HAPE KERKELING
"Ich lasse mir das Singen nicht verbieten" – Die ganz besondere CD-Kritik!

smago! Leser Stephan Immung: “Ich habe zwar noch keinen Ton von Hapes Album gehört – aber mir trotzdem mal erlaubt! dazu eine ´winzig kleine´ Rezi zu schreiben! Vielleicht ist das ja ein Rekord – fast vier DIN A 4-Seiten Rezi über eine CD, die ich nie gehört habe!”…: 

Als Schlager-Liebhaber hat man es bisweilen nicht leicht. Trotz sensationeller Verkaufszahlen seiner Protagonisten und trotz ausverkaufter Schlager-Veranstaltungen in den großen Arenen ist es noch immer "bäh", wenn man sich zu ihm bekennt. Wenngleich sich viele Schlager-Produktionen modernster Studiotechnik bedienen und / oder (wie das vorliegende Werk) opulent mit großem Orchester produziert werden und sich damit von vielen billig und lieblos gemachten Produktionen anderer Musik-Genres positiv abheben, ist das Image des deutschen Schlagers nach wie vor eher negativ behaftet.

In den 70ern Jahren war die Situation nicht grundlegend anders – auch damals war der deutsche Schlager kommerziell überaus erfolgreich – auch damals galt er als nicht gesellschaftsfähig. So gesehen ist der aus der damaligen Schlagerzeit adaptierte Titelsong "Wir lassen uns das Singen nicht verbieten" aktueller denn je. In Anspielung auf diejenigen, die Schlagermusik aus rein vorurteilsbeladenen Gründen ablehnen galt damals: "Für sie gilt nur das, was ihnen gefällt – welch ein Selbstbetrug" – und dieser Selbstbetrug wird ja lustig weitergelebt – da überreicht man lieber Christina Stürmer und Ina Müller einen Echo, weil denen das "Schlager"-Etikett nicht anhaftet – auch wenn andere weit bessere Verkaufszahlen erzielen – aber das nur als Randnotiz.

Ich finde Kerkelings CD-Motto überaus passend und sehr zeitgemäß – auch wenn Tina Yorks Schlager aus der Feder und Produktion Jack Whites rund 40 Jahre alt ist. Auf der einen Seite sollen "die Leute, die dagegen sind, doch nach Hause gehen" – auf der anderen Seite sind viele dieser Leute ja verkappte Schlager-Liebhaber. Wie kann man diesem Dilemma entfliehen? Das hat Guildo Horn schon vor 15 Jahren vorgemacht: Man produziert qualitativ gute Schlager der 70er Jahre (und davon gab es unglaublich viele) modern und hochwertig und drückt der Sache den Stempel "Parodie / Ironie" oder böse formuliert "Verarsche" auf – und schon kann der gemeine Schlager-Hasser ungeniert seine Lieblingslieder schmettern, ohne dass es seinem Image als seriösen Stones-, Lindenberg-, Metallica- oder was auch immer -Fan schaden könnte – ein cleverer Schachzug.

Damit dieses Projekt erfolgreich läuft, sollte man einige Dinge beachten:

– es sollten recht bekannte Schlager ausgewählt werden,

– die höchste Qualität hatte der deutsche Schlager in den 70er Jahren in der "Hochzeit" der ZDF-Hitparade – die Aussage habe ich kürzlich vom bekannten Schlagerproduzenten Walter Gerke vernommen und unterschreibe ich sofort – aus dieser Zeit sollten die meisten auserwählten Songs stammen.

– populäre Duett-Partner sind nicht verkehrt. Es macht Sinn, sich dabei vor allem entweder mit Protagonisten des Genres zu umgeben oder aber Leute ins Boot zu nehmen, die schlageraffin sind und damit glaubwürdig.

– Hochwertige Produktion hat noch keinem Projekt geschadet. Wenn das Filmorchester Babelsberg mitwirkt, unterstreicht das die Ernsthaftigkeit des Projekts. (Schlager-Kritiker können das dann auch wieder als lustiges Schmankerl sehen, dass ein Orchester sich für ein derart triviales Projekt hergibt, was dann wieder dem Ironie-Alibi zuträglich ist).

