw. Tonträgern nachträglich bearbeitet – neudeutsch: „overdubbed“ – sein. Dies alles spielt keine Rolle, denn HOWARD CARPENDALE beweist auf „DAS IST UNSERE ZEIT – LIVE AUS BERLIN“, dass er trotz seiner 70 Jahre nun offenkundig genau dort angelangt ist, wo er stets hinwollte: Er ist ein Rockmusiker mit supersympathischer Schlagerattitüde, ein Sänger, der weiß, wovon er in seinen Liedern erzählt – schlicht und einfach: Der beste HOWARD CARPENDALE aller Zeiten!

Holger Stürenburg, 18./19. November 2016
http://www.universal-music.de/company/umg/electrola
http://www.howard-carpendale.de

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