 

All diese Aspekte hat Kerkeling in großartiger Art und Weise berücksichtigt. Mein persönlicher Eindruck ist, dass er überaus Schlager-affin ist und dem Werk der Schlager-Künstler der 70er Jahre sehr respektvoll gegenübersteht und daher auch diesen großartigen Liedern gerecht werden will. Auch das verbindet ihn aus meiner Sicht mit dem "Meister". Was ihn NICHT mit Guildo Horn verbindet, ist die Song-Auswahl – ohne es überprüft zu haben, ist Kerkeling das große Kunststück gelungen, einerseits Songs auszuwählen, die nicht schon 100-fach augenzwinkernd und / oder rockig gecovert wurden (wie "Aber bitte mit Sahne", "Im Wagen vor mir", "Er gehört zu mir" und und und), sondern tiefer in die Schlager-Kiste gegriffen zu haben. Andrerseits hat er dennoch seeeehr bekannte Schlager ausgegraben.

 

Zu den Liedern im Einzelnen:

 

Neben dem schon ausführlich besprochenen Titel-Song, den Kerkeling für sich aber aus der 1. Person Plural in die 1. Person Singular "übersetzt" hat, stammt ein weiterer Song aus der Feder von Jack White: "Fahrende Musikanten". Der Song hat einerseits Mitgröhl-Charakter ("hejo hejo ho") – und andrerseits beschreibt er die Situation, wie sie wohl einige Schlager-Protagonisten nur zu gut kennen – zunächst hat die "Kasse oftmals nicht geklingelt", doch nach dem durchaus gilt: "tagein – tagaus zu zieh'n wir durch die Lande". – Witzige Idee, diesen fast in der Versenkung verschwundenen Schlager wieder auszubuddeln. Erfreulich, dass endlich mal wieder Kim Fisher als Sängerin in Erscheinung tritt – eine gute Sängerin mit erfrischendem Humor und erotischer Anziehung – von dem Kaliber gibt's ja nicht so viele…

A propos Duette. Auch die Auswahl des Liedes "How Do You Do" ist in meinen Augen ein Glücksgriff. Das Original ist im Gegensatz zu vielen anderen Kult-Hits recht selten auf Samplern vertreten, weil es auf der längst nicht mehr existenten Plattenfirma "Golden 12" erschienen ist – mein Eindruck ist, dass die Lizenzen da nicht so ganz klar sind. Selbst, wenn ich mich täusche – der Song war in den frühen 70ern zurecht ein klarer Nummer-Eins-Hit der "Windows", hinter denen sich ja u. a. Peter Petrel (männlicher Partner des Duetts) verbarg. Zur Duett-Partnerin Mary Roos muss man wohl nicht mehr viel sagen – eine ganz große Sängerin, die immer zum Schlager stand, obwohl sie auch mit sogar internationalen Chansons bekannt wurde und dabei – soweit man das als Außenstehender beurteilen kann – menschlich unglaublich warm und charakterstark geblieben ist. Nicht zuletzt großartig sind auch Marys Eurovisions-Erfolge – Kerkeling hat sich für seine CD aber einen Eurovisions-Song ausgesucht, den nicht alle sofort "auf dem Zettel" haben:

"Feuer" – im Original von Ireen Sheer vorgetragen – ist durchaus ein historischer Eurovisions-Song. Es war der letzte vom Hessischen Rundfunk ausgewählte Beitrag – danach übernahm der Bayrische Rundfunk und mit ihm gab es einen ungeahnten Aufschwung Deutschlands bei der Eurovision bis hin zum Sieg Nicoles 1982. – Vier Jahre vorher trat mit Ireen Sheer eine Engländerin bei der Eurovision an. Für Eurovisions-Nostalgiker ist amüsant, dass die damals einberufene Jury vorschlug, keinen(!) der eingereichten Songs zur Eurovision zu schicken. Manchmal wünscht man sich, dass Jurys auch heutzutage so was vorschlagen – aber zurück zum Thema: Letztlich landete Ireen international auf einem guten sechsten Platz – erneut stellte sich heraus, dass Fachjurys nicht zwingend richtig liegen müssen.

Für Schlager-Fans ist der 1978er-Beitrag aus anderen Gründen von Bedeutung: Komponist des Liedes war ein gewisser Jean Frankfurter (bürgerlicher Name: Erich Liessmann), der gerade als Produzent des Jahres mit dem "Echo" ausgezeichnet wurde und damit Größen wie Dieter Bohlen ausstach. Er ist der Produzent, der hinter Helene Fischer steckt – und war schon 1978 ein dicker Fisch in der Branche als Mann hinter weitaus öfter gecoverten Songs wie "Michaela" oder "Anita".

Das, was in den 70er Jahren (teilweise bis heute) die Eurovision war, waren in den 60er Jahren die deutschen Schlagerfestspiele. Mit "Liebeskummer lohnt sich nicht" hat Kerkeling einen Blockbuster der 60er Jahre reanimiert – unglaublich, dass sich Siw Malmkvists Sieg bei diesem Wettbewerb am 13. Juni zum 50. mal jährt – interessant, dass auch hier eine Schwedin die Fahne des deutschen Schlagers hoch hielt. Auch hinter diesem Song steckt ein ganz großer Komponist – Christian Bruhn war und ist seit Jahrzehnten ein bedeutender Komponist, dessen Spektrum vom Kultschlager wie "Marmor, Stein und Eisen bricht" über Volkstümliches wie "Heidi" bis hin zu Filmmusiken ging. Nebenbei erschuf er bis heute unvergessene Werbe-Jingles ("Wir geben Ihrer Zukunft ein zu Hause.." naaa? welche Bausparkasse schrieb sich das auf die Fahne? – oder welche Schokolade ist die "zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt"? – auch das hat Christian Bruhn erschaffen). Unglaublich, dass auch dieser tolle Mensch in diesem Jahr 80 Jahre alt wird.

Eurovision und Schlagerfestspiele – das waren die erfolgreichen Platformen eines weiteren ganz großen Schlager-Schaffenden. Hans Blum war nicht nur incognito als "Henry Valentino" mit seinem Song "Im Wagen vor mir" unterwegs – nein, er erschuf dutzendweise deutsche Evergreens, die bis heute unvergessen sind – egal, ob es sich um Eurovisions-Songs wie "Primaballerina" (1969) oder "Über die Brücke gehen (1986) handelt oder um seinen "Protest-Song" "Beiß nicht gleich in jeden Apfel" (den Titel hat er scherzhaft Protest-Song bezeichnet, weil er mit anspruchsvollen Chansons bei den Schlagerfestspielen nicht durchkam und dann einfach einen Drei-Akkorde-Schlager schrieb. Dass er damit gleich den Wettbewerb gewinnen würde, setzt dem natürlich die Krone auf).

Ein nicht ganz so großer Riesen-Hit, aber doch veritabler Erfolg war das Lied "Jetzt geht die Party richtig los" für Severine, die den Song kurz nach ihrem Eurovisions-Sieg veröffentlichte. Vielleicht ist das Lied dafür verantwortlich, dass der Spruch "Je später der Abend, desto schöner die Gäste" bis heute weit verbreitet ist – es mag aber sein, dass ich da etwas zu weit gehe mit dieser Vermutung. Es ist auch nicht überliefert, ob Severine mit ihrer Aussage "die Uhren, die stellen wir einfach zurück" für die ein paar Jahre später eingeführte bis heute viel diskutierte Sommerzeit verantwortlich ist. Eins ist jedoch klar: "Ich war ein echter Trauerkloß, bis die Fete hier begann" – diese Aussage deckt sich ja mit dem Tenor des Titel-Liedes von Hapes CD.

Grundsätzlich hat Hape bei der Auswahl seiner Songs immer einen Original-Interpreten ausgewählt. Eine Ausnahme gibt es jedoch (mal abgesehen von seinen beiden eigenen Schlagern): Von Caterina Valente hat er zwei Lieder ausgewählt. Vielleicht möchte er damit der in meinen Augen einzigen legitimen Vorgängerin Helene Fischers huldigen – ja- es hat ca. 50 Jahre gedauert, bis es eine in deutscher Sprache singende Entertainerin geschafft hat, wirklich als Allround-Entertainerin zu gelten und Talente wie Tanzen, Singen und Moderieren in Personalunion zu vereinen. Es ist schon eine Ironie des Schicksals, dass "la Valente" eine in Paris geborene Italienerin ist und Helene in der damaligen Sowjetunion geboren ist.

Was die Auswahl der Valente-Songs angeht, muss ich etwas Kritik anbringen, die meinem persönlichen Geschmack geschuldet ist – ich persönlich hätte mir z. B. "Tipitipso" gewünscht – ein Song, der in rockiger Version ungeahntes Potenzial hätte, wie ich finde. Der "Quando"-Song wurde hingegen schon sehr oft und durchaus gut gecovert – z. B. von Dieter Thomas Kuhn. Andrerseits gilt der "Komm ein bisschen mit nach Italien"-Song schon als Beleg für das Wirtschaftswunder der 50er und frühen 60er Jahre – eine Zeit, in der nach langen Jahren des Entbehrens Reisen in den Süden wieder für eine größere Anzahl von Menschen möglich gemacht wurde. Den Soundtrack dazu lieferte als Komponist ein weiterer ganz großer Komponist: Heinz Gietz, der seit den 50er Jahren mit seinem kongenialen Partner Kurt Feltz für so ziemlich die gesamte Schlagerelite einschließlich Peter Alexander Lieder schrieb bzw. produzierte.

Mit "Schmidtchen Schleicher" hat Kerkeling einen weiteren fast vergessenen Klassiker ausgebuddelt, der in meinen Augen unterschätzt wird – das ist definitiv kein Drei-Akkorde-Song, sondern ein lustiges anspruchsvolles kompositorisch gut durchdachtes Lied. Den Song würde ich zu gerne mal "live" von Kerkeling interpretiert sehen – wenn man sich alte Videos des zu früh verstorbenen Original-Interpreten Nico Haak ansieht, ahnt man, welche Tanzschritte der ehemalige "Let's Dance"-Interpret da einbringen könnte. Er muss auch nicht "live" singen – bei Carmen Nebel herrscht ja wohl "Live-Verbot" – da muss ja alles Playback sein. Inzwischen wird die Show ja sogar konsequenterweise aufgezeichnet, damit nun wirklich ALLES "Konserve" ist – aber das ist wieder ein anderes Thema.

Summa sumarum attestiere ich Hapes CD, ohne auch nur einen Ton davon gehört zu haben, ein Qualitätssiegel der Extra-Klasse. Ich finde überraschend, dass er überdurchschnittlich viele im Original von Frauen gesungene Lieder ausgewählt hat und dass hochprozentig die Original-Interpreten nicht Deutsche sind – aber vielleicht macht ja gerade das den Reiz aus.

Für mich ist überraschend, dass Kerkeling Lieder fast aller großer Schlager-Schaffender früherer Zeiten berücksichtigt hat – Ralph Siegel allerdings hat er ausgespart. Das finde ich erstaunlich, zumal er doch ausgemachter Eurovisions-Fan ist. Na, vielleicht hofft er ja, dass Siegel ihm einen eigenen Klassiker schreibt, mit dem er dann 2015 bei der Eurovision antreten kann – "is ist right", Hape?

Ich bin sehr gespannt, wie der Höreindruck der Songs ist – ich bin guter Dinge.

Stephan Imming, 01.04.2014

Stephan Imming
http://www.ariola.de
http://www.hapekerkeling.de/

